„Alfons Zitterbacke“: Wie man einen Ostklassiker neu verfilmt – Filmstart und Trailer - WELT
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Film Alfons Zitterbacke, das Original

„Nach 30 Jahren muss man den Osten im Westen immer noch erklären“

Redakteur Feuilleton
Szenenbild aus dem DEFA Film von 1965 Alfons Zitterbacke mit dem Darsteller Helmut Roßmann Szenenbild aus dem DEFA Film von 1965 Alfons Zitterbacke mit dem Darsteller Helmut Roßmann
Helmut Roßmann als Alfons Zitterbacke, 1965
Quelle: DEFA-Stiftung / Josef Borst
Kein Kind der DDR, das „Alfons Zitterbacke“ nicht kannte: Jetzt kommt der Klassiker von 1965 als Remake ins Kino. Geht das? Ein Gespräch mit Alfons dem Älteren, dem 65-jährigen Kinderstar Helmut Roßmann.

An Helden gab es keinen Mangel in der DDR. Sie waren für den Kommunismus in den Kampf gezogen, radelten als Friedensfahrer durch die Freundesländer und flogen als Kosmonauten in den Weltraum. Alfons Zitterbacke wollte sein wie sie. Ein junger Pionier, dem das Heroische mit jeder guten Tat so großartig missglückte, dass ihn alle Kinder liebten und nicht mehr an Helden glaubten. 1965 wurde aus den Büchern von Gerhard Holtz-Baumert der Film „Alfons Zitterbacke“ mit dem damals elfjährigen Helmut Roßmann in der Titelrolle.

Nun kommt das Remake ins Kino: „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ erzählt von einem hochbegabten Pechvogel in Halle an der Saale heute. Alfons möchte Astronaut werden. Er skypt mit Alexander Gerst, dem deutschen Kommandanten der ISS, hält in der Schule Vorträge über Fäkalien im All und wird dafür gemobbt. In einer kleinen Szene trifft der neue auf den alten Alfons: Helmut Roßmann tritt als Wurstverkäufer auf. Nach „Alfons Zitterbacke“ hatte Roßmann in der DDR eine Spezialschule für Mathe und Physik besucht, war Physiker geworden und ist heute Spezialist für Lasertechnik.

ALFONS ZITTERBACKE Helmut Roßmann (r.)
Helmut Roßmann (r.) mit dem neuen Alfons Zitterbacke (Tilman Döbler) bei den Dreharbeiten
Quelle: X Verleih AG, Edith Held

WELT: Herr Roßmann, werden Sie noch auf Alfons Zitterbacke angesprochen?

Helmut Roßmann: Bis auf meine Mutter sagen alle zu mir Alfons. In meiner bundesdeutschen Firma bin ich Dr. Helmut Roßmann, für meine ostdeutschen Kollegen bin ich Alfons.

WELT: In der Neuverfilmung haben Sie einen kleinen Auftritt als Imbissverkäufer, jeder aus dem Osten über 40 wird Sie sofort erkennen.

Roßmann: Nach der Wende habe ich mich lange dagegen gewehrt, für die Presse immer der Alfons zu sein. Ich bin nicht eitel. Ich wollte nie der Zitterbacke sein für irgendeinen Ostkult. Aber die Idee, einmal durch den neuen Film zu laufen, fand ich lustig. Drei Rollen waren noch zu vergeben: zwei Betrunkene und der Imbissverkäufer. Ich hätte auch einen Besoffenen gespielt. In Filmen bin ich mir für nichts zu schade.

WELT: Woher kommt es, dass man im Osten alle Westhelden kennt, dem Westen aber die Osthelden bis heute fremd geblieben sind?

