Was ist Existenzialismus (Philosophie)? – Freiheit & Verantwortung

Der Existenzialismus ist eine Philosophie, welche sich mit der Frage auseinandersetzt, was es bedeutet, als Mensch zu existieren. Dabei steht im Fokus, dass eine Person ihr Leben aktiv gestaltet und ihm einen Sinn gibt. Das macht die Einzigartigkeit des menschlichen Daseins aus.

Existenzialismus und Existenzphilosophie

Freiheit & Verantwortung

Der Existenzialismus erkennt die Freiheit des Menschen an, seine Existenz selbst zu gestalten und sich von äußeren Einflüssen zu emanzipieren. Es ist eine Weltanschauung, die den Menschen als aktives Subjekt betrachtet, das sich seiner Verantwortung bewusst werden muss.

 

Was ist der Existenzialismus?

Definition & Bedeutung

Der Existenzialismus ist eine Denkrichtung, welche der subjektiven Lebenserfahrung eine wesentliche Bedeutung beimisst und sich gegen jegliche Reduktion dieser Erfahrung auf eine abstrakte Konzeption, Definition oder Essenz ausspricht. 

Die Angst nimmt im Existenzialismus eine spezielle Position ein, da sie die Tür zur Freiheit öffnet. Als existenzielle Seinsweise, die nicht auf bestimmte Objekte beschränkt ist, isoliert sie das Individuum und konfrontiert es mit seinem grundlegenden Dasein in der Welt. Die Angst ("Schwindel der Freiheit" bei Kierkegaard), lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigenen Möglichkeiten und die unbestimmte Zukunft.

In der Philosophie gibt es 2 wesentliche Ausprägungen des Existenzialismus: Der christliche Existenzialismus und der atheistische Existentialismus, welcher maßgeblich von Vertretern der Phänomenologie geprägt wurde. 

Siehe auch Angst erleben: die phänomenologische Struktur der Angst – Phänomenologie Definition (in der Philosophie)

 

In der heutigen Zeit wird der Existenzialismus hauptsächlich in seiner atheistischen Auslegung verstanden

Demnach ist der Mensch von Grund auf frei und kann sich dieser Freiheit nicht entziehen. Es ist allein seine Aufgabe, durch seine Entscheidungen und Taten seinem Leben, das von Anfang an keinen auferlegten Sinn hat, einen Sinn zu verleihen.

 

Christlicher Existenzialismus

Gemäß dem christlichen Existenzialismus ist der Mensch verloren und kann nur durch Gott einen Sinn finden.

Dabei wird die affektive und existenzielle Dimension des menschlichen Daseins, die durch das Vernunftpostulat oft ignoriert wird, betont. (Ein Gegensatz zum philosophischen Idealismus Hegels.)

Hauptvertreter: Pascal, Kierkegaard, Jaspers

Atheistischer Existentialismus

Der atheistische Existentialismus stellt die These auf, dass der Mensch nicht an einen unveränderlichen Bezugspunkt gebunden ist.

Es obliegt ihm, eigene Werte zu kreieren, indem er die Welt, in die er "geworfen" wurde, interpretiert.

Hauptvertreter: Heidegger, Sartre, Merleau-Ponty, Camus

  • Sören Kierkegaard (1813–1855), Friedrich Nietzsche (1844–1900)

  • Jean-Paul Sartre (1905–1980), Simone de Beauvoir (1908–1986), Albert Camus (1913–1960), Martin Heidegger (1889–1976)

  • Pablo Picasso (1881–1973), Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881), Franz Kafka (1883–1924), Samuel Beckett (1906–1989)

 

Was ist Existenzphilosophie?

Die Existenzphilosophie umfasst alle Strömungen der Philosophie, welche die existenzielle Dimension des Menschen in den Fokus rücken. Als Wurzeln des französischen Existentialismus gilt die deutsche Existenzphilosophie von Jaspers und Heidegger. In diesen Ansätzen wird der Begriff der Existenz als Abkehr von der metaphysischen Tradition betrachtet. Diese versteht Existenz lediglich als die bloße Tatsache, dass etwas existiert, während die ontologisch entscheidende Essenz (Wesen, Substanz) darüber bestimmt, was genau dieses Etwas ausmacht.

