Die Wallfahrt in Neviges
Vielschichtiger Betonfelsen
Die Wallfahrtskirche in Neviges gehört heute zu den international wichtigsten Sakralbauten nach 1950. Eine Einordnung des Mariendomes in die Architekturgeschichte von Prof. Karl Kiem.
Fels und Grotte
Die Bauformen der Wallfahrtskirche in Neviges sind immer wieder als Zelt interpretiert worden. (63) Dieses sei das Symbol des Pilgers auf der Wanderschaft und mithin der adäquate Ausdruck einer Wallfahrtskirche. Nun gehören zwar der breitkrempige Hut, der Wanderstab und der umhangähnliche Mantel, nicht aber das Zelt zur traditionellen Ausstattung eines Pilgers. (64) Zeltanlagen hat es allenfalls gelegentlich und temporär in der Nähe von Wallfahrtskirchen gegeben. (65) Außerdem dient eine Wallfahrtskirche wie die in Neviges nicht dem Unterwegssein, sondern dem Ankommen. Daher darf unterstellt werden, dass Gottfried Böhm im Falle Neviges’ wohl kaum eine Notunterkunft für Pilger als Metapher für sein Gotteshaus gewählt haben dürfte. (66) Im Übrigen hat auch der Architekt selbst eine solche Zeltmetapher, die oft im Zusammenhang mit der Offenbarung (21, 3, 4) im Neuen Testament angeführt wird, in Abrede gestellt. (67) Mag das Faltdach der Wallfahrtskirche in Neviges in der Fassung des gewonnenen Wettbewerbs noch ganz entfernt einen Zeltcharakter haben, so ist dieser durch die Hinzufügung einer Vielzahl von Auffaltungen und durch den Verzicht auf eine Deckung in der Phase der Werkplanung endgültigabhanden gekommen.
Die äußere Erscheinung der Wallfahrtskirche in Neviges wurde auch mehrfach als Zeichen einer Burg verstanden, etwa im Sinne eines katholischen Bollwerks in der evangelischen Diaspora. (68) Zu den gemeinsamen Merkmalen mag man die relativ wenig durchfensterten Wandflächen und die turmartig vorspringenden Bauteile zählen. Das vielfach gefaltete Dach und seine Oberfläche aus Sichtbeton sprechen allerdings deutlich gegen eine Assoziation mit einer mittelalterlichen Adelsburg. Eine nähere Anpassung der Wallfahrtskirche an die Bürgerhäuser der Umgebung aus vor- und frühindustrieller Zeit, wie sie vor kurzem behauptet worden ist, war nach Aussage von Gottfried Böhm, mit dem Hinweis auf den allgemeinen Maßstabssprung zwischenbürgerlichen und sakralen bauten in alten Städten, nicht gewollt. (69) Diese Haltung war auch von der Erzdiözese Köln vorgegeben: „Das Äußere der Kirche (...) zeige schon in seinen Unterschieden sein vom profanen Bauwerk den heiligen Bezirk an.“ (70) Die Tatsache, dass gelegentlich eine der Kanten des Daches der Wallfahrtskirche aus einer bestimmten Perspektive mit der Schräge eines Bürgerhauses parallel verläuft, konnte in Anbetracht der vielen Schrägen des Kirchendaches nicht ausbleiben und sollte deshalb nicht als bewusste oder unbewusste Anpassung fehlinterpretiert werden. (71)
Ein anderes Bild, den „Betonfelsen“, hatten die Nevigeser, wie oben erwähnt, bereits während der Bauzeit im Kopf. Dies ergibt in zweifacher Hinsicht Sinn. Zum einen fehlte dem Wallfahrtsziel in Neviges der Charakter eines „Mals“, wie ihn traditionelle heilige Plätze in der Regle aufweisen. Wenn solche Eigenschaften fehlen, ist es für die Wallfahrtsarchitektur typisch, dass ersatzweise ein künstliches Naturmerkmal geschaffen wird. (72) So kann man auch die Äußerung Gottfried Böhms nachvollziehen, bei den Bauformen der Wallfahrtskirche handele es sich um eine Anpassung an die Landschaft des Bergischen Landes. (73) Die gestalterische Auseinandersetzung erfolgte also nicht in erster Linie mit der gebauten, sondern mit der natürlichen Umgebung, und zwar dergestalt, dass den lieblichen Hügeln ein schroffes Felsmassiv hinzugefügt wird, das den Ort nunmehr besonders auszeichnet. Die Setzung eines künstlichen Naturmerkmales findet auch im Gebäudeinneren statt, das als dunkle Grotte gestaltet ist, Das künstliche Felsmassiv kann darüber hinaus auch als Markenzeichen des auf Petrus auf den „Felsen“ zurückgehenden (katholischen) Papsttums gesehen werden. (74) (Abb. 1)
