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Leichtathletik Edwin Moses

„Russland hat den Sport verraten und beschädigt“

Sport-Redakteurin
Ed Moses, Olympiasieger mit einem Abschluss in Physik Ed Moses, Olympiasieger mit einem Abschluss in Physik
Ed Moses, Olympiasieger mit einem Abschluss in Physik
Quelle: Getty Images for Laureus/Simon Hofmann
Edwin Moses dominierte einst als Hürdenläufer die Sportwelt. Auch dank der bedingungslosen Unterstützung durch seine Familie wurde er zur Leichtathletik-Legende. Sein Blick ging aber immer über den Sport hinaus. Bis heute.

Seine Siegesserie gehört bis heute zu den beeindruckendsten Leistungen in der Geschichte des Sports: In 122 Rennen in Folge wurde Edwin Moses zwischen 1975 und 1987 über die 400 Meter Hürden Erster. Er feierte zwei Olympiasiege, zwei WM-Titel und stellte vier Weltrekorde auf. Sportler zu sein, war dem US-Amerikaner aber nie genug, sein Blick ging stets darüber hinaus.

Nach seiner Karriere als Leichtathlet setzte sich der studierte Physiker und Betriebswirt für einen fairen Sport und verschiedene soziale Projekte ein, er war unter anderem Mitglied der Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Vorstandsvorsitzender der amerikanischen Antidopingagentur und bei der Weltantidopingagentur verantwortlich für Ausbildung und Prävention, dazu Gründungsmitglied und Vorsitzender der Laureus World Sports Academy, einer Stiftung, die benachteiligten Kindern hilft und darüber hinaus jährlich die weltbesten Athleten auszeichnet. Bei der Laureus-Gala in Paris nahm sich Moses, 67, Zeit für ein Gespräch.

Elegant und kraftvoll - Moses gewann über die 400 Meter Hürden zweimal Olympia-Gold und eine Bronzemedaille
Elegant und kraftvoll - Moses gewann über die 400 Meter Hürden zweimal Olympia-Gold und eine Bronzemedaille
Quelle: Getty Images

WELT AM SONNTAG: Herr Moses, in gut einem Jahr, am 26. Juli 2024, beginnen die Olympischen Spiele in Paris. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf dieses Großereignis?

Ed Moses: Viele Jahre war ich ja mittendrin, erst als Athlet, dann in meinen späteren Funktionen, ich war ein Insider. Jetzt schaue ich mit dem Blick von außen drauf, wie andere Zuschauer auch. Ich bin überzeugt, dass Paris eine großartige Stadt ist, um Olympische Spiele zu beheimaten, genau wie es Los Angeles 2028 sein wird und die anderen großen Städte, die bereits als Ausrichter feststehen. Ich erinnere mich gern zurück an London 2012, auch an Rio 2016, habe Sydney vor nun schon 23 Jahren sehr genossen. Ich denke, die Spiele werden großartig für Paris als Stadt werden und ebenso für die Zuschauer, die anreisen werden.

WELT AM SONNTAG: Das IOC spricht sich für einen Olympiastart russischer und belarussischer Athleten als neutrale Sportler und unter bestimmten Auflagen aus. Anfang des Jahres äußerten Sie sich klar dagegen. Bleiben Sie dabei?

Moses: Eines steht für mich fest: Es ist ein abscheulicher Krieg. Und es ist kriminell, was der Zivilbevölkerung angetan wird. Ich bin ja schon eine Weile auf dieser Welt, habe den Kalten Krieg hautnah miterlebt, lebte in West-Berlin, als die Stadt geteilt war (Moses war mit einer Deutschen verheiratet, d. R.), durfte wegen des Boykotts 1980 nicht an den Olympischen Spielen in Moskau teilnehmen. Ich musste fast in Vietnam kämpfen, als ich eingezogen wurde, aber endete der Krieg. Und ich interessiere mich sehr für Außenpolitik, schon immer.

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Quelle: SID

WELT AM SONNTAG: Gab es einen bestimmten Auslöser dafür?

Moses: Mich mit Außenpolitik zu beschäftigen, ist eines meiner Hobbys, seit ich mit dem Laufen begann. Ich wollte einfach wissen, was auf der Welt geschieht, was in Deutschland, was in England und überall sonst los ist. Ich habe mich immer informiert und mich auch für Sprachen interessiert. Deshalb habe ich wirklich auch persönliche Gefühle, was die Abscheulichkeit dieses Krieges angeht und wie die Bevölkerung niedergemetzelt wird.

WELT AM SONNTAG: Was also ist Ihre Meinung: Sollten russische Athleten dennoch 2024 in Paris antreten dürfen?

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Moses: Allein, wenn ich betrachte, was seit dem Dopingskandal der Winterspiele von Sotschi 2014 und dem McLaren-Report (Untersuchungsbericht über ein System von Staatsdoping in Russland zwischen 2011 und 2016, d. R.) bis zu dem aktuellen Doping-Fall um die junge Eiskunstläuferin Kamila Valieva geschehen ist, und dazu dieser abscheuliche Krieg – da kann ich nur sagen: Ich habe einfach kein Verständnis dafür, dass Russland zur olympischen Bewegung gehört, weil es den Sport und die olympische Bewegung verraten und beschädigt hat. Und weil Russland in der Folge meiner Meinung nach einfach nicht genug getan hat.

