Marie Fredriksson †: Die Regenkönigin - WELT
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Panorama Marie Fredriksson †

Die Regenkönigin

Roxette-Sängerin Marie Fredriksson gestorben

„Mit großer Trauer müssen wir bekannt geben, dass Marie Fredriksson am Morgen des 9. Dezember nach einem 17-jährigen Kampf gegen Krebs verstorben ist“, schrieb das Management der Roxette-Sängerin in einer Pressemitteilung.

Quelle: WELT / Thomas Laeber

Autoplay
Marie Fredriksson ist tot. Die Sängerin des schwedischen Popduos Roxette stand viele Jahre lang für die Musik einer Generation – bevor sie vor allem für einen tapferen Kampf gegen Krebs stand, den sie nun verlor. Ein Nachruf auf ein melancholisches Energiewunder.

Am Ende kamen Luftballons von der Hallendecke. Dortmund kochte. Jedenfalls die ausverkaufte Westfalenhalle. Es war Anfang der 90er-Jahre, überall standen Teenager mit ihren Eltern – oder ihrem ersten Freund und schauten begeistert zur Bühne. Denn dort stand sie: Marie Fredriksson. Blond, kurzhaarig, fast zierlich in ihrer Lederhose. Und sie war eine Erscheinung. Klar, zierlich an ihr war das Äußere, das, was aus ihrer Kehle kam, wenn sie mal loslegte, klang nach Rock, Pop, Kuschelrock; klang sanft und kräftig, rein und schmutzig zugleich.

Gemeinsam mit ihrem kongenialen Musik-Partner Per Gessle eroberte sie als Hälfte des Duos Roxette in den späten Achtzigern, mehr noch in den 90er-Jahren die Musikwelt. In einer Zeit also, in der stumpfe Pseudo-Techno-Beats als gefeierte Innovation auf dem Markt galten, als das heiße Zeug, da hielten sie gegen mit handgemachter, eingängiger Musik, auf die sich alle einigen konnten: jung wie alt, in Nord, Süd, West und Ost. Alle sangen mit, wenn zum Höhepunkt beim Superhit „Joyride“ die Ballons herunterschwebten.

War Gessle der Kopf hinter der Band, auf der Bühne der Fels und Ruhepol, war Marie die Energie, die erst Hallen, später Stadien elektrisierte. Wenn sie das Konzert mit einem kehligen „You know, I am hotblooded“ begann, glaubte man ihr das in Buenos Aires genauso wie in Berlin, Tokio oder Sydney. Sie waren der gemeinsame Nenner der 90er-Jahre, ohne viel Tam Tam. Wo andere längst die Lasershow neben die Bühne packten, fielen bei Roxette am Ende die Luftballons von der Decke: „Join the Joyride“.

Wenn sie Piano spielte, wurde die Menge still

Marie Fredriksson war Vollprofi, studierte Musikerin, die sehr bewusst jeden Ton setzte, wenn sie die meisten auch Gessle schreiben ließ. Zu einigen Balladen setzte sie sich selbst ans Piano und begleitete sich, dann wurde es still in der Menge. Sie selbst, die so mitreißend über alle Bühnen dieses Globusses wirbelte, stand ohnehin mehr auf die leisen Töne, in Interviews zurückhaltend, Skandale waren bei ihr ohnehin Fehlanzeige, letztendlich machte sie einfach den Job, den sie liebte.

So hat man sie in Erinnerung: Das Duo Marie Fredriksson und Per Gessle im Jahr 1990
So hat man sie in Erinnerung: Das Duo Marie Fredriksson und Per Gessle im Jahr 1990
Quelle: Redferns/Mike Prior

Als Südschwedin aus Schonen, der Gegend des Landes, die durch ihre dichten Wolken, viel Regen und Lehm bekannt ist – und die Menschen still und erdverbunden sind. Wo Norddeutschland aufhört, fängt Südschweden an, kulturell. „Dream about the sun, you queen of rain”, reiner, kommerzieller Pop, doch so echt, man wollte – und will – sich reinlegen. Sie machte jeden tristen Regentag auf warme Weise noch trister – und damit irgendwie noch echter und bunter. Roxette waren der Kurt Wallander der Musik. Ein trübsinnig-genialer literarischer Kommissar aus Schonen, mit einem Unterschied: Phlegmatisch war das Popduo nie.

