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Utilitarismus � Kritik und Neubegr�ndung
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Inhalt:
Die Wurzeln des Utilitarismus
Die Begr�ndung des Hedonismus
Der unzul�ssige Schluss vom Einzelnen auf das Ganze
Die Ersetzung des hedonistischen Prinzips durch das
moderne Nutzenkonzept
Eine diskurstheoretische Begr�ndung des Utilitarismus
Der Wahrheitsbegriff der Diskurstheorie
Das Prinzip der
Ber�cksichtigung von Konsequenzen
Der Regelutilitarismus
Anhang
Zur Verteidigung des Utilitarismus gegen die Kritik
von John Rawls
Textanfang
Die Wurzeln des Utilitarismus
Der Utilitarismus, wie er vor allem durch Jeremy Bentham (1748 � 1832) und John
Stuart Mill (1806 - 73) systematisch formuliert wurde, stellt eine breite
sozialphilosophische Str�mung dar, die in verschiedenen Varianten auftritt.
Den Kern des Utilitarismus kann man in der Forderung zusammenfassen: "Handele
immer so, dass das gr��tm�gliche Ma� an Nutzen (bzw. Gl�ck) entsteht!" (Maximum-Happiness-Principle).
Dabei ergibt sich der Gesamtnutzen aus der Zusammenfassung aller individuellen
Nutzen.
(Zum besseren Verst�ndnis des Utilitarismus sei von vornherein
klargestellt, dass das englische Wort "utility" keineswegs dasselbe bedeutet
wie das deutsche Wort "N�tzlichkeit". Ein sch�ner Blumenstrau� kann "utility" besitzen, obwohl er
sicherlich nicht "n�tzlich" ist.)
Der Utilitarismus verstand sich nicht nur als Ethik des individuellen Handelns,
sondern auch � und bei Bentham vor allem � als Sozialethik, d. h. als Anleitung
zur richtigen Gestaltung der politischen und �konomischen Institutionen.
Die Wurzeln des modernen Utilitarismus sind vielf�ltig.
Zum einen ist der Utilitarismus beeinflusst von der Aufkl�rung, insbesondere von
den franz�sischen Materialisten des 18. Jahrhunderts wie Helvetius (1715 � 1771)
oder Holbach (1723 � 1789). Insofern ist der Utilitarismus eine betont
s�kulare
Philosophie, die den R�ckgriff auf eine religi�se oder theologische Begr�ndung
der moralischen und sozialen Ordnung entschieden ablehnt und eine Begr�ndung
allein mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis verlangt.
Eine andere Wurzel ist der englische Empirismus, wie er zuerst durch Bacon (1561
� 1626) formuliert wurde und der in den Erfolgen der Newtonsche Physik seinen
Ausdruck fand. Von dorther hat sich der Utilitarismus am Vorbild der
Naturwissenschaft orientiert und den Anspruch erhoben, eine
"moral science" zu
sein, die frei ist von jeder Metaphysik.
Von diesem wissenschaftlichen Anspruch her ist auch das Bem�hen um Quantifizierung, um die
Messung
und Kalkulation des Gl�cks bzw. Nutzens zu verstehen.
Eine weitere Quelle des Utilitarismus ist die neuzeitliche Anthropologie und
Psychologie, die den Menschen als ein vom Selbsterhaltungstrieb bzw.
Gl�cksstreben motiviertes Wesen ansah.
Mit Hilfe der Assoziationspsychologie konnte man au�erdem erkl�ren, wie sich �
modern gesprochen � aus prim�ren Trieben (z. B. Hunger) sekund�re Triebe (Wunsch
nach Geldbesitz) durch Lernen bzw. Konditionierung aufbauen.
Au�erdem konnte der Utilitarismus nat�rlich auch auf die vorchristlichen
griechischen Philosophien des Hedonismus bzw. Eud�monismus zur�ckgreifen, die
jedoch eher Lehren des "guten bzw. weisen Lebens" waren als eine Ethik im
modernen Sinne.
Die philosophischen Gegenspieler des Utilitarismus waren zum einen Theorien, die
die Begr�ndung moralischer und sozialer Normen in einer �bernat�rlichen
Autorit�t suchten, etwa die Vertreter eines "K�nigtums von Gottes Gnaden".
Zum andern bestand ein Gegensatz zu Str�mungen, die bestimmte nat�rliche Rechte
bzw.
unver�u�erliche Menschenrechte behaupteten und auf dieser Grundlage die Gesellschaft
gestalten wollten. Hier ist vor allem die Theorie des
Gesellschaftsvertrages zu nennen. In der Vertragstheorie ist das
entscheidende Kriterium f�r die Beurteilung der
sozialen Institutionen und Normen, ob diese aus einem Vertrag freier und vern�nftiger
Menschen h�tten hervorgehen k�nnen.
