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Geschichte Erich Mielke

Mit einem Mord begann die Karriere des Stasi-Chefs

Im August 1931 töteten Mitglieder des KPD-„Selbstschutzes“ zwei Berliner Polizisten. Einer der Täter war der spätere Stasi-Chef Erich Mielke. Jetzt arbeitet eine Kino-Doku das Verbrechen auf.
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Erich Mielke - Rekonstruktion seines Attentats

Erich Mielke war einer der umstrittensten Politiker der DDR. Die Filmemacher Jens Becker und Maarten van der Duin beleuchten den „Meister der Angst“ in einem Doku-Drama.

Quelle: arte/MDR: "Erich Mielke - Meister der Angst"

Autoplay

Manchmal ist Größe ein Wert an sich. Gute drei mal drei Meter maß der riesige Steckbrief, der Ende November 1961 auf einer Tafel am Potsdamer Platz aufgehängt wurde. Wenige Tage später, wahrscheinlich am 4. Dezember, kam der gesuchte Mann, um das Fahndungsplakat anzusehen. Freilich aus sicherer Entfernung von rund 50 Metern, hinter der Mauer und dem Todesstreifen aus Stacheldraht und freiem Schussfeld.

Hätte sich Erich Mielke auf die andere Seite der innerstädtischen Grenze begeben, wäre er wohl sofort festgenommen worden. Denn seit dem 7. Februar 1947 lag ein gültiger Haftbefehl gegen ihn vor, erlassen vom Amtsgericht Berlin-Mitte. Der Vorwurf: Mielke habe am 9. August 1931 zusammen mit Erich Ziemer zwei Polizei-Offiziere ermordet und einen dritten lebensgefährlich verletzt.

Birgit Rasch, Gunnar Dedio: „Ich. Erich Mielke – Psychogramm des DDR-Geheimdienstchefs: Arbeitersohn, Polizistenmörder, Emigrant – Aufstieg und Ende des gefürchtetsten Mannes“. (Sutton-Verlag, Erfurt. 217 S., 24,99 Euro)
Birgit Rasch, Gunnar Dedio: „Ich. Erich Mielke – Psychogramm des DDR-Geheimdienstchefs: Arbeitersohn, Polizistenmörder, Emigrant – Aufstieg und Ende des gefürchtetsten Mannes“. (Su...tton-Verlag, Erfurt. 217 S., 24,99 Euro)
Quelle: Sutton

Für das beeindruckende Dokudrama „Erich Mielke – Meister der Angst“, das am Donnerstag in ausgewählte Kinos kommt, ist der Doppelmord digital rekonstruiert worden, ausgehend von der originalen Tatortskizze. Danach bleiben keine Zweifel an der Schuld Mielkes am Doppelmord im Sommer 1931. Auch das Begleitbuch, das die Autorin Birgit Rasch und der Filmproduzent Gunnar Dedio verfasst haben, kommt zu eindeutigen Ergebnissen.

In jenen heißen Tagen herrschte in Berlin eine gereizte Stimmung. Nazis und Kommunisten hatten gemeinsam einen Volksentscheid über die Auflösung des Preußischen Landtages durchgesetzt. Beide radikalen Parteien hassten das Parlament, das mit seiner knappen Mehrheit aus SPD, katholischem Zentrum und Liberalen als „Bollwerk der Demokratie“ in Deutschland galt.

Einer der Kulminationspunkte der gewaltsamen Auseinandersetzungen war das Karl-Liebknecht-Haus am Bülowplatz in Berlin-Mitte. Die Zentrale der KPD wurde deshalb von der Polizei abgesperrt; offiziell war das Haus geschlossen.

Am 8. August 1931 hatte ein Polizist bei einem Handgemenge auf dem Bülowplatz den erst 19-jährigen Klempner Fritz Auge erschossen. Daraufhin beschloss der „Parteiselbstschutz“, eine illegale bewaffnete Gruppe innerhalb der KPD, Rache zu nehmen.

Am selben Abend noch wurde eine eindeutige Drohung an eine nahe gelegene Hauswand gepinselt: „Für einen erschossenen Arbeiter fallen zwei Schupo-Offiziere.“ Ein paar Straßen weiter hieß die Parole an einer anderen Wand: „Für jeden Kommunisten zwei Polizeibeamte!“

Die Drohung der KPD im Sommer 1931 war eindeutig
Die Drohung der KPD im Sommer 1931 war eindeutig
Quelle: Public Domain

Angesichts dessen war es wenig erstaunlich, dass für Sonntag, den 9. August 1931, höchste Alarmstufe bei der Berliner Polizei galt. Zumal das Scheitern des Volksentscheids absehbar war: Das Quorum von 50 Prozent Beteiligung würde verfehlt werden. Angesichst dessen ging Hauptmann Paul Anlauf, Chef des Reviers 7 und bei der KPD besonders verhasst, mehrfach demonstrativ Streife auf dem Bülowplatz.

