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Geschichte Belagerung 1683

Polens Panzerreiter retteten Wien vor den Türken

154 Jahre nach dem ersten Angriff auf Wien versuchte es ein osmanisches Heer 1683 erneut. Ernten und Dörfer wurden vernichtet, Minen unter den Mauern gezündet. Ein Fehler rettete die Belagerten.

Feierlich überreichte Sultan Mohammed IV. seinem Großwesir die grüne Fahne des Propheten. An diesem 3. Mai 1683 brach das etwa 160.000 Mann nebst 200 Kanonen zählende türkische Heer von Adrianopel (Edirne) auf und marschierte in Richtung Belgrad. Doch die serbische Stadt war nicht das Ziel des Kriegszuges. Kara Mustafa, ein von Ehrgeiz und Machtgier erfüllter Mann, wollte etwas erreichen, woran die Türken 1529 gescheitert waren – die Eroberung von Wien, der Schlüsselfestung des christlichen Abendlandes.

So staunten die lebenslustigen Wiener nicht schlecht, als Kaiser Leopold I. am 7. Juli 1683 mit großem Gefolge die Stadt verließ und nach Linz zog. Zwar hatte man von einem riesigen Türkenheer gehört, das von Osten her anrückte, aber dass die Gefahr so groß und so nahe war, wollten die Wenigsten wahrhaben.

Nach zahlreichen inneren Reformen wollte Großwesir Kara Pascha Mustafa (um 1626/1636–1683) das Osmanische Reich mit einer großen Offensive im Westen auch nach außen hin stärken
Nach zahlreichen inneren Reformen wollte Großwesir Kara Pascha Mustafa (um 1626/1636–1683) das Osmanische Reich mit einer großen Offensive im Westen auch nach außen hin stärken
Quelle: picture-alliance / dpa

Als einen Tag später der kaiserliche General Karl von Lothringen aus Schwechat kommend über die Donaubrücken mit 4000 Mann Kavallerie in Wien einrückte und kurz darauf 6000 Infanteristen folgten, zeigte sich der Ernst der Lage. Schon am 5. Juli hatten die Türken das westungarische Raab erreicht. Wiens Stadtkommandant Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg ergriff sofort Gegenmaßnahmen.

Einschließlich der Bürgerwehr zählten die Verteidiger nur 15.000 Mann. Aber die Donau-Metropole besaß starke Mauern, sie waren in den letzten Jahren nach modernen Fortifikationsmethoden ausgebaut worden. Zwölf mächtige, sich gegenseitig flankierende Bastionen umgaben den Stadtkern etwa im Bereich der heutigen Ringstraße. Belagerungsartillerie konnte diese Festung kaum ernsthaft gefährden.

Die Verteidiger durften – anders als 1529 – auch auf Unterstützung von außen hoffen. Papst Innozenz XI. hatte nicht nur große Geldbeträge für den Türkenkrieg aufgebracht, sondern auch ein Bündnis zwischen dem Kaiser und König Jan Sobieski von Polen vermittelt. Gemeinsam mit den deutschen Reichsfürsten sollte dessen Heer die Belagerung Wiens sprengen.

Die Bevölkerung Niederösterreichs wurde von den Türken auf ihrem Vormarsch wieder aufs Schlimmste malträtiert. Ihre „Renner und Brenner“ genannten Horden plünderten, mordeten, ließen Häuser, Gehöfte und Kirchen in Flammen aufgehen, verschleppten Tausende als Sklaven ins Osmanische Reich. Alle Orte rings um Wien wie Hainburg, Schwechat, Pellendorf und Laa wurden niedergebrannt.

Das Osmanische Reich um 1683 war eine furchteinflößende Weltmacht
Das Osmanische Reich um 1683 war eine furchteinflößende Weltmacht
Quelle: wikipedia/André Koehne/Furfur/CC BY-SA 3.0

Dieses Treiben, gelegentlich als christliche Propaganda abgetan, bestätigt ein unverdächtiger Zeuge. Der türkische Hofbeamte und Geschichtsschreiber Mehmed Aga befand sich 1683 in der unmittelbaren Gefolgschaft Kara Mustafas und berichtet über die türkische Soldateska:

„Da dehnten sie ihre Raubzüge aus und zerstörten unterwegs die Dörfer, Städte und Burgen, machten die Männer nieder, führten die Frauen und Kinder in die Gefangenschaft ab, verbrannten die Wohnstätten und Saatfelder zur Gänze und verwüsteten und verheerten die Länder der Ungläubigen derartig, das sie auch nach hundert Jahren ihren früheren Zustand der Blüte nicht wieder erreicht haben dürften.“

Und weiter heißt es bei Mehmed Aga: „Es verfielen auch die Enthaltsamen unter ihnen dem Trunke und begannen die mannigfaltigsten Übeltaten und unbegreifliche Schändlichkeiten zu verüben.“

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Am 14. Juli 1683 standen Kara Mustafas Truppen vor der Stadt. Der Großwesir errichtete seine Zeltburg auf der „Schmelz“, einer Wiesenfläche westlich der Stadt, heute der Gemeindebezirk Rudolfsheim. Am folgenden Tag begann die Beschießung. Schon am 16. Juli war Wien eingeschlossen – von Nußdorf im Norden über Dornbach im Westen bis Simmering im Süden.

