"Good Economics for Hard Times" ("Gute Ökonomie für harte Zeiten") ist eine populärwissenschaftliche Darstellung, wie ich sie mir wünsche. Sie nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch die Wirtschaftswissenschaften und stützt sich dabei auf empirische Fakten statt auf vorgefasste Meinungen. Der Schreibstil der Autoren ist sehr angenehm, oft augenzwinkernd, selten auch mal wütend, wenn es um ständig wiederholte, aber unbewiesene Vorurteile geht. Letztere scheinen ein zentrales Problem der Wirtschaftswissenschaften zu sein (soweit ich das anhand verschiedener Bücher beurteilen kann); oft lässt die Ideologie nicht einmal mehr zu, die Theorie an der Realität zu messen, was für eine echte Wissenschaft eigentlich unverzichtbar ist.
Das Wissenschaftler-Ehepaar hat den Wirtschaftsnobelpreis 2019 für ihre Armutsforschung bekommen (siehe ihr Buch "Poor Economics"), in der sie ungewöhnliche Methoden angewandt hatten - nämlich statistisch auszuwerten, wie gut verschiedene Maßnahmen tatsächlich wirken. Darauf kommen sie auch in diesem Buch oft zurück. Weitere Beispiele stammen zumeist aus den USA und Indien (Banerjee), in Europa hauptsächlich aus Frankreich (Duflo). Das behandelte Spektrum ist aber durchaus umfassend, wie man anhand der Kapitel erkennen kann: Einleitung - Migration (national und international) - Handel - Wahrnehmung und Entscheidungen - Wachstum - Umweltverschmutzung und Klimawandel - Automatisierung und Ungleichheit (auch ein bedingungsloses Grundeinkommen wird diskutiert) - Gesetze und Steuern (mit interessanten Gedanken zu Korruption) - Sozialleistungen - Schlusswort. Das macht vier Kapitel zu den Grundpfeilern der Wirtschaftstheorie und vier Kapitel zu aktuellen Herausforderungen.
[NACHTRAG und Randbemerkung: "Migration" alias "Mobilität", also dass die Arbeiter zur Arbeit ziehen (oder umgekehrt), ist bekanntlich eine Voraussetzung dafür, dass der Arbeits"markt" überhaupt wie ein Markt funktionieren kann. Dieses Kapitel steht daher im Basisteil des Buchs ganz am Anfang, nicht unter den aktuellen Themen, und zieht Folgerungen in allen späteren Kapiteln nach sich.]
Ich wünsche mir mehr Bücher wie dieses; Themen gäbe es sicherlich noch genug. Wäre es nicht schön, wenn die Wirtschaftswissenschaften zu einem Berater der Politik werden könnten anstatt zu einem Teil von ihr?
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