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Quelle: SID

WELT AM SONNTAG: Sollte Russland zugelassen werden, unter welchen Auflagen auch immer, steht ein von der ukrainischen Regierung angedrohter Boykott im Raum. Was halten Sie davon?

Moses: Es wird sehr interessant sein zu beobachten, was passiert. Ich verfolge das sehr genau. Ein schwieriges Thema.

WELT AM SONNTAG: Sie erwähnten es bereits: Sie konnten wegen des Boykotts 1980 nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen. Wie war das damals für Sie?

Moses: Für die amerikanischen Sportler war es schwierig, weil wir keinerlei Unterstützung von unserer Regierung bekamen. Auch heute stellen die USA das einzige olympische Komitee, das nicht von der Regierung unterstützt wird, wir haben auch keinen Sportminister. Selbst bei meinen ersten Olympischen Spielen 1976 in Montreal war es so, dass wir gegen Länder angetreten sind, die von ihren Regierungen unterstützt wurden, das galt für alle anderen Staaten außer uns. Wir fanden das unfair. Als das Profitum Einzug hielt, war es hart; wir hatten das Gefühl, dass unser Land uns hängen lässt. Kaum einer von uns fühlte sich damals patriotisch, du hast kaum Athleten mit der US-Flagge gesehen, weil wir nicht das Gefühl hatten, Unterstützung zu haben. Jetzt ist es sehr anders. Aber das nur als Hintergrund zu meiner Antwort auf Ihre Frage: Ich war traurig und verärgert, dass wir nicht zu den Olympischen Spielen durften. Für mich fühlte es sich an, als hätte ich vier Jahre meines Lebens vergeudet. Vier Jahre, in denen du nicht einmal Unterstützung erhalten hattest, in denen du auch etwas anderes hättest machen können.

Edwin Moses genießt die Spiele in Paris im kommenden Jahr als Zuschauer
Edwin Moses genießt die Spiele in Paris im kommenden Jahr als Zuschauer
Quelle: Getty Images for Laureus


WELT AM SONNTAG: Vier Jahre später, 1984 in Los Angeles, gewannen Sie dann erneut Olympiagold. Sie gingen während Ihrer Karriere von Beginn an Ihren eigenen Weg. Dafür ist Mut erforderlich. Woher nahmen Sie den?

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Moses: Ich hatte keine Wahl. Ich war auf einem College ohne entsprechende Infrastruktur für Leichtathletik, habe, wenn Sie so wollen, nicht viele Gefangene gemacht. Das Hürdenlaufen brachte ich mir selbst bei. Ich war immer sehr zielstrebig und habe mein eigenes Ding durchgezogen, um etwas zu erreichen. Deshalb habe ich vielleicht auch Physik studiert, weil du da meistens für dich allein arbeiten kannst, niemand hilft dir, du musst dir die Dinge selbst erarbeiten. Mir gefällt das, das ist mein Weg.

WELT AM SONNTAG: Dadurch gelang es Ihnen auch, als erster Leichtathlet überhaupt mit nur 13 Schritten von Hürde zu Hürde laufen.

Moses: Mir hatte jeder gesagt, das sei nicht möglich. Ich sah das anders und habe täglich hart gearbeitet, damit es eben doch möglich ist. Ich mochte es, diesen Prozess voranzutreiben, ein besserer Athlet zu werden.

Perfektionist auf der Bahn und Ausnahmeathlet: Moses revolutionierte den Hürdenlauf
Perfektionist auf der Bahn und Ausnahmeathlet: Moses revolutionierte den Hürdenlauf
Quelle: Getty Images


WELT AM SONNTAG: An welchen Vorbildern haben Sie sich damals orientiert?

Moses: An meinen Eltern, auf jeden Fall. Natürlich mochte jeder in den USA Muhammad Ali und den Basketballspieler Bill Russell, der mit den Boston Celtics elf Meisterschaften gewann, aber ich hatte meine Helden in der Familie, meine Vorbilder waren Akademiker. Meine Eltern arbeiteten beide als Lehrer und Ausbilder. Sie haben mir, schon als ich jung war, sehr viele Möglichkeiten eröffnet. Ich war mit ihnen zum Beispiel auf einer Exkursion in Paris, als ich 14 oder 15 Jahre alt war – allein diese Erfahrung hat mein Leben verändert.

WELT AM SONNTAG: Welche Werte haben die beiden Ihnen vermittelt?

Moses: Dass du Fleiß und Durchhaltevermögen brauchst, um etwas zu erreichen, und eine gute Bildung, um später den Beruf ergreifen zu können, den du möchtest. Sie haben mir den Wert von Bildung und Ausbildung allgemein und den Wert sozialen Engagements vermittelt. Ich habe von meiner Familie früh gelernt, dass man anderen Menschen helfen sollte. Mir ist das sehr wichtig, ich mache das ja jetzt schon sehr lange in verschiedenen Bereichen und an verschiedenen Orten. Und das hat einfach damit zu tun, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der so etwas bedeutsam war. Das prägt.

WELT AM SONNTAG: Können Sie sich noch an Ihr erstes kleines Projekt erinnern – als Kind?

Moses: In der Schule, in der meine Mutter gearbeitet hat, gab es Programme für Vorschulkinder zwischen drei und fünf Jahren. Dort habe ich dann als Zehnjähriger geholfen – das war der Start, mich für andere zu engagieren.

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