Kampf und Leidenschaft - höchstwahrscheinlich fällt einer dieser Begriffe, wenn man versucht, den Fußballspieler Nelson Valdez zu beschreiben. "Ich habe gelernt, zu kämpfen. Immer zu kämpfen", sagt Borussia Dortmunds Paraguayer, der nicht nur auf dem Platz ständig und unermüdlich auf Achse ist. Im Interview mit BORUSSIA AKTUELL spricht Valdez auch über seine Woche zwischen Krankenbett und Traumtor vor dem B1-Derby, über seinen Kampf nach den Pfiffen im vergangenen Jahr, über mögliche Gründe für den Aufwärtstrend des BVB und über die "Drecksarbeit", die er auf dem Platz nur allzu gerne verrichtet.

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Antrittsstark: Dieses Bild unterstreicht die Athletik des BVB-Stürmers.

Nelson Valdez, sammelst du eigentlich Flugmeilen?
Valdez(lacht): "Leider nicht. Denn wenn ich für die Nationalmannschaft unterwegs bin, fliege ich mit Iberia. Dort kriegt man leider keine Meilen. Schade. Denn von den ganzen Meilen, die ich gesammelt hätte, würde ich locker schon eine Woche Urlaub bezahlt bekommen."
Abgesehen von den fehlenden Meilen: Sind diese Reisen von Dortmund nach Südamerika eigentlich mental eine Belastung für dich?
Valdez:"Natürlich kostet das Kraft. Aber wenn man zur Nationalmannschaft gerufen wird, will man ein Teil der Besten seines Landes sein. Es ist eine Ehre, für die Nationalmannschaft zu spielen. Gleichzeitig glaube ich, dass der Spagat zwischen dem BVB und der Nationalmannschaft im Moment gut klappt. Die Fluglinien sind besser geworden. So kann ich schneller aus Paraguay nach Dortmund zurückkommen, und nicht so knapp wie früher."
Bevor du nach dem Spiel in Bochum die in diesem Fall kurze Reise in Richtung Dortmund aufnehmen konntest, hat es länger gedauert. Der Mannschafsbus ist schon ohne dich losgefahren, du konntest erst 100 Minuten nach Spielende weg. Was war los?
Valdez (lacht): "Ganz einfach: Ich musste zur Dopingkontrolle und konnte nicht Pipi machen. Für die meisten Spieler ist es schwer, unmittelbar nach dem Spiel auf Kommando eine Urinprobe zu geben. Es hat halt ein bisschen länger gedauert."
Aber irgendwann "lief" es dann?
Valdez:"Auf einmal ging es. Ich musste danach aber alle fünf Minuten zur Toilette, weil ich sechs oder sieben Liter Flüssigkeit zu mir genommen hatte."
Trotzdem wirst du in der Nacht noch von dem Traumtor geträumt haben, das du zum 2:0-Endstand gegen Bochum erzielt hast.
Valdez:"Nein, das habe ich nicht. Aber es war ein sehr schönes Gefühl, ich habe mich tierisch gefreut. Schlecht schlafen konnte ich eigentlich wegen Nackenschmerzen. Am Sonntagmorgen hatte ich ein paar SMS auf meinem Handy, von Freunden und anderen Leuten, von denen ich eigentlich schon lange nichts mehr gehört habe. Die melden sich auf einmal."

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Torjäger: In dieser Saison ist beim Stürmer der berühmte „Knoten“ geplatzt.

Gut ein Jahr ist es her, dass du nach deiner Auswechslung im Spiel gegen Leverkusen (Endstand 2:1) von einem kleinen Teil des Publikums ausgepfiffen wurdest.
Valdez:"Das tut immer noch ein bisschen weh, und man hat es im Hinterkopf. Für einen Spieler ist es das Schlimmste, was passieren kann. Trotzdem verdrängen aber langsam die schönen Erinnerungen dieses Negativerlebnis. Es ist immer eine Freude, in dieses Stadion zu laufen. Diese Freude wird von Spiel zu Spiel größer."
Wie bist du damals damit umgegangen?
Valdez:"Als Profi musst du akzeptieren, dass so etwas passieren kann. Man muss das abhaken und weitermachen. Es hilft nichts, vor der Tribüne zu weinen und zu bitten. Man muss einfach daran arbeiten, dass sich die Situation ändert. Und das habe ich bis jetzt gemacht."
Die Pfiffe hingen nicht mit deinem Einsatz auf dem Platz zusammen, wo du wie auch bei deinen Reisen zwischen Deutschland und Paraguay immer und unermüdlich "auf Achse" bist, sondern mit einer unglücklichen Chancenverwertung. Denkt man als Stürmer in einer solchen Situation einfach zu viel vor dem Tor nach?
Valdez:"Man hat seine eigene Vorstellung: Wenn ich auf das Tor zulaufe, dann weiß ich eigentlich, was ich machen will. Manchmal kommt es aber vor, dass der Torwart eine Bewegung in die Richtung macht, in die du als Stürmer schießen willst. Dann musst du schnell umschalten. Es muss einfach alles zusammenpassen: die Richtung des Balls, die Bewegung des Torwarts. Du hast als Stürmer nicht viele Möglichkeiten zum Nachdenken. Ich habe immer so gespielt. Natürlich will ich mehr Tore schießen. Aber meinen Spielertypus werde ich nie ändern. Wenn ein Trainer nicht sieht, was er an mir hat, oder er sich einen anderen Typ wünscht, bin ich nicht der Richtige. Aber jeder kennt mich, jeder weiß, wie ich spiele."

