David Finchers „The Killer“: Das Ethos des Assassinen - WELT
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Kultur David Finchers „The Killer“

Das Ethos des Assassinen

Chefkorrespondent Feuilleton
Kugelsicher: Michael Fassbender in „The Killer“ Kugelsicher: Michael Fassbender in „The Killer“
Kugelsicher: Michael Fassbender in „The Killer“
Quelle: Courtesy of Netflix
Ein neuer „Fight Club“? Meisterregisseur David Fincher kehrt in Venedig mit Michael Fassbender im düsteren „The Killer“ zu seinen Anfängen zurück. Die stylishe Comic-Verfilmung verrät, warum die Menschheit Auftragsmörder unbedingt nötig hat.

Mit einem deutschen Touristen will niemand etwas zu tun haben. Diese Einsicht sorgt in der Premiere von David Finchers „The Killer“ auf dem Filmfestival Venedig für einen seltenen Lacher. Gleichzeitig rettet sie Michael Fassbender regelmäßig das Leben. Einst hat er in London einen Deutschen beobachtet, der in der Menge unterging. Seither erledigt er seine Arbeit in Tarnkappenbeige, von der Chino bis zum Anglerhut. Allein die schwarzen Handschuhe, die er auch im Sommer trägt, verweisen dezent auf seinen Beruf: Er ist Auftragsmörder.

Der Job ist langweiliger, als man denken könnte. Es sei denn, man kennt sich aus in der Filmgeschichte. Dann weiß man, dass Alain Delon in „Der eiskalte Engel“ (1967) meist in seiner kahlen Wohnung auf dem Bett lag und an die Decke starrte. Oder dass George Clooney in „The American“ (2010) sich im ödesten Kaff Norditaliens versteckte. Als Alpha-Raubtiere stehen Contract-Killer an der Spitze der Nahrungskette. Gleichzeitig sind sie Kellerasseln. Kein Löwe macht sich die Mühe, seine Spuren zu verwischen. Ein gedungener Mörder tötet und muss den Kadaver loswerden, im Säurebad, im Ozean, im tiefsten Wald verbuddelt. Die beste Leiche ist die, die niemals auftaucht.

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Wie die Katze, die stundenlang vorm Mauseloch ausharrt, sitzt Fassbenders Killer in einer verlassenen Wohnung auf einem klapprigen Stuhl. Ein Heizofen spendet karge Wärme. Das geht tagelang so. Er macht Yoga, isst einen McMuffin, Schinken und Ei aus dem Brot pulend, checkt seinen Puls auf der Smartwatch, hört The Smiths und erschießt um ein Haar den Postboten, der aber bloß einen Haufen Werbung durch den Türspalt wirft und wieder verschwindet. Der Killer – der sehnige Körper und die kalten Augen lassen keinen Zweifel an seiner Identität – beobachtet eine Wohnung auf der anderen Straßenseite. Die schmucken Fassaden sagen: Paris.

Schließlich kommt es zum Schuss. Der geht fehl. Eine leicht bekleidete Dame muss die Intrige, gesponnen an irgendeinem anderen Ende der Welt, zu ihrem Unglück ausbaden. Der einflussreiche Sack, dem das Attentat gilt, geht in Deckung. Fassbender murmelt: „Fuck!“ Sonst verzieht er keine Miene. Mit einem Motorradhelm auf dem Kopf hastet er an möglichen Sicherheitskameras vorbei, einem Berufsrisiko, mit dem sich Delon noch nicht herumschlagen musste, knackt hektisch einen Elektroscooter, rast fotogen durch allerlei Tatütata, Treppen hinab und durch eine jener Passagen, über die schon Walter Benjamin sagte, dass sie in die Unterwelt führen.

Auf dem Ekelklo einer Tanke wäscht und rasiert er sich. Am Flughafen dreht er in der Schlange trotzdem um, als er an der Passkontrolle einen Spürhund entdeckt. Die gleiche Prozedur noch einmal. „Ich habe alles getan, was ich konnte“, hören wir Fassbenders Stimme im Voice-Over. Er kommt durch. Es geht nach Hause, in die Dom-Rep, wo er sich inmitten von Pauschaltouristen einen schnieken Unterschlupf geschaffen hat. Einblendung: „Kapitel 2: Zu Hause“.

Öder Job: Michael Fassbender in „The Killer“
Öder Job: Michael Fassbender in „The Killer“
Quelle: Courtesy of Netflix

Die stringente Struktur und den andauernden Off-Screen-Kommentar hat der Film seiner Vorlage entlehnt, einem französischen Comic vom Autor Alexis Nolent alias Matz und dem Illustrator Luc Jacamon. Schon 2007 wollte Fincher den Stoff ins Kino bringen, mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Es fand sich kein Geldgeber.

Finchers Filme übersteigen die finanziellen Möglichkeiten von Indies und eignen sich nur bedingt als Blockbuster-Kandidaten. Die Stoffe sind oft populär wie bei „Seven“ (1995) oder „Fight Club“ (1999), ihre Umsetzung aber ist immer die eines Auteurs. Fincher ist berüchtigt für Hunderte Takes, in denen er seinem Team nichts durchgehen lässt. Er liebt Kamerafahrten, so smooth, dass das Auge sich in sie versenkt, alles drumherum vergessend. Der kleinste Störfaktor, so Zeugenberichte, verursache ihm körperliche Schmerzen.

