Die frisch vom Gatten (Stephan Kampwirth) verlassene Linda (Marlene Morreis) will gemeinsam mit dem Nachwuchs in die Herbstferien fahren, aber die Kinder haben andere Pl�ne; also entwerfen sie ein romantisches Komplott, um die Mutter zu verkuppeln. Das klingt nach einer unbeschwerten Kom�die mit heiteren Missverst�ndnissen und komischen Blind Dates, und die hat „Neben der Spur ist auch ein Weg“ (Degeto / Odeon) in der Tat auch zu bieten, doch die Szenen mit dem getrennten Paar sind pures Drama. Die Dialoge sind ein Genuss, die Handlung ist reich an �berraschungen, und ganz besonders sehenswert ist das Ensemble. Respekt geb�hrt dabei vor allem den jungen Mitwirkenden. Eine Besonderheit sind auch die Begleitumst�nde: Regisseurin Anna Justice ist nach den Dreharbeiten verstorben. Ihr Freund und Kollege Ed Herzog hat den Film fertiggestellt.
Foto: Degeto / Hardy SpitzEs geht mitunter heftig zur Sache... Linda (Marlene Morreis) und Fritz (Stephan Kampwirth) m�ssen ihr Leben nach der Trennung neu sortieren – und bleiben Eltern.
Die Freitagsfilme im „Ersten“ lassen sich oft auf einen pr�gnanten Punkt bringen, der stets auch titeltauglich w�re; zum Beispiel „Mama braucht einen Mann“. Zum Gl�ck hei�t diese sch�ne Tragikom�die �ber eine Frau, die in der Mitte ihres Lebens vom Gatten verlassen wird, ganz anders. „Neben der Spur ist auch ein Weg“ klingt zuversichtlicher und trifft den Tonfall der gelungenen Mischung aus Freundschaftsfilm und Familiendrama auch viel besser. Das Thema des Drehbuchs von Hardi Sturm ist im Grunde ohnehin nicht lustig und enth�lt daher viele nachdenkliche und melancholische Momente: Vor drei Monaten ist Fritz (Stephan Kampwirth) in das Wohnmobil vor dem Haus gezogen. Er hat Linda (Marlene Morreis) in dem Glauben gelassen, er brauche blo� eine Auszeit, aber in Wirklichkeit hat er l�ngst eine Neue. Die beiden �lteren Kinder wussten das bereits, was Linda zus�tzlich emp�rt. Nun will sie das Beste aus ihrer neuen Freiheit machen und die bevorstehenden Herbstferien nutzen, um gemeinsam mit dem Nachwuchs Urlaub zu machen. Weil die Teenager Paula und Tim (Lydia Maria Makrides, Jonathan Lade) ganz andere Pl�ne haben, entwickeln sie den k�hnen Plan, ihre Mutter zu verkuppeln, und entwerfen – selbstredend ohne Lindas Wissen – ein Portr�t auf einem Dating-Portal. Der kleine Ben (Leo P�rez-Kallscheuer) macht sich derweil analog auf die Suche und findet in seinem neuen Klassenlehrer alsbald einen geeigneten Kandidaten: Herr Kreindel (Kai Ivo Baulitz) ist nicht nur sympathisch, sondern auch verwitwet; also treibt Ben allerlei Unfug, damit der Lehrer Linda zum Elterngespr�ch bittet.
Foto: Degeto / Hardy SpitzF�r Tim (Jonathan Lade), Paula (Lydia Maria Makrides) und Thorben (Leo Pérez-Kallscheuer) ist klar: Mama braucht einen "Neuen". Filmkinder, wie man sie gern im Fernsehen sieht. Gerade auch als Dreiergruppe agieren sie jederzeit glaubw�rdig.
Das klingt nach einer unbeschwerten Kom�die mit vielen heiteren Missverst�ndnissen und komischen Blind Dates, und die hat „Neben der Spur ist auch ein Weg“ in der Tat auch zu bieten, aber die Szenen mit dem getrennten Paar sind pures Drama; die Begegnungen mit der neuen Lebensgef�hrtin des Gatten sind ebenfalls kein Spa�. Dass die von Linda hartn�ckig „Margot“ genannte Margit (Justine Hirschfeld) nicht etwa deutlich j�nger, sondern mindestens so alt ist wie sie selbst, ergrimmt sie zus�tzlich. Das ist zwar irrational, emotional jedoch verst�ndlich, denn das reduziert die Hoffnung auf eine vor�bergehende Verwirrung des Gatten und eine baldige R�ckkehr in den Scho� der Familie ganz erheblich. F�r Erkenntnisse dieser Art ist Lindas beste Freundin Carmen (Anita Vulesica) zust�ndig. Ihre Anteilnahme, verbunden mit einer pragmatischen Herzlichkeit, bereichert die ohnehin abwechslungsreiche Handlung um einen psychologischen �berbau, weil die Freundin Lindas wechselnde Gef�hlszust�nde als jeweilige Phasen der Trennungstrauer erkennt: von Nicht-wahrhaben-wollen �ber Wut und Selbstbesinnung bis hin zum Aufbruch zu neuen Ufern.
