Im Studium wurde mir beigebracht, dass Wissenschaft Wahrheitssuche sei. Die Lichtgestalten waren Immanuel Kant und Karl Popper. Wissenschaftler formulieren Theorien und leiten daraus empirisch prüfbare Hypothesen ab. Sie versuchen, diese zu widerlegen, und halten so lange an ihnen fest, wie das nicht gelingt. Theorien sind also immer vorläufig. Über ihnen hängt permanent das Damoklesschwert der Falsifizierung.
Später habe ich gelernt, zwischen diesem hehren Konzept der Wissenschaft und dem Wissenschaftsbetrieb zu unterscheiden. Schon Friedrich Schiller und später Thomas Kuhn haben anschaulich beschrieben, wie eitle Wissenschaftler an „Wahrheiten“ festhalten, auf die sie ihre Karriere gebaut haben, auch wenn neue Fakten sie widerlegen.
„Veränderungen finden nicht statt, weil sich Meinungen ändern, sondern weil Ansichten aussterben und junge Überzeugungen das Ruder übernehmen”, befand Max Planck resigniert.
Wäre der Wissenschaftsbetrieb nur ein auf sich beschränkter Jahrmarkt der Eitelkeiten, könnte man sich damit abfinden. Doch in der Coronazeit wurden wir daran erinnert, dass die höchste Befriedigung seiner Eitelkeit für den Wissenschaftler aus der Nähe zur politischen Macht kommt.
In der zaghaft beginnenden Aufarbeitung dieser Zeit wird nun öffentlich, wie sich Wissenschaftler mit Politikern verbündeten, um das Publikum in ihrem Sinne zu manipulieren. „Wir haben gesagt… wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel ,Flatten the curve‘, dass wir gesagt haben ‚Wie können wir die Leute überzeugen, mitzutun?‘ Wir sagen denen, es sieht so nach Wissenschaft aus, ne?“, bekannte kürzlich der Soziologe Heinz Bude.
Und der Virologe Christian Drosten formulierte in seiner „Schillerrede“ (sic!) im November 2020 sogar den Kant’schen kategorischen Imperativ um: „Handle in einer Pandemie stets so, als seist du selbst positiv getestet und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an“. Dies sollte wohl die inzwischen berüchtigten 3G- und 2G-Regeln legitimieren.
Die Symbiose zwischen Wissenschaftsbetrieb und Politik ist jedoch nicht nur ein Phänomen der Coronazeit. Sie entsteht immer dann, wenn die Politik die Gesellschaft – oder die Wirtschaft – „umgestalten“ will. „Hört auf die Wissenschaft!“, war der Schlachtruf der Klimakinder im Schulstreik.
Aber auf welche Wissenschaft? Natürlich auf diejenige, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit zur Klimaänderung sieht. Wer noch Raum für Zweifel oder die Abwägung des Klimaziels gegen andere Ziele lässt, wie der Klimaforscher Hans von Storch, gehört nicht dazu.
Und ganz selbstverständlich machen dem Wissenschaftsbetrieb nahestehende Experten im besten Einvernehmen mit den Politikern Politik mit dem Geld. Mit über den Zweifel keinesfalls erhabenen wissenschaftlichen Theorien zur Deflation begründen sie, warum es nötig ist, für den Staat durch Anleihekäufe neues Geld zu schaffen und die Kaufkraft des Geldes – zum Schaden der Bürger – mit einem positiven Inflationsziel gezielt zu mindern.
Schön wäre es, wenn sich Wissenschaft und Politik wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen würden. Die eine auf die Suche nach der unter dem Vorbehalt des Zweifels stehenden Wahrheit, die andere auf die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger.
Doch dazu braucht es mündige Bürger, die nicht Mündel eines Staates sein wollen, der die Legitimation seiner „Gestaltung“ von Gesellschaft und Wirtschaft von einem eitlen Wissenschaftsbetrieb bezieht.
Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.