Am 1. März 1815 landete der exilierte Ex-Kaiser Napoleon Bonaparte von Elba aus kommend bei Cannes, am 8. März liefen die ersten Truppen zu ihm über, am 20. schlief er im Pariser Tuilerien-Palast. Zwar hatte der in Wien tagende Kongress der Sieger am 13. März seine Bälle und Liebeleien unterbrochen und dem Rückkehrer „als Feind und Zerstörer der Ruhe der Welt“ den Krieg erklärt. Aber die Mittel, die dafür fürs Erste bereitstanden, waren bescheiden.
Bevor Österreich und Russland ihre Armeen mobilisiert haben würden, standen gerade einmal zwei große Heere in Belgien bereit. Das eine, etwa 75.000 Mann, lag bei Brüssel, wurde von dem britischen Feldmarschall Arthur Wellesley, Duke of Wellington, geführt und rekrutierte sich neben britischen Berufssoldaten aus unerfahrenen deutschen und niederländischen Soldaten.
Weiter östlich hatte der preußische Marschall Gebhard Leberecht von Blücher mit 100.000 Soldaten bei Ligny Stellung bezogen, darunter auch sächsischen Einheiten, die nach der Völkerschlacht von Leipzig in die Reihen der Sieger gepresst worden waren und zu widerwillig dabei waren. Historiker haben diese Armee „die schlechteste Truppe während der gesamten Revolutions- und Napoleonischen Kriege“ genannt. Gegen sie richtete sich am 16. Juni 1815 Napoleons erster Schlag.
Noch während er auf Paris marschierte, hatte Napoleon seine Soldaten zu den Waffen gerufen. Die „Armée du Nord“, mit der er am 12. Juni den Feldzug eröffnete, zählte knapp 130.000 Soldaten und war weit von der „Grande Armée“ entfernt, die einst Europa erobert hatte. Auch fehlte es an Material und Pferden. Aber viele Veteraneneinheiten, darunter die Garde, waren hoch motiviert und folgten entschlossen ihrem Kaiser. Dabei spielte die Rücksichtslosigkeit, mit der die zurückgekehrten Bourbonen ihre Herrschaft in Frankreich zu restaurieren suchten, eine nicht geringe Rolle.
Wie immer setzte Napoleon auf Geschwindigkeit. Er wollte die gegnerischen Heere einzeln schlagen, bevor sie sich gegen ihn vereinigen konnten. Bereits am 15. Juni überschritten die Kolonnen die Grenze zu Belgien. Wellington, der davon überzeugt war, dass Napoleon ihm die Ehre des ersten Kampfes zukommen lassen würde, hatte seine Truppen so verteilt, dass er sich auf die Kanalhäfen zurückziehen konnte. Die weiter entfernt lagernden Preußen wähnten Napoleon noch im fernen Paris.
Der aber zielte tatsächlich auf Blüchers Armee. Deren Führer war stets durch forsche Aggressivität aufgefallen, während Wellington für umsichtiges Agieren bekannt war. Würde er Blücher mit einem schnell Schlag ausschalten, so Napoleons Kalkül, würden sich die Preußen auf den Rhein zurückziehen, sodass die Briten allein und in Unterzahl übrig bleiben würden. Allerdings gestaltete sich der Vormarsch schwieriger als erwartet. Im Jahr zuvor hatte Napoleon auf seinem Rückzug die Straßen in Nordfrankreich und Belgien zerstören lassen, um die Gegner am Vormarsch zu hindern. Repariert worden waren sie seitdem nicht.
Die ahnungslosen Preußen hatten unverschämtes Glück. Am 15. Juni wechselte General Louis Bourmont nach nüchterner Abwägung von Napoleons Chancen ins Lager der Verbündeten über und klärte die Preußen über Napoleons Angriffspläne auf. Zur gleichen Zeit bereiteten sich Wellington und seine Offiziere auf eine rauschende Ballnacht in Brüssel vor. Niemand ahnte jedoch, dass drei Tage später etwa vier von zehn der Offiziere, denen man zum Tanz aufspielte, tot oder verwundet sein würden, schreibt der Historiker Marian Füssel.