Gone Girl“ brachte 2014 sagenhafte 370 Millionen Dollar, das ist bei Fincher aber nicht die Regel. Sein Meisterwerk „Zodiac“ (2007), das sich quasi-dokumentarisch um einen berühmten Serienkiller dreht, kostete 85 Millionen und spielte sie gerade eben wieder ein. Zudem hat das Studiosystem Fincher früh traumatisiert; 1992 übernahm er als Ersatz des Ersatzes die chaotische Produktion von „Alien 3“, ohne Recht am letzten Schnitt. Das künstlerische Ergebnis seines Regiedebüts war entsprechend.

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So ließ er sich nicht lange bitten, als irgendwann der pubertierende Streaming-Riese Netflix anklopfte. Fincher machte den Showrunner für die Serie „Mindhunter“, drehte eine Folge der animierten Serie „Love, Death & Robots“ und bekam vor ein paar Jahren gar sein Herzensprojekt „Mank“ bewilligt, eine Schwarz-Weiß-Hommage an den Drehbuchautor von „Citizen Kane“. Das Skript stammte von seinem 2003 verstorbenen Vater. Fincher hatte nicht mehr geglaubt, es jemals machen zu dürfen. Danach pitchte er „The Killer“. Wieder öffnete Netflix das Portemonnaie. 175 Millionen Dollar soll der Film gekostet haben. Sie sind nicht schlecht angelegt. Cannes-Chef Thierry Frémaux besteht zwar darauf, Fincher habe „das Kino hinter sich gelassen“, seit er den Teufelspakt mit Netflix unterschrieb. Venedig ist da allerdings relaxter und hat „The Killer“, der im Oktober kurz in die Kinos kommt, um Oscarchancen zu wahren, bevor er ab dem 10. November weltweit zu streamen ist, in den Wettbewerb geladen.

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Die Action ist sparsam, aber heftig. Der Killer findet sein Zuhause verwüstet, die Freundin im Spital. Mit Müh und Not ist sie den Schergen entkommen, die die Scharte des misslungenen Anschlags auszuwetzen versuchten. Jetzt wird der Mann, dessen Ethos in absoluter Teilnahmslosigkeit besteht, doch sauer. Es folgt die Rache, in deren Zuge der verräterische Anwalt, der seit Jahren die Geschäfte leitet, ein Bolzenschussgerät auf die Brust gesetzt bekommt. Auch die Sekretärin muss dran glauben, Zeugen mag der Killer nun mal nicht. Immerhin lässt er sich erweichen, ihre Leiche liegenzulassen, damit den Kindern die Lebensversicherung bleibt. Unter Normalos ginge so ein Verhalten nicht als Weichherzigkeit durch, unter Auftragsmördern ist es das höchste der Gefühle.

In Florida kommt es zum ersten der drei Showdowns, im Nahkampf mit einem Brutalo, der in einer anderen Gewichtsklasse zuschlägt. Dessen Bulldogge bekommt ein Schlafmittel zu fressen. Dem Zuschauer bietet die Episode bestes Adrenalin-Futter. Später geht der weiterhin arg angepisste Fassbender Tilda Swinton besuchen, bei einem New Yorker Whisky-Tasting mit bitterem Nachgeschmack. Sie ist nicht schwer zu finden, die Beschreibung der Sekretärin, die sich damit das Recht eines öffentlichen Todes erkaufte, stimmt haargenau: Sie sehe aus „wie ein Q-Tip“.

Hang zu Aphorismen

Contract-Killer sind eine seltene Spezies. Wie bei den Vampiren verträgt die Branche kein endloses Wachstum. Dabei erfüllen sie ihren Zweck. Eine Welt, in der in jeder Sekunde 1,8 Menschen sterben und 4,2 geboren werden, wie Fassbender früh berichtet, kann den einen oder anderen freiberuflich tätigen Gevatter Tod gut brauchen, sozusagen als Instanz postnataler Geburtenkontrolle. Was Fassbenders Individuum besonders macht, ist sein Hang zu Aphorismen. In der Filmgeschichte zeichnen sich die Kollegen durch Schweigsamkeit aus. Auf der Leinwand kommt Fassbender kaum ein Wort über die Lippen. Dafür quasselt er immerzu aus dem Off.

„Sogar ich muss mich regelmäßig daran erinnern“, sagt er etwa, „dass der einzige Lebensweg, den es gibt, derjenige ist, den man hinter sich hat.“ Dass er keine Airbnbs mehr bucht, erklärt er mit dem Bonmot: „Superhosts neigen zu Überwachungskameras.“ Wie allerlei Aphoristiker, die sich viel auf ihre bündigen Pointen einbilden, neigt er zur Geschwätzigkeit. Vielleicht muss man dem Netflix-Publikum auch einfach alles erklären. Was als Gedankenblase im Comic jedenfalls schön lakonisch wirkt, bekommt ausgesprochen im Film, dessen bewegte Bilder selbst schon einiges sagen, eine überflüssige Note. Sie steht im auffälligen Kontrast zur viel beschworenen Schönheit durch Effizienz.

Nicht so schlimm. „Do what thou wilt“, tu, was du willst, lautet schließlich das Motto des Killers. Er hat es vom Satanisten Aleister Crowley, der ebenfalls einst floh, nachdem ein Adept seines düsteren Kultes den Tod gefunden hatte. Fincher fühlt sich sichtlich wohl hier, auch wenn „The Killer“ kein zweites „Seven“ und kein neuer „Fight Club“ ist. Es handelt sich schlicht um stylishes Kino für Connaisseure. Selten war Beige flamboyanter.

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