Anfang der 90er-Jahre erschienen die Alben fast im Jahrestakt – und schossen immerzu ganz nach oben. Fredriksson genoss das, betonte bei jedem öffentlichen Auftritt, wie dankbar sie für all das sei. Und Zuhause warteten ihr Mann und zwei Kinder, die sie stets von den Linsen der Kameras abschirmte. Zuhause, das war für sie eben das normale Leben, das wofür sich das alles wirklich lohnte.

Mit dem Welthit „The Look“ gelang Roxette 1989 der internationale Durchbruch
Mit dem Welthit „The Look“ gelang Roxette 1989 der internationale Durchbruch
Quelle: Redferns/Suzie Gibbons

Sie war voller Liebe, das spürte man sogar noch bei ihren letzten Konzerten, wo sie schon nicht mehr lange stehen konnte, gezeichnet vom Krebs, den sie 17 Jahre lang bekämpfte. Ein Gehirntumor, festgestellt, da war sie erst Mitte Vierzig. September 2002, Fredriksson wollte gerade zu einem Auftritt in den Niederlanden aufbrechen, als ihr schlecht wurde. Im Badezimmer erlitt sie einen Krampfanfall. Ihr Mann Micke fand sie dort, auf dem Boden liegend und beinahe bewusstlos. Das Nächste, an das sich Fredriksson erinnert, ist das Krankenhaus. Und die Diagnose: Hirntumor.

Den Schock wegstecken, die innere Haltung aufbauen: kämpfen, weitermachen, so gut es geht. Eine wie sie, gibt nicht so schnell auf: Seit ihrer Kindheit auf dem Land, die geprägt war von Armut und Bescheidenheit, von einem alkoholkranken Vater, einer Parkinson-kranken Mutter und dem tödlichen Unfall einer Schwester. Früh hatte sie im Leben gelernt, wenig bis nichts gibt es geschenkt – und wenn man etwas braucht, muss man dafür kämpfen. Ihr einziges Geschenk war dafür umso größer: ihr Talent. Eine Stimme, die emotionalisiert, manchmal in ihrer perfekten Schlichtheit, dann wieder rau, sexy und gefühlvoll.

Mit dem Krebs verlor sie ein Stück ihrer Energie

Der Krebs im Kopf machte etwas mit ihr. Sie verlor ein Stück ihrer Energie, sogar die genialen letzten Prozent, die aus ihrer Stimme eine unvergessliche, geniale machten. Nach und nach wagte sich Roxette wieder auf die Bühne. Per, der zurückhaltende, übernahm nun einen großen Teil ihres Jobs, tobte über die Bühne, die E-Gitarre fest im Griff, während sie meist auf einem Barhocker saß und von dort stimmlich versuchte, an die Zeiten vor der schicksalhaften Diagnose anzuknüpfen. 

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Die Fans nahmen ihr das nicht übel, natürlich nicht. Jeder wusste um ihre Situation und so entstand eine Wärme, wie sie nicht oft zwischen Künstler und Publikum vorkommt: Aus Sympathie und Dankbarkeit entstand ein Gefühl, das sie durch die anstrengenden Abende trug – immer wieder zeigte sie gerührt ihre Dankbarkeit, kein Zufall, dass die Band ihr letztes Album „Good Karma“ nannte. Das war 2016, drei Jahre vor Marie Fredrikssons Tod.

„Joyride“, „Listen To Your Heart“, „How Do You Do“ waren die Hits von Roxette
„Joyride“, „Listen To Your Heart“, „How Do You Do“ waren die Hits von Roxette
Quelle: dpa/Mircea Rosca

Nun hat sie, die so viele Kämpfe gewonnen hat, doch noch verloren. Ihr Bandpartner Per Gessle hat sich emotional von der 61-Jährigen verabschiedet: „Danke Marie, danke für alles! Du warst eine ganz besondere Musikerin, eine Sängerin auf einem Niveau, dass wir kaum wieder erleben werden. Du hast meine schwarz-weißen Lieder mit den schönsten Farben ausgemalt“, würdigte Gessle sie.

Bunt war sie, auf ihre Weise eben. Und das Glück, von ihr den Soundtrack der eigenen Jugend, ja des Lebens gesungen zu bekommen; Liebeskummer, Euphorie, jede Stimmung in der Tat koloriert zu bekommen, teilt Gessle mit Millionen Menschen weltweit – und das wird bleiben. Ob es dort auch Luftballons regnet, wo sie jetzt ist? Völlig egal, eine wie sie macht sich nichts aus Luftballons.

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