Die Begr�ndung des Hedonismus
Die Kritik am Utilitarismus richtet sich in erster Linie gegen das
hedonistische (von griechisch "hedone" = "Lust",
"Genuss", "Vergn�gen") bzw. eud�monistische (von
griechisch "eud�monia" = "Wohlbefinden der Seele in uns")
Prinzip, wonach die F�rderung des allgemeinen Gl�ckes (engl. happiness, utility, felicity, pleasure) der alleinige Ma�stab
des Handelns ist und damit das entscheidende Kriterium darstellt f�r die G�ltigkeit
von Normen bzw. die Rechtfertigung normsetzender Institutionen.
Jeremy Bentham erl�utert dies Prinzip im ersten Kapitel seiner "Introduction to
the Principles of Morals and Legislation" (zuerst erschienen 1789, dem Jahr der
Franz�sischen Revolution) folgenderma�en: "Mit dem Prinzip des Nutzens ist das Prinzip gemeint, das jede beliebige
Handlung guthei�t oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Gl�ck der
Partei, deren Interessen in Frage kommen, zu erh�hen oder zu vermindern ... Mit
'Nutzen' ist diejenige Eigenschaft einer Sache gemeint, wodurch sie zur
Schaffung von Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutem oder Gl�ck tendiert ... " (Bentham,
Introduction ... , Oxford 1948, S. 34. Eigene �bersetzung).
Die Begr�ndung des "Prinzips des Nutzens" st�tzt sich bei den "klassischen"
Utilitaristen auf den psychologischen Hedonismus, demgem�� alle
Menschen faktisch nach Lust bzw. Gl�ck streben. Bentham
beginnt die "Introduction" mit den S�tzen: "Die Natur hat die Menschheit unter
die Herrschaft zweier oberster Herren (sovereign masters) gestellt, Schmerz und
Lust. Ihnen allein kommt es zu aufzuzeigen, was wir tun sollen als auch zu
bestimmen, was wir tun werden. Auf der einen Seite ist der Ma�stab von Recht und
Unrecht, auf der anderen Seite die Kette von Ursachen und Wirkungen an ihrem
Thron festgemacht ... Das Prinzip des Nutzens erkennt diese Unterwerfung an und
nimmt sie als Grundlage f�r das System, dessen Ziel es ist, die Schaffung von
Gl�ck durch die Liebe zu Vernunft und Recht zu steuern." (Bentham,
Introduction S. 33ff.)
Bentham h�lt das Nutzenprinzip f�r ein evidentes
Prinzip, das man nicht weiter ableiten kann. In der "Theory of Legislation"
(englische Ausgabe London: Kegan Paul 1904) schreibt Bentham: "Ein Prinzip ist
eine erste Idee, die den Anfang oder die Grundlage f�r ein System von Argumenten
bildet. Um es durch ein anschauliches Bild zu illustrieren: Ein Prinzip ist ein
fester Punkt, an den das erste Glied einer Kette befestigt ist. Solch ein
Prinzip muss v�llig evident sein. Es zu veranschaulichen und zu erkl�ren muss
seine Anerkennung best�rken, so wie bei den Axiomen der Mathematik; sie werden
nicht direkt bewiesen; es gen�gt zu zeigen, das man sie nicht verwerfen kann
ohne in Absurdit�t zu verfallen." (Bentham, Theory ... S.2f. eigene
�bersetzung).
Dar�ber hinaus findet sich bei Bentham keine tiefergehende Begr�ndung
des hedonistischen Prinzips. Seine Argumentationsstrategie besteht im Wesentlichen darin,
nachzuweisen, dass konkurrierende Prinzipien unhaltbar sind bzw. dass auch die
Kritiker des hedonistischen Prinzips dieses ungewollt zugrunde legen.
