Willkommen im Heimatland der Bürokratie: Diese neue Fahrradstraße in Frankfurt/Main dient unfreiwillig auch als Panoramastrecke für die StVO (Straßenverkehrsordnung). Denn auf 1100 Meter fast schnurgerader Strecke, dem Grüneburgweg im noblen Westend, stehen neuerdings insgesamt 566 Verkehrszeichen. Im Schnitt also alle zwei Meter eins! Es handelt sich dabei um Hinweise auf die Fahrradstraße, die zugleich eine Einbahnstraße für Autofahrer ist, auf Parkverbote, auf Parkflächen, auf Tempo 30, auf Vorfahrt etc.
Alles für sich sinnvolle Schilder. Aber in der Masse und Gründlichkeit fast eine Karikatur deutscher Regelungswut. Und auch teuer. AUTO BILD hat die Kosten grob hochgerechnet: Nur für die Blechtafeln waren mehr als 20.000 Euro fällig. Auf einem 380 Meter langen Abschnitt in dem beliebten Wohnviertel konzentrieren sich sogar 210 Verkehrszeichen. Den Asphalt zieren darüber hinaus unübersehbar weitere Hinweise ("Fahrradstraße" usw.). Gar nicht zu reden von den schon vorhandenen Schildern, die über Sehenswürdigkeiten, andere Stadtviertel, Parks informieren. Wer kann diesen Informations-Hurrikan im Vorbeifahren lesen, verarbeiten, verstehen?

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"Auch die Fußgänger sind genervt"

"Viele rätseln. Ich werde ständig von Autofahrern gefragt, ob sie hier oder dort stehen können – meine Antwort: Ich bin nicht der Verkehrsminister", scherzt Can Mahmut Badan, der am Grüneburgweg ein Lebensmittelgeschäft betreibt, gegenüber AUTO BILD. Am meisten seien die Autofahrer von dem Schilderwald genervt, aber – Überraschung – auch Fußgänger. "Die Schilder stehen so dicht auf dem Gehweg, dass sie damit die Fußwege enger machen", so Badan. Er findet die Verkehrszeichen-Plantage "irrsinnig" und "verwirrend". "Das zeigt doch, dass wir für jeden Sch... Geld haben."
Fahrradstraße Grüneburgweg in Frankfurt/Main / Uwe Lenhart
Die neue Fahrradstraße im Frankfurter Westend-Viertel ist gesäumt von Verkehrszeichen. Auf 1,1 km kommen insgesamt 566 Blechtafeln.
Bild: Uwe Lenhart
Sein Nachbar Andreas Georg Dresch vom Weingeschäft Westlage beklagt, dass die Umbauten Fußgänger und letztendlich auch die Radler gefährden: "Es sind Zebrastreifen verschwunden, die Fußgänger laufen kreuz und quer über die Straße, und weil so viele Parkplätze fehlen, halten Lieferanten in zweiter Reihe. Das ist für Radfahrer gefährlich." Dresch ist der Ansicht, dass "mindestens ein Teil der schlecht umgesetzten Maßnahmen kontraproduktiv sind". Überdies führe die Regelung nicht zu weniger Autos. Die würden nur in Nebenstraßen ausweichen. "Verkehr kann man nicht wegzaubern. Die Grünburgstraße ist eine Einfallstraße für Pendler." Wer aus dem Taunus zur Arbeit komme, könne halt nicht aufs Lastenrad umsteigen.
Fahrradstraße Grüneburgweg in Frankfurt/Main / Uwe Lenhart
Für Durchgangsverkehr ist die Fahrradstraße nun gesperrt. Weil viele Autofahrer das ignorieren, kontrollieren tagsüber Polizisten die Einfahrt.
Bild: Uwe Lenhart

Lokales Gewerbe fühlt sich bedroht

Mit dem Lebensmittelhändler Can Mahmut Badan und weiteren lokalen Unternehmern hat Dresch sich bemüht, auf den Umbau Einfluss zu nehmen – vergebens. "Für Gewerbetreibende ist die Maßnahme eine Bedrohung. Viele sind schon weg." Dresch hat auch Radfahrer als Kunden. "Aber die kaufen allenfalls ein paar Flaschen. Größere Einkäufe macht man mit dem Auto." Verantwortlich für die Fahrradstraße und die üppige Beschilderung ist das grün besetzte Mobilitätsdezernat in der Frankfurter Regierungskoalition. Die Grünen sind auch stärkste Fraktion mit 25 Prozent der Wählerstimmen.

