Der Magdeburg-Polizeiruf „Unsterblich“: Sie ist froh, dass sie nicht recht hat
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Der Magdeburg-Polizeiruf „Unsterblich“: Sie ist froh, dass sie nicht recht hat

Zusammen ein Bier trinken hilft vielleicht: Brasch und ihr Chef Lemp.
Zusammen ein Bier trinken hilft vielleicht: Brasch und ihr Chef Lemp. Foto: MDR/filmpool fiction/Stefan Ehrhard © MDR/filmpool fiction/Stefan Erha

Der bedachte, zuletzt freilich wieder an Frauenhaaren herbeigezogene Magdeburg-Polizeiruf „Unsterblich“.

Die Online-Welt, die den Menschen nicht guttut, die das Schlimmste in ihnen zum Vorschein bringt, die das Schrecklichste beherbergt, ist das sich zunächst aufdrängende Thema des neuen Magdeburg-Polizeirufs. Zunächst, denn, siehe nicht nur Donald Trump, Narzissten (und Narzisstinnen) gab es schon vor dem weltweiten Netz, sogenannte „Ehrenmorde“ auch.

Aalisha Mansour, Hannah Gharib, ist unter den Top Ten deutscher Influencerinnen, sie hat eineinhalb Millionen Follower, als sie einen Fehler begeht: Sie wirbt für ein „Abnehm-Elixier“, das offenbar großer Mist ist (gibt es andere?). Die Häme, der Hass, in diesem Medium Shit-storm genannt, kommen schnell. Bis hin zu Posts, die Aalisha den Tod wünschen. Man kennt das heute, man liest täglich davon. Vom Dach eines Einkaufszentrums springt die junge Frau höchst öffentlich und spektakulär in den Tod – ein Suizid doch gewiss. Aber da wäre der Polizeiruf „Unsterblich“ allzu schnell zu Ende, darum ....

Unter den Hatern ist Aalishas Bruder Mahdi, drohend kritisiert er ihren (er meint: lockeren) Lebenswandel. Er fordert länger schon, dass sie ihre Seite löscht. Muss Kommissarin Brasch, Claudia Michelsen, da nicht zwangsläufig denken, dass er seine Schwester der Familienehre wegen vom Dach gestoßen hat? Leonie (Katharina Stark), die beste Freundin der Influencerin, gibt zu allem Überfluss an, Mahdi (Mo Issa) habe Aalisha geschlagen, sie kann ein Beweisfoto vorzeigen. Und er versteckt sich scheinbar vor der Polizei, geht ihr jedenfalls aus dem Weg. Das passt.

Die rechtschaffene Brasch tadelt sich allerdings gleich selbst für den „Nazi im Kopf“, wird später den schönen, im Gesamtzusammenhang trotzdem befremdlichen Satz sagen: „Manchmal ist es gut, wenn man nicht recht hat.“ Befremdlich angesichts einer – einmal mehr – erstaunlich an den (psychologischen) Haaren, natürlich Frauenhaaren, herbeigezogenen Auflösung. Auch dieser Sonntagabendfall will mit aller Gewalt originell sein – aber es ist doch das Wie der Erzählung, möchte man allen TV-Film-Machern und -Macherinnen zurufen.

Recht fein gezeichnet sind immerhin die Angehörigen, der Bruder in seiner trotzigen Nicht-Trauer, Schwester Nadira, Eman Dwagy, in ihrer möglicherweise zu bezweifelnden Trauer, der im Schmerz erstarrte Vater, die harte Mutter, die das Restaurant der Familie gleich wieder öffnen möchte. Da nehmen sich Michael Gantenberg, Buch, und Florian Knittel, Regie, Zeit, lassen in die Gesichter blicken, verdichten die stille, schwere Atmosphäre. Da passt Brasch unbedingt hinein in ihrer melancholisch-bedachten Art, mit Sätzen wie: Sie wolle sich nicht mehr mit der Zukunft beschäftigen, sie habe mit der Gegenwart genug zu tun.

Ja, genau, und das stimmt diesmal besonders, weil sie sich auch noch um ihren Chef sorgt, sorgen muss. Wir erinnern uns: Kriminalrat Uwe Lemp, Felix Vörtler, wurde in „Du gehörst mir“ von einer jungen Frau, die ein Kind geraubt hatte, festgehalten und schwer verletzt, Brasch konnte ihn im letzten Augenblick befreien. Nun schleicht er wie ein Geist und an einer Krücke herum, steigt aufs (Tat-)Dach, blickt vom Rand hinunter – und sieht aus, als zögere er, schwanke, was er nun tut.

Er möchte sich nicht nach Hause fahren lassen, „jeder Meter ist Training“, sagt er. Dann steigt er doch bei Brasch ein, ein großartiger Mini-Mini-Dialog folgt: „Musik?“, fragt sie und bewegt die Hand schon Richtung Radio, „warum?“, fragt er. Gute Frage.

„Polizeiruf 110: Unsterblich“ , ARD, So., 20.15 Uhr.

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