John Stuart Mill dagegen unternimmt gr��ere Anstrengungen zur Begr�ndung des
hedonistischen Prinzips. Er diskutiert die Frage nach dem G�ltigkeitskriterium
f�r Normen des Handelns als Frage nach den "letzten Zwecken" (ultimate ends)
menschlichen Handelns (Mill, J.St.: Der Utilitarismus, Stuttgart Reclam 1976, S. 8., zuerst
erschienen 1861). "Fragen nach Zwecken (ends) sind (mit anderen Worten) Fragen
danach, welche Dinge w�nschenswert (desirable) sind. Der Utilitarismus sagt,
dass Gl�ck w�nschenswert (desirable) ist, dass es das einzige ist, das als Zweck
w�nschenswert ist, und dass alles andere nur als Mittel zu diesem Zwecke
w�nschenswert ist." (Mill S. 60)
Wie Mill weiter ausf�hrt, "wird der einzige Beweis daf�r, dass etwas
w�nschenswert (desirable) ist, der sein, dass die Menschen es tats�chlich
w�nschen." (Mill S. 60 ff.) "Wenn die menschliche Natur so beschaffen ist, dass sie
nichts begehrt, was nicht entweder Teil des Gl�cks oder ein Mittel zum Gl�ck
ist, dann haben wir keinen anderen und ben�tigen keinen anderen Beweis daf�r,
dass dies die einzigen w�nschenswerten Dinge sind. In diesem Fall ist Gl�ck der
einzige Zweck menschlichen Handelns und die Bef�rderung des Gl�cks der Ma�stab,
in dem alles menschliche Handeln gemessen werden muss." (Mill S. 67)
Dieser Gedankengang ist jedoch keineswegs logisch schl�ssig, sondern arbeitet
mit der verborgenen positiv-normativen Doppeldeutigkeit des Begriffs "Zweck" ("end"). Die
Frage: "Was ist der letzte Zweck menschlichen Handelns?" kann zwei
unterschiedliche Bedeutungen haben:
Sie kann einmal normativ verstanden werden: "Was
sollen die Menschen in ihrem
Handeln letztlich anstreben?" Sie kann jedoch auch positiv verstanden werden: "Was streben
die Menschen in ihrem Handeln tats�chlich an?"
Mill versucht nun, die normative Frage zu beantworten, indem er eine
Antwort auf die positive Frage gibt. Er kommt zu dem Ergebnis: "Alles, was nicht
als Mittel zu einem Zweck und letztlich als Mittel zum Gl�ck begehrt wird, ist
selbst ein Teil des Gl�cks und wird erst dann um seiner selbst willen begehrt,
wenn es dazu geworden ist." (Mill S. 66)
Dies ist f�r Mill eine empirische Frage ("a question of fact and
experience", Mill S.62). Um den von Mill behaupteten empirischen
Zusammenhang zwischen Begehren (desire) und Gl�ck (pleasure, happiness)
�berpr�fen zu k�nnen, m�ssen Begehren und Gl�ck jedoch
unabh�ngig voneinander definiert und gemessen werden. Erst dann kann man
�berpr�fen, ob alle Individuen tats�chlich immer das begehren, was
f�r sie das gr��te Gl�ck bedeutet.
Selbst wenn die These des psychologischen Hedonismus richtig w�re, dass die Menschen faktisch nur
nach ihrem Gl�ck streben, so w�rde daraus noch keineswegs logisch die These des
ethischen Hedonismus folgen, dass allein
menschliches Gl�ck w�nschenswert ist. Etwas, was tats�chlich gew�nscht
(desired) wird,
muss deswegen noch nicht w�nschenswert (desirable) im normativen Sinne sein. Dies w�re ein
logisch unzul�ssiger Schluss vom Sein auf das Sollen: "Die Behauptung, dass man etwas begehrt, gen�gt nicht, etwas als wertvoll
hinzustellen. In der Tat k�nnte ein Zyniker sagen, dass einige Leute �bel dran
sind, weil sie nicht bekommen, was sie m�chten, andere dagegen �bel dran sind,
weil sie faktisch genau das haben m�chten, was sie bekommen" (Richard S.
Peters: Ethik und Erziehung, D�sseldorf 1972, S. 137. Zuerst erschienen 1965).
Heroins�chtige w�ren ein Beispiel f�r das Letztere.
Mills Argumentation ist also nicht schl�ssig und er scheint das auch zu ahnen,
denn er will seine Begr�ndung nicht als "Beweis" im strengen Sinn verstanden
wissen.
Der unzul�ssige Schluss vom Einzelnen auf das Ganze
Noch aus einem anderen Grund eignet sich der psychologische Hedonismus nicht
zur Begr�ndung einer utilitaristischen Ethik.
Der psychologische Hedonismus behauptet, dass jeder Mensch nur sein eigenes
Gl�ck anstrebt. Der Utilitarismus verlangt aber von den Individuen, dass sie das
gr��te Gl�ck aller Menschen anstreben. Es bleibt also v�llig unklar,
warum ein Individuum das allgemeine Gl�ck an Stelle seines eigenen Gl�cks zur
Richtschnur seines Handelns machen soll.
