Presse- und Meinungsfreiheit: Die Hohenzollern als „Flak“-Helfer?

Presse- und Meinungsfreiheit: Die Hohenzollern als „Flak“-Helfer?

Geraten Journalismus und Wissenschaft in den Schwitzkasten von adligem Agenda Cutting? Wie die öffentliche Meinung durch missbräuchliche juristische Klagen beeinflusst wird. Ein Gastbeitrag.

Georg Friedrich Prinz von Preußen äußert sich zur Geschichte des Hauses Preußen im 20. Jahrhundert im Haus der Bundespressekonferenz. Die Familie der Hohenzollern ist bekannt dafür, rechtlich gegen Medien vorzugehen.
Georg Friedrich Prinz von Preußen äußert sich zur Geschichte des Hauses Preußen im 20. Jahrhundert im Haus der Bundespressekonferenz. Die Familie der Hohenzollern ist bekannt dafür, rechtlich gegen Medien vorzugehen.Bernd von Jutrczenka/dpa

Eine Studie der Universität Leipzig, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Publizistik“, untersucht am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte juristische Eingriffe beeinflusst oder behindert werden können

Wissenschaftler um Uwe Krüger analysierten Aspekte von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht von Betroffenen. Sowohl in Journalismus als auch Wissenschaft, den beiden sozialen Feldern, die sich mit Objektivierung und Wahrheitssuche befassen, sind Folgen wie Verunsicherungen und Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit zu beobachten, worauf jüngst auch die Onlinezeitschrift „Menschen Machen Medien“ der Verdi-Gewerkschaft (dju, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) hinwies.

Die Hohenzollern und der Prinz von Preußen als „Flak“-Helfer? Dazu gleich mehr.

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Zunächst aber: Kommt die Frage auf, warum vielerorts die Korridore der Themen, Quellen und Meinungen in etablierten Medien als (zu) eng und in der Tendenz noch enger werdend empfunden werden, dann können kritische Modelle wie jenes von Noam Chomsky und Edward Herman über die systematische Herstellung von „Konsens“ in kapitalistisch-demokratischen Gesellschaften („Manufacturing Consent“) hilfreich sein, um angemessene Antworten zu finden. Auch wenn man zum Beispiel den grundsätzlichen Manipulationsvorwurf der Beiden nicht teilen muss, demzufolge die meisten Menschen gegen ihren Willen von Mächtigen in bestimmte Richtungen gelenkt würden, bleiben gerade die „fünf Filter der Propaganda“ erstaunlich aussagekräftig.

Als „Filter“ bestimmen die beiden Autoren aus ihrer Sicht wichtige Einflussfaktoren darauf, was vor allem Leitmedien als Inhalte ihrer journalistischen Angebote auswählen – und was (nämlich das Allermeiste) eben nicht. Diese Faktoren sind laut Chomsky/Herman 1.) die Eigentumsverhältnisse (Medien gehören oft Großkonzernen bzw. sind mehr oder weniger staatsnah), 2.) damit verbunden die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen bzw. von gewisser staatlicher Finanzierung, 3.) eine Fokussierung auf in der Tendenz elitäre Quellen (es kommen viel häufiger Regierungsinstanzen oder Kapitalvertreter zu Wort als zum Beispiel radikale Oppositionelle), 4.) „Flak“, also eine Art systematischer „Beschuss“ von etwaigen abweichenden medialen Angeboten und Akteuren durch Klagen, Beschwerden, Bußgelder etc.; sowie schließlich 5.) Antikommunismus als gemeinsamer ideologischer Nenner vieler reichweitenstarker Medien.

Im Kontext der Hohenzollern-Studie scheint der vierte Filter besonders wichtig: Denn „Flak“ bezieht sich auf angreifendes Agieren mächtiger Instanzen gegen (womöglich geplante) kritische Beiträge. Solche Attacken können nicht zuletzt Vorgriffe sein, um unerwünschte Themen oder Sichtweisen auf Themen zu verhindern – wenigstens jedoch zu behindern. Diese „Flak“ kann in Form von Anrufen, Klagen, Beschwerden, Drohungen oder auch Strafaktionen erfolgen. Sie kann laut Chomsky/Herman zentral oder lokal organisiert werden oder auch aus völlig unabhängigen Aktionen von Einzelpersonen bestehen.