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Leidenschaft: Valdez ärgert sich über jede vergebene Chance. Er will immer gewinnen!

Woher kommt deine kämpferische Einstellung?
Valdez:"Sie ist durch mein Leben geprägt worden. Alles, was ich erreicht habe, habe ich alleine auf die Beine gestellt. Nur mit Gebeten zu Gott und den Glauben an mich selbst habe ich alles erreicht. Als ich mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen bin, hat mich nicht einmal meine ganze Familie in Paraguay gekannt. Ich konnte kein Wort Deutsch, kein Wort Englisch, nur Spanisch. Mein Leben war nicht immer einfach. Ich habe gelernt zu kämpfen. Immer zu kämpfen. So wird es auch weitergehen."
Jürgen Klopp sagte während des Trainingslagers im vergangenen Juli in Donaueschingen über dich: "Nelson gibt aus dem Stand 100 Prozent. Das ist ein unglaublicher Charakterzug von ihm. Ich glaube an Gerechtigkeit im Leben, das wird immer belohnt." Hast du damals an diese Gerechtigkeit geglaubt?
Valdez: "Mein ganzes Leben lang glaube ich schon an Gerechtigkeit. Menschen, die fies zu mir waren, habe ich es gezeigt, ohne Flüche auszusprechen, sondern einfach durch den Weg, den ich gegangen bin, und durch das, was ich geschafft habe. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es zu 100 Prozent - oder gar nicht."
Welchen Anteil hat Jürgen Klopp an deiner Entwicklung der letzten Monate?
Valdez:"Natürlich brauchst du als Spieler immer die Hilfe von oben - ich meine das in diesem Fall hierarchisch. An höchster Stelle steht der Trainer, das ist Jürgen Klopp. Er schenkt mir Vertrauen. So viel Vertrauen habe ich noch nie in meiner Karriere bekommen. Durch dieses Vertrauen und durch gemeinsame Gespräche entwickle ich mich weiter. Er gibt mir immer kleine Anweisungen und Ratschläge. Tag für Tag wachsen wir besser als Mannschaft zusammen."
Jürgen Klopp sagte auch: "Nelson ist wie ein trockener Schwamm, den wir gießen". Was meint er damit?
Valdez:"Ich versuche einfach, seine Hinweise umzusetzen. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Aber ich bleibe dran. Irgendwann wird alles klappen."
Schon jetzt klappt es richtig gut bei dir. Du hast alleine in der Rückrunde vier Tore geschossen und vier Assists gegeben, warst also an acht der 18 Rückrundentreffer beteiligt. Und: Mit sechs Saisontoren hast du schon zwei Treffer mehr erzielt als in deinen ersten beiden Spielzeiten beim BVB zusammen. Warum läuft es so gut?
Valdez:"Da spielen viele Dinge rein. Ich habe geheiratet, privat ist damit alles bestens im Moment. Hinzu kommt: Bei dieser Mannschaft fühle ich mich richtig wohl. Wenn alle an einem Strang ziehen und mitmachen, ist es einfach eine Freude, in einem Team zu spielen. Ich hoffe, dass ich noch länger hier spielen kann."

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Nachdenklich: Nelson Valdez gibt tiefe Einblicke in sein Innenleben.

