Wenn er auftrat, entstand die Welt - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. DIE WELT
  3. Wenn er auftrat, entstand die Welt

DIE WELT

Wenn er auftrat, entstand die Welt

Das Komische als Kunst: Zum Tode des großen Volksschauspielers Willy Millowitsch

In Köln ist am Montag im Alter von 90 Jahren der Volksschauspieler Willy Millowitsch gestorben. Über 80 Fernseh-Produktionen aus seinem Theater, elf Kinofilme und zahlreiche Karnevals-Hits wie "Wir sind alle kleine Sünderlein" machten ihn auch außerhalb seiner rheinischen Heimat zu einer Institution des unbeschwerten Lachens.

Humor, hat er einmal gesagt, ist ein Beruf wie jeder andere auch. Ungewöhnliches Selbstverständnis eines Komikers, der über acht Jahrzehnte lang nichts Schöneres kannte, als die Leute zum Lachen zu bringen. Der sogenannte Volksschauspieler Willy Millowitsch, von dem wir uns nun verabschieden müssen, hat selbst all jenen Klischees widersprochen, die er so unnachahmlich bemühte, um daraus den Schaumwein eines geradezu homerischen Gelächters zu keltern.

Volksschauspieler? Komiker? Unterhaltungskünstler für ein Millionenpublikum? Was war das für einer? Die Frage, ob er auch als Mensch komisch sei, hat ihn stets irritiert. "Ich bin komisch, weil die Stücke es von mir verlangen", hat er allen ins Stammbuch geschrieben, die glaubten, jemand wie er müsse den ausgelassenen Humor 24 Stunden des Tages mit sich herumtragen. "Ob ich komisch bin, weiß ich gar nicht. Ich komme auf die Bühne und spiele die Situationen so, wie sie gemeint sind. Und wenn sie es mir erlauben, komisch zu sein, dann bin ich es halt." Eine Alternative hat er ohnehin nicht gehabt. "Komisch zu sein, das war von Kindheit an mein Beruf. Zum ersten Mal durfte ich mitspielen, als ich vier Jahre alt war. Und seitdem habe ich eigentlich nichts anderes mehr getan."

Ein hart arbeitender Profi des Gelächters ist er gewesen. Wie oft erschien er morgens um acht in de n Fernsehstudios des Westdeutschen Rundfunks und betrat abends um acht die Bühne seines eigenen Theaters, um in irgendeiner Hauptrolle die Menschen vergessen zu machen, dass der Alltag selten so gerecht endet wie Millowitschs Stücke.

Ein Rheinländer mit geradezu preußischem Pflichtgefühl - schon das widersprach allen Klischees. Und doch war das Rheinische unzweifelhaft eine der Quellen, aus denen er schöpfte. Die Karnevals-Hits, die Millowitsch berühmt gemacht haben wie etwa "Schnaps, das war sein letztes Wort" oder "Wir sind alle kleine Sünderlein" - verraten etwas von jener Grundeinstellung, die auch das Spiel dieses begnadeten Mimen geprägt hat: Verständnis für die menschlichen Schwächen und die Lust, sich dem "Dennoch" des Lebens zu öffnen. Auch hier war ein ernster Hintergrund wirksam: "Wir Kölner machen immer die Arme weit auf. Aber, ob wir sie dann um den anderen auch schließen, das überlegen wir uns genau."

Willy Millowitsch hat sich selbstverständlich immer gegen Versuche gewehrt, den Menschen das Recht auf Entspannung und Vergessen abzusprechen. "Ja, ich spiele den Leuten eine heile Welt vor, eine Welt, die in ihrem Leben oft eher umgekehrt läuft. Und dann kommen sie aus der Vorstellung heraus und sehen, dass man über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit auch lachen kann." Und geradezu empört fügte er an: "Den Menschen zwei Stunden Freude zu machen, so dass sie sagen, ich habe alles um mich herum vergessen - mein Gott, was soll denn daran unanständig sein."

