Der Hauptdarsteller war ein Saufbold und liebte es, Journalisten schon mittags so abzufüllen, dass sie kaum mehr lallen konnten. Der Regisseur galt als befreit von jeglicher Art von Humor. Und wohin genau sich die Story nun entwickeln sollte, das war auch lange niemandem klar – kurz: Die Dreharbeiten zu diesem Film waren ein perfektes Szenario für ein Desaster. Doch bis heute unterhält man sich über diesen Streifen, der da am 26. November 1942 Premiere hatte.
Natürlich gibt es heutzutage Menschen, denen die Namen „Casablanca“, Humphrey Bogart und Ingrid Bergman nichts mehr sagen. Aber das ist deren Problem. Der Rest der Welt bekommt entweder einen feuchten Schimmer in den Augen, oder es macht sich doch wenigstens ein angedeutetes Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Denn was die Damen und Herren rund um den Barbesitzer Rick Blaine da auf der Leinwand abziehen, ist eine noch immer eine unübertroffene Mischung aus Drama, Moral und Witz.
Mitten im Inferno des Zweiten Weltkriegs eine Story um Visa aufzubauen, die für Verfolgte des NS-Regimes von der marokkanischen Stadt aus den Weg in die Freiheit bedeuten und dies mit einer Dreiecks-Liebesgeschichte zu verbinden, das war ganz einfach ein Geniestreich der Produktionsfirma Warner. Die Produktion sorgte auch dafür, dass vor allem Humphrey Bogart noch im 21. Jahrhundert in Erinnerung geblieben ist.
Der Kult um den Mann im Trenchcoat und mit der Zigarette im Mundwinkel hat in woken Zeiten sicher nachgelassen. Eine Männlichkeit, die ihren pragmatischen Moralkodex hinter Sarkasmus und harten Drinks versteckt, passt einfach nicht mehr zur totalen Hyperempathie, die Männer für ein gewisses Publikum inzwischen an den Tag zu legen haben. Aber verschwunden ist Bogie eben doch noch nicht; zu viel hat er zu dem beigetragen, was nicht nur Nostalgiker „Hollywoods goldene Jahre“ nennen.
Ihn persönlich hätte sein langer Nachruhm zumindest äußerlich sicher schwer erheitert. „Nichts ist langweiliger als eine Zeitung von gestern und ein toter Schauspieler“, befand der Mann recht kurz vor seinem Ableben im Januar 1957. Die unzähligen Trinkgelage und Kippen hatten ihm nicht nur sein Charakter-Gesicht beschert, sondern irgendwann auch Speiseröhrenkrebs. Doch der war 1942 noch weit weg – und die Rolle des Bar-Besitzers Rick Blaine in „Casablanca“ war für Bogart ein Jackpot, weil sie alles vorsah, was er besonders gut konnte.
1899 als Junge aus gutem Haus in New York geboren, fiel er schnell durch mieses Betragen in diversen Privatschulen auf. Seine Karriere bei der Navy war kurz, und so wechselte er in ein Fach, das die wenigsten berühmt macht, dafür aber die allermeisten als verkrachte Existenzen zurücklässt: Humphrey Bogart versuchte sich in den 1920er-Jahren als Schauspieler. Eine gewisse Zähigkeit konnte man ihm nicht absprechen. Selbst als manche Broadway-Komödien unter seiner Mitwirkung krachend scheiterten, machte er weiter.
In den 1930er-Jahren schaffte er es zum Film, aber ein echter Durchbruch war das nicht. Gangsterstreifen standen hoch im Kurs, Warner hatte eine eigene „Murder’s Row“ bestehend aus James Cagney, George Raft – und zuletzt Bogart. Die Inszenierungen waren Massenware: „Ich sagte immer die gleichen Sätze, Sachen wie: ,Hände hoch, alle an die Wand.‘ Dann wurde ich zuerst erschossen und kriegte nie das Mädchen“, erzählte der Schauspieler später in einem Interview, dessen Partner er offenkundig nicht vollständig an die Wand gesoffen hatte.
Die Entwicklung zum Star setzte erst 1941 mit John Hustons „Die Spur des Falken“ ein. Als Privatdetektiv Sam Spade hat es Bogart locker drauf, die Frau seines Geschäftspartners ins Bett zu zerren und sich nach dessen gewaltsamem Tod über sie lustig zu machen. Aber in der mythischen Jagd um eine angeblich wertvolle Figur des Vogels entwickelt er bei aller Härte genügend Integrität, um am Ende nicht als Schurke dazustehen. Angeblich erhielt Bogart daraufhin wütende Protestbriefe aus amerikanischen Gefängnissen – die Insassen hassten den Gedanken, er sei nun zu den Guten übergelaufen.