Mill f�hrt dazu aus: "Kein Grund kann daf�r gegeben werden, weshalb das
allgemeine Gl�ck begehrenswert ist, au�er dem, dass jede Person ihr eigenes
Gl�ck anstrebt, so weit sie es f�r erreichbar h�lt. Wenn dies jedoch eine
Tatsache ist, so haben wir nicht nur alles an Beweis, was dieser Fall zul�sst,
sondern auch alles, was man fordern kann, damit Gl�ck ein Gut ist:
dass das
Gl�ck in jeder Person ein Gut f�r diese Person ist und dass deshalb das
allgemeine Gl�ck ein Gut f�r die Gesamtheit aller Personen ist." (Mill S.
88 ff.)
Aus der Tatsache, dass f�r jede Person das eigene Gl�ck ein Gut ist, folgt
jedoch nicht, wie Mill offenbar meint, dass das allgemeine Gl�ck deshalb ein Gut
f�r die Gesamtheit aller Personen ist. "Denn wenn ein solcher Schluss logisch
g�ltig w�re, dann m�sste z. B. aus der Tatsache, dass jeder Staatsb�rger an
seinen eigenen Staat Steuern zahlt, auch logisch folgen, dass alle Staatsb�rger
an alle Staaten Steuern zahlen, was nat�rlich falsch ist." (Warnock).
Mill scheint die Schw�che dieser Argumentation selber zu sp�ren, denn an anderer
Stelle, wo er sich mit der Frage besch�ftigt, welche Motive die Individuen denn
zur Befolgung utilitaristische Normen haben k�nnten, verweist er neben den
�u�eren Sanktionen durch Erziehung, Rechtssystem und den dadurch geschaffenen
Motiven zur Ausrichtung des eigenen Handelns am allgemeinen Gl�ck auf die "Gemeinschaftsgef�hle der Menschen - das Verlangen nach Einheit mit unseren
Mitgesch�pfen, das bereits jetzt eine m�chtige Triebkraft in der menschlichen
Natur ist und gl�cklicherweise zu denen geh�rt, die, auch ohne dass sie den
Menschen eigens eingesch�rft werden, unter dem Einfluss fortschreitender Kultur
immer st�rker werden" (S.54)
Allerdings stellte Mill f�r die Gegenwart fest: "Dieses Gef�hl ist bei den meisten
weit weniger stark als die egoistischen Regungen, oftmals fehlt es ganz. Aber f�r
die, die es empfinden, besitzt es alle Eigenschaften eines nat�rlichen Gef�hls.
Es stellt sich ihnen nicht als ein
anerzogener Aberglauben oder als ein von der
Gesellschaft despotisch auferlegtes Gesetz dar, sondern als etwas, das sie auf
keinen Fall entbehren m�chten. Diese �berzeugung ist die fundamentale Sanktion
der Moral des gr��ten Gl�cks." (S.59).
Mill nimmt damit also Zuflucht zu einer Art moralischem Empfinden der "Sympathie
mit anderen" bzw. der "Betrachtung fremder Interessen als seine eigenen", ein
Empfinden, von dem er annimmt, dass es mit der Entwicklung der Zivilisation
immer st�rker werden wird. Ein solches moralisches Empfinden mag zwar Quelle der
Motivation f�r die Befolgung utilitaristischer Normen sein, es kann jedoch nicht
zur Begr�ndung des utilitaristischen Prinzips dienen - und Mill versucht dies
auch gar nicht.
Denn selbst, wenn man an Stelle des psychologischen Hedonismus in seiner
individuellen Form nun stattdessen einen psychologischen Hedonismus in sozialer
Form annehmen wollte - n�mlich dass aller Menschen nach der F�rderung des
allgemeinen Gl�cks streben - so k�nnte sich aus dieser empirischen Tatsache noch
keine moralische Norm ergeben. Eine utilitaristische Norm w�rde stattdessen
v�llig �berfl�ssig, denn sie w�rde fordern, was sowieso schon jeder tut, n�mlich
das gr��te allgemeine Gl�ck zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen.
Die Ersetzung des hedonistischen Prinzips durch das
moderne Nutzenkonzept
Allerdings l�sst sich das hedonistische Element ohne gr��ere Probleme aus dem
Utilitarismus herausl�sen und durch einen entscheidungstheoretischen
Nutzenbegriff ersetzten. Bereits bei Bentham und Mill deutet sich eine
breitere, nicht-hedonistische Interpretation des Nutzenbegriffs an, wenn statt
der Begriffe "Gl�ck" ("happiness") oder "Lust" ("pleasure") andere,
nicht-hedonistische Begriffe Verwendung finden.