Die auffällige äußere Erscheinung der Kirche stellt ein weiteres typologisches Merkmal der spezifischen Wallfahrtsarchitektur dar, die eine anziehende Wirkung auf Pilger ausüben soll. Dies ist etwa bei der Kirche Maria Birnbaum in Sielenbach (1661 – 68) oder der Wallfahrtskirche Zur schönen Maria in Regensburg (um 1519) der Fall, wo die Dachform, wie das bei Marienkirchen häufig der Fall ist, einem Schutzmantel ähnelt. Darüber hinaus werden Wallfahrtskirchen gerne durch Apsiden und Annexe aufgebläht, so dass ein plastischer und abwechslungsreicher, in jedem Fall aber auffälliger Baukörper entsteht, wobei Grundriss und Dachform miteinander in Einklang stehen. (75) Unter den alten Wallfahrtskirchen erinnert insbesondere die Karmeliterinnenkirche im belgischen Vilvoorde (1663 – 65), mit ihren als drei Sechstel ausgebildeten Seitenkapellen, an die Wallfahrtskirche in Neviges. Bei deren intendiertem inneren Achteckgrundriss handelt es sich möglicherweise um einen Verwies auf die Aachener Pfalzkapelle (um 800), die ebenfalls eine Marienwallfahrtskirche darstellt. (76) Die Wallfahrtskirche Maria Hilf in Freystadt (1700 – 1710) und Einsiedeln (1735) sind weitere Beispiele für achteckige Grundrisse. Solche Übernahmen von baulichen Charakteristika sind in der Wallfahrtsarchitektur üblich und gestatten es, durch den Besuch einer Wallfahrtskirche geistig gewissermaßen gleich mehrere Wallfahrtsorte aufzusuchen. (77) (Abb. 21 u. 22)
Die stark plastische Ausprägung der Kirche in Neviges auf die Tatsache zurückzuführen, dass Gottfried Böhm neben der Architektur auch noch Bildhauerei studiert hat, ist also schon aus typologischen Gründen nicht statthaft. (78) In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen, dass plastisches Gestalten zu den Grundlagen der Architektenausbildung gehört und dass ausgeprägt plastische Bauten, wie zum Beispiel die Wallfahrtskirche in Ronchamp von Le Corbusier oder die Philharmonie in Berlin von Hans Scharoun, von Architekten stammen, die nicht explizit Bildhauerei studiert haben. Gottfried Böhm ist immerhin nie so weit gegangen wie Le Corbusier der in Ronchamp, mit der nichttragenden Südwand und dem hohlen Dach, Bauteile, bei denen es sich tatsächlich um weitgehend frei komponierte Plastiken handelt. Dagegen können bei der Wallfahrtskirche in Neviges alle Formen auf eine zumindest weiter gefasste Funktion zurückgeführt werden, wie etwa das Dach, dessen Faltung sich, wie oben beschrieben, aus dem Polygon des Grundrisses entwickelt. Natürlich findet sich in der Formensprache der Wallfahrtskirche in Neviges, insbesondere beim polygonalen Grundriss, auch die eigene Handschrift von Gottfried Böhm wieder. Aber von freien, in Bauwerke umgesetzten Bildhauerarbeiten wie St. Clement in Bettlach (1963-69) von Walter Maria Förderer oder der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Wien (1964, 1974-76) von Fritz Wotruba darf die Wallfahrtskirche in Neviges deutlich abgegrenzt werden. (Abb. 25 u. 26)
Der oben beschrieben Wettbewerb zeigt, wie deutlich der Böhm’sche Entwurf für die Wallfahrtskirche in Neviges qualitativ das zeitgenössische Establishment der Architektur überragte. Die Anforderungen des Bauherrn haben dann dazu geführt, dass Gottfried Böhm bei diesem Projekt sichtlich über sich selbst hinauswuchs. So entstand mit der Wallfahrtskirche in Neviges ein außergewöhnlich vielschichtiges und widersprüchliches Gebäude. Sie ist ein Sonderling an ihrem Ort, doch als künstliche Natur hat sie keine Konflikte mit den übrigen Bauten. Der architektonische Entwurf des Gebäudes ist deutlich zeitgebunden und doch tief in der Tradition verwurzelt. Die räumlich sehr differenzierte architektonische Formensprache, die zunächst vielfach willkürlich erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung vor allem aus der Funktion heraus entwickelt. Angesichts all dieser Eigenschaften darf die Wallfahrtskirche in Neviges tatsächlich zum engeren Kanon der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts gezählt werden.
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Maria Versus Luther
Die Wallfahrt nach Neviges hat ihren Ursprung im späten 17. Jahrhundert. Sie wurde von der bergischen Landesherrschaft im Zuge der Gegenreformation initiiert, um die evangelisch gläubige Bevölkerung des Territoriums zum katholischen Glauben zurückzuführen. (4) Zum ersten Mal in Deutschland wurde hier die Unbefleckte Empfängnis Mariens zum Ziel einer Wallfahrt – eine bewusst kontroverse, antireformatorische Widmung. (5) Deshalb führte die Wallfahrt nach Neviges immer wieder zu konfessionellen Spannungen, wenngleich auch die evangelisch gläubige Bevölkerung des Ortes sich im Laufe der Zeit mit dem Pilgerverkehr arrangierte, da sie wirtschaftlich von ihm profitierte. (6) In jedem Fall entwickelte sich Neviges zur bedeutendsten Wallfahrtsstätte im Bistum Köln, mit etwa 179.136 Wallfahrern im Jahr 1963. (7)
Die konfessionelle Außenseite der katholischen Wallfahrt im evangelischen Ort Neviges wird in der Randlage der Wallfahrtseinrichtungen deutlich. Sie entstanden in der Enge zwischen dem äußersten nördlichen Siedlungsrand und dem anschließenden Bergrücken. Dort entstand 1670 zunächst eine kleine St.-Anna-Kapelle. (8) 1680 bis 1683 wurde dann neben der St.-Anna-Kapelle für die von der Landesherrschaft zur Entfaltung gegenreformatorischer Aktivitäten herbeigerufene Franziskanermönche ein Kloster errichtet. (9) Schließlich ersetzte man die Kapelle durch die 1728 konsekrierte Kloster, Pfarr- und Wallfahrtskirche. (10) Ab 1888 wurde dann noch die Landschaft um das Kloster herum mit dem Marien- und dem Kreuzberg sowie Prozessionswegen, Rosenkranz- und Kreuzwegstationen, Grotten, Figurengruppen und Kapellen in den Wallfahrtsbereich einbezogen. (11) Darüber hinaus hatte man um das Kloster herum Gelände aufgekauft, wie ab 1909 die Häuser an der Klosterstraße, so dass nach deren Abriss eine neu zu bauende große Wallfahrtskirche auf den Bahnhof hin ausgerichtet werden konnte. (12) Die Versuche des Franziskanerordens, ein für den Neubau geeignetes Areal im Ortszentrum zu erwerben, waren dagegen ohne Erfolg geblieben. (13)
Die widrigen politischen und ökonomischen Umstände der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges haben ein halbes Jahrhundert lang den Bau einer neuen Wallfahrtskirche in Neviges verhindert. Dies zeigt sich an verschiedenen, unausgeführt gebliebenen Planungen, deren Baukörper sich jeweils entlang der Klosterstraße in Ost-West-Richtung entfalten sollten. Der früheste Entwurf stammt von dem Bonner Architekten August Scheidgen aus dem Jahre 1917und zeigt eine viertürmige Basilika in neuromanischem Stil. (Abb. 2) Bei der 1931 von Clemens Holzmeister entworfenen Wallfahrtskirche handelt es sich um einen Hallenbau mit nur leicht angedeutetem Querhaus, Vierungsturm und einem Chorabschluss mit fünf Apsiden, in dem seinerzeit avantgardistischen, schlicht-monumentalen Stil. (14) (Abb. 3) Ein Grundriss ohne Verfasserangabe (15) stammt von 1934 und der Entwurf des Wiesbadener Architekten Paul Johannbroer für eine Sommerkirche von 1958. (Abb. 4) Diese vier Planungen spiegelten die jeweils geltenden Stilvorgaben der Erzdiözese Köln wider. (16) Nur der Architekt Paul Johannbroer ist von dieser Übereinstimmung ausgenommen, denn die traditionalistische Formensprache seines Entwurfs stieß bei dem nach dem zweiten Weltkrieg modernistisch eingestellten Kölner Generalvikariat auf Ungnade. (17)
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Erzbistum Köln als Bauherr
Im Jahre 1959 nahm das Kölner Erzbistum das Projekt der in Neviges neu zu bauenden Wallfahrtseinrichtung selbst in die Hand. (18) Es entwickelte ein großzügiges Programm und übernahm dafür die Finanzierung, so dass die Bauherrenrolle des Franziskanerordens in Neviges auf eine Statistenebene reduziert wurde. (19) Es bestand nun die Absicht, den größten Sakralbau im Erzbistum Köln – nach dem Kölner Dom – und eine Zahl weiterer kirchlicher Einrichtungen, die bisher um das Kloster herum verstreut in Altbauten untergebracht waren, neu zu errichten. (20) Wie beim Kölner Generalvikariat bei Projekten dieser Größenordnung üblich, wurde 1962 ein eingeladener Wettbewerb ausgeschrieben (21), bei dem 17 Architekten mit der Zusage eines festen Honorars auf die entsprechenden Liste kamen. (22) Mit der Einladung des Schweden Camil Zupanc aus Stockholm hatte das Verfahren sogar einen Schimmer von Internationalität bekommen. Von den aus Deutschland eingeladenen Teilnehmern stammten, bis auf den Münchener Alexander von Branca, alle aus dem Umkreis der Erzdiözese Köln.
Das Programm sah eine mit 900 Sitzplätzen und 2000 – 3000 Stehplätzen, Raum für vier bis fünf Seitenkapellen zur Aufstellung von Nebenaltären, eine Sakristei sowie eine Beichtkirche mit sechs Beichtstühlen vor. Dazu kamen noch eine Sakramentskapelle und eine Kapelle für die ganz jährige Aufstellung des Kultbildes der Nevigeser Wallfahrt: ein aus einem Gebetbuch stammenden Kupferstich mit einer allegorischen Darstellung der Unbefleckten Empfängnis Mariens. (23) Der Hauptzugang der Kirche war zum Bahnhof hin auszurichten. Neben der Kirche waren unter anderem noch ein Schwesternwohnhaus, ein Kindergarten mit Hort, ein Missionsmuseum sowie ein Altenheim zu planen. Als Baugrundstück stand der alte Klostergarten, also das Gelände westlich des Klosters bis zur Löher Straße und darüber hinaus nördlich bis zum Bahnhof. Zur Verfügung. Die auf den entsprechenden Grundstücken befindlichen Gebäude waren zum Abriss freigegeben.
Das Preisgericht tagte am 16. Juli 1963 unter dem Vorsitz von Willy Weyres, dem Kölner Dom- und ehemaligen Diözesanbaumeister. Es hatte hauptsächlich die Wahl zwischen einer funktionalistischen Moderne nach dem Vorbild von Ludwig Mies van der Rohes IIT-Kapelle in Chicago (1952) und freieren, an Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp (1950 – 55) orientierten Formen. (24) So präsentierte etwa die Hälfte der Wettbewerbsteilnehmer einen isolierten Kasten auf vorzugsweise quadratischem Grundriss. Besonders deutlich wird das Vorbild bei dem Beitrag von Manfred Adams, der einen Abkömmling der Berliner Nationalgalerie mit von Le Corbusier inspirierten Oberlichtern zeigte. Neben dem Flachdach (Adams, Faber) erscheinen bei diesen kastenförmigen Baukörpern auch noch die Pyramide (Brauns-Janeschitz), der Trichter (Burghartz) und die parabolische Laterne (Lehmbrock) als oberer Abschluss. (Abb. 5)
Zu diesen Gebilden kamen noch einige relativ frei geformte Entwürfe, unter anderem in Schneckenform (Schneider-Esleben), in gestalt eines Herzens (Neuhaus), als Kleeblatt mit drei Apsiden (Krahn), als Bienenwabe (Fiedler & Ehrling), als „Basalt-Berg“ (Schürmann), als Faltwerk (Funke) und ein nicht eindeutig einem Vorbild aus der Natur zuzuordnender Baukörper (Schiffer). Darüber hinaus gab es noch zwei an der traditionellen christlichen Basilika orientierte Entwürfe (von Branca, Zupanc). Bei all diesen Entwürfen war die neue Wallfahrtskirche nordwestlich des Klosters zum Bahnhof hin angeordnet, während die Nebenbauten in dem alten Klostergarten, das heißt in dem Bereich westlich des Kloster eingebaut wurden. Der Neigung des Terrains wurde in der Regel durch die Abtragung des Hanges und/oder durch die Aufschüttung einer Terrasse begegnet. (25)
Das Preisgericht prämierte jeweils ein Beispiel aus allen drei formalen Gruppen, wobei die Auswahl eine Bevorzugung funktionalistischer Paradigmen erkennen ließ. So erhielt der Entwurf von Kurt Faber mit seinem einfachen, nur durch eine leichte Faltung aufgelockerten Kasten den ersten Preis. Das Preisgericht lobte an diesem Projekt unter anderem die „große schlichte Form“ und die „Logik des Baukörpers“. Joachim und Margret Schürmann mit ihrem „Stufenberg aus Sechseckprismen“ wurden mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. An diesem Entwurf lobte das Preisgericht vor allem die Nebengebäude als „tadelfrei“. Der dritte Preis ging schließlich an Alexander Freiherr von Branca mit seinem Entwurf, der „auf dem archaischem Grundriss des Kreuzes“ beruhte. Zur Ausführung empfahl das Preisgericht die Kirche von Kurt Faber und die Nebengebäude von Joachim und Margret Schürmann. (26)
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Intervention des Bauherrn
Die Entscheidung des Preisgerichts stieß bei Erzbischof Josef Kardinal Frings, dem Bauherrn der Anlage, auf Ablehnung. Seinen während einer Audienz am 10. September 1963 geäußerten Standpunkt hat der Diözesanbaumeister Wilhelm Schlombs in einer Aktennotiz dokumentiert: „Das Ergebnis des Wettbewerbs hat Eminenz enttäuscht, da (...) noch keine Lösung gefunden ist, die als plastischer Baukörper bzw. als Bild und Zeichen einer Wallfahrtskirche befriedigt. Eminenz erklärte, unter diesen Gesichtspunkten sich nicht für die Durchführung eines Entwurfs – ganz besonders nicht des ersten (Faber) – entschließen zu können. Der Unterzeichner (Wilhelm Schlombs, K.K.) brachte zum Ausdruck, dass das außergewöhnliche Ergebnis des Wettbewerbs für die Kathedrale in Tokio eine große Ausnahme sei und uns alle etwas verwöhnt habe. (...) Es könnte daher empfohlen werden, vier oder fünf Architekten zu einer zweiten Bearbeitung aufzufordern, bei der gerade auf die Beachtung der örtlichen und landschaftlichen Gegebenheiten und die Bedeutung einer Bild und Zeichen einer Wallfahrtskirche gerecht werdenden Lösung hingewiesen werden müsste (...)“. (28)
Auf diesen Wunsch des Bauherrn hin wurden die drei Preisträger, Gottfried Böhm und aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auch noch Josef Lehmbrock um die Überarbeitung ihrer Entwürfe gebeten. (29) Bei der darauffolgenden Tagung am 12. März 1964 kam das Preisgericht zur Auffassung, dass Kurt Faber sowie Alexander von Branca ihre Entwürfe durch die Überarbeitung verschlechtert und Josef Lehmbrock sowie Joachim und Margret Schürmann keine entscheidenden Verbesserungen erzielt hätten. Dagegen erschien der überarbeitete Entwurf von Gottfried Böhm in einem völlig neuen Licht. Dieser hatte sein städtebauliches Grundkonzept und seine Formensprache aus freien Polygonen beibehalten. Allerdings wurde die „vorbereitende Raumfolge, die den Wallfahrer stufenweise zum Höhepunkt leitet“, nun als entscheidender Wert betrachtet. (30)
Der überarbeitete Entwurf von Gottfried Böhm profitierte von der Reduzierung des Programms der Kirche auf 800 Sitzplätze und 2200 Stehplätze, vor allem aber von der Veränderung des Kirchengrundrisses von einem Zentralraum zu einem zentralisierten Längsraum. (31) Mit dieser Maßnahme konnten die südlichen Klosterflügel erhalten bleiben, wodurch sich die Masse der neu zu errichtenden Nebenbauten verringerte. Diese legte Gottfried Böhm auf die Ostseite des Pilgerweges, so dass das Kloster, wie vom Bauherrn gewünscht, vom Pilgerbetrieb ungestört blieb. (32) (Abb. 7 u. 8)
Der Grundriss der Kirche hat in der überarbeiteten Fassung eine Stützenstellung, die den Innenraum in ein Mittelschiff und ringsum anschließenden Seitenschiffe gliedert, die als Zirkulationszone dienen. Letztere hat auch eine dritte Dimension, indem sie dem Gelände folgt: mit der Beichtkirche im Untergeschoss auf der Ostseite und, gegenüber auf der Westseite, mit den Emporen, so dass jeweils ein unmittelbarer Ausgang ins Freie möglich ist.
Das Mittelschiff wird vorne am Altar und hinten am Eingang jeweils durch einen Vierachtelschluss gebildet, wobei beide durch eine Raute miteinander verbunden sind. Auf der Westseite sollte das Gebäude durch drei Seitenkapellen und im Altarbereich durch drei Apsiden ausgeweitet werden. Das Mittelschiff findet seinen Ausdruck nach außen im Hauptdach, das nun aus drei Pyramidendächern besteht, die entsprechend dem Grundrissbereich, den sie überdecken, gefaltet und ineinander verschränkt sind. Die Sakraments- und die Gnadenkapelle treten jeweils als nahezu geschlossene Baukörper aus dem Kirchenbau hervor und haben wie die Apsiden und Seitenkapellen eigene Dächer. Der Kirchturm sollte jenseits der Löher Straße frei stehend errichtet werden.
Das Preisgericht empfahl dem Bauherrn nun den überarbeiteten Entwurf von Gottfried Böhm zur Ausführung. Dies geschah mit dem Zusatz: „Wesentlich ist dabei, dass die vom Verfasser vorgeschlagene Bebauung des Wallfahrtsweges von vornherein in seiner Gesamtheit realisiert wird.“ Allerdings behielt sich Erzbischof Josef Kardinal Frings das letzte Wort in dieser Angelegenheit vor. Er ließ sich zwei Wochen nach der Urteilsbildung des Preisgerichts am 24. März 1964 die überarbeiteten Entwürfe von seinem Diözesanbaumeister Wilhelm Schloms erläutern und befand: „Ich möchte mich für den Entwurf von Professor Böhm entscheiden.“ (33)
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7.500 m³ Beton - 510 t Stahl
Gemäß dem Willen des Erzbischofs erfolgte am 15. Juni 1964 die Beauftragung Gottfried Böhms. (34) Der Architekt hielt sich bei der Erstellung der Baueingabepläne im Wesentlichen an seinen siegreichen Wettbewerbsentwurf und kümmerte sich nicht im Geringsten um die Empfehlung des Preisgerichts, seine Formen zu vereinfachen. Vielmehr wurde die Komplexität der Bauformen so weit gesteigert, dass sich schließlich eine Raumschöpfung mit einer Staunen erregenden Dynamik materialisierte. Diesem Eindruck diente vor allem der Wegfall der vier inneren Stützen im Altarbereich bzw. die Führung der Dachkanten bis zu den dort einspringenden Ecken, wobei die Dächer über den Apsiden in das Hauptdach einschneiden. So wurde aus dem im zweiten Wettbewerbsentwurf noch etwas konventionellen Umgang ein sich mit jedem Schritt in seiner architektonischen Dramaturgie wandelnder Weg.
Die statische Berechnung der Wallfahrtskirche in Neviges erfolgte durch den Bauingenieur Felix Varwick in Köln. (35) Er hatte bereits die Statik einiger Kirchen Gottfried Böhms berechnet, die ebenfalls alle einen freien polygonalen Grundriss und ein Betonfaltwerk als Dach haben (St. Paul in Bocholt, St. Gertrud in Köln sowie Hanbruch in Aachen). Für solch schwierige Fälle hatte Felix Varwick ein eigenes Berechnungsschema entwickelt. (36) Die Bauleitung wurde durch den Architekten Kurt Günssler mit ebenso großer Kompetenz erledigt. Sein geschickter Umgang mit Firmen und Handwerkern bewahrte Böhm vor etlichen Unannehmlichkeiten. (37) Die Werkplanung gestaltete sich als erweiterte Entwurfsphase, die Gottfried Böhm nutzte, um die Komplexität der Bauformen in der Ausformung der Einzelheiten, zum Beispiel an den Stützen, Treppen, an der Kanzel und am Haupteingang weiter zu steigern. Dabei wurde ein Arbeitsmodell mit Wänden und Dächern aus Karton im Maßstab 1:50 verwendet, das entlang der Firstlinie teilbar war, so dass auch der Innenraum gut eingesehen werden konnte. (Abb. 14) Die inneren Ausbauten wurden in Plastilin geformt und dann ins Modell eingesetzt. Die anschließende Erstellung der Bauausführungs- und Detailzeichnungen erfolgte entsprechend dem Fortschritt der Arbeiten auf der im Spätherbst 1965 eingerichteten Baustelle. (38) Die Rohbauarbeiten übernahm die Bauunternehmung Eduard Züblin AG, die sehr bald merkte, dass sie dieses keineswegs einfache Projekt zu knapp kalkuliert hatte. Des ungeachtet führte sie es zum vereinbarten Preis mit hoher Professionalität zu Ende. (Abb. 12, 13)
Eine wesentliche Planänderung betraf die Herstellung des Kirchendaches. Zur Wärmedämmung des Daches waren ursprünglich Platten aus Foamglas mit einer acht Zentimeter dicken, äußeren Schutzschicht aus Beton vorgesehen. Nachdem jedoch der tragende untere Teil des Daches der Sakristei betoniert war und offensichtlich ohne weiteres der Witterung trotze, kam Gottfried Böhm im Juli 1966 auf die Idee, das Dach der Kirche ebenfalls ohne Dämmung und Dichtung herzustellen. Schließlich sollte die Wallfahrtskirche in den Wintermonaten so gut wie nicht benutzt und das Dach ohnehin aus wasserdichtem Beton hergestellt werden, damit es bis zur Aufbringung der Deckung dicht blieb. (39) Auf die Dichtung konnte verzichtet werden, wenn man die Betondeckung für die Bewehrung etwas erhöhte. Auf diese Weise wurde das Dach der Wallfahrtskirche schließlich auch gebaut. (40) (Abb. 8)
Außer der Konstruktion wurde in der Phase der Werkplanung auch die Form des Daches weiterentwickelt. So kamen viele kleinere Auffaltungen neu hinzu, die der Unterbringung und Luftöffnungen dienten und das Dach am Ende kantiger machten. Darüber hinaus wurde im Zusammenhang mit der Veränderung des Grundrisses der Sakristei und der Vergrößerung ihrer Raumhöhe auch dieser Teil des Daches neu geformt. Schließlich bekam die Gnadenkapelle, nachdem man auf den Bau des Kirchturms verzichtet hatte, eine Gaupe zur Unterbringung der Glocke.
Die Emporen erhielten erst in der Werkplanung ihre spezifische Form. Deren Hauptstützen wurden zunächst auf beiden Seiten jeweils eine Nebenstütze beigefügt. Gleichzeitig kamen bei den Brüstungen, zwischen zwei Nebenstützen noch Unterzüge hinzu, so dass der Bereich um die Stützen jeweils wie ein Turm erscheint, in den die Emporen eingespannt sind. Diese Türme wurden zwischen den Emporen und dem Dach stufenweise auf den tragenden Stützenkern zurückgeführt. (41) Dann erhielten die Grundrisse der Emporen eine größere Zahl von Ecken, und sie wurden in den einzelnen Ebenen teilweise gegeneinander verschoben. Schließlich wurde zwischen den beiden genannten Türmen ein drittes, kleines Emporengeschoss eingeführt, während ihre Überarbeitung in der Ansicht zu balkon- und fensterähnlichen Formen führte. Durch die Zusammenführung von zwei Stützen, die zwischen jenen beiden Türmen liegen, kam ein zusätzliches vertikales Element ins Spiel. (Abb. 9 u. 10)
Diese ausgesprochen plastische Komposition wird noch durch die Lichtführung verstärkt, die von der Anordnung relativ großer Fensterflächen hinter den Emporen bestimmt ist. Insgesamt entstand so bei den Emporen ein räumliches Gebilde, das sich der unmittelbaren rationalen Wahrnehmung sowie der vollständigen Beschreibung entzieht und nur noch aus den einzelnen Schritten des Planungsprozesses wirklich zu verstehen ist. Von der in Beton gegossenen, enormen räumlichen Gestaltungskraft Gottfried Böhms sind auch der Kanzelkorpus sowie eine Vielzahl kleinerer Vorsprünge, Nischen und Aussparungen geprägt. Diese Art der Formgebung durchdringt das ganze Gebäude und gleitet nie ins Willkürliche ab. (Abb. 23)
Die Gestaltung des Ausbaus erfolgte im Kontrast zur intensiven räumlichen Behandlung der tragenden Bauteile in eher zurückhaltenden handwerklichen Formen. Die äußeren Haupteingangstüren bestehen aus einem metallenen Rahmen mit einem quadratischen Raser, in das Glasscheiben eingelassen sind. Die Türdrücker sind ebenfalls von Gottfried Böhm entworfen. Die Beichtstühle, der Schriftenstand, die Sakristeieinbauten und die Innentüren stellen schlichte, elegante und zweckmäßige Schreinerarbeiten aus gekälkter Eiche dar. Bei der Bestuhlung handelt es sich um eine von Gottfried Böhm ebenfalls entworfene Kleinserie mit metallenem Traggerüst und Kunststoffschalen. Auch die Formen der einzelnen in Naturstein ausgeführten Teile des Ausbaus, wie das Lavabo und der Apostelleuchter, sind vollständig im Sinne ihrer spezifischen Funktionen gestaltet.
Die Konsekration der Wallfahrtskirche am 22. Und 23. Mai 1968 wurde mit 7000 Pilgern und einer Predigt des Kardinals zu einer großen Jubelfeier. (42) In den Monaten zuvor hatte die evangelische Mehrheit in Neviges die wachsende Dominanz der katholischen Wallfahrtskirche m Stadtbild mit Argwohn beobachtet und auf den „Betonfelsen“ geschimpft. (43) Im Laufe der Zeit entwickelten die Nevigeser jedoch einen beträchtlichen Stolz auf ihre in aller Welt Aufsehen erregenden Kirche. Auf Seiten des Erzbistums betrachtete man das Gebäude ebenfalls als großen Erfolg und sonnte sich im Glanz der Architekturpreise, die Gottfried Böhm in der Folgezeit nicht zuletzt für seine Wallfahrtskirche erhielt. (44) Und in Neviges fanden sich von nun an neben den Marienwallfahrern auch noch Architekturpilger ein.
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Anfügen des heiligen Bezirks
Im Anschluss an den Bau der Wallfahrtskirche erfolgte, wie vom Preisgericht verlangt, die architektonische Fassung des Pilgerweges, das heißt die Anlage des heiligen Bezirks. Die ursprüngliche Planung für das entsprechende Schwesternwohnheim vom 8. Mi 1967 stellt im Wesentlichen die Bebauung aus dem Wettbewerbsentwurf dar, die zweihüftig sein, unmittelbar an die Kirche anschließen und sich bis zur Klosterstraße und hinunter zum Kloster schlängeln sollte. (45) Von diesem Projekt ist nur ein relativ kurzer, einhüftiger, parallel zur Stützmauer an der Löher Straße verlaufender, zweimal geknickter Riegel mit zwei Geschossen übrig geblieben, der einen deutlichen Abstand zur Wallfahrtskirche aufweist. Er entstand in den Jahren 1969-73. (46) Mit seiner dem Geländeverlauf angepassten Abtreppung und den in im Obergeschoss halbrund vortretenden Erkern bildet das Schwesterwohnheim im Zusammenhang mit dem gepflasterten Weg, den gekurvten Treppen und den Straßenbäumen ein wichtiges Element zur räumlichen und visuellen Führung der Besucher zur Kirche. (Abb. 15)
Als zweites und letztes Glied der den Pilgerweg begleitenden Bauten entstand in der Verlängerung des Pilgerweges, nördlich des Schwesternwohnheims, 1971-73 der zweigeschossige Kindergarten. (47) Die Plastizität des Kindergartens ist im Vergleich zu den oben beschriebenen Bauten von Gottfried Böhm relativ zurückhaltend. Diese Reduktion darf nicht nur für sich gesehen werden, sondern muss im städtebaulichen Kontext wahrgenommen werden, (48) in dem der Kindergarten den Auftakt des architektonisch gefassten Pilgerweges bildet, dessen formaler Reichtum sich zunehmend steigert und schließlich in der Wallfahrtskirche kulminiert. (Abb. 17)
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Marienverehrer und Architekturliebhaber
Erzbischof Josef Kardinal Frings hatte als Seelsorger ein großes Interesse an der Blüte des Wallfahrtsortes Neviges, denn er teilte mit Papst Pius XII. eine besonders große Neigung zur Marienverehrung und den unbedingten Willen, diese zu stärken. (49) Diesem Ziel diente die im Jahr 1954 erfolgte Ausrufung des „Marianischen Jahres“ – anlässlich der Hundertjahrfeier der Dogmatisierung der Jungfräulichkeit Mariens, das Erzbischof Josef Kardinal Frings im Kölner Dom und in Neviges eröffnen wollte. (50) Der Erzbischof kam so gut wie jedes Jahr nach Neviges, vor allem zu den höchsten Marienfesttagen. (51)
Bei der Entstehung der Wallfahrtskirche spielte Erzbischof Joseph Kardinal Frings, wie wir bereits gesehen haben, auch in architektonischen Gestaltungsfragen eine dominante Rolle. Er sah nämlich in dem Werk guter Architekten einen Ausdruck der Schöpferkraft Gottes und betrachtete sich deshalb in seinem Einflussbereich als letzte irdische Instanz in Gestaltungsfragen. (52) Aufgrund der Kriegszerstörungen und der Neuordnung von Pfarreien gab es in der Erzdiözese Köln zwischen 1945 und 1960 insgesamt 140 Kirchen zu bauen. (53) Die Diözesanbaumeister, zunächst Willy Weyres und später Wilhelm Schlombs, waren für ihren Dienstherrn wichtige Berater und achteten mit ihm darauf, dass im Sakralbau nur besonders qualifizierte Architekten zum Zuge kamen. Um die Kontakte zu diesen sowie zu den an der Ausstattung von Kirchen beteiligten Malern und Bildhauern zu pflegen hatte Erzbischof Josef Kardinal Frings den so genannten „Aschermittwoch der Künstler“ eingerichtet, zu dem 1950 mehr als 200 eingeladene Künstler und Architekten gekommen waren. (54)
Die Einstellung des Kardinals zum Sakralbau kommt in dem von Willy Weyres und Otto Bartning 1959 herausgegebenen Handbuch für den Kirchenbau zum Ausdruck. Im katholischen Teil dieser Arbeit plädiert der Koautor Konrad Gatz für einfach und edel geformte Saalbauten nach dem Vorbild der IIT-Kapelle in Chicago (1952) von Ludwig Mies van der Rohe und erteilt plastischen Formen und symbolischen Konnotationen beim zeitgenössischen Sakralbau eine klare Absage. Dieselben Kriterien kamen offensichtlich auch in der ersten Stufe des Wettbewerbs für die Wallfahrtskirche in Neviges zur Anwendung. Allerdings hatte sich die Architekturauffassung Josef Kardinal Frings’ durch die Erfahrung mit dem von Kenzo Tange gewonnenen Wettbewerb für die Marienkirche von Tokio weiter entwickelt. Sie war auf Initiative des Kardinals begonnen, der Unbefleckten Empfängnis Mariens geweiht, vom Erzbistum Köln weitgehend finanziert und in der Diaspora gebaut worden. Es weist daher wesentliche Gemeinsamkeiten mit der Wallfahrtskirche in Neviges auf. (Abb. 18)
Der Entwurf für Tokio entstand um dieselbe Zeit wie derjenige für die Olympiabauten (1961 – 64) in der japanischen Hauptstadt und zeigt wie diese die ausgeprägte zeichenhafte Formensprache Kenzo Tanges. Im Falle der Marienkirche von Tokio ist es das Kreuz in der Draufsicht, das eindeutig an den christlichen Kultus erinnert, wobei jedoch die liturgischen Nachteile dieser Figur durch den parabolisch zu einem Drachenviereck ausschwingenden Grundriss vermieden werden. Im Übrigen erinnert das Verhältnis von Höhe zu Breite an eine gotische Kathedrale. Die Suche nach einem zeichenhaften Ausdruck sah Kenzo Tange selbst im Zusammenhang mit der Ende der 50er Jahre erfolgten Überwindung des dogmatischen Funktionalismus, die sich in der Auflösung der CIAM zeigte und in Bauten wie dem TWA-Empfangsgebäude in New York (1956-62) von Eero Saarinen oder der Oper in Sydney (1957, 1958-73) von Jorn Utzon zum Ausdruck kam. (55) (Abb. 19)
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