Reichstagsbrand 1933: Der Schauprozess endet mit einem Justizmord - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Zweiter Weltkrieg
  4. Reichstagsbrand 1933: Der Schauprozess endet mit einem Justizmord

Zweiter Weltkrieg Reichstagsbrand

Der Schauprozess endet mit einem Justizmord

Als 1933 der Reichstag brannte, wurde der Täter auf frischer Tat verhaftet: Der junge Niederländer Marinus van der Lubbe gestand umstandslos. Im Dezember 1933 wurde er zum Tode verurteilt.
Leitender Redakteur Geschichte

Der erste Alarm geht um 21.12 Uhr in Berlins Hauptfeuerwache ein: Im Reichstagsgebäude soll es brennen. Es ist Montag, der 27. Februar 1933 – noch sechs Tage bis zur nächsten Reichstagswahl.

Während schon zahlreiche Feuerwehrleute im Inneren des Gebäudes zu löschen beginnen, entzündet sich um 21.27 Uhr ruckartig der gesamte Plenarsaal. Die Hitze lässt die Scheiben der Glaskuppel bersten. Innerhalb kürzester Zeit mehrere hundert Grad heiße Flammen die jahrzehntealten Sitzbänke und die verstaubten Vorhänge auf. Die Balustraden stürzen ein, die Wandverkleidungen stürzen ins Inferno.

Mit 15 Löschzügen, also schnell dem gesamten Fahrzeugpark der Berliner Feuerwehr in der erweiterten Innenstadt, und Löschbooten Feuerwehrleute bekämpfen die Flammen. Doch erfolglos: Der Plenarsaal ist nicht zu retten. Erst kurz nach Mitternacht ist das Feuer unter Kontrolle. Für Sitzungen des Parlaments ist das Gebäude nicht mehr zu gebrauchen.

Noch vor der ruckartigen Entflammung im größten Raum des Hauses nehmen der Hausinspektor und ein Polizeibeamter im Bismarcksaal des Reichstages einen jungen Mann fest. Der 24-jährige Niederländer Marinus van der Lubbe steht sofort, den Brand gelegt zu haben, und bleibt für den Rest seines Lebens bei unzähligen Vernehmungen dabei.

„Eines jener verdammt blöden Stücke“

Aber fast genauso schnell setzen Spekulationen darüber ein, ob er Helfer gehabt habe – zuerst wohl ausgerechnet von Alfred Rosenberg, dem Chefredakteur des NSDAP-Blattes „Völkischer Beobachter“. Zu einem ausdrücklichen Reporter sagt er: „Ich hoffe, es ist nicht das Werk unserer Burschen. Es ist genau eines jener verdammt blöden Stücke, die ihnen ähnlich sehen.“

Andere führende Nazis dagegen zeigen sich überzeugt, die Kommunisten hätten ihre Finger im Spiel gehabt. „Das ist das Signal zum kommunistischen Aufstand!“, soll Hermann Göring geschrien haben. Adolf Hitler tobt und fordert, alle KPD-Funktionäre zu erschießen, sobald man ihrer habhaft werde.

Marinus van der Lubbe war eine verkrachte Existenz. Im niederländischen Leiden geboren, war der gelernte Maurer arbeitsunfähig, nachdem er sich bei einer Prügelei auf einer Baustelle die Augen mit Kalk verätzt hatte. Er bewegte sich im Umkreis der niederländischen Kommunisten, war Funktionär in KP-nahen Jugendvereinen, hatte aber recht wirre Vorstellungen.

Er rief zu Streiks und Demonstrationen auf, überwarf sich mit Parteifunktionären und trat für anarchokommunistische Ziele ein. Ab 1931 wanderte er rastlos durch Europa. Er wollte in die Sowjetunion, bekam aber in Berlin kein Visum. Mehrfach saß er für kurze Zeit im Gefängnis.

Tausende KPD-Mitglieder wurden verhaftet

Einige Tage vor dem Reichstagsbrand traf er wieder in Berlin ein. Er wollte gegen die Machtübernahme der Nazis protestieren und bei Arbeitslosen agitieren. Am 25. Februar legte er kleinere Feuer im Sozialamt von Berlin-Neukölln, im Keller des Roten Rathauses und auf dem Dach des Berliner Schlosses. Alle drei Brände konnte gelöscht werden, bevor es zu nennenswerten Schäden kam. Enttäuscht wollte er sich schon auf den Rückweg machen, doch dann entschied er sich, eine letzte Brandstiftung zu begehen, und machte sich auf zum Reichstagsgebäude.