Gegen 20 Uhr sollte vor dem Karl-Liebknecht-Haus eine Kundgebung beginnen, der ungefähren Zeit der Bekanntgabe der Ergebnisse. Es war mit Protesten, sogar Ausschreitungen zu rechnen. Gemeinsam mit seinem Untergebenen Richard Willig und dem Hauptmann Franz Lenck von der Gewerbepolizei spazierte Anlauf zur Absperrung vor der KPD-Zentrale. Dort schüchterte die Präsenz der Polizei die versammelten Kommunisten ein.

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Auf dem Rückweg kamen die drei Uniformierten gerade an der Ecke des Kinos Babylon vorbei, als sie plötzlich hinter sich eine Stimme hörten: „Du – Husar, du – Schweinebacke, und du – den anderen.“

Willig wusste sofort, dass ein Anschlag auf sie bevorstand. „Husar“ – so lautete sein abfällig gemeinter Spitzname unter KPD-Anhängern. „Schweinebacke“ war Anlauf, und für Lenck, der ja gar nicht zur Schutzpolizei gehörte, gab es keinen Namen.

Nun kam es auf Sekundenbruchteile an. Willig griff nach seiner Pistole, doch zu spät: Als er sich gerade umdrehen wollte, fielen Schüsse. Anlauf wurde sofort am Kopf getroffen und sackte zusammen. Lenck bekam einen Treffer in den Rücken und fiel hin. Willig verfeuerte sein ganzes Magazin und merkte erst, als er nachladen wollte, dass er einen Bauchschuss erlitten hatte.

Trauerzug für die von Erich Mielke und Erich Ziemer ermordeten Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenck durch Berlin
Trauerzug für die von Erich Mielke und Erich Ziemer ermordeten Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenck durch Berlin
Quelle: Bundesarchiv

Im Gegensatz zu ihm war Anlauf sofort tot gewesen. Lenck kämpfte sich noch einmal hoch und wankte ins Kino Babylon, brach dort aber sterbend zusammen. Willig überlebte, schwer verletzt.

Die Täter, zwei junge Männer, konnten rennend entkommen. Es handelte sich um Mielke und Ziemer. Da die Polizei nach dem Doppelmord hart gegen militante Kommunisten vorging, tauchten sie unter und flohen nach Moskau, wo sie eine Ausbildung zu Berufsrevolutionären begannen.

Die Ermittlungen wegen des Doppelmordes verliefen zunächst im Sande. Erst nach der Machtübernahme der Nazis kam Bewegung in die Untersuchung – auch, weil Geständnisse herbeigeprügelt wurden. Doch ganz unabhängig von diesen natürlich in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht verwendbaren Beweisen gibt es genügend Indizien, die Mielkes Täterschaft belegen.

Birgit Rasch und Gunnar Dedio zitieren in ihrem Buch aus verschiedenen Lebensläufen, die Mielke in den folgenden zwei Jahrzehnten verfasste. Einmal schrieb er: „Als letzte Arbeit erledigten noch ein Genosse und ich die Bülowplatz-Sache.“ Ein anderes Mal: „Letzte Aktion Bülowplatz. Unterbrach deswegen meine Parteiarbeit und ging auf Veranlassung des Zentralkomitees nach der Sowjetunion.“ Auch bekundete er: „Auf Grund meiner Teilnahme an der Bülowplatz-Aktion wurde ich vom ZK der KPD in die Sowjetunion geschickt.“

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Das waren faktisch Geständnisse, auch wenn Mielke selbst nie öffentlich einräumte, dass er selbst geschossen hatte. Die Fakten und seine eigenen Erklärungen in den Lebensläufen ließen jedoch keinen anderen Schluss zu.

Der 9. August 1931 wurde zum entscheidenden Wendepunkt in Mielkes Leben, urteilen Rasch und Dedio zutreffend: „Ohne seine Flucht aus Berlin, ohne seine Reise in die Illegalität, die ihn in die Sowjetunion, nach Spanien, Belgien und Frankreich führte, wäre er wohl nie Minister für Staatssicherheit geworden.“

Letztlich saß Erich Mielke (1907–2000) ausschließlich wegen seiner Beteiligung an diesem Doppelmord: Er wurde Ende 1993 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Immerhin etwa fünf Jahre davon musste er einschließlich der Untersuchungshaft absitzen, freilich vorwiegend im Haftkrankenhaus. Am 1. August 1995, fast genau 64 Jahre nach dem Doppelmord, wurde er auf Bewährung entlassen.

Erich Mielke – Meister der Angst“ ist ab 5. November in ausgewählten Kinos zu sehen.

„Erich Mielke – Meister der Angst“

Für weit mehr als tausend Tote trug Stasi-Chef Erich Mielke die Verantwortung. Wie er seinen Posten als zweitmächtigster Mann der DDR ausfüllte, zeigt die Kino-Doku „Meister der Angst“.

Quelle: arte/MDR: "Erich Mielke - Meister der Angst"

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