Sophie Rois im Interview: „Ich will in Berlin Theater spielen“

Sophie Rois im Interview: „Ich will in Berlin Theater spielen“

Sie ist eine der Personen, ohne die man sich die Volksbühne bis vor Kurzem nicht vorstellen konnte. Sophie Rois war 25 Jahre fest an dem Haus engagiert. Sie arbeitete hier mit allen wichtigen Regisseuren und hat den radikalen und konträren Herangehensweisen von Castorf, Schlingensief, Kresnik, Marthaler, Fritsch und Pollesch mit ihrer Souveränität und Spiellust einen eigenen, verbindenden ästhetischen Beglaubigungsstempel aufgesetzt und den auch für ein mit Arbeitergroschen gebautes Theater unbedingt nötigen Glamour verliehen.

Das Gesicht der Volksbühne

Vielleicht hat die Österreicherin so die künstlerische Identität, die eben auch in der Vielfalt der Formen der Volksbühne bestand, sogar noch ein bisschen mehr geprägt als Frank Castorf selbst. Als Castorf ging, nahm Sophie Rois ein Jahr Gastierurlaub, bevor sie ihr Engagement kündigte. Jetzt ist Castorfs Nachfolger Chris Dercon schon wieder Geschichte, und das Schicksal der Volksbühne steht unter neuen Sternen. Zu spät. Sophie Rois hat einen Ensemblevertrag mit dem Deutschen Theater unterschrieben. Ob sie zerknirscht ist über ihre Entscheidung? Als sie mit locker hinnehmbarer Verspätung zum Gespräch erscheint, überrumpelt sie einen geradezu mit ihrer blendenden Laune. Auf einmal strahlt sogar die leicht pompöse und distinguierte Vornehmheit des Treffpunktes – die Tea-Lounge eines neuen Vielesternehotels – Stil, Eleganz und geradezu kumpelige Zuneigung aus. Natürlich ist auch die dem Theaterkritiker angeborene griesgrämliche Unbestechlichkeit wie weggeblasen. Was wollte er doch gleich fragen? War da nicht irgendwas? Ach ja.

Sophie Rois, aufregende Tage liegen hinter uns, was sagen Sie zu dem Abgang von Chris Dercon als Intendant der Volksbühne?

Gott sei Dank ist der Drops gelutscht, lassen Sie uns von was anderem sprechen.

Gut, widmen wir uns erst einmal einer schönen Nachricht: Sie haben Berlin in Angststarre versetzt, als Sie Ihr Volksbühnenengagement kündigten. Nun kann die Stadt aufatmen, Sie bleiben ihr erhalten und treten ins Ensemble des Deutschen Theaters ein!

Sie spaßen, sehr freundlich, danke. Diese Stadt könnte ganz bestimmt sehr gut auf mich verzichten, ich aber ungern auf diese Stadt. Ich will in Berlin Theater spielen.

Egal, an welchem Theater?

Natürlich nicht. Ich wollte überhaupt nicht mehr in ein Ensemble gehen, weder in Berlin noch anderswo. Ich fühlte mich nach meiner Kündigung recht wohl, es ist angenehm, wenn man seine Termine selber festlegen kann, ich fand auch, dass das der Würde meines Alters entspricht.

Und warum wurde es dann ausgerechnet das Deutsche Theater?

Der Intendant Ulrich Khuon und René Pollesch waren in der Planung für eine Zusammenarbeit und wollten mich dabei haben. Pollesch und ich am Deutschen, das ist nichts, was auf der Hand liegt. Die Aussicht machte mir sofort Vergnügen. Das Haus hat eine lange Tradition, es ist ein Klassiker, und es steht im Ostteil der Stadt. Es hat was angenehm Unaufgeregtes, und die Schauspieler pflegen eine hohe Spielkultur. Wenn man mir vor einem Jahr gesagt hätte, du gehst ans DT, hätte ich es nicht geglaubt.

Wie wurde dann aus dem Gastierangebot ein Ensemblevertrag?

Ulrich Khuon hat mir das Angebot gemacht, ins Ensemble zu kommen. Und ich habe gesagt, dass das keine gute Idee ist, weil ich für einen Intendanten eine ziemliche Zumutung bin und wahrscheinlich nicht bieten kann, was man von einem Ensemblemitglied erwartet.

Nämlich?

Ich kann keinen Service leisten, ich bin nicht einfach für alles einsetzbar. Dieser Pluralismus im Sinne von: Heute interessierst du dich bitte für dieses und morgen für jenes – das kann ich einfach nicht.

