Liebe geht seltsame Wege | Kritik | Film | critic.de

Liebe geht seltsame Wege – Kritik

Von der Toleranz im Gesetz und der Akzeptanz im Herzen. Vom Älterwerden, vom Leben zu zweit und von der Wahlverwandtschaft.

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Als wäre das ganze Leben bloß eine warme Erinnerung: Fragmentarisch schnitzt Ira Sachs ein Bild vom Alltag eines Paares. Obwohl: Was hier nach Alltag aussieht, das Aufwachen nebeneinander, das Anziehen, das Vorbereiten auf den Tag, all das Routinierte, die Selbstverständlichkeit einer langen, liebevollen Partnerschaft in den Blicken und der nonchalanten Präsenz der beiden, all das ist gebettet in eine sich langsam Bahn brechende Eile und Dringlichkeit, eine zarte Aufregung. Die ersten Bilder markieren bereits den besonderen Tag, den Ausgangspunkt eines durcheinandergewirbelten Lebens zweier alter Männer in New York, die nach einer bereits jahrzehntelangen Beziehung den schlichten, romantischen Schritt einer nun legalen Heirat gehen. Und weil der eine von beiden in einer katholischen Schule lehrt, ist schon kurz danach nichts mehr wie zuvor. Ohne Job muss die Wohnung verkauft werden, ohne Wohnung können sie nicht zusammenbleiben, nicht in New York.

Kleine, volle Zimmer

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Es sind enge Innenräume, die die Bildebene von Liebe geht seltsame Wege (Love Is Strange) ausmachen. Sie prägen sich als sozialer Hintergrund für eine plötzlich prekäre Lebenssituation auf. Nachdem zu Beginn noch die kleinen, vollen Zimmer Intimität und geteilte Freude in einer lebendigen Wahlfamilie vermitteln, wird die Enge kurz darauf zum Antrieb für den gesamten Plot. Die besten Freunde, Nachbarn und Verwandten versammeln sich im Hausflur, um über Ben (John Lithgow) und George (Alfred Molina) zu sprechen. Was können sie für sie tun? Ihren Raum schenken. Honey (Harriet Sansom Harris) will nicht, dass die beiden New York verlassen müssen. Kurzerhand verschwinden alle in der Wohnung des schwulen Polizistenpärchens und hecken einen Plan aus. Ben wird bei seinem Neffen Elliot (Darren Burrows) unterkommen, John bei den Cops (Cheyenne Jackson und Manny Perez). Aus dem Arrangement bereits spricht der Zusammenhalt eines über die Jahre gewachsenen Bunds an Leuten im Leben der nun frisch Verheirateten.

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Im Zentrum dieser Wahlverwandtschaft steht Marisa Tomei als Kate – Elliots Frau. Sie darf alles sein in Liebe geht seltsame Wege. Die herzliche Rednerin auf der Hochzeitsfeier, die gutmütige Gastgeberin, die alle Schrullen von Ben erträgt, die erfahrene Mutter, deren Augenbrauen alles in einem anzeigen können, um dann in Sekundenbruchteilen Position zu beziehen. Kate ist eine so starke Figur, weil sie mit ihrem Umfeld in ständiger Interaktion ist, sie ist das volle Bewusstsein, markiert unendliches Verständnis und notwendige Strenge. Ob als Ehefrau eines abwesenden Mannes und Mutter eines pubertierenden Sohnes (Charlie Tahan) oder als zu Hause arbeitende Schriftstellerin, die nun plötzlich die Wohnung tagsüber mit dem pensionierten Ben teilt – Kate wird ununterbrochen zu Grenzziehungen, zur Behauptung ihrer Existenz bewegt. Sie ist eine zutiefst moderne Frau, deren Lebenswirklichkeit ihrer im Geiste längst vollzogenen Emanzipation hinterherhinkt.

Verzweigte Sensibilitäten

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Liebe geht seltsame Wege schöpft seine Kraft aus der Visualisierung eines empfindsamen Netzes an Beziehungen über drei Generationen. Nur allmählich schleicht sich Charlie – Kates und Elliots Sohn – ins Herz des Films: Fortan teilt er Zimmer und Stockbett mit dem Großonkel, obwohl er am liebsten Tag und Nacht mit seinem neuen besten Freund Vlad (Eric Tabach) verbringen würde. Ira Sachs entwickelt jede Begegnung und Bewegung von Charlie als Manifestation einer zögerlichen Verortung in der Welt. Zugleich ist der Junge der zarte Resonanzkörper für all die Wandlungen und Reibungen, die zwischen den Erwachsenen so oft unausgesprochen bleiben. Tahan gehören einige der intensivsten Augenblicke, wenn er mit Zurückhaltung und Offenheit zum Schwamm wird für die Eindrücke, die auf ihn niederprasseln. Die Störung des Alltags, der Schmerz der zu langen Trennung, die stille Aufruhr einer Verunsicherung, alles scheint er in sich aufzusaugen. Seine Verwundbarkeit wird in zwei minimalistisch inszenierten Szenen – im Hausflur und auf dem Skateboard – dem gesamten Film zum emotionalen Echo. Sachs montiert diese als verzögert zündende Bomben, und es sind gerade diese verzweigten Sensibilitäten, die dem Film erst zu seiner zugleich schlichten und vollkommenen Form verhelfen.

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Seinen Ausgang nimmt Liebe geht seltsame Wege als Geschichte über zwei alte, sich schon lange liebende Männer. Dass der Film sich schon bald als viel mehr entpuppt, ist aber keine Ablenkung, sondern eine Bereicherung ihrer Beziehung. Die Nebenstränge befeuern und folgen aus der von Molina und Lithgow so selbstverständlich erzeugten, strahlenden Partnerschaft. Weil die Liebe zwischen Ben und George die Grundlage für alle anderen Zusammenhänge bildet. Wird die Toleranz in Gesetz und Vorschrift auf die Akzeptanz in den Herzen folgen? Eine ganze Welt wartet nur darauf, dass dem Musiklehrer und dem Maler Recht geschieht. Sachs formuliert keinen bloßen Appell, sondern schildert eine Wahrhaftigkeit der gelebten Offenheit, die er in den vibrierenden, geerdeten, wachen Körpern seiner Darsteller findet.

Trailer zu „Liebe geht seltsame Wege“


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