Roßmann: Wir sind beigetreten, es war keine Vereinigung. Der Westen hatte gar keine Gründe, sich mit dem Osten zu beschäftigen. Auf die erste neu zu besetzende Physikprofessur an der Humboldt-Universität sollen sich damals 200 Kandidaten aus dem Westen beworben haben. Der Mittelbau wurde entlassen. Da wusste ich: Das hat hier keinen Sinn mehr für mich. Ich habe dann bei einer westdeutschen Hightechfirma für Lasertechnik angefangen und den Westen kennengelernt. Da waren alle Frauen Assistentinnen und alle Männer Chefs. Denen ging es gut. Man wurde beäugt als Förderprojekt. Das war nicht böse gemeint, sondern das ganz normale Desinteresse, wenn man alles hatte und alles gut war und im Osten alles doof. Nach 30 Jahren muss man den Osten im Westen immer noch erklären.

WELT: Kann man „Alfons Zitterbacke“ überhaupt neu verfilmen, überzeugt sie der Neue?

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Roßmann: Zweifellos. Ich habe mich seit der Wende gefragt, wann jemand auf die Idee kommen würde, die Geschichte neu zu erzählen, ohne die Referenz an das Buch von Gerhard Holtz-Baumert. Alfons ist ein kleiner Don Quichotte. Man muss nur die DDR weglassen. Natürlich ist der neue Film völlig anders. Die Leute reden ganz anders als damals.

WELT: Die Lehrer im Film, am Sigmund-Jähn-Gymnasium in Halle an der Saale, reden heute noch so wie vor 30 Jahren: „Frollein!“ und „Wir sind kein Kindergarten!“ Man merkt dem Film schon an, dass er selbst nicht daran glaubt, ohne die DDR auskommen zu können. Das Dosentelefon mag heute Skype sein. Aber dann stellt sich heraus: Der Vater ist der alte Alfons, also eigentlich Sie, und wird in Rückblenden zum Thälmannpionier.

Roßmann: Ohne die Referenzen an den alten Alfons wäre der Film finanziell sicher riskanter. Für Millionen Deutsche ist Zitterbacke eine Marke. Heute muss sich alles rechnen, der Film muss sein Geld einspielen, in der Zielgruppe.

Alfons Zitterbacke - Das Chaos ist zurück

Er ist wieder da: Der zehnjährige Alfons Zitterbacke will eigentlich nur Astronaut werden. Doch seine Visionen sind oft weit entfernt von der Realität in der er von einem Missgeschick in das nächste stolpert.

Quelle: WELT/ X Verleih

WELT: Wer ist denn die Zielgruppe? Was immer gut funktioniert sind DDR-Märchen wie „Good Bye, Lenin!“ und „Das Leben der Anderen“. Manchmal funktioniert aber auch DDR-Realismus wie zuletzt in „Gundermann“.

Roßmann: „Gundermann“ hat Diskussionen ausgelöst, plötzlich stand das vereinfachende Täter-Opfer-Schema infrage. Vielleicht schafft der neue Zitterbacke das ja auch. Einige in meinem Freundeskreis waren skeptisch: Warum machst du da mit? Ja, warum? Aus Spaß. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ein neuer Film seine 55 Jahre alte Vorlage kaputt machen könnte. Natürlich fehlt einiges. Dass auch vorbildliche Pioniertaten wie Timur-Einsätze schiefgehen können, war schon eine interessante Botschaft damals.

WELT: Wobei geht es bei der Ablehnung? Jetzt nehmen sie uns auch noch unsere schönsten Geschichten weg?

Roßmann: Wahrscheinlich. Zitterbacke war eine Identifikationsfigur. Ein Pechvogel mit guten Absichten. Und der wird jetzt, wie manche befürchten, vom Westen okkupiert.

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WELT: Werden anarchistische Antihelden in heroischen Systemen besonders geschätzt? Alfons Zitterbacke, Pittiplatsch, die Digedags?

Roßmann: Es war attraktiver, aus der Norm zu fallen und Probleme zu kriegen, klar.

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Das „Mosaik“ mit den Digedags

WELT: Wie war die DDR für Sie?

Roßmann: Heimat. Mein Vater war ein einfacher Arbeiter, kein Pfarrer. Er hat sich, selbst vaterlos, in der DDR hochgearbeitet – „Denke mit, arbeite mit, regiere mit!“ Er hat sich weitgehend mit dem Staat identifiziert. Ich kannte lange nichts anderes. Ich hatte auch kaum Probleme. Zitterbacke, Schule, Pionierrepublik, Mathematik-Olympiade, ging alles seinen sozialistischen Gang. Und im Westen saßen die Ausbeuter und Kriegstreiber. Solche wie mich gab es in der DDR eben auch.

WELT: Ist die Bundesrepublik ostdeutscher geworden?

Roßmann: Zum Glück. Der Osten hat das freiere Frauenbild schon sehr geprägt. Es ist nicht nur der grüne Pfeil.

WELT: Wie wurden Sie als Alfons entdeckt?

Roßmann: In der Schule. Man musste ein guter Schüler sein, weil man ein halbes Jahr ausfiel. Und man musste fotogen sein auf Orwocolor. Meine Mimik müssen sie gemocht haben, außerdem sprach ich Hochdeutsch. Wir Filmkinder bekamen das Drehbuch mit der Maßgabe, nichts auswendig zu lernen. Heute wird jeder Satz so gesprochen, wie er im Drehbuch steht. Der neue Alfons, Tilman Döbler, ist ein Profi. Ich hatte schon mit dem winzigen Würstchenrollentext meine Probleme. Aber wissen Sie, welcher „Zitterbacke“ für mich der allerbeste war? Der ursprünglich anderthalb Stunden lange Film, bevor er zusammengekürzt wurde auf eine Stunde und sechs Minuten, aufgrund des Kulturplenums von 1965.

WELT: Was wurde denn gekürzt?

Roßmann: Er wurde völlig umgeschnitten. Dem fielen einige der besten Buchepisoden zum Opfer, zum Beispiel: Alfons, das Schlüsselkind, soll ein Rezept in die Poliklinik bringen und landet, weil er nicht aufpasst, auf einem Zahnarztstuhl. Das hätte die Kinder davon abhalten können, zum Zahnarzt zu gehen, hieß es. Es sei undidaktisch. Auch viele Pionierleiter-Szenen mussten raus, die Pionierleiter kamen da nicht sympathisch genug weg. Sie finden im Vorspann auch nicht mehr den Namen des Regisseurs, Konrad Petzold.

HANDOUT - 04.04.2019, ---: Tilman Döbler als Alfons in einer Szene des Films "Alfons Zitterbacke - Das Chaos ist zurück" (undatierte Filmszene). Der Film kommt am 11.04.2019 in die deutschen Kinos. (zu dpa-Kinostarts vom 04.04.2019) Foto: Edith Held/X Verleih AG/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den Film und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Auch der neue Alfons (Tilman Döbler) hat Probleme mit Eiern
Quelle: dpa

WELT: Auch der antiautoritäre Vater war eine Provokation in einem autoritären System.

Roßmann: Günther Simon war großartig als Vater, der Staatsschauspieler aus „Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse“. Der konnte sich das erlauben.

WELT: Sie sind dann doch lieber Physiker geworden.

Roßmann: Schauspielerei war für mich damals keine richtige Arbeit. Die Darsteller haben den ganzen Tag nur auf Sonne gewartet, wegen der Orwocolor-Filme und wegen des Lichts. Die Defa hat, bis die Kinderdarsteller 17 waren, auch keine Hauptrollen mehr mit ihnen besetzt. Nebenrollen habe ich noch gespielt. In „Krupp und Krause“, der Kapitalist und der Arbeiter, oder in „Hart am Wind“, einem Film über die Nationale Volksarmee. Davon bräuchte man manches nur neu abfilmen für eine Realsatire auf die DDR, da bräuchte es keinen Donnersmarck. Vor allem aber war ich immer gut in Mathe, und so bin ich in einer Spezialklasse für Mathe-Physik an der Humboldt-Universität gelandet.

WELT: Der neue Alfons Zitterbacke ist offenbar hochbegabt.

Roßmann: Das war mein Alfons sicher nicht. Der war ein stinknormaler Träumer.

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