Foto: Degeto / Hardy SpitzNach der Trennung ist vor der Aff�re! Frauengespr�che. Morreis & Anita Vulesica
Hardi Sturm hat zuletzt mit Lothar Kurzawa die am�sante Kom�die „Einmal Sohn, immer Sohn“ (2018) mit Christiane H�rbiger als Ikone der Frauenbewegung geschrieben. Auch die fr�heren nach seinen Drehb�chern im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstandenen Filme waren sehenswert, ganz besonders die Freundschaftshommage „Freundinnen – Alle f�r eine“ (2017); aber auch „Papa und die Braut aus Kuba“ (2016) war dem Titel zum Trotz eine feinf�hlige nachdenkliche Kom�die. Regisseurin Anna Justice ist durch das tragikomische Kinodrama „Max Minsky und ich“ (2007) bekannt geworden. Gro�e Beachtung fand ein weiteres Kinoprojekt: „Die verlorene Zeit“ (2011), ein Film �ber die Flucht aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Im Fernsehen waren ihre besten Arbeiten stets sensible Dramen, die um schwerwiegende Probleme kreisten, ohne dr�ge Themenfilme zu sein: „Ich liebe das Leben“ (2003, HIV-positiv), „Noch einmal lieben“ (2006; Krebs), „Das Leben vor mir“ (2018; Alter & Tod). Sehr gelungen war auch der Kraftwerks-Thriller „Tag der Wahrheit“ (2015).
Foto: Degeto / Hardy SpitzW�re nicht Lehrer Kreindel (Kai Ivo Baulitz) ein Mann f�r Linda (Marlene Morreis)?
Soundtrack: Denise LaSalle („Trapped By a Thing Called Love“), Bettye Swann („Then You Can Tell Me Goodbye”), Al Green („How Can You Mend A Broken Heart”), Anne Peebles („Trouble, Headache & Sadness”), Zaz („Je veux”)
„Neben der Spur ist auch ein Weg“ ist Anna Justice’ letzter Film. Weil sie nach den Dreharbeiten schwer erkrankt ist, hat sie den Rohschnitt Ed Herzog �berlassen, Regisseur der „Eberhofer“-Krimis. Der Kollege, mit dem sie seit drei�ig Jahren befreundet war, stand nun vor der schwierigen Aufgabe, das Werk in ihrem Sinn fertig zu stellen; fragen konnte er sie nicht mehr, sie ist im April 2021 verstorben. Dem Ergebnis ist das nicht anzumerken, zumal sich der Film vor allem durch ein herausragend gutes Ensemble auszeichnet. Bei Marlene Morreis und Stephan Kampwirth ist das nicht weiter �berraschend, weshalb der Respekt vor allem den jungen Mitwirkenden geb�hrt: Lydia Maria Makrides, Jonathan Lade (Sohn von Bernd Michael Lade), beide bereits filmerfahren, und der junge Leo P�rez-Kallscheuer spielen ihre Rollen ganz vortrefflich und sind gerade auch als Dreiergruppe jederzeit glaubw�rdig.
Foto: Degeto / Hardy SpitzWar der One-Night-Stand mit Hagen (Nils Hohenh�vel) eine so gute Idee? Morreis
Es sind ohnehin die Kinder, die die Handlung vorantreiben, zumal ihr romantisches Komplott f�r allerlei �berraschungen sorgt, als sie unter anderem Lindas Jugendliebe (Patrick v. Blume) auftreiben. Sehr ungew�hnlich ist auch eine vor�bergehende Konstellation, die wie das Thema einer Nachmittagstalkshow aus den 90ern klingt: „Hilfe, ich hatte Sex mit dem Freund meines schwulen Sohnes“; in der entsprechenden Szene wandelt sich der Film vor�bergehend zur flotten Boulevardkom�die. Die Dialoge sind ohnehin ein Genuss. F�r die trotz der gelegentlichen Drama-Momente behagliche Wohlf�hlatmosph�re sorgen neben dem warmen Licht und den herbstlich bunten Farben bei Bildgestaltung (Mathias Neumann) und Ausstattung (Andreas Olshausen) auch die sorgf�ltig ausgew�hlten Lieder: mal nicht der �bliche Schmusepop, sondern Soul-Songs, die inhaltlich zu den jeweiligen Szenen passen.
Foto: Degeto / Hardy SpitzDate mit Peterm�nnchen (Maik Solbach). Zufriedenheit sieht anders aus. Morreis
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.