Bentham schreibt zum Beispiel: "Unter 'Nutzen' ('utility') wird jene Eigenschaft
in einem Gegenstand verstanden, die Gewinn (benefit), Vorteil (advantage), Lust
(pleasure), Gutes (good) oder Gl�ck (happiness) f�r das jeweils betrachtete
Subjekt hervorbringt.. (All dies l�uft in diesem Fall auf dasselbe hinaus) ..."
(Nach Warnock, M. (Hrsg.): Utilitarianism, London 1962, S. 34).
In �hnlicher Weise scheint auch Mill bereits einen Nutzenbegriffs zu verwenden,
der nicht auf Lustempfindungen allein bezogen ist. Mill meinte z. B., "dass etwas
zu begehren und es lustvoll zu finden ... zwei Seiten desselben Ph�nomens sind �
genau genommen: zwei verschiedene Formulierungen f�r die eine psychologische
Tatsache, dass etwas (abgesehen von seinen Folgen) f�r w�nschenswert zu halten
und es f�r lustvoll zu halten, ein und dasselbe ist ... " (Mill, S.67).
Die hedonistischen Empfindungsbegriffe der Lust und Unlust gehen also auch bei
Mill in Begriffe des Begehrens bzw. des Vorziehens �ber.
In seiner nicht-hedonistischen Verwendung stellt dieser Nutzenbegriff nichts
anderes dar als ein geeignetes begriffliches Mittel zur quantitativen Charakterisierung von
Pr�ferenzen, also Willensinhalten bzw. Interessen. Der Satz: "Die Alternative x
hat f�r Individuum A einen gr��eren Nutzen als die Alternative y" bedeutet dann
nichts anderes, als dass die Realisierung von x mehr im Interesse von A liegt
als die Realisierung von y.
Dabei ist nicht notwendig impliziert, dass die Alternative x f�r A mit einem
gr��eren Quantum an Lustempfindungen verbunden ist, obwohl es faktisch so sein
mag, dass Menschen vor allem Dinge wollen, die f�r sie mit Lustempfindungen
verbunden sind. Interpretiert man den Nutzenbegriff in diesem Sinne als einen
rein formalen Begriff zur Gewichtung und Beschreibung von
Interessenstrukturen bzw. Willensinhalten (und nicht als Empfindungsbegriff), so bedeutet das
utilitaristische Prinzip der Maximierung des gesamten Nutzens nichts anderes,
als dass jeweils diejenige Handlungsalternative gew�hlt werden sollte, die dem
�berwiegenden Interesse aller Menschen entspricht.
Eine diskurstheoretische Begr�ndung des Utilitarismus
F�r die Position, dass alleinige Grundlage f�r das, was sein soll, die
Interessen aller Menschen sein m�ssen, gibt es nun meiner Ansicht nach eine
bessere Grundlage als den Hedonismus.
Ausgangspunkt hierf�r ist die Analyse der Bedeutung von Soll-S�tzen. Ein
Soll-Satz ist nichts anderes als der Ausdruck eines Interesses bzw.
Willensinhaltes. Den Willensinhalt des Satzes: "Ich will, dass du die T�r
schlie�t " kann man durch den Soll-Satz ausdr�cken: "Du sollst die T�r
schlie�en!"
Soll-S�tze sind insofern nichts anderes als Ausdruck von Willensinhalten,
allerdings ohne Bezug auf den Tr�ger des Willens.
Zugespitzt gesprochen kommt nach dieser Analyse "Sollen" also von "Wollen ": Um
zu bestimmen, was sein soll, muss man wissen, was gewollt wird. Die Frage: "Was
soll sein?" l�st sich auf in die Frage: "Was wollen wir dauerhaft alle gemeinsam?"
Der Wahrheitsbegriff der Diskurstheorie
Mit Hilfe des in der Diskurstheorie entwickelten Wahrheitsbegriffs l�sst sich
nun noch Genaueres dar�ber aussagen, wie aufgrund der vorhandenen Interessen
eine Handlungsnorm gebildet werden muss.
Nach der Diskurstheorie, wie sie in unterschiedlichen Varianten von K.-O. Apel
und J. Habermas sowie P. Lorenzen und seinen Sch�lern vertreten wird, muss der
Anspruch auf Wahrheit f�r eine Behauptung f�r jedermann nachvollziehbar
begr�ndet werden k�nnen. Oder wie die Diskurstheoretiker dies ausdr�cken: �ber
diese Behauptung muss ein gewaltfreier, rein argumentativer Konsens m�glich
sein.
