Warum feiern Menschen einen 80. Geburtstag? Natürlich um vom Geburtstagskind zu lernen. Denn wer es bis ins Alter schafft, fit, gutaussehend, glücklich und zufrieden zu sein, der wird für die Jüngeren automatisch zum Vorbild. Daher ist es kein Wunder, wenn der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, Finanzminister Christian Lindner, die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey oder der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst Friede Springer zu ihrem Ehrentag gratulieren kommen. Zum Lernen ist es schließlich nie zu spät.
Friede Springer – das wurde im formellen und im informellen Teil im Springer-Hochhaus deutlich – kann kommod auch ohne Laudatio und ohne Ehrungen glücklich sein. Sie ruht in sich so wie eine Insel im Watt, vielleicht weil sie nicht vom deutschen Festland stammt und noch nicht einmal Deutsch zur Muttersprache hat. So wurde dieser Ehrentag mit viel nationaler und internationaler Prominenz auch zur Audienz einer friesischen Frau, die dieses viel zu oft und zu verbohrt mit sich selbst beschäftigte Deutschland von außen betrachtet – mal erstaunt, mal amüsiert, immer aber involviert.
Die Rede des Bundeskanzlers auf die Jubilarin wurde auch wegen solch norddeutscher Vertäuung zu einer verkappten Liebeserklärung – obgleich Olaf Scholz den Beziehungsstatus zwischen Springer und der SPD als „kompliziert“ einstufte. Aber die Lakonie, die Erdverbundenheit, die Geradlinigkeit von Friede Springer, dem konnte ein überraschend tief in sich ruhender Kanzler merkbar vieles abgewinnen, während seine preußische Vorgängerin sich von ihrem Gatten Joachim Sauer vertreten ließ.
Fahrstunde im Berufsverkehr des Lebens
Einfachheit bei einer mächtigen Frau äußert sich, wie Mathias Döpfner in seiner Rede erzählte, auch darin, dass ein Kleinwagen statt einer Limousine reichen muss, dass ein Fußweg das Taxi ersetzen kann und dass beim Früchteernten auch das Fallobst aufgesammelt wird. Macht Sparsamkeit hellsichtig? Fast schon neidisch hatte der Bundeskanzler Friede Springer vorher als „Zeitenwende-Versteherin“ apostrophiert. Die Unternehmerin baute ohne Rührseligkeit den Konzern ihres Mannes um, den sie gegen feindliche Übernahmen wetterfest gemacht hatte. Scholz hat im Gegensatz zu ihr seine Zeitenwende noch vor sich, die Jubilarin hat sie hinter sich und kann mit Stolz auf ein Lebenswerk zurückblicken, nein, sorry: vorausblicken.
So wurde für die vielen Jüngeren diese Feier auch zu einer Fahrstunde im dichten Berufsverkehr des Lebens. Da stand nämlich eine Vorbildfrau, die sich manchmal selber zu wundern schien, wie sie das alles geschafft hatte. Sie habe sich „total überfordert“ gefühlt, habe nach dem Tod ihres Mannes viele Nächte durchgeweint, gestand sie unumwunden. Die Gefühle der Witwe, die ihre geschäftlichen Rivalen für Schwäche hielten, wendete sie in die Stärke einer Unterschätzten. Kein aktueller Feminismus mit Gendersternchen, so war allerorten zu hören, kann solche weiblichen Lektionen erteilen.
Und es gab auch mindestens eine Ältere. Die über 100-jährige Margot Friedländer blickt, wie sie sagte, auf eine 80-Jährige wie ein junger Hüpfer. Margot Friedländer und Ursula von der Leyen plauderten entspannt über Friede Springer, die biografisch irgendwie in der Mitte zwischen ihnen wohnt. Und sie sprachen vom Mut, der dazugehört, die Freiheit als Grundlage von allem zu verteidigen – und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis nickte dazu.
Angst vor nichts und niemandem
Ihre Gäste hielten sich an die Jubilarin, indem sie ihrem Leitsatz folgten, keinen Tag, keine Stunde der Langeweile zu opfern. Die miese Weltlage sah gleich schon viel rosiger aus, wenn man einen entspannten (und nicht verzweifelten) Finanzminister erleben konnte, der übrigens, ganz alte Schule, mit einem großen Blumenstrauß erschienen war. Henryk M. Broder bat „Herrn Maaß“ mit gewohnter Chuzpe um ein Autogramm, was Christian Lindner schlagfertig gewährte: „Aber gerne, Herrn Fleischhauer.“ Lachen war ausdrücklich erlaubt, auch zwischen dem neuen israelischen Botschafter Ron Prosor und einem von Friede Springers Weggefährten, ihrem langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Giuseppe Vita. Der hitzegestählte Italiener beklagte das Berliner Klima; in Sizilien sei es viel kühler.
Doch kann eine Deichbauerin der Klimawandel erschüttern? Was konnte diese Kapitänin von Föhr, die auf einem Spreeboot in den Ehrentag hereingefeiert hatte, den vielen Lernbegierigen sonst noch mitteilen? Angst, so ließ sie immer wieder glaubhaft wissen, habe sie vor nichts und niemandem. Und die Kraft für diese Angstfreiheit beziehe sie aus dem Leben selbst. Das klingt nach Zen: Wie sich jemand durch die eigenen Anstrengungen immer stärker macht. Und auch dass Friede Springer allzeit eine fromme Frau geblieben ist, fiel nicht unter den Tisch, auf dem friesisch karge Kost aus Matjes und Tomate stand. „Gottes Segen“, wünschten die engsten Freunde der Jubilarin und gaben den Friedenskuss. Das ist wohl ein weiteres Kapitel ihrer Lebenslehre, wenn sie dieses vor der Öffentlichkeit auch selten aufblättert.
Gesungen wurde auch. Glücklicherweise keine Kirchenlieder und kein Shantychor von Föhr, sondern solo, stilvoll, hintergründig, zärtlich. Max Raabe intonierte zwei Lieblingsliebeslieder der Jubilarin. Da hielten die große Politik und das große Geschäft wertvolle Minuten lang inne. Denn bezeichnenderweise waren es keine optimistischen Gassenhauer, sondern melancholische Melodien. „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück.“ Das ist ein bescheidenes, aber realistisches Resümee nach 80 bewegten Jahren. Und vorher: „Bei dir war es immer so schön!“ Mit nordischer Contenance lauschte Friede Springer Max Raabes hohem Tenor. War dies Lied wohl bestimmt für einen, der nicht 80 werden durfte: Axel Springer, ihre große Liebe?
Niemand ist eine Insel. Aber wer von einer Insel kommt, der lernt früh, dass niemand für sich alleine steht. Denn sonst kommt die Flut. Diese für die schwere See dieser Tage nicht unwichtige Lektion der Solidarität lebte Friede Springer an ihrem Tag in großer Runde vor – ein Geburtstagsgeschenk an die anderen. Die deutsche Sprache kennt diesen Ausdruck zwar nicht – Friesisch aber schon. Und er passt genau für Friede Springer: Eine Frau wie ein Deich.