 
Nietzsche: Gott ist tot

Nietzsche: “Gott ist tot!”

Nietzsches Ausspruch markiert einen Wendepunkt in der Philosophie-Geschichte und schlug große Wellen. Seine provokanten Aussagen stellten tradierte Glaubenssätze radikal infrage.

Doch was meinte Nietzsche genau?

Sein Standpunkt bezieht sich nicht auf einen Sieg der Philosophie über die Religion. Stattdessen spricht er von einem (nach seiner Auffassung) soziologischen Phänomen: Die traditionellen Glaubenssysteme – insbesondere die Religion – haben ihre jahrhundertelange Vorherrschaft verloren.

In der Vergangenheit haben die althergebrachten Systeme dem Menschen größtenteils das Denken und die Verantwortung abgenommen. Der Einzelne fand seinen Lebenssinn und seine Orientierung in Bezug auf ein "Absolutes" (Gott).

Laut Nietzsche befindet sich der Mensch jetzt in einer Welt ohne absoluten Sinn, wenn "Gott tot" ist.

Wenn Gott nicht existiert, so wäre alles erlaubt.
— Dostojewskij

Freiheit & Verantwortung

Das bedeutet, der Mensch muss sich als freies Subjekt selbstständig um Sinn und Werte bemühen, die ihm nicht mehr von außen vorgegeben werden. Darin liegt eine enorme Freiheit, diese erfordert aber ebenso eine immense Verantwortung, da der Mensch nun selbst entscheiden muss, was für ihn sinnvoll und wertvoll ist.

 

Die phänomenologische Haltung im Existenzialismus

Wenn die Religion nichts mehr hergibt, warum dann nicht durch die Wissenschaft ersetzen?

Der Existenzialismus erkennt die Errungenschaften und Vorteile der Wissenschaft an, lehnt es jedoch ab, die (objektive) Methode von Hypothese und Experiment, die die Naturwissenschaften verwenden, auf die existenziellen Fragen des menschlichen Lebens anzuwenden. (vgl. auch Phänomenologie)

Phänomenologische Haltung im Existenzialismus

Die empirische Forschung hat keine konkreten Antworten auf die Frage, was den individuellen Lebenssinn ausmacht. Auch eine bewährte Methode zur Erforschung dieser Thematik existiert nicht.

Ebenso ist es schwierig herauszufinden, nach welchen Werten man sein Leben ausrichtet und wofür man es leben möchte. Die menschliche Existenz lässt sich nicht aus einer distanzierten 3.-Person-Perspektive betrachten. Und schon gar nicht beurteilen.

Der Mensch ist stets und unweigerlich in seiner Existenz verankert (1. Person Perspektive) und niemals davon losgelöst.

Vgl. auch Zeit, Zeitgefühl, Zeitsinn und Leib & Leiblichkeit – Körper haben, Leib sein

 

Emotionen und Stimmungen als Seinsweisen

Die Existentialisten betonen hingegen die Bedeutung von Emotionen und Stimmungen, da sie glauben, dass diese die subjektive Haltung eines Menschen zum Leben widerspiegeln. Rationalität allein bietet keinen Leitfaden für die Gestaltung unseres Daseins.

Emotionen im Existenzialismus

Dinge wie Tische und Vasen sind ohne jegliche Emotionen oder Subjektivität und können daher nicht als Sinnstifter fungieren. Es sind vielmehr unsere Emotionen und Stimmungen, die uns mit der Welt verbinden und unser Leben prägen. 

Stimmungen fungieren dabei als Hintergrund für unsere Erfahrungen und beeinflussen maßgeblich unsere Interpretation jeder Situation. Es ist somit unvermeidlich, dass unser Leben stets von affektiven Phänomenen begleitet wird.

Der Mensch ist nicht ausschließlich an eine physische Welt gebunden, sondern auch an eine Welt voller Bedeutungen. 

 

Die Aufgabe des Menschen

Anstatt in dieser Leere zu verharren, erkennt die Existenzphilosophie die Erfahrung des Sinnverlustes als Herausforderung an, das Leben aktiv mit Sinn zu erfüllen. 