Anzeige

Am 28. Februar 1933 abends erließ Reichspräsident Paul von Hindenburg die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“. Sie setzte die Bürgerrechte außer Kraft und wurde zum Freibrief für Hitler, die NS-Diktatur aufzubauen. Schon in der Brandnacht war eine Verhaftungswelle angelaufen, gestützt auf Listen der preußischen Politischen Polizei aus dem November und Dezember 1932. Mehrere tausend KPD-Mitglieder wurden in den folgenden Wochen festgenommen, ihre Partei verboten.

Diese schnelle Reaktion lässt bis heute viele glauben, die Nazis selbst hätten das Feuer gelegt – oder van der Lubbe sei Provokateuren von rechts auf den Leim gegangen, die ihn angestiftet hatten, um einen Vorwand für den Schlag gegen ihre Gegner zu bekommen. Allerdings gibt es dafür in den erhaltenen, rund 50.000 Blatt umfassenden Akten der Ermittlungen und des Prozesses kein einziges Indiz.

Trotzdem hält die Debatte darüber an, ob van der Lubbe ein Einzeltäter war oder ob er Helfer hatte. Immerhin war er stark sehbehindert. Weil im Reichstag mehrere weit auseinanderliegende Brandnester zu dem verheerenden Feuer geführt hatten, kam ein Gutachter im Prozess gegen van der Lubbe zu dem Schluss, er habe unmöglich als Einzeltäter handeln können. Für Hitler der Beleg, dass van der Lubbe mit Hilfe kommunistischer Abgeordneter gehandelt habe.

Van der Lubbe war ein Einzeltäter

In der Geschichtswissenschaft ist dagegen längst nahezu einhellige Meinung, dass van der Lubbe tatsächlich ein Einzeltäter war. Der Historiker Hans Mommsen etwa hält die Brandgutachten für wenig überzeugend. Für die Existenz von Mittätern gebe es noch nicht einmal gesicherte Indizien. Er verweist auf die Luftzufuhr und die hohen Decken im Plenarsaal, die zusammen wie ein Kamin wirkten. Die schlagartige Entzündung des Raumes war die Folge eines brandphysikalischen Phänomens, das Feuerwehrleute „Backdraft“ nennen: eine Rauchgasexplosion.

„Es gibt zwar noch Zweifel über das Motiv van der Lubbes“, sagt der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse, „er war ja schon eine etwas merkwürdige Person. Aber seine Alleintäterschaft steht fest.“

In der offensichtlich hysterischen Reaktion der Nazi-Oberen unmittelbar nach der Tat sieht Mommsen einen Beleg dafür, dass sie am Brand selbst unschuldig waren – selbst wenn er ihnen äußerst gelegen kam. „Die Nazis haben da schnell geschaltet und den Brand für ihre Ziele ausgenutzt“, stellt auch Jesse fest.

Vor dem Leipziger Reichsgericht wird ein Schauprozess anberaumt. Der deutsche KPD-Funktionär Ernst Torgler und drei Bulgaren sind neben van der Lubbe angeklagt, den Reichstag in Brand gesetzt zu haben. Doch das Gericht erweist sich als unerwartet unabhängig: Es spricht die vier Mitangeklagten frei, stellt aber zugleich fest, dass van der Lubbe andere Mittäter gehabt haben. Das ist als Zugeständnis an die Regierung zu werten, die nicht völlig desavouiert werden soll.

Auf dem Südfriedhof bestattet

Anzeige

Am 23. Dezember 1933 ergeht dieses Urteil. Marinus van der Lubbe wird als einziger Angeklagter schuldig gesprochen und erhält die Todesstrafe. Am 10. Januar 1934 stirbt er in Leipzig durch das Fallbeil. Sein Leichnam wird anonym auf dem Leipziger Südfriedhof bestattet; dort erinnert heute ein Gedenkstein an ihn.

Sein Bruder Jan kämpft nach 1945 lange für die Aufhebung des Urteils. Die kommt aber nur schrittweise: 1967 kassiert das Landgericht Berlin den Vorwurf des Hochverrats und reduziert die Strafe postum auf acht Jahre Zuchthaus. Erst am 10. Januar 2008, knapp 75 Jahre nach dem Reichstagsbrand und auf den Tag genau 74 Jahre nach seiner Hinrichtung, wird van der Lubbe voll rehabilitiert.

Zwar steht die Täterschaft van der Lubbes außer Frage. Aber erst nach seiner Tat hatte die Nazis ein Gesetz erlassen, das für Brandstiftung die Todesstrafe vorsah. Nach dem Prinzip „nulla poena sine lege“, dem Verbot der rückwirkenden Strafbarkeit und Strafverschärfung, hätte der Niederländer höchstens eine Gefängnisstrafe bekommen dürfen. Auch wenn er die Brandstiftung ohne Zweifel begangen hat und ja auch immer wieder gestanden hat: Das Todesurteil gegen ihn ist und bleibt ein Justizmord .

Dieser Artikel wurde erstmals 2013 veröffentlicht.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant