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Jurek Becker

Jurek Becker wird in Lodz (Polen) als Sohn von Max Becker (geb. Mieczyslaw Bekker) und Anette (geb. Lewin) unter dem Namen Jerzy Bekker geboren. Die Eltern sprechen seit Jureks Geburt ausschließlich Polnisch und kein Jiddisch mehr, um die Eingliederung des Sohnes in die polnische Gesellschaft zu erleichtern und dem um sich greifenden Antisemitismus zu entgehen. Bis zur Internierung geht es den Beckers recht gut. Der Vater ist Prokurist in einer Textilfabrik, die Mutter ist Näherin. Daher kann die Familie bis zum Kriegsausbruch in einem Viertel für wohlhabende Leute wohnen.

Im Alter von etwa zwei Jahren kommt Jurek zusammen mit seinen Eltern am 7. März 1940 in das Getto in Lodz. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt das Kind gefangen, ist von seinen Eltern getrennt und wird von Fremden aufgezogen. Zusammen mit seiner Mutter wird er Anfang 1944 in das KZ Ravensbrück deportiert. Anette Becker stirbt nach der Befreiung am 2. Juni 1945 an Unterernährung. Sein Vater wird später aus Lodz nach Auschwitz und Sachsenhausen gebracht und kann seinen Sohn mithilfe einer amerikanischen Suchorganisation aufspüren.

Becker selbst hat laut eigenen Aussagen keine Erinnerung an diese Zeit: „Vielleicht habe ich gedacht, wenn ich lange genug schreibe, werden die Erinnerungen kommen.“[1] Nach dem Krieg siedeln Vater und Sohn 1945 nach Ostberlin über. Um als staatenloser polnischer Jude nicht aufzufallen, gibt sich  Mieczyslaw den Namen „Max“ und seinem Sohn den Namen „Georg“. Er lässt sich und seinen Sohn als Opfer des Faschismus registrieren. Dabei macht sich Max Becker sechs Jahre jünger, sodass das offizielle Geburtsdatum Jureks nun der 30. September 1937 ist. Um seinen Sohn bei der Internierung im Getto vor der Deportation zu bewahren, hatte ihn sein Vater als älter ausgegeben. Das korrekte Geburtsdatum Jureks ist daher unbekannt.

In Berlin hört der Vater auf, Polnisch zu sprechen, und Jurek muss nun Deutsch lernen. Allerdings dauert es einige Zeit, sodass er bei seiner Einschulung im Alter von nun schon 10 Jahren von seinen Mitschülern wegen seines gebrochenen Deutsch verspottet wird.

Jurek Becker erlebt mit 12 Jahren die Teilung Deutschlands und tritt noch vor Ende der 8. Klasse in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ein, da sein Vater möchte, dass sich Jurek aktiv am Aufbau des neuen Staates (DDR) beteiligt. Jureks Eingliederung in die Gesellschaft verläuft immer positiver, was wohl daran liegt, dass sein Deutsch sich zusehends verbessert. Währenddessen verfällt sein Vater dem Alkohol. Nach dem Abitur leistet Becker ab dem 1. September 1955 zwei Jahre Dienst bei der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Fast zeitgleich wird er Mitglied in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Jurek Becker ist zu dieser Zeit als überzeugter Sozialist einzuschätzen.

Die Schreibearbeit

Zu dieser Zeit besteht auch schon sein Wunsch, Schriftsteller zu werden. 1957 beginnt er, Philosophie und Jura zu studieren. Hier textet Becker zusammen mit seinen Freunden Manfred Krug und Wolf Biermann bis zum Mai 1965 für das Studentenkabarett, muss dabei aber die eng gesteckten Grenzen für die Satire im sozialistischen Staat beachten. 1960 lässt sich Jurek Becker von der Universität beurlauben und kommt damit den Behörden zuvor, die ihm eine Haltung bescheinigen, die nicht dem Bild einer sozialistischen Universität entspricht. Seitdem steht Becker auch unter Beobachtung durch die Staatssicherheit (Stasi). Dann belegt er in Babelsberg an der Staatlichen Film- und Fernsehhochschule einen Halbjahreskurs für angehende Autoren.

Zwei Tage nach dem Beginn des Baus der Berliner Mauer, am 15. August 1961, heiratet er Rieke (Erika) Hüttig. Eine Woche später kommt Sohn Nikolaus zur Welt. Es folgt am 24. Mai 1964 Sohn Leonard. Das Ehepaar zieht in ein Einfamilienhaus. Zwischen 1962 und 1977 verfasst er dann drei Romane („Jakob der Lügner“ 1969, „Irreführung der Behörden“ 1973 und „Der Boxer“ 1976) und 14 Drehbücher, die alle für den Film und das Fernsehen produziert werden. Aus einem dieser Drehbücher will Becker einen Film machen und diesen in Polen drehen. Allerdings scheitert das Projekt an den polnischen Behörden. Erbost darüber arbeitet er das Drehbuch in einen Roman um: „Jakob der Lügner“. 1972 verstirbt Jurek Beckers Vater.

Der Wunsch, die DDR zu verlassen, wird immer stärker. Von Anfang an hat Becker mit dem sozialistischen Staat Schwierigkeiten, jetzt finden diese Probleme auch ihren literarischen Niederschlag, etwa im Roman „Schlaflose Tage“ (1978). Das Manuskript überlässt er dem Rostocker Hinstorff-Verlag mit einem Ultimatum von 4 Wochen. Sollte das Manuskript dann nicht gedruckt werden, würde Becker ihn in Westdeutschland veröffentlichen. Zeitgleich nutzt der Autor westliche Medien, um nach der Biermann-Affäre Missstände in der DDR anzuprangern. Becker wird öffentlich von Staatsvertretern verurteilt und als Agent des Westens charakterisiert. Eine Veröffentlichung des Romans im Westen ist nun unumgänglich.

Westdeutschland und Wiedervereinigung

Am 7. November 1977 stellt Becker einen Antrag auf ein Zweijahresvisum, um in Westdeutschland schreiben und frei reisen zu können. Der Antrag wird genehmigt und Jurek Becker trifft am 5. Dezember in West-Berlin ein, was einer Sensation gleichkommt. 1978 ist Becker Gastdozent am Oberlin College (Ohio/USA) und kehrt am 18. Juli 1978 wieder nach Berlin zurück. Unschlüssig, ob er wieder nach Ost-Deutschland einreisen will (inzwischen gibt es weitere Reibungen mit der DDR-Führung), beantragt Becker ein 10-Jahresvisum, das Erich Honecker persönlich absegnet. Becker darf somit bis zum 10. Dezember 1989 frei reisen. Er richtet sich auf ein Leben im Westen ein und hofft, in beiden deutschen Teilstaaten veröffentlichen zu können. Für seinen 1982 erschienenen Roman „Aller Welt Freund“, der politisch nicht sehr brisant ist, trifft das noch zu.

1983 geht Becker mit Christine Harsch-Niemeyer seine zweite Ehe ein. 1990 wird der dritte Sohn Samuel geboren. Im Westen kann Becker sich politisch frei äußern, sodass mit „Bronsteins Kinder“ nach „Jakob der Lügner“ und „Der Boxer“ gleichsam der dritte Teil seiner Holocaust-Trilogie erscheint. Besondere Popularität wird Becker jedoch durch die Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ zuteil, zu der er das Drehbuch schreibt.

1989 ahnt Becker nichts von den umwälzenden Ereignissen, die folgen werden. Er wird in diesem Jahr vom ostdeutschen P.E.N.-Club zu einer Lesung in die DDR eingeladen. Diese Gelegenheit nutzt er, um sein 10-Jahresvisum zu verlängern. Mit Wirkung zum 1.Januar 1990 wird es um vier Jahre verlängert. Diese Verlängerung ist durch den Mauerfall freilich hinfällig.

Nach der Wiedervereinigung bleibt die DDR der Fluchtpunkt für Beckers literarisches Schaffen. Die Problematik des Mauerfalls und der Wiedervereinigung verarbeitet er in seinem Roman „Amanda Herzlos“ (1992) und in der 9-teiligen Fernsehserie „Wir sind auch nur ein Volk“, allerdings ohne nennenswerten Erfolg bei Kritik und Publikum. Im Sommer 1995 wird er gebeten, „Liebling Kreuzberg“ weiterzuschreiben. Die kontinuierliche Arbeit an der fünften Staffel der Serie wird aber durch eine Krebserkrankung verhindert, die im selben Jahr diagnostiziert wird. Als die letzte Staffel der Serie anläuft, ist Becker bereits verstorben. Er erliegt seiner Krankheit am 14. März 1997 in seinem Haus in Sieseby.

 

[1]    Becker, Jurek: Die unsichtbare Stadt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Jurek Becker. München, 1992. S.16. (=Text und Kritik 116)

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