Die Orientierung am Ziel eines zwangfreien allgemeinen Konsens zwingt das
eigeninteressierte Individuum zur Ber�cksichtigung der Interessen auch aller
anderen. Damit ist der Fehlschluss vom Einzelnen auf das Ganze nicht mehr n�tig.
Um zu einem Konsens �ber normative Behauptungen zu kommen, muss angesichts
m�glicherweise unvereinbarer Willensinhalte der verschiedenen Individuen ein
dauerhafte allgemeiner Wille gebildet werden.
Ohne dies hier n�her begr�nden zu wollen, scheint ein gewaltfreier, rein
argumentativer Konsens nur dann erreichbar, wenn jeder die Interessen
jedes anderen solidarisch so ber�cksichtigt, als wenn es zugleich seine eigenen
w�ren.
Ziel eines normativen Diskurses w�re demnach die Formulierung eines solidarisch
bestimmten Gesamtinteresses bzw. die Bestimmung derjenigen Normen, die eine
Maximierung des solidarisch bestimmten Gesamtnutzens bedeuten.
Das Prinzip der
Ber�cksichtigung von Konsequenzen
Das Prinzip der Ber�cksichtigung von Konsequenzen ergibt sich im Utilitarismus
aus der Bezugnahme auf den Nutzen der Individuen, was eine Ber�cksichtigung auch
des zuk�nftigen Gl�cks erfordert.
Gegen das "Prinzip der Folgenber�cksichtigung" werden zahlreiche Einw�nde erhoben. Sie beziehen sich meist
auf Situationen, in denen bereits normsetzende Institutionen etabliert sind, wie
z. B. Eigentumsrechte, Vertragssysteme, Wahlsysteme, Hierarchien oder
gesetzgebenden K�rperschaften.
Die Utilitaristen haben keine besonderen Schwierigkeiten damit, die generelle N�tzlichkeit der normsetzenden Verfahren bzw. Institutionen zu begr�nden. Allerdings ergibt sich
damit
das Problem, dass mit der Existenz legitimierter Verfahren der Normsetzung nun
zwei Geltungsquellen f�r eine Norm nebeneinander existieren.
Zum einen gibt es
die formale Legitimation einer Norm (durch Normsetzung einer dazu berechtigten
Institution).
Zum andern gibt es die
inhaltliche Legitimation einer Norm (durch Ber�cksichtigung und Bewertung aller
Konsequenzen des Handelns).
Nun ist es aber ohne weiteres m�glich, dass ein Verfahren der Normsetzung, das
generell gegen�ber anderen Verfahren gerechtfertigt werden kann, im Einzelfall
zu inhaltlich falschen Entscheidungen f�hrt. So entsteht das Dilemma, dass eine
Norm verfahrensm��ig richtig gesetzt wurde, jedoch inhaltlich falsch ist.
Der Widerstand gegen das utilitaristische Prinzip der Ber�cksichtigung der
Konsequenzen entsteht nun dadurch, dass es als problematisch empfunden wird,
wenn jedes Individuum unter Berufung auf die Folgen einer Entscheidung f�r das
Gesamtinteresse denjenigen Normen die Verbindlichkeit bestreiten kann, die durch
ein ansonsten anerkanntes Verfahren gesetzt wurden. Denn bei den sehr
komplizierten Sachverhalten, die der Bestimmung des Gesamtinteresses zugrunde
liegen, werden die �berzeugungen der Individuen vom Gesamtinteresse
notwendigerweise h�ufig nicht �bereinstimmen. Damit wird das Ziel einer sozialen
Koordination und Kooperation jedoch gef�hrdet.
Dies Problem wird in der Rechtsphilosophie gew�hnlich als das Problem der
Abw�gung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit diskutiert und taucht
z. B. dann auf, wenn es um ein "Widerstandsrecht" gegen Gesetze oder um einen "zu
rechtfertigenden Notstand" geht.
Der Regelutilitarismus
In der ethischen Diskussion wurde von verschiedenen Theoretikern versucht,
diesem Problem durch die Formulierung eines "Regelutilitarismus" gerecht zu
werden.
Ohne auf diese relativ komplizierte Diskussion n�her einzugehen, kann man diesen
Ansatz dadurch charakterisieren, dass
nur die generellen Normen oder Regeln (wozu gew�hnlich auch die
normsetzenden Verfahren bzw. Institutionen gerechnet werden) am utilitaristischen
Kriterium des Gesamtnutzens gemessen werden, w�hrend die einzelnen Handlungen
nur an ihrer Vereinbarkeit mit diesen Regeln - und nicht unmittelbar am Kriterium des Gesamtnutzens - gemessen
werden sollen.