Somit wird der Mensch zum Schöpfer seiner eigenen Existenz.

Zweifellos haben wir als Menschen gewisse natürliche Grenzen, die uns daran hindern, uns direkt zum Mond zu teleportieren oder Krankheiten per Berührung zu heilen.

Trotzdem stehen uns in jeder Situation Optionen offen, die uns neue Türen öffnen, sobald wir uns für eine entschieden haben. Unsere Freiheit ist also beschränkt, laut Existenzialisten jedoch immer und überall vorhanden.

 

Existentialismus ist kein Nihilismus

Der Existenzialismus ist nicht nihilistisch. Der Nihilismus bezeichnet eine philosophische Ausrichtung, die beharrlich davon ausgeht, dass es keinerlei Bedeutung, Werte oder Orientierungspunkte gibt.

Sartre zufolge bildete der Nihilismus die geistige Grundlage für die Nazi-Ideologie, die keine Hemmungen kannte, selbst das eigene Volk vollständig auszulöschen.

Angesichts des Verlusts der absoluten Werte und Orientierungen bemühen sich Existenzialisten um einen Ausweg aus dem Sinnverlust. Ihrer Meinung nach besteht das Leben darin, Bedeutung und Werte zu schaffen.

Der Mensch beginnt mit "nichts", aber er erschafft sich seine Existenz.

 
Die existenzielle Angst

Die existenzielle Angst in der Existenzphilosophie

Diese Angst entsteht aus der eigenen Freiheit, ohne eine äußere Orientierung zu wissen, was "richtig" oder "falsch" ist.

Der Begriff der existenziellen Angst unterscheidet sich maßgeblich von einer krankhaften Phobie (wie beispielsweise Sozial-Phobien).

Existenzängste sind vielmehr ein unausweichlicher Bestandteil unseres Menschseins: Sie und die damit einhergehende Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden.

Besonders in Momenten tiefer emotionaler Krisen wird uns bewusst, dass etwas Grundsätzliches in unserem Leben infrage gestellt ist und sich verändern muss. Unsere gewohnte Identität wird destabilisiert und wir können nicht einfach so bleiben, wie wir sind. Diese Tatsache löst existenzielle Ängste in einem Menschen aus.

 

Sartre: Der Mensch ist "in die Freiheit geworfen"

Sartre ist überzeugt, dass wir uns der Angst nicht durch den Rückgriff auf Selbstverständlichkeiten und Glaubenssysteme entziehen sollten, da sie uns zur Erkenntnis unserer Freiheit führt. Die Angst vor der Existenz eröffnet uns unzählige Optionen zur Wahl und bringt damit die Schrecken der Verantwortung für die Folgen unserer Entscheidungen mit sich.

Mit einem Wort, der Mensch muss sich sein eigenes Wesen schaffen; indem er sich in die Welt wirft, in ihr leidet, in ihr kämpft, definiert er sich allmählich; und die Definition bleibt immer offen; man kann nicht sagen, was ein bestimmter Mensch ist, bevor er nicht gestorben ist, oder was die Menschheit ist, bevor sie nicht verschwunden ist.
— Sartre, Essay: „Zum Existentialismus eine Klarstellung“

Die Existenz ist das Fundament, auf dem die Essenz aufbaut. Der Mensch wird ohne vorgegebene Eigenschaften geboren (Existenz) und ist frei von jeglichen Wesensmerkmalen (Essenz).

Nach Sartre gibt uns die Natur keine Orientierung, keinen Hinweis auf einen Sinn oder Wert. Sie existiert einfach und ist neutral. Deshalb hat der Mensch absolute Freiheit.

 

Camus: “Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten”

Camus ist einer der bekanntesten existenzialistischen Literaten des 20. Jahrhunderts. Seine Philosophie hat jedoch einen eigenständigen Charakter. Sie wird daher oft als „Philosophie des Absurden“ betitelt.  