Auch bei den Fans stehst du hoch im Kurs. Du bist zu einem der Publikumslieblinge geworden.
Valdez:"Natürlich hilft mir auch das. Nach den Pfiffen habe ich hart gearbeitet und geackert, um etwas zu ändern. Das wird honoriert. Die Fans im Stadion sind hart arbeitende Menschen. Sie wollen sehen, dass ein Spieler für die Mannschaft kämpft."
Bemerkenswert ist auch das Zusammenspiel mit Alex Frei. Es scheint, als hätten wir beim BVB ein echtes Sturmduo gefunden.
Valdez: "Ich glaube, wir hatten noch nie ein Sturmproblem. Schon am Anfang hat Alex seine Sache immer konstant gut gemacht. Nur hatte er keine Hilfe. Jetzt bin ich daneben und kann die Drecksarbeit für ihn erledigen. Es macht mir nichts aus, acht Vorlagen zu geben, dafür aber nur zwei Tore zu schießen."
Der Sieg in Bochum war der vierte in Serie. Vorher gab es eine Menge Unentschieden. Viel schlechter gespielt habt ihr aber nicht. Macht neues Selbstvertrauen den Unterschied?
Valdez: "Durch Siege kommt Selbstvertrauen von alleine. Was nicht von alleine kommt, sind die Punkte oder die Siege nach den Siegen. Was wir in den letzten Spielen gemacht haben, ist der richtige Weg: das Positive zu behalten, aber weiter an sich zu arbeiten. Hoffen wir, dass wir jetzt eine richtig lange Serie starten können. Mal schauen, was zu den vier Siegen noch hinzukommt."
Vier Siege hintereinander - das ist doch schon eine lange Serie.
Valdez(lacht): "Das stimmt. Aber von mir aus kann sie noch länger werden."
Vielleicht auch ein Grund: Viele Verletzte sind in den letzten Wochen in den Kader zurückgekehrt. Der Trainer kann fast alle Positionen doppelt besetzen. Merkt man im Training, dass der Druck und Konkurrenzkampf steigt?
Valdez:"Wie gesagt: Die Mannschaft ist richtig groß und hat Charakter. Durch den Konkurrenzkampf werden wir stärker. Jeder will spielen, keiner auf der Bank sitzen. Das macht alle noch heißer. Ein Kampf um jeden Platz ist angesagt. Das sieht man in allen Trainingseinheiten. Das macht den BVB von Tag zu Tag stärker."

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Glücklich verheiratet: Mit Matinka hat Nelson zwei Kinder.

Reporter fragen nach Tendenzen, Entwicklungen und tabellarischen Chancen, als Fußballer will man nur von Spiel zu Spiel denken. Warum ist das so wichtig?
Valdez:"Man will keine große Klappe haben, weil es hinterher immer schief gehen kann. Man denkt nur von einem Spiel zum nächsten und versucht, so viel wie möglich herauszuholen. Am Ende kann man schauen, wo man steht. Aber ich glaube, dass wir bisher eine sehr gute Saison gezeigt haben. Die beste Saison, die ich erlebt habe, seit ich in Dortmund bin. Aber wir können noch besser. Es sind noch ein paar Punkte in den restlichen Spielen zu verteilen. Und die wollen wir uns holen."
Apropos "große Klappe": Ein Bochumer Spieler hat euch vor dem B1-Derby besonders motiviert.
Valdez:"Vor jedem Spiel bekommen wir durch unsere Gegner eine Extramotivation. Dieses Mal hat Marcel Maltritz gesagt, wir wären von den Mannschaften im oberen Tabellenfeld die schlechteste. Das sehe ich anders. Im Gegenteil: Ich denke, wir haben sogar ein paar Punkte verschenkt und könnten noch höher stehen. Von daher empfinde ich Gerechtigkeit."
Die Stimmung im ganzen Umfeld ist in den letzten Wochen sprunghaft gestiegen. Kommt das auch bei der Mannschaft an?
Valdez:"Natürlich ist das zu spüren. Aber wenn du als Spieler auf dem Platz stehst, denkst du nur an eines: Du willst gewinnen, alles geben und die Mannschaft weiter nach vorne pushen. Die Fans machen richtig gut mit und pushen uns schon vor den Spielen. Was das Publikum betrifft, sind wir stärker als alle anderen Mannschaften."
Es reifen internationale Träume. Sind die erlaubt?
Valdez:"Träumen darf natürlich jeder. Aber wir als Mannschaft müssen auf dem Boden bleiben und - wie schon gesagt - von Spiel zu Spiel denken. Wir haben kein

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Immer auf Achse: Kaum ein Spieler legt mehr (Flug-)Kilometer zurück als Nelson Valdez.

bestimmtes Ziel ausgegeben. Von daher können wir locker auftreten. Alles andere kommt von alleine."
Wenn wir wieder beim Thema "von Spiel zu Spiel" sind: Euer nächstes Spiel geht am Samstag gegen den Hamburger SV. Dürfen wir auf den fünften Sieg in Serie hoffen?
Valdez: "Natürlich wollen wir gewinnen. Wir spielen zu Hause und haben nach den vier Siegen enormes Selbstvertrauen. Wir wollen diese Konstanz erhalten. Wir werden alles dafür tun, dass die drei Punkte zu Hause bleiben."
Ist es ein Vorteil, dass der HSV durch die Meisterschaft, den UEFA Cup und den DFB-Pokal momentan eine dreifache Belastung hat?
Valdez: "Wenn ein Spiel beginnt, gibt es keine Vorteile mehr. Was davor passiert ist und wie müde ein Spieler vielleicht ist, ist egal. Vor dem Spiel in Bochum lag ich zum Beispiel fast die ganze Woche im Bett. Aber wenn man dann den Anpfiff hört, vergisst man alles und will nur das Spiel gewinnen. Das wird gegen den HSV ein Charakterspiel, in dem wir zeigen können, dass wir nicht nur locker sein können, sondern immer, immer mehr wollen."
Das Gespräch führte Johannes Vorspohl