Und dann „Casablanca“. Die erste halbe Stunde lang verhält sich Rick Blaine in seiner Kaschemme wie jemand, mit dem man bestimmt nichts zu tun haben will. Irgendwie vom Leben schwer enttäuscht, versteckt er sich in seinem weißen Jackett hinter seiner Schnapsflasche: Und wann immer es darum geht, den Mächten des Dunklen entgegenzutreten, tut er so, als sei er nicht da.
Nun ist die Lage für ihn tatsächlich nicht sonderlich erquicklich: Anstatt in Paris wie verabredet mit ihm vor der Besetzung durch die Deutschen durchzubrennen, lässt die schöne Ilsa Lund (Ingrid Bergman) ihn am Bahnhof im Regen stehen, weil sie doch zu ihrem Widerstandskämpfer Victor László (Paul Henreid) zurückgeht. Und nun tauchen die beiden ausgerechnet in „Rick’s Café Amercain“ auf, um dort an Visa für ein Flugzeug nach Lissabon zu kommen.
Nicht besser macht die Sache, dass ein paar Deutsche, angeführt vom fiesen Major Strasser, Druck auf Rick ausüben. Aber vielleicht ist es auch wieder genau das, was den Barbesitzer zu sich selbst finden lässt. Erst lässt er seine Band die „Wacht am Rhein“ von der „Marseillaise“ übertönen, dann verzichtet er tatsächlich voller Edelmut auf die schöne Ilsa, obwohl sie ihm glaubhaft versprach, noch einmal schaffe sie es nicht, ihn zu verlassen. Und zwischendurch spielt der Pianist Sam (Dooley Wilson) immer wieder mal „As time goes by“.
Doch es ist nicht nur diese Handlung, die den Film so stark macht. Ingrid Bergmans geheimnisvoller Blick hatte damit zu tun, dass lange niemand wusste, wie die Geschichte enden würde. Hinzu kamen Nebenfiguren wie der korrupte französische Präfekt Louis, der am Ende andeutet, dass sich die Dinge nun ändern werden. Und dann sind da die Dialoge: „Welcher Nationalität gehören Sie an?“, will der deutsche Major Strasser von Rick wissen. Der antwortet: „Ich bin Trinker.“ Nachsatz des französischen Präfekten: „Und damit ist Rick Weltbürger.“
Eine weitere Ironie von „Casablanca“ ist weniger schön. Die meisten Schauspieler in diesem Film waren selbst Davongekommene: Conrad Veidt, der Major Strasser gab – in Wahrheit ein Antifaschist und Emigrant. Szöke Szakáll, der den herzlichen, dicken Oberkellner spielt – ein ungarischer Jude aus der Donaumonarchie, dem es in letzter Minute gelungen war, nach Amerika zu flüchten; drei Schwestern wurden in Konzentrationslagern ermordet. Und natürlich Manó Kaminer Kertész, der Regisseur, der sich in Hollywood Michael Curtiz nannte. Er war zwar schon 1926 nach Amerika ausgewandert, aber auch er verlor Familienangehörige in Auschwitz.
Mit 3,6 Millionen Dollar hatte der Film ein ordentliches Einspielergebnis, aber das wirklich große Geld machte er auf die lange Distanz. In Deutschland präsentierte man dem Publikum den Film erst in den 1950er-Jahren – und das in einer gekürzten Version, die keine bösen Deutschen enthielt. Das Original erschien den Bundesbürgern erst 1975 zumutbar, hier sprach Bogart erstmals in der Synchronisation die Worte „Ich seh dir in die Augen, Kleines“ (im Original „Here’s looking at you, kid“). Vor allem in den USA hält der Kult seit den 1950er-Jahren an. Elite-Universitäten zeigen den Streifen stets zur Weihnachtszeit, so entsteht kulturelles Erbe.
Der Film gewann den Oscar, Humphrey Bogart nicht. Dieses Kunststück sollte er 1952 an der Seite Katharine Hepburns in „African Queen“ nachholen. Privat schloss er sich nach seiner Heirat mit Lauren Bacall immer konsequenter im Nobelrestaurant „Romanoff’s“ ein, wenn er nicht am Set war, oder verbrachte viel Zeit auf seiner Yacht „Santana“. Seine Blicke, seine knappe Körpersprache und seine trockenen Bemerkungen konnte nie jemand kopieren. Vermutlich wird man so zu einer Legende, die ihren Namen wirklich verdient.
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