In der Volksbühne haben Sie sich doch auch für Schlingensief, Kresnik, Fritsch, Marthaler, Pollesch und Castorf zur Verfügung gestellt. Die prägten allesamt sehr unterschiedliche Theatersprachen.

Ich würde nicht sagen, dass ich mich zur Verfügung gestellt habe. Auch nicht die anderen Schauspieler. Der Wumms, den viele Abende hatten, der kommt nicht zustande, wenn Leute sich zur Verfügung stellen. Das war immer eine beiderseitige Entscheidung. Daraus entstanden oft Bühnenstatements, die etwas Unausweichliches hatten, die nicht geschmäcklerisch wegzudiskutieren waren. Ein paar Mal haben Dramaturgen versucht, sich etwas für mich auszudenken, das endete regelmäßig in der Katastrophe.

Ulrich Khuon ist Dramaturg.

Nobody is perfect. Also, wir haben beide die Karten auf den Tisch gelegt und gesagt, was wir einander bieten können und was nicht und haben das Geschäft mit Handschlag besiegelt. Er war extrem cool.

Was haben Sie denn vereinbart?

Dass ich mit René Pollesch im Herbst meinen Einstand feiern werde.

Ist das für Sie eine Ensemble-Mitgliedschaft? Oder ist es nicht doch eher so, dass Sie als Juwel der Polleschtruppe auftreten?

Ist das jetzt Schmeichelei oder eine knallharte Investigativfrage?! Weder bin ich ein Juwel, noch gibt es eine Polleschtruppe. Es spielen lauter Schauspieler aus dem Ensemble mit, Christine Groß kommt von außen. Lauter Leute, mit denen ich noch nie gespielt habe. Spitze! Es ist nicht so, dass ich in den letzten 25 Jahren immer mit denselben drei Leuten auf den verschiedenen Bühnen gestanden hätte. Das wäre auch okay, aber es war nicht so. Es gibt allerdings die kontinuierliche Zusammenarbeit mit einigen Schauspielern und Regisseuren − das ist aus gutem Grund so. Mit René Pollesch habe ich über die Jahre so etwas wie eine eigene Arbeitspraxis entwickelt, die möchte ich nicht missen. Derer bedienen wir uns auf jeder Bühne, bei jeder Arbeit, aber das ist nichts Hermetisches, das dehnt sich auf alle aus, die da mitmachen. Und die, die daran Freude haben, bleiben dabei. Daraus ergeben sich dann gewisse Verbindlichkeiten, weil man merkt, dass man einen Humor teilt, eine künstlerische Haltung.

In wie vielen DT-Inszenierungen werden Sie in der Spielzeit auftreten?

Das bespreche ich nur mit meinem Intendanten.

Ist Ihnen die Bühne nicht zu klein? Frank Castorf hat beim Deutschen Theater immer von einer Konditorei gesprochen.

Stimmt, da hat er recht, so sieht es ein bisschen aus! Ich glaube, der Witz wird sein – wenn man da drinnen spielt, diese Gegebenheiten nicht zu leugnen, sondern sich dazu zu verhalten. Ich war gestern auf unserer Bauprobe, das Bühnenbild macht Barbara Steiner. Nach dem, was ich sehen konnte, macht sie genau das. Sie nimmt die Architektur des Hauses auf und tut nicht so, als wären Stuck und Samt nicht da. Auf diese Art von Intelligenz bin ich angewiesen. Ich habe eine Schwäche fürs Gesamtpaket, sonst macht mir das alles keine Freude. Und besonders klein ist die Bühne nicht. Na, die Volksbühne ist es nicht, das ist klar! Ich habe die Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz sehr geliebt, aber darüber brauche ich nicht nachzudenken, das ist vorbei.

Das klingt ziemlich abgebrüht. Sie waren dort 25 Jahre fest engagiert, waren seit zehn Jahren unkündbar und haben das alles aufgegeben.

25 Jahre, das ist eine lange Zeit. Ich hatte nie den Impuls wegzugehen, dafür gab es keinen Grund. Eine Kontinuität und Verbindlichkeit, die über den kurzfristigen Erfolg hinausgehen, machten diese Arbeitsbedingungen so kostbar. Ein gewaltiger Bruch war der Tod von Bert Neumann, dem Chefbühnenbildner der Volksbühne. Als Schauspieler wird man ja immer gefragt nach dem Regisseur, der einen zum „blühen“ bringt oder sowas. Aber die Zusammenarbeit mit Bert Neumann war entscheidend für mich. Es gibt wenige Leute, denen man begegnet und man weiß: Das habe ich gesucht, mir gewünscht, ohne dass ich imstande gewesen wäre, das zu formulieren. Mit den Bühnenbildern, die er für René Pollesch gemacht hat, war er der erste Autor, damit war schon die inhaltliche Setzung da. Vor allem anderen gab es das Bühnenbild. Er starb im Sommer 2015, da war für mich der Volksbühnen-Zusammenhang zu Ende. Wie er gedacht, wie wir zusammengearbeitet haben, wie sich sein Talent, seine Intelligenz manifestiert haben – dass es das nicht mehr gibt, dass es ihn nicht mehr gibt, hat diesen Zusammenhang zerstört. Sein Tod hat dieser Volksbühne richtig die Eingeweide rausgerissen, nichts war mehr wie vorher. Als dann auch noch Frank Castorf gehen musste, war es zu Ende für mich.

