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Mit dem Relevanzgewinn sozialer Medien (Görke, 2009), dem zunehmenden Einsatz von Systemen künstlicher Intelligenz (KI, Graßl et al., 2022) oder der „Entgrenzung“ (Loosen, 2007) journalistischer Arbeit stehen journalismusbezogene Theorien, die ihre Wurzeln überwiegend in den Denktraditionen und traditionellen Medienlandschaften des 20. Jahrhunderts haben, seit längerem unter Druck. Um die komplexen und teilweise widersprüchlichen Transformationsprozesse des Journalismus theoretisch besser fassen zu können, schlagen Deuze und Witschge (2018) deshalb vor, auf Überlegungen jenseits des Journalismus („beyond journalism“) zurückzugreifen – also beispielsweise Journalismus als „vernetzte Praxis“ (Deuze & Witschge, 2018, S. 170) und als individuelles Unternehmertum zu verstehen (Deuze & Witschge, 2018, S. 174). Solche Hinweise auf die weitergehende Evolution des Journalismus sind wichtig, begründen jedoch weder einen Anspruch auf eine gänzlich andere Theoriebildung, noch ist der Verweis auf Perspektiven jenseits des Journalismus so innovativ wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Schon theoretische Annahmen, die – wie etwa die Gatekeeper-Forschung – in den 1950er-Jahren entstanden, beruhen auf Überlegungen, die zunächst in anderen Wissenschaften reüssierten (s. Kap. „Paradigmengeschichte der Journalismusforschung“).

Vor diesem Hintergrund begründet das von der US-Firma OpenAI 2022 vorgestellte KI-System ChatGPT („generative pre-trained transformer“) – ein neuronales Netz, das auf der Basis von Trainingsdaten, maschinellem Lernen und der Verarbeitung natürlicher Sprache Texte lesen und erstellen, Fragen beantworten und mit Menschen kommunizieren kann (Ray, 2023) – die Relevanz bestehender Journalismustheorien in nachvollziehbarer Weise:

„Auch im Zeitalter sozialer Medien und künstlicher Intelligenz bleiben Journalismustheorien von zentraler Bedeutung, da sie grundlegende Prinzipien, Werte und Ethik des Journalismus festlegen und gleichzeitig als Leitfaden für die Anpassung an neue Technologien und Medienumgebungen dienen. Diese Theorien bieten ein Rahmenwerk für die Reflexion über die Rolle der Medien in der Gesellschaft, die Verantwortlichkeit der Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit und die ethischen Herausforderungen im digitalen Zeitalter. Durch die Anwendung von Journalismustheorien können Medienpraktiken kritisch analysiert und innovative Ansätze entwickelt werden, um die Qualität, Integrität und Relevanz der Berichterstattung in einer sich ständig verändernden Medienlandschaft zu gewährleisten.“ (OpenAI, 2024a)

Diese positive Einschätzung der generellen Relevanz von Journalismustheorien ändert freilich nichts an der Notwendigkeit, theoretische Ansätze stets erneut daraufhin zu prüfen, inwieweit sie Veränderungen in ihrem Gegenstandsbereich weiterhin angemessen beschreiben und erklären können. So sieht es auch ChatGPT (Version 3.5):

„Im Zeitalter sozialer Medien und künstlicher Intelligenz könnten einige Journalismustheorien an Bedeutung verlieren, da die traditionellen Annahmen über Medienproduktion, -verbreitung und -konsum in einer digitalen Medienlandschaft, die von Interaktivität, Nutzerbeteiligung und algorithmischer Kuratierung geprägt ist, möglicherweise nicht mehr vollständig zutreffend sind. Die Komplexität und Vielfalt neuer Medientechnologien und Plattformen könnten die Anwendbarkeit einiger traditioneller Theorien einschränken, da sich die Dynamik der Informationsvermittlung und -konsumption grundlegend verändert hat, was eine Neubewertung und Anpassung der theoretischen Rahmen erforderlich macht, um die aktuellen Entwicklungen in der Medienlandschaft angemessen zu erfassen.“ (OpenAI, 2024b)

Selbstverständlich dürfen solche Einschätzungen von KI-Systemen nicht überbewertet werden, handelt es sich doch lediglich um eine Kompilation von Aussagen menschlicher Akteure, die über Internetzugriffe erschlossen werden konnten, deren genaue Herkunft allerdings nicht oder kaum nachvollziehbar ist, womit das wissenschaftliche Transparenzgebot deutlich verletzt wird. Anders als Pavlik (2023) kürzlich demonstrierte, arbeiten wir deshalb in diesem Werk nicht weiter mit KI-Systemen wie ChatGPT, berücksichtigen jedoch die Schlussfolgerung, dass in diesem neu strukturierten und deutlich erweiterten Handbuch die wichtigsten Journalismustheorien nicht nur vorgestellt, sondern vor dem Hintergrund des angedeuteten tiefgreifenden Wandels der Kommunikationsverhältnisse auch kritisch hinterfragt werden.