Obwohl er bereits zur Eröffnung des Fests von preußischen Boten über die Lage informiert worden war, zögerte der Wellington. Erst um Mitternacht erkannte er, dass ein französischer Vormarsch im Westen nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war: „Napoleon hat mich reingelegt!“
Eine Insubordination rettete die Verbündeten. Weil der Stabschef von Wellingtons niederländisch-nassauischen Einheiten die Bedeutung der Straßenkreuzung von Quatre-Bras erkannte, hatte er am Abend des 15. 4000 Mann dorthin verlegt. Hier traf die große Landstraße nach Brüssel auf die Trasse Richtung Osten. Auch Napoleon wusste um die strategische Bedeutung von Quatre-Bras und befahl seinem Marschall Michel Ney, den Ort am Morgen des 16. zu nehmen. Als der aber die feindlichen Truppen vor sich sah, witterte er eine Falle und rückte nicht weiter vor. Wellington bekam damit die Möglichkeit, seine Position zu verstärken.
Blücher, der nicht umsonst „Marschall Vorwärts“ genannt wurde, verzichtete auf den Ausbau einer Defensivstellung und stellte umgehend seine Truppen zur Schlacht auf, wobei er davon ausging, dass Truppen Wellingtons zu seiner rechten Flanke aufschließen würden. Diese Annahme aber machte Ney zunichte, als er endlich mit dem Angriff auf Quatre-Bras begann. Auch lag das Korps Bülow so weit zurück, dass es während des Tages überhaupt nicht in die Kämpfe eingreifen konnte.
Um 14.30 Uhr gab Napoleon den Befehl zum Angriff auf Blücher. Vor allem dessen rechter Flügel, der buchstäblich in der Luft hing, erlitt schwere Verluste, konnte sich aber halten. Der Kaiser gab daraufhin dem Korps d’Erlon, das zu Neys Verstärkung nach Quatre-Bras marschierte, den Befehl, so schnell wie möglich umzukehren und sich gegen die Preußen zu wenden. Doch Ney bestand auf seiner Unterstützung, sodass ein französisches Korps zwischen den Schlachtfeldern nutzlos umherirrte.
Erst der Angriff von Napoleons Alter Garde brachte am Abend die Entscheidung. Das Zentrum der Preußen wurde mit einer Bajonettattacke durchbrochen. Ein von Blücher persönlich angeführter Gegenangriff der Kavalleriereserve und der hinhaltende Widerstand an den Flanken verhinderten aber eine Katastrophe. Viele preußische Einheiten konnten sich in intakter Ordnung vom Feind absetzen (was allerdings 8000 Mann zur Desertion nutzten). Blücher verlor insgesamt 16.000 Mann durch Tod und Verwundung, Napoleon 11.000.
Weil Blücher vom Pferd gestürzt war und unerkannt auf dem Schlachtfeld lag (er wurde später gerettet), fällte sein Stabschef August Neidhardt von Gneisenau die Entscheidung, die Geschichte schrieb. Nicht, wie Napoleon geplant hatte, nach Osten, sondern nach Norden sollten sich die preußischen Truppen zurückziehen. Nur von dort würden sie nach Westen schwenken und Wellington am folgenden Tage bei Waterloo zu Hilfe kommen können.
In diesem Sinn begann bei strömendem Regen der Marsch in Richtung Brüssel, wo der britische Feldherr eine Verteidigungsstellung bezog. Die Schwäche seines linken Flügels wird von vielen Interpreten als Beweis gewertet, dass er von Anfang an mit dem rechtzeitigen Eintreffen der Preußen gerechnet hat.
Der taktische Abwehrsieg, den Wellingtons Truppen bei Quatre-Bras errungen hatten, schenkte den Verbündeten die notwendigen Stunden. Zwar zogen sich Wellingtons Leute in der Nacht zurück, aber erneut zauderte Ney und rückte nicht nach.
Das hatte er mit seinem Marschall-Kollegen Emmanuel de Grouchy gemein. Der hatte von Napoleon den strikten Auftrag bekommen, die geschlagenen Preußen zu verfolgen, mit Richtung auf den Rhein. Und so marschierten 33.000 Franzosen unbeirrt nach Osten, während die Preußen in Eilmärschen nach Norden zogen und schließlich rechtzeitig Wellington bei Waterloo zu Hilfe kamen.
Der Schriftsteller Stefan Zweig hat in seinen „Sternstunden der Menschheit“ die entscheidende Sekunde beschrieben: „Eine Sekunde überlegt Grouchy, und diese eine Sekunde formt sein eigenes Schicksal, das Napoleons und der Welt.“ Napoleon verlor die entscheidende Schlacht von Waterloo, während sein Marschall mit einem Drittel der Armee ins Nirgendwo zog.
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