Weil das türkische Heer die Stadtmauern nicht mit Kanonen einnehmen konnte, grub es Stollen und legte Minen. Die Belagerten setzten alles daran, dies zu verhindern
Weil das türkische Heer die Stadtmauern nicht mit Kanonen einnehmen konnte, grub es Stollen und legte Minen. Die Belagerten setzten alles daran, dies zu verhindern
Quelle: picture alliance / akg-images

Bald merkte Kara Mustafa, dass seine meist kleinkalibrigen Kanonen nur wenig gegen die Stadtmauern ausrichten konnten. Der Wesir ließ daraufhin Gräben ziehen und Tunnel mit Sprengminen graben. Die Türken wühlten sich durch die Erde bis zu der im Südwesten gelegenen Löwelbastion und der benachbarten Burgbastion. Hier explodierte am 2. August die erste Mine und riss Teile der Stadtmauer ein.

Den Türken gelang es nun immer öfter, in die Befestigungsanlagen vor dem Schottentor einzudringen. Wilde Kämpfe entbrannten. Dabei wurde Stadtkommandant Starhemberg schwer am Kopf verwundet. Trotzdem führte er die Verteidigung persönlich weiter und ließ sich mit einer Sänfte zu den Kampfschauplätzen tragen.

Auch die türkischen Verluste waren sehr hoch, sodass Kara Mustafa schon am zehnten Tag der Belagerung einen kurzen Waffenstillstand „der vielen Toten und des abscheulichen Gestanks halber“ aushandeln wollte.

„Bis auf den letzten Blutstropfen“

Starhemberg ließ durch einen Dolmetscher ausrichten: „Ich habe lauter gesunde Soldaten und daher keine Toten zu begraben. Wir werden redlich fechten und uns bis auf den letzen Blutstropfen wehren.“ Daraufhin drohte der Türke, seine Männer würden nach der Erstürmung Wiens „auch das Kind im Mutterleib nicht verschonen“.

Anfang September wurde die Lage kritisch. Unter den Verteidigern wütete eine Ruhrepidemie; Munition, Medikamente und Lebensmittel gingen zur Neige, mehrere Bastionen lagen in Trümmern. Starhemberg schickte einen dringenden Hilferuf an Karl von Lothringen, der mit seinen Truppen nördlich von Wien auf Verstärkung wartete. In der Nacht vom 7. auf den 8. September (die Belagerung dauerte nun schon 56 Tage) stiegen von der Anhöhe des Kahlenberges Leuchtraketen auf. Sie signalisierten das Nahen des Entsatzheeres vom nördlichen Rand des Wienerwaldes.

Die polnischen Panzerreiter des Königs Jan Sobieski entschieden die Schlacht am Kahlenberg
Die polnischen Panzerreiter des Königs Jan Sobieski entschieden die Schlacht am Kahlenberg
Quelle: picture-alliance / akg-images

Hier hatte sich eine gewaltige Streitmacht versammelt. Fast 75.000 Mann standen bereit, davon 24.000 aus Polen unter König Jan Sobieski, 21.000 Mann unter Karl von Lothringen und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, dem legendären „Türkenlouis“. Dazu kamen 10.000 Bayern, 9000 Sachsen, 4000 Brandenburger.

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Obwohl erste Nachrichten vom Anmarsch des Heeres Kara Mustafa erreicht hatten, wurde seine Armee vom Angriff überrascht. Auch hatte es der türkische Feldherr versäumt, die möglichen Anmarschwege einer Entsatzarmee über Donau und Wiener Wald zu befestigen. Das war ein entscheidender Fehler.

Am 12. September 1683 begann vom Kahlenberg aus der Großangriff der Verbündeten. Die Schlacht auf dem Gebiet des heutigen Wiener Stadtteils Währing wurde schließlich durch die polnischen Panzerreiter entschieden, eigentlich eine antiquierte Waffengattung. Sie drängten die türkische Spahi-Kavallerie zurück, sodass Karl von Lothringen sie bei Nußdorf in die Zange nehmen konnte. Gleichzeitig beschossen sämtliche Wiener Kanonen aus den noch intakten Bastionen das türkische Heer.

„Wir kamen, wir schauten, Gott hat gesiegt“

Der Rückzug der Türken verwandelte sich schnell in eine wilde Flucht. Insgesamt verloren sie etwa 10.000 Mann, dazu wurden 5000 verwundet und 5000 gefangen genommen. Kara Mustafa selbst wurde kurz darauf auf Befehl des Sultans mit einer Seidenschnur hingerichtet.

Wien wurde tatsächlich im letzten Moment gerettet. Den Ernst der Lage schilderte Jan Sobieski seiner Frau: „Die gemauerten Bastionen, mächtig und hoch, haben die Türken in entsetzliche Felstrümmer verwandelt und so ruiniert, dass sie weiter nicht standhalten konnten.“ Er sandte Papst Innozenz XI. die erbeutete Fahne des Propheten Mohammed mit den Worten: „Venimus, vidimus, Deus vincit“ (Wir kamen, wir schauten, Gott hat gesiegt). Wien war, zumindest in militärischer Hinsicht, fürs erste von der Türkengefahr befreit.

Jan von Flocken ist Journalist und Historiker und hat zahlreiche Bücher, darunter „Geschichten zur Geschichte“ sowie zur Militärgeschichte, veröffentlicht. Er lebt bei Berlin.

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