Wenn solche „Flak“ in großem Umfang oder von Einzelpersonen oder Gruppen mit beträchtlichen Ressourcen erzeugt werde, könne sie für die Medien sowohl unangenehm als auch kostspielig sein. Positionen müssten dann innerhalb und außerhalb der Organisation verteidigt werden, manchmal vor Gesetzgebern und möglicherweise sogar vor Gericht. Werbetreibende (Filter 2) könnten sich zurückziehen. Wenn bestimmte Arten von Fakten, Positionen oder Beiträgen geeignet erscheinen, machtvolle Kritik hervorzurufen, könne diese Aussicht auf solche „Flak“ abschreckend wirken.

Die Fähigkeit, „Flak“ zu produzieren, insbesondere teure und bedrohliche, ist Chomsky und Herman zufolge mit Macht verbunden. Der entsprechende Beschuss durch die Mächtigen könne direkt oder indirekt sein. Insgesamt bestehe mit solchen Angriffen die Tendenz, die Interessen privater Macht bei der Eindämmung möglichst jeglicher Abweichung in wichtigen Medien durchzusetzen.

Hinter einem Felsen ragt das leicht mit Schnee bedeckte Schloss Sigmaringen, auch Hohenzollernschloss genannt, hervor.
Hinter einem Felsen ragt das leicht mit Schnee bedeckte Schloss Sigmaringen, auch Hohenzollernschloss genannt, hervor.Thomas Warnack/dpa

Massive juristische Schritte gegen Medien führen zu Verunsicherung

Nun zur aktuellen Studie mit Schwerpunkt-Blick auf das deutsche Adelsgeschlecht der „Hohenzollern“. Die grundgesetzlich garantierte weitgehende Medien- und Wissenschaftsfreiheit hierzulande darf als Grundlage gelten, damit Medienschaffende im Journalismus kritische Beiträge veröffentlichen und Wissenschaftler möglichst ungehindert forschen können. Die Studie von Krüger et al. untersucht an einem Fallbeispiel, inwiefern Berichterstattung und Forschung durch juristische Anwaltsstrategien beeinflusst, behindert oder sogar beendet werden können. Vor dem theoretischen Hintergrund der Konzepte Agenda Cutting und Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPPs) wird diese Fragestellung am Beispiel der deutschen Adelsfamilie der Hohenzollern untersucht, die in den vergangenen Jahren laut Studie massiv juristisch gegen Medienschaffende und Wissenschaftler vorgegangen ist.

In der Studie wurden leitfadengestützte Interviews mit zehn Betroffenen (fünf Journalisten und fünf Wissenschaftler) geführt. Die Ergebnisse zeigen den Autoren zufolge, dass es der Hohenzollern-Familie zwar nicht gelungen sei, die Berichterstattung und Forschung zu unterbinden. Doch haben laut Studie die Abmahnungen und Klagen zu einer teilweise erheblichen Verunsicherung geführt, vor allem wegen des finanziellen Risikos, sowie zur Beeinträchtigung der Arbeit durch großen Aufwand an Ressourcen.

Bei den befragten Journalisten habe das juristische Vorgehen der Hohenzollern hauptsächlich zu einem defensiveren Sprachgebrauch geführt, zuweilen aber auch zu einer Vermeidung des Themas. Die Wissenschaftler wiederum hätten sich vernetzend solidarisiert und forschten weiterhin zu der Thematik, äußerten sich jedoch laut Studie in der Folge seltener in klassischen Medien. In beiden Berufsgruppen habe es somit Anzeichen für einen Chilling Effect gegeben, also für hemmende, entmutigende Wirkungen. Diese Anzeichen könnten als Verluste für die allgemeine Öffentlichkeit gewertet werden. Besonders bedroht von der juristischen Vorgehensweise seien freie Medienschaffende, Journalisten kleinerer Medien und befristet beschäftigte Doktoranden, die finanziell, sozial und nicht zuletzt juristisch weniger gut abgesichert seien.