Und so war auch die Strickart der meisten Stücke, die er gespielt hat. Späße über Trinker, Lebemänner und Pantoffelhelden. Enthüllungsklamotten über aufgeblasene Popanze, die auf Normalmaß zurückgestutzt werden. Oder eben wie in seinem berühmtesten Spaß "Der Etappenhase", in dem er mehr als 1000mal die Hauptrolle spielte (einschließlich einer Afrika-Tournee) und mit nicht weniger als fünf Inszenierungen ins Fernsehen kam. Er selbst beschrieb den Dauer-Hit, mit dem er 1953 auch die Ära der Fernseh-Live-Übertragungen aus dem Theater eröffnete, so: "In dem Stück geht es um nichts anderes als um die Frage: Wer frisst den Hasen und wer die Katze? Und die Gerechtigkeit hält auf komische Weise Einzug - der Oberst muss die Katze fressen, der kleine Mann kriegt den Hasen." Es war dieses durchaus bürgerli che, ja, kleinbürgerliche Element des Humors, das einen Teil seines Erfolges speiste. Im Gegensatz zu seiner linken, aggressiven, proletarischen Kontrahentin Trude Herr sorgte Millowitsch dafür, dass wenigstens im Theater die Welt gerecht wurde. Aus den Fallstricken, die jedes Dasein bereithält, befreit sich der Mensch, nachdem er genug - zwerchfellerschütternd - darin herumgestrampelt hatte. Der Kölner Bürger Millowitsch, der später zum Ehrenbürger aufstieg ("Seitdem durfte ich falsch parken!"), mit veritabler 12-Zimmer-Villa , vier Kindern, einer 50 Jahre währenden Ehe und einem (Theater-)Betrieb, der nie einen Pfennig Subvention kassiert hat - dieser Millowitsch kannte das Leben aus allen Perspektiven. Der "kleine" Mann, der vor einem halben Jahrhundert vom Vater das Familien-Unternehmen übernahm, musste es nach dem Krieg mit eigenen Händen wieder aufbauen. Das hat ihn geprägt und mit jener verzeihenden Nachsicht ausgestattet, die so viele seiner Inszenierungen und Auftritte inspirierte.

Und schließlich war da noch jene Familientradition, die ihn so einmalig zu seinem Beruf befähigte. 1796 ist erstmals ein Millowitsch in der Kölner Stadtchronik erwähnt - als Bänkelsänger. Puppenspieler setzten die komödiantische Ahnenreihe fort. Und seit 1896 gibt es das Millowitsch-Theater, das nun in die Hände seines Sohnes Peter übergehen wird. Es ist wohl dieses Erbe gewesen, das Willy Millowitsch zu jener einmaligen Präsenz verhalf, und die einen Kritiker zu dem emphatischen Ausruf veranlasste: "Wenn Willy auftritt, entsteht die Welt, und wenn er geht, bleibt nichts zurück."

Schon rein quantitativ ist sein Lebenswerk Ehrfurcht gebietend: über 90 Fernsehauftritte (unter anderem als Kriminalkommissar Kleefisch); elf Spielfilme ("Gesucht wird Majora"); zwei Hörspiele ("Die Spieldose"); vier Bücher ("Heiter währt am längsten"), unzählige Schallplatten ("'s war immer so"); Ausflüge ins ernste Fach unter Star-Regisseuren wie Rudolf Noelte (als Totengräber im "Hamlet"), Jürgen Flimm ("Die Wupper") oder Peter Zadek ("Die wilden 50er"); und fast jeden Abend auf der Bühne in Köln oder auf Tournee. Humor ist ein harter Beruf.

Anzeige

So sehr Millowitsch immer darüber geklagt hat, dass nach dem Zweiten Weltkrieg keine Komödien in seinem Sinne mehr geschrieben wurden - unbestreitbar ist auch die Tatsache, dass man ihn erst jenseits der 60 in Deutschland richtig ernst nahm. Dazu hat sicher das Fernsehen beigetragen. Und der von ihm erbrachte Nachweis, ein begnadeter Charakterkomiker zu sein, hat die Perspektive, unter der man seine volkstümlichen Produktionen betrachtete, verändert. Außerdem hat das (Unterhaltungs)-Theater generell, auch durch ihn, eine Neubewertung erfahren: als soziales Korrektiv zur Unvollkommenheit des menschlichen Daseins.

Wie dem auch sei - eine der schönsten Pointen des Willy Millowitsch war wohl jene, in der ein ertappter (scheinbarer) Ehebrecher dem Publikum verzweifelt zurief: "In jedem Leben kommt einmal der Augenblick der Wahrheit. Und dann heißt es: Lügen, lügen, lügen!" Treffender lässt sich Willy Millowitschs Bühnenperspektive nicht darstellen. Das Leben kennt nicht nur die bitteren Pillen einer angestrengten Moral.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant