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Geschichte Lucrezia Borgia

Wie die Papsttochter zur „zügellosen Nymphomanin“ wurde

Borgia-Papst Alexander VI. kannte keine Skrupel, die Schönheit seiner Tochter für Machtspiele einzusetzen. So prägten schwüle Fantasien von Orgien und Körpersäften das Bild der klugen Lucrezia.

„Alle anderen Frauen gleichen Lucrezia wie das Zinn dem Silber, das Kupfer dem Gold, die Mohnblume der Rose, die bleiche Weide dem immergrünen Lorbeer“, begeisterte sich der Renaissancedichter Ludovico Ariosto 1503 über die Tochter des Papstes Alexander VI. Dass dieser hohe Kirchenfürst freilich mehrere Kinder in die Welt setzte, besaß den Beigeschmack des Skandalösen – und diesen Ruch wurde Lucrezia Borgia zeitlebens und auch nach ihrem frühen Tod nicht mehr los.

Zumindest im freizügigen Rom des 15. und 16. Jahrhunderts hatte man sich kopfschüttelnd daran gewöhnt, dass Päpste und Kardinäle sich nicht an das zölibatäre Keuschheitsgebot der Priester hielten. Ihren Nachwuchs nannte man beschönigend „nipoti“ (Neffen); sie verkehrten im Vatikan und bereicherten die Sprache durch den neuen Terminus „Nepotismus“ (Günstlingswirtschaft).

Wie wild es allerdings Kardinal Rodrigo Borgia trieb, das stellte alles in den Schatten, was der skandalträchtige Vatikan bis dato erlebt hatte. Er zeugte mit mehreren Frauen zehn Kinder; seine Favoritin Vanozza de’ Cattanei gebar ihm vier Nachkommen, darunter 1475 einen Sohn, Cesare, und 1480 eine Tochter, Lucrezia. Die Borgias stammten aus dem spanischen Valencia und hatten mit Calixtus III. bereits einen Papst gestellt.

Blondes Haar, haselnussbraune Augen, hoher Busen: Lucrezia Borgia entsprach vollkommen dem Schönheitsideal der Renaissance
Blondes Haar, haselnussbraune Augen, hoher Busen: Lucrezia Borgia entsprach vollkommen dem Schönheitsideal der Renaissance
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Rodrigo galt als hervorragender Diplomat und hemmungsloser Wüstling. Am 10. August 1492 wählte das Kardinalskollegium ihn zum Papst – hohe Bestechungssummen sollen zuvor geflossen sein. Der neue Pontifex nannte sich Alexander VI. und erklärte seine unehelichen Kinder für legitim. Die blonde Lucrezia, schon mit 13 Jahren eine Schönheit, diente dem Papst als Lockmittel für seine politischen Pläne, in Italien ein Borgia-Reich zu errichten.

Zunächst wird Lucrezia in den Haushalt einer entfernten Verwandten gegeben und wächst bei Adriana Orsini auf. Dort lernt das aufgeweckte Mädchen u. a. Fremdsprachen wie Latein, Griechisch, Französisch und auch das Idiom ihrer spanischen Vorfahren. Im Haushalt der Pflegemutter begegnet sie auch der sechs Jahre älteren Giulia Farnese. Später wird diese Frau Mätresse von Lucrezias päpstlichem Vater und sarkastisch „Braut Christi“ genannt. Die beiden sollen eine gemeinsame Tochter, Laura Farnese, haben.

Bereits 1493 wird Lucrezia Borgia mit Giovanni Sforza verheiratet, einem Mitglied der mächtigen Mailänder Herzogsfamilie. Die Ehe wurde wahrscheinlich nie vollzogen und 1497 für ungültig erklärt, weil Sforza zeugungsunfähig sei. Tatsächlich war er in ein Mordkomplott gegen den Papstsohn Juan Borgia verwickelt. Gerüchte besagen, auch Lucrezia habe dabei mitgewirkt. Hintergrund war das äußerst innige Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare, der Juan als Konkurrent um die Gunst des Papstes beseitigen ließ.

Eine zeitlose Skandal-Familie: „Die Borgias – Sex. Macht. Mord. Amen“ (2009-11) als US-Fernsehserie mit Holliday Grainger als Lucrezia
Eine zeitlose Skandal-Familie: „Die Borgias – Sex. Macht. Mord. Amen“ (2009-11) als US-Fernsehserie mit Holliday Grainger als Lucrezia
Quelle: picture alliance / landov

1497 begann sie eine Liebesaffäre mit dem Ersten Kämmerer des Papstes, Pedro Caldés. Aus dieser unstandesgemäßen Verbindung ging ein Kind hervor. „Das Geheimnis dieser Liebe, das wir aus Andeutungen in Briefen und Chroniken mühsam rekonstruieren müssen, war vermutlich das einschneidenste Ereignis in ihrem Leben. Es hat ihren Geist und Charakter wesentlich geformt“, schrieb Lucrezias Biografin Maria Bellonci.

Geprägt wohl in schwermütiger Hinsicht, denn Alexander war über diese Liaison sehr erbost und sein Sohn Cesare stellte Caldés in den päpstlichen Gemächern und drang mit gezücktem Degen auf ihn ein. Cesare Borgia war ein typischer Machtmensch der Renaissance – ebenso gebildet und intelligent wie brutal und skrupellos. „Hier, unter den Augen des Papstes, der vergebens den Zipfel des Mantels ausbreitete, um Caldés zu retten, stach Cesare zu und das Blut spritzte dem Papst ins Gesicht“, berichtete der venezianische Botschafter.

Um weitere Abenteuer zu unterbinden, verheiratete der Papst seine Tochter noch 1498 mit dem reichen, aber halb verrückten Alfonso de Bisceglie, einem Sohn des Königs von Neapel. Diese Ehe geriet zur Katastrophe. Alfonso intrigierte gegen den Papst und vereitelte dessen Bemühungen, seinem Sohn Cesare die Krone Neapels zu verschaffen. Als Cesare merkte, dass sein Schwager ein politisches Hindernis darstellte, lauerte er ihm am 15. Juli 1500 im Vatikan auf und stach ihn mit einem Dolch nieder.

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Während Cesare mit seinen Truppen eine italienische Festung nach der anderen eroberte (Imola, Rimini, Forli, Faenza), war für Lucrezia bereits der dritte Ehemann gefunden. Im August 1501 heiratete sie Alfonso d’Este, Herzog von Ferrara. Ihr Ruf war durch das Wüten des Cesare und die Ausschweifungen des Papstes schon so geschädigt, dass der deutsche Kaiser Maximilian I. Einspruch gegen diese Eheschließung erhob.

Lukrezias dritter Ehemann Alfonso d’Este erwies sich als Glücksfall. Der Herzog ließ ihr viele Freiheiten und so wurde sie zur Kunstmäzenin und erfolgreichen Unternehmerin
Lukrezias dritter Ehemann Alfonso d’Este erwies sich als Glücksfall. Der Herzog ließ ihr viele Freiheiten und so wurde sie zur Kunstmäzenin und erfolgreichen Unternehmerin
Quelle: picture alliance / Luisa Ricciar

Anfang 1502 zog Lucrezia Borgia in Ferrara ein. Ihre arrangierte Ehe mit d’Este erwies sich als Glücksfall. Der Herzog erlaubte ihr weitgehende Freiheiten. Sie betätigte sich als Kunstmäzenin, förderte den jungen Maler Tizian und den Gelehrten Aldus Manutius. Als erste europäische Stadt erhielt Ferrara einen festen Theaterbau. Der berühmte Dichter Ludovico Ariosto besang die neue Herrin Ferraras in schwelgerischen Versen.