Warum Verkehrsanwalt Lenhart die Fahrradstraße für illegal hält

Das ist laut Verkehrsrechtsanwalt Uwe Lenhart faul an der Fahrradstraße Grüneburgweg – und wahrscheinlich auch einigen anderen Fahrradstraßen in Deutschland:
"Zunächst steht der Schilderwald nicht im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung. Dem Grundsatz des § 39 Abs. 1 StVO nach werden örtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort getroffen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Verkehrszeichen müssen so beschaffen sein, dass sie im Fahren durch beiläufigen Blick erfasst, verstanden und befolgt werden können.
"Mehr als drei Verkehrszeichen überschreiten die Wahrnehmungsgrenze"
Nach einer Verwaltungsvorschrift ist die Zahl grundsätzlich auf drei begrenzt. Mehr als drei Verkehrszeichen zugleich überschreiten die individuelle Wahrnehmungsgrenze, verzögern die Reaktion und können dadurch gefährdend wirken. Durch die Umgestaltung des Grüneburgwegs wird von den politischen Festsetzungen im 'Masterplan Mobilität der Stadt Frankfurt am Main vom 03.05.2023' einzig das Ziel 'verkehrsreduzierte Stadtentwicklung' oder besser gesagt konsequente Verdrängung des Kfz-Verkehrs aus Innenstadtgebieten umgesetzt. Klimaschutzziele, Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit und Erreichbarkeit für Handwerk und Logistik bleiben auf der Strecke.
"Schulweg wird zum hochriskanten Unterfangen"
Durch Fahrradständer, 'Multifunktionsstreifen' für die Gastronomie, Ladezonen, E-Auto-Ladestationen oder willkürlich geschaffene Sperrflächen und Fußgängerwege wurden zahlreiche Parkplätze weggenommen. Die Straßenplaner haben sogar Parkplätze in Richtung Straße verschoben und den frei gewordenen Raum durch Stahlpfosten abgesperrt und damit unbenutzbar gemacht. Über Parkplatzreduzierung einer 'Erreichbarkeit für Handwerk und Logistik' gerecht werden zu wollen, ist für den ansässigen Einzelhandel geradezu eine Farce. Die Außerbetriebnahme einer Ampelanlage im Streckenabschnitt macht dort die Grüneburgweg-Überquerung für Fußgänger, insbesondere ältere Menschen und Kinder auf dem Weg zur nahe gelegenen Anna-Schmidt-Schule, zu einem hochriskanten Unterfangen, schließlich bestehen die meisten Fahrrad- und Lastenradfahrer auf ihre Fahrradstraßen-Vorrechte.
Aber mutmaßlich geht die Frankfurter Stadtplanung mit der Zeit: In Science-Fiction Filmen werden in den Innenstädten auch keine Autos gezeigt – und kein Einzelhandel."
Der renommierte Frankfurter Verkehrsrechts-Anwalt Uwe Lenhart hält die Maßnahmen der Behörde für fehlerhaft bis illegal. "Der Schilderwald steht nicht im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung", zitiert ihn BILD Frankfurt (gehört wie AUTO BILD zu Axel Springer). Lenhart weiter: "Verkehrszeichen müssen so beschaffen sein, dass sie im Fahren durch beiläufigen Blick erfasst, verstanden und befolgt werden können."
Fahrradstraße Grüneburgweg in Frankfurt/Main / Uwe Lenhart
Bisher war dies eine Einfallstraße für Pendler. Gewerbetreibende sagen: Seit Durchgangsverkehr untersagt ist, weichen viele Autofahrer auf Nebenstraßen aus.
Bild: Uwe Lenhart
Auch die Opposition im Frankfurter Stadtparlament kritisiert das Blechgewitter in Westend: "Das kann so nicht bleiben, das ist völlig übertrieben", so der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Frank Nagel, gegenüber BILD. Sein Kollege Nathaniel Ritter von der FDP: Dass eine früher sichere und übersichtliche Straße jetzt 566 Schilder auf 1100 Meter erhalte, "grenzt an Regelungswut". Ihm ist schleierhaft, ob die Verantwortlichen den Menschen bei dieser überdrehten Art von Verkehrserziehung noch als mündig begreifen.
Achtung, dies ist kein Kommentar für Radfahrer-Hasser! Ich fahre selbst sehr gern Fahrrad – dort, wo es sinnvoll ist, also auch in Innenstädten. Aber was da in Frankfurt gerade passiert ist, muss auch uns Radfahrern missfallen: Wenn Lieferanten in einer lebendigen Einkaufstraße nicht mehr durchblicken, wo sie parken können, weil a) die Beschilderung völlig unverständlich ist und b) die wenigen Parkplätze einfach nicht ausreichen, leidet die Verkehrssicherheit. Dann wird wild geparkt, Fußgänger tauchen plötzlich hinter in zweiter Reihe abgestellten Lieferwagen auf, Autos schleichen auf Parkplatzsuche und halten unvermittelt an, wenden oder beschleunigen unmotiviert. Gerade uns Radfahrern als den schwächsten Verkehrsteilnehmern auf Rädern muss an einer übersichtlichen Verkehrsführung gelegen sein. Und an einem friedlichen Miteinander. Eindämmung des Durchgangsverkehrs ist an sich eine gute Sache – aber nicht mit der brachialen Gewalt von 566 Blechschildern. Daher: Bitte lichtet diesen Schilderwald!