Insgesamt bietet das Werk damit – auch im weltweiten Maßstab – den bis heute umfassendsten und detailliertesten Einblick in Ansätze, die sich auf die theoretische Beschreibung und Erklärung journalismusbezogener Fragestellungen richten. Dabei ist es kein Zufall, dass dieses Handbuch in deutscher Sprache erscheint. Im englischen Sprachraum sind zwar immer wieder Studien entstanden, denen die weltweite Debatte über die Wirklichkeit des Journalismus wichtige Impulse verdankt (z. B. Hartley, 1996; Altschull, 1990 [1984]; Gans, 1980; Tuchman, 1978; Gieber, 1956; White, 1950). Eine multi-perspektivische (Meta-)Debatte über die Theorien des Journalismus wird jedoch – von Ausnahmen abgesehen (Mellado et al., 2020; Reese, 2016; Steensen & Ahva, 2015; Erjavec & Zajc, 2011) – nach wie vor vornehmlich im deutschen Sprachraum geführt.

1 Was sind Theorien?

Sozialwissenschaftliche Theorien – dazu gehören Theorien, die versuchen, die Wirklichkeit des Journalismus zu beschreiben – besitzen nicht den besten Ruf: Manche Wissenschaftler meinen, dass „innerhalb der Sozialwissenschaften eine Tendenz besteht, jede Ansammlung von Meinungen, so zusammenhanglos und unbegründet sie auch sein mögen, mit dem Wort ‚Theorie‘ zu würdigen“ (Wenturis et al., 1992, S. 330). Tatsächlich wird der Begriff ‚Theorie‘ in den Sozialwissenschaften uneinheitlich gebraucht. Seine Verwendung reicht von sozialphilosophischen Entwürfen über Aussagen zu empirisch beobachtbaren Zusammenhängen bis zu mathematischen Modellen. Auch den Beiträgen dieses Bandes liegt kein konsentierter Theoriebegriff zugrunde. Das hat Konsequenzen – insbesondere für die grundsätzliche Frage, wie und mit welchen Theorien es möglich ist, die Wirklichkeit des Journalismus zu erkennen.

Wesentliche Vorstellungen über die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnis gehen zurück auf den englischen Philosophen Bacon (1561–1626). Er entwarf ein lineares Akkumulationsmodell von Wissenschaft, in dem wissenschaftlicher Fortschritt als gesteuerter Prozess von Erfindungen und Entdeckungen beschrieben wurde. Bacon begründete die Notwendigkeit einer rational geplanten Empirie, die den Zufall bei der Vermehrung wissenschaftlicher Erkenntnisse ausschalten sollte (Bacon, 1966 [1783]). Ein kumulatives Wissenschaftsverständnis vertrat auch der britische Philosoph Popper (1902–1994), der jedoch wissenschaftlichen Fortschritt als Irrtumsbeseitigung begriff: Wissenschaftliche Theorien können demnach nicht verifiziert, sondern nur falsifiziert werden. Nicht die Addition wahrer Aussagen kennzeichne wissenschaftliche Erkenntnis, sondern die wiederholte Widerlegung von Theorien und ihre Substitution durch adäquatere Ansätze (Popper, 1969, S. 215). Bekannt geworden sind diese Überlegungen als ‚Kritischer Rationalismus‘.

Im Unterschied zu Bacon und Popper lehnt der Wissenschaftstheoretiker Kuhn (1922–1996) ein linear-kumulatives Verständnis wissenschaftlicher Erkenntnis ab. Für ihn strukturiert sich Wissenschaft revolutionär: Traditionelle Paradigmen, also die theoretischen Basisannahmen, die von einer wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt werden (die ‚normale Wissenschaft‘), verlören durch einen fundamentalen Theorie-Wechsel (die ‚außerordentliche Wissenschaft‘) ihre Relevanz. Derartige Revolutionen würden durch Übergänge eingeleitet – durch die Unzufriedenheit mit Bestehendem, die Bereitschaft zu Neuem und spekulative Theorien. Wissenschaftlicher Fortschritt sei deshalb nur relativ zu einem bestimmten Paradigma zu verstehen und als nicht-kumulativ zu charakterisieren (Kuhn, 1976). Allerdings: Jede Theorie, die eine andere verdränge, müsse weiterhin die Beschreibungs- und Erklärungsqualitäten besitzen, welche die abgelöste Theorie erbracht habe. Anders ausgedrückt:

„Trotz der Unvergleichbarkeit der verdrängenden Theorie und der verdrängten Theorie infolge ihrer Formulierung in jeweils anderen Paradigmen ist eine Kumulation des Wissens gegeben und dies über revolutionäre Phasen hinweg. So liegt beispw. im Übergang von Newtons Theorie zu Einsteins