Durch ein derartiges zweistufiges Kriterium kann man m�gliche Konflikte zwischen
generellen Normen und einzelnen Handlungen zu Gunsten der generellen Normen
aufl�sen.
Allerdings ist die von den Regelutilitaristen damit angebotene L�sung nicht
immer befriedigend. Ein solches Vorgehen kann z. B. bedeuten, dass Widerstand gegen die
Entscheidungen eines legitimierten Verfahrens
in jedem Fall unzul�ssig w�re.
Meine eigenen �berlegungen gehen dahin, eine Abw�gung zwischen "Rechtssicherheit" und "inhaltlicher Richtigkeit" vom Standpunkt des
Gesamtinteresses her vorzunehmen und ansonsten die Konflikte zwischen
Normsetzungsverfahren und diskursiver Wahrheitssuche dadurch zu vermindern, dass
in das Normsetzungsverfahren selber inhaltliche Korrekturm�glichkeiten eingebaut werden.
Literatur:
Bentham, Jeremy:
Introduction to
the Principles of Morals and Legislation. Oxford 1948 (zuerst erschienen 1789)
Bentham, Jeremy: Theory of Legislation. London: Kegan Paul 1904 (zuerst
erschienen 1802 auf Franz�sisch)
Mill, John Stuart: Der Utilitarismus. Stuttgart Reclam 1976 (zuerst erschienen
1861)
Warnock, Mary (Hrsg.): Utilitarianism. London 1962
Anhang
Zur Verteidigung des Utilitarismus gegen die
Kritik von John Rawls
1.) Gegen das Prinzip der Maximierung des
allgemeinen Nutzens bzw. Interesses wird eingewandt, dass es nicht durchf�hrbar
sei, weil kein Mensch alle Konsequenzen seines Handelns bis in die fernste
Zukunft erkennen und noch dazu bewerten k�nne.
Es ist zwar richtig, dass
unser Wissen �ber die Konsequenzen unseres Handelns beschr�nkt ist, doch hindert
uns dies keineswegs daran, das vorhandene Wissen - und sei es auch nur die
Kenntnis von Wahrscheinlichkeiten - unserem Handeln zugrunde zu legen. Wir tun
dies st�ndig bei unseren Alltagsentscheidungen, etwa bei der Einteilung des
Geldes, das uns zur Verf�gung steht. Wir handeln dabei nach bestem Wissen, nicht
nach vollkommenem Wissen.
Eine derart grunds�tzliche Ablehnung des
Prinzips der Folgenber�cksichtigung, wie sie Rawls in dem Wikipedia-Artikel
zugeschrieben wird (leider ohne Textbeleg), w�rde das gesamte Geb�ude seiner
Theorie zum Einsturz bringen, denn f�r die Entscheidung in der Ausgangsposition
("Urzustand") nimmt Rawls rationale Individuen an, also solche, die ihre Zwecke
mit geeigneten Mitteln verfolgen. Ob ein Mittel f�r einen bestimmten Zweck
geeignet ist, ist aber eine Frage nach den Folgen seiner Anwendung. Insofern ist
diese Kritik ein Eigentor.
2.) Entsprechendes trifft auf Kritikpunkt 2
zu. Wenn es keinen Grund daf�r gibt, dass die bisherigen empirischen
Regelm��igkeiten weiterbestehen werden, dann d�rfte ich noch nicht einmal ein
Messer nehmen, um mir eine Scheibe Brot abzuschneiden. Von rationaler
Entscheidung kann dann keine Rede mehr sein.
3.) Wieso k�nnen die
Bewertungen im Utilitarismus nur nach den Interessen der heute Lebenden
vorgenommen werden? Die Bed�rfnisse kommender Generationen (z. B. in Bezug auf
die Rodung der W�lder, die Erosion der B�den, die Erw�rmung der Atmosph�re, die
Erzeugung hochgiftiger Abf�lle oder die Zerst�rung der Ozonschicht) sind uns
doch mit hinreichender Sicherheit bekannt. Deshalb k�nnen (und sollten) diese
Bed�rfnisse bei der Bestimmung dessen, was im allgemeinen Interesse liegt, auch
ber�cksichtigt werden.
4.) Diesen Kritikpunkt (Unm�glichkeit einer
Bestimmung von Nutzeneinheiten) fasse ich zusammen mit Kritikpunkt 6.)