Demnach hatte es für Sie auch gar keinen Sinn, in der Volksbühne bis zum Rücktritt von Dercon zu überwintern?

Richtig.

Haben Sie denn einen Moment lang geglaubt, dass es mit dem neuen Intendanten Chris Dercon etwas werden kann? Schließlich haben Sie nicht gleich gekündigt, sondern erst ein Jahr Gastierurlaub genommen.

Ich wollte noch den Blumenstrauß und die 350 Euro Gratifikation zum 25-jährigen Firmenjubiläum mitnehmen, also 116 Euro nach Abzug der Steuern vermutlich. Ich habe noch abgewartet, und dann war Schluss. Aber Sie haben natürlich Recht, aus jedem Interview, jeder Meldung konnte man herauslesen, was da auf das Theater zukommt.

Nun endete diese Dercon-Episode doch überraschend schnell. Warum haben Sie so lange zu dem Thema geschwiegen?

Weil ich wusste, dass das keinen Einfluss auf den Lauf der Dinge haben wird. Außerdem steht alles, was jemand sagt, der aus dem Haus kommt, unter Verdacht: Da haben alte Leute Angst um ihre Pfründe. Einmal, nach meiner Kündigung, habe ich zu diesem Thema einen Satz gesagt. Aber der Inhalt wurde sofort neutralisiert mit: Frau Rois regt sich auf. Daran habe ich kein Interesse. Weil es in diesem Fall tatsächlich nicht um mich geht. Es geht auch nicht um Herrn Castorf oder Dercon und zu wem man nun hält. Die Verträge, die man als „Künstler“ im deutschen subventionierten Theater schließt, sind grundsätzlich erstmal kündbar und das ist auch ganz gut so. Die Frage ist nur, auf welcher Grundlage die kulturpolitischen Entscheidungen getroffen werden.

Was glauben Sie war diese kulturpolitische Grundlage im Fall von Dercon.

In diesem Fall bestand sie ganz offensichtlich aus Worthülsen und Sprechblasen. Es war reiner Dilettantismus, mit dem dieses große Theater mit seinen über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen, seinen kompetenten Mitarbeitern in allen Werkstätten, seinen Produktionsmöglichkeiten zerstört wurde, indem man jemanden zum Intendanten macht, der damit buchstäblich nichts anzufangen weiß, der es einfach nicht kann − um die Sache abzukürzen.

Für welche Rolle wären Sie geblieben?

Diese Frage stellt sich für mich nicht. Das Geschäft mit der Rolle, das ist so einsam und deprimierend. Das hat mich noch nie interessiert. Damit landet man immer nur bei sich, wie öde.

Wo lag denn in der alten Volksbühne der künstlerische Schwerpunkt?

Im materialistischen Ansatz. Der Schauspieler ist nicht Medium der Botschaft eines Regisseurs, sondern schon die Botschaft selbst. Der Schauspieler geht nicht auf in der Repräsentation von irgendwas. Er ist präsent, und er präsentiert. Das waren Versuchsanordnungen: Versuch und Irrtum, Selbstprovokation, Entertainment. Castorf und Pollesch arbeiten unterschiedlich, aber sie haben beide ein starkes historisches Bewusstsein. Zu wissen, dass Theater gebunden ist an seine Zeit, an die Bedingungen, unter denen es entsteht. Sie zielen nie auf das Allgemeinmenschliche, Universelle. Das wäre langweilig, weil man da nicht danebenschießen kann. In unseren 25 Jahren sind uns doch so etwas wie ein paar perfekte Rock-Statements gelungen: zupackend, aber vergänglich, sehr in ihrer Zeit verwurzelt und daher vielleicht sowas wie Nostalgie erzeugend. Eines kann man den Produktionen nicht vorwerfen: Sie hätten nach der Ewigkeit geschielt.

Es gibt einen Moment, der sich eingeprägt hat. Wie Sie am Ende von Castorfs „Kabale der Scheinheiligen“ an die Rampe treten und den Schlussmonolog halten, in dem sie sich von der Molière-Statue verabschieden.