Das Absurde entsteht aus der Sinnsuche des Menschen und der Sinnlosigkeit der Welt. Das Leid bleibt für ihn nicht nur sinnlos, es bleibt auch unerklärbar. Nach Camus fühle „der Mensch“, wie fremd ihm alles sei, und erkenne dabei die Sinnlosigkeit der Welt; so stürze er in seinem Sinnstreben in tiefste existentielle Krisen.  

Um nicht verzweifelt zu resignieren oder in Passivität zu verfallen, propagiert Camus im Sinne des Existenzialismus und in Anlehnung an Friedrich Nietzsche den aktiven, auf sich allein gestellten Menschen.

Dieser entwickelt unabhängig und selbstbestimmt ein Bewusstsein neuer Möglichkeiten der Schicksalsüberwindung, der Auflehnung, des Widerspruchs und der Revolte.

Zwei gewöhnliche Irrtümer: die Existenz geht der Essenz voraus oder die Essenz der Existenz. Sie gehen und erheben sich beide im gleichen Schritt.
— Albert Camus

Die Bedeutung von Freiheit zieht sich ebenfalls wie ein roter Faden durch das Werk von Camus. Doch seine These weicht von Sartres ab: Mensch und Natur stehen für ihn keineswegs in einem unüberwindbaren Gegensatz zueinander, da der Mensch untrennbar mit der Natur verbunden ist und folglich auch natürliche Charakteristika aufweist.

 

Jaspers: „Der Mensch wird, was er wird, durch die Sache, die er zu der seinen macht.“

Jaspers gilt als DER führende Vertreter der existenzialistischen Philosophie. Allerdings sah Jaspers selbst einen strikten Unterschied zwischen seiner Existenzphilosophie und Sartres Existentialismus. Er interessierte sich vor allem für die seelischen Antriebe, die Weltanschauungen begründen. 

Ein besonderes Augenmerk legte Jaspers auf „Grenzsituationen“, wie Verlust, Leiden, Schuld und Vergänglichkeit. Sie alle prägen die Erfahrungen des Menschen, gleichzeitig scheitert er daran mit rationalem Denken. Doch Skeptizismus und Nihilismus lassen sich nur überwinden, indem er sich als Existenz gegenüber der Transzendenz bewusst wird.

Jaspers unterschied wissenschaftliche Wahrheit von existenzieller Wahrheit. Während die eine intersubjektiv nachvollziehbar ist, könne man bei der anderen nicht von Erkenntnis sprechen, da sie sich auf transzendente Gegenstände (Gott, Freiheit) richtet. 

Seine Philosophie ist geprägt von einem Verständnis des Individuums als freies Wesen, das in Interaktion mit anderen seine eigenen Ideen und Handlungen entwickeln muss. Im Gegensatz zu Ideologen, die absolute Wahrheit für ihre Philosophie beanspruchen, war Jaspers stets darum bemüht, eine offene und dialogische Haltung einzunehmen. Er betonte die Bedeutung des individuellen Denkens und Handelns in einer Welt, die von Veränderung und Unsicherheit geprägt ist.

Situation wird zur Grenzsituation, wenn sie das Subjekt durch radikale Erschütterung seines Daseins zur Existenz erweckt.
— Jaspers: Philosophie I, 3. Aufl. 1956, 56

Der Ursprung der Frage nach dem Sinn des Daseins und der Erkenntnis beginnt an dem Punkt, an dem alle wissenschaftlichen und rationalen Methoden keine Antworten mehr bieten.

Die Ansätze Jaspers sind keineswegs bloße metaphysische Spekulationen, sondern verdeutlichen die Bedeutung der Entscheidungsfindung und Verantwortung des Individuums in seiner Freiheit.


Zum Weiterlesen:

S. Kierkegaard: Der Begriff der Angst
J. P. Sartre: Das Sein und das Nichts
A. Camus: Der Mythos des Sisyphos
K. Jaspers: Philosophie. 3 Bände (I.: Philosophische Weltorientierung; II.: Existenzerhellung; III.: Metaphysik)

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hey, ich bin Tamara, studierte Germanistin, Philosophin (M. A.) & freie Journalistin. Hier blogge ich über meine Erfahrungen mit Depressionen & Angst sowie über Philosophie & soziale Ungleichheit.

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