(Unm�glichkeit einer Abw�gung von Interessen verschiedener Personen).
Diese Problematik, die meist unter der �berschrift "M�glichkeit einer
interpersonal vergleichbaren Nutzenmessung" abgehandelt wird, ist in der Tat
noch nicht befriedigend gel�st. F�r die M�glichkeit eines interpersonalen
Nutzenvergleichs kann man jedoch gute Argumente anf�hren.
Festzustellen
ist vorweg, dass Rawls' Theorie bei der Bestimmung der vergleichsweise am
schlechtesten gestellten sozialen Gruppe das Nutzenniveau einer sozialen Gruppe
g1 in der Gesellschaftsordnung x mit dem Nutzenniveau einer sozialen Gruppe g2
in der Gesellschaftsordnung y vergleichen muss. Damit setzt Rawls selber einen
ordinalen (rangm��igen) interpersonalen Nutzenvergleich voraus.
Wenn es
uns nicht m�glich w�re, das Wohlergehen verschiedener Individuen oder Gruppen zu
vergleichen, und wir die Frage nicht beantworten k�nnten, wem es besser geht,
dann h�tten S�tze wie die folgenden keinen Sinn: "Man soll Menschen in
unverschuldeter Not helfen!" oder "Von dem Erdbeben wurden die Einwohner der
Stadt A am st�rksten getroffen" oder "Die Hauptlast bei der Sanierung der
Staatsfinanzen tragen die �rmeren sozialen Schichten".
Man kann m. E.
dar�ber hinaus die Vorteile, die eine bestimmte Entscheidung f�r einen selbst
mit sich bringt, auch gr��enm��ig mit den Nachteilen vergleichen, die eine
andere Person durch diese Entscheidung erleidet. Dazu muss man sich in den
andern hineinversetzen und den Gr��envergleich der Vor- und Nachteile auch aus
seiner Sicht machen. Leider gibt es dazu kaum empirische Untersuchungen der
Sozialpsychologie, doch ich bin relativ optimistisch, dass dabei keine v�llig
verschiedenen Gr��enbestimmungen herauskommen werden.
Au�erdem ist bei
den Nutzenmessungen keinerlei Perfektionismus erforderlich. Die quantitativen
Nutzenbestimmungen m�ssen nur genau genug sein, um die anstehende Entscheidung
f�llen zu k�nnen.
5.) Am Utilitarismus wird bem�ngelt, dass er keine
Gerechtigkeit kenne. In der Tat spielt dieser Begriff im Utilitarismus keine
herausragende Rolle. Allerdings ist der Begriff hochgradig unbestimmt und oft
scheint mit der Bezeichnung einer Entscheidung als "gerecht" nicht mehr gemeint
zu sein, als dass der Sprecher sie f�r "gerechtfertigt" h�lt.
F�r den
Utilitarismus ist Gerechtigkeit im Sinne von "Gleichbehandlung der Individuen"
und "Gleichber�cksichtigung der Interessen der Individuen" sp�testens seit
Sidgwick ein fest verankertes Prinzip. Nicht zuf�llig war es ein Utilitarist
(R.M. Hare), der die Universalisierbarkeit ethischer S�tze als erster
analysierte. Und bereits Bentham betonte, dass bei der Bestimmung des
allgemeinen Interesses jedes Individuum als eines z�hlte, nicht weniger und
nicht mehr. Deshalb waren Utilitaristen wie William Godwin und seine Frau Mary
Wollstonecraft Vork�mpfer des allgemeinen gleichen Wahlrechts, als von deutschen
Philosophen noch kaum etwas in dieser Richtung zu h�ren war.
7.)
Bem�ngelt wird, dass der Utilitarismus alle W�nsche bzw. Interessen ohne
Unterschied ber�cksichtigt. Das Beispiel (Tierqu�ler und Sozialarbeiter) wird
den Utilitaristen allerdings nicht gerecht, denn f�r sie ist Schmerz - auch der
von Tieren - das in allererster Linie zu Vermeidende. Tierqu�lerei ist damit
unbedingt schlecht. Im Kampf gegen die Tierversuche standen wiederum
Utilitaristen an vorderster Front.
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Das Werk von J. Bentham ** (40 K)
Utilitarismus als Begr�ndung der Demokratie ** (31 K)
***
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Alphabetische Liste aller Texte
�bersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Utilitarismus
- Kritik und Neubegr�ndung" /
Letzte Bearbeitung 11.06.2011 / Eberhard Wesche
Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die "Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.