Tatsächlich wird Lucrezia von vielen Zeitgenossen als außergewöhnlich schöne Frau bezeichnet. Sie soll graziös gewesen sein, mit einem Gang, der wie schwebend wirkte. Ihr dichtes blondes Haar reichte bis zu den Knien, ihre haselnussbraunen Augen änderten oft die Farbnuancen und mit hohem Busen und natürlicher Anmut entsprach sie vollkommen dem Schönheitsideal der italienischen Renaissance.

Überdies war Lucrezia auch als Unternehmerin tüchtig. Sie erwarb in Norditalien scheinbar wertloses Sumpfland. Mithilfe von Entwässerungsgräben und Kanälen ließ sie diese Sümpfe trockenlegen und gewann danach kostbares Weide- und Ackerland. Bis zu 20.000 Hektar trug sie so zusammen, mit denen große Gewinne erwirtschaftet wurden.

Das Gestirn der Borgias begann indessen zu sinken. Am 18. August 1503 starb Papst Alexander VI. Sein Nachfolger Julius II. galt als vehementer Gegner der Familie. Cesare Borgia verlor 1504 eine Schlacht gegen die Spanier in Süditalien und wanderte für zwei Jahre ins Gefängnis. Anfang 1507 fiel er im Kampf. Lucrezia gebar nach siebenjähriger Ehe endlich den ersehnten Stammhalter, den späteren Herzog Ercole II.

Bis heute hat Lukrezia (hier Isolda Dychauk bei Dreharbeiten für die Fernsehserie "Borgia III") den Ruf einer skrupellosen Femme fatale, die splitternackt vor ihrem Vater und dem vatikanischen Hof tanzt und wüste Orgien feiert
Bis heute hat Lukrezia (hier Isolda Dychauk bei Dreharbeiten für die Fernsehserie "Borgia III") den Ruf einer skrupellosen Femme fatale, die splitternackt vor ihrem Vater und dem v...atikanischen Hof tanzt und wüste Orgien feiert
Quelle: picture alliance / ZB

Ihr Verhältnis zu Männern blieb weiter tragisch. Als der Florentiner Humanist Ercole Strozzi Lucrezia 1508 ein freizügiges Gedicht widmete, wurde er wenig später ermordet aufgefunden. Wieder kursierten wilde Gerüchte über den verderblichen Einfluss der Dame Borgia. 1513 nahm sie der neue Papst Leo X. unter seinen persönlichen Schutz, quasi eine Ehrenerklärung. Auch Ehemann Alfonso d’Este stellte sich hinter sie. Doch ihr schlechter Ruf blieb haften, obwohl sie die nächsten zehn Jahre ohne jeden Skandal verbrachte.

Weil Lucrezia aber ebenso schön wie mächtig war, blühten Fantasien von einer betörenden Hexe, einer Giftmischerin, Intrigantin und zügellosen Nymphomanin. Im Laufe der Jahrhunderte verzerrte sich ihr Bild zum Inbegriff der skrupellosen Femme fatale, die splitternackt vor ihrem Vater und dem vatikanischen Hof tanzt, stets einen vergifteten Ring am Finger trägt, um sich aller Feinde rasch entledigen zu können, und die an ihrem Hof wüste Orgien feiert. Es ist ein Ruf, der bis heute von Filmen und Romanen über sie verbreitet wird.

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Am 24. Juni 1519 stirbt die 39-Jährige nach der Geburt ihres neunten Kindes. Erst der schon zitierten italienischen Geschichtsforscherin Maria Bellonci gelingt es 1939 nach Auswertung aller überlieferten Quellen, die wahre Persönlichkeit der Lucrezia Borgia herauszuarbeiten – als Frau „von unergründlicher Schwermut, hineingestellt in düstere Tragödien ihrer eigenen Familie, aber von hoher Intelligenz und mit einer kraftvollen Natur versehen“.

Jan von Flocken ist Journalist und Historiker und hat zahlreiche Bücher, darunter „Geschichten zur Geschichte“ sowie zur Militärgeschichte, veröffentlicht. Er lebt bei Berlin.

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