Danke. Dass Frank Castorf mir da diesen Text gegeben hat − wir haben nie darüber gesprochen − ich hätte an diesem Abend nichts lieber gemacht.

Als Sie sich dann umdrehten und still in die Tiefe gingen, haben Sie sich ans Auge gefasst. Warum haben Sie geweint? War es Abschiedsschmerz?

Das will ich nicht sagen. Ein Schauspieler darf nicht seine Geheimnisse preisgeben. Aber ich würde Tränen auf der Bühne grundsätzlich nicht allzu viel Bedeutung beimessen.

Warum singen Sie so gern auf der Bühne?

(Pause.)

Frau Rois?

Das klingt, als hätten Sie was dagegen. Das Singen gehört zum Standardausdrucksrepertoire eines Schauspielers, oder nicht?

Habe ich eine empfindliche Stelle getroffen?

Menschen singen gern. Nicht nur Opernsänger. Ich muss das auch gar nicht unbedingt öffentlich machen. Ich singe am liebsten zu Hause: Hausmusik mit Freunden an den hohen christlichen Feiertagen.

Worauf kommt es beim Spielen überhaupt an?

Dass Spielen eben Spielen ist und nicht Arbeit. Spielen bedeutet Befreiung von der Arbeit und vom Authentischen. Es geht darum, das Leben zu übertreffen, frei mit dem Material umzugehen. Die Dinge in eine andere Ordnung zu rücken. Es geht um Verdichtung, Übertreibung, Schönheit, Schnelligkeit, Glanz und Sex-Appeal. Schauspieler erzählen gern, wie sehr sie gelitten und geschuftet haben für ihre Rollen, sie haben 20 Kilo zu- oder abgenommen, waren im Untertagebau. Das will ich alles nicht wissen. Leonardo di Caprio in „The Revenant“ hat einen Oscar für seine kalten Füße bekommen.

Der ist aber auch auf beeindruckende Weise durch Eiswasser gelaufen!

Worum geht es denn? Um die Frage: Wer quält sich am meisten? Ist nur mehr das lesbar? Was ist das für ein ästhetisches Vergnügen? Was ist mit Charme, Witz? Neulich habe ich mal wieder den Film „Tod auf dem Nil“ aus den Siebzigern gesehen. Ich schau mir das von vorn bis hinten allein deswegen an, weil David Niven in einem so perfekt geschnittenen Anzug mit einer unglaublichen Eleganz und Haltung durch diesen Film geht. Der muss sich für mich keine inneren Regungen ins Gesicht kneten und auch noch signalisieren, dass er in seiner Kindheit möglicherweise missbraucht wurde. Und er würde auch nie davon sprechen, wie schwer er für eine Rolle gearbeitet hat.

Wie bewahren Sie Ihre Haltung, wenn einmal was schief geht?

Na, wunderbar! Das ist oft der Augenblick in dem der Abend in Schwung kommt. Da zeigt sich, ob man Haltung hat! Da ist Geistesgegenwart gefragt, da zeigt sich, ob man wirklich kompetent ist für das, was man auf der Bühne macht. Man reiht ja nicht nur Vorgänge aneinander, sondern hat einen Begriff von dem, was man da tut. Man hat es in der Hand − im besten Fall.

Keine Chance, sich zu blamieren?

Manchmal stehe ich allerdings auch ganz schön blöd da. Aber, das Schöne ist: Man ist ja nicht alleine, da gibt es ja auch noch die anderen, die in der Lage sind zu handeln. Und, anders als im Leben, kann man das Ding immer anhalten, zurückgehen und sagen: Wir machen das jetzt nochmal. Das ist das Tolle, dass das auf der Bühne möglich ist. Wenn man im Leben von der Straßenbahn überfahren wird, kann man nicht sagen, stopp, das war nichts, ich geh noch mal zurück auf Anfang. Im Theater kann ich die Sterbeszene nicht nur beliebig oft spielen, ich kann sie auch verweigern: Nein, liebes Publikum, heute wird nicht gestorben!

Würden Sie jetzt gern 25 Jahre zurückgehen?

Lassen Sie es mich mit Wolfgang Pohrt sagen: „Was ewig währt, kann man immer haben. Was man immer haben kann, wird nicht kostbar sein.“

Was wünschen Sie der Volksbühne?

Dass sich ähnlich kluge und kompetente Leute wie damals 1992 zusammensetzen und ihre Diskussionen öffentlich machen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Dass es da mal wieder was zu sehen gibt. Dieses Theater ist für mich als Zuschauer genauso wichtig wie es für mich als Schauspieler war.