Im Jahr 2022 seien in Europa rund 160 derartige offenbar missbräuchliche Klagen eingereicht – der höchste je gemessene Jahreswert. Die Dunkelziffer sei vermutlich höher, so Studienautor Krüger vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig. Seit mehr als zehn Jahren sei eine wachsende „Verrechtlichung des Journalismus“ zu beobachten. Die Betroffenen – vor allem Journalisten, Umwelt- oder Menschenrechtsaktivisten, Künstler oder Wissenschaftler, die sich zivilgesellschaftlich und im Sinne des Allgemeinwohls engagieren – sollten mit zermürbenden und kostenintensiven rechtlichen Auseinandersetzungen eingeschüchtert werden.

Insbesondere die Adelsfamilie der Hohenzollern sei in den vergangenen Jahren mit über 120 Klagen und Abmahnungen besonders massiv juristisch gegen öffentliche Äußerungen zur politischen Rolle der Familie im Nationalsozialismus vorgegangen. Beklagte seien Redaktionen und andere Beteiligte in der öffentlichen Berichterstattung gewesen, aber auch Historiker. Das mag ein Grund dafür sein, dass sich für die Leipziger Studie lediglich zehn Betroffene zu Interviews bereit erklärten.

Auch den Leipziger Forschern gegenüber hätten die Befragten ihre Worte sorgfältig abgewogen, so Connor Endt und Max Beuthner, welche die Studie im Rahmen ihrer Masterarbeiten durchführten. Dies zeige, so Kommunikationsforscher Krüger, „die erhebliche Wirkung auf zweiter Ebene“ – nämlich die Beeinträchtigung der Redebereitschaft der Betroffenen sowie der Thematisierung der Fälle durch Beobachter in Forschung und Medienjournalismus – eine Art „Debattenbremse“ also. Dieses Phänomen kann kommunikationswissenschaftlich als Agenda Cutting bestimmt und begriffen werden, also als Unterbindung von Debatten durch Vermeiden des Themas auf der Tagesordnung, gegenläufig zum tradierten Agenda Setting als dem selektiven Setzen von Themen auf die mediale Tagesordnung.

Solches Agenda Cutting kann ganz allgemein laut der Studie auf verschiedene Ursachen zurückgehen: auf mangelnde Ressourcen innerhalb der Redaktion, auf die Annahme eines fehlenden Publikumsinteresses, auf eine Art „Selbstzensur“ wegen gesellschaftlicher Tabus oder Meinungsklimata, auf den Einfluss von Medieneigentümern oder Werbekunden sowie auf Aktivitäten aus den Bereichen PR und Strategische Kommunikation.

Im - der Studie zufolge untersuchten - Kontext des Agierens der Hohenzollern-Familie gegen potenziell kritisches journalistisches und wissenschaftliches Arbeiten scheint es sich um eine Kombination solcher Filter-Faktoren zu handeln. Und um auf den oben beschriebenen Beschuss-Filter von Chomsky und Herman zurückzukommen: „Flak“ (Flugabwehr- oder auch Fliegerabwehr-Kanone) scheint nicht nur eine Abkürzung für Waffensysteme seit dem Ersten Weltkrieg zu sein, und auch nicht nur ein medienkritisches Konzept aus dem Jahre 1988. Sondern offenbar ein Phänomenbereich autoritärer Entwicklungen in kapitalistisch-demokratischen Gesellschaften hier und heute.

Georg Friedrich Prinz von Preußen
Georg Friedrich Prinz von PreußenJens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Das Bewusstsein rund um SLAPPs und die Folgen wächst laut aktuellem Verdi-Artikel: In der Europäischen Union solle in den kommenden Monaten eine Anti-SLAPP-Richtlinie über Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug veröffentlicht werden. Die Mitgliedsstaaten seien aufgefordert, entsprechende nationale Gesetze zu erlassen. In Deutschland allerdings gebe es dazu noch nicht einmal einen Gesetzentwurf. Im Licht der Forschungsergebnisse erscheine es „richtig und wichtig“, dass der Gesetzgeber sich jetzt darum kümmere, „Kritiker, Kontrolleure und Aufklärer in der demokratischen Gesellschaft zu schützen“, sei abschließend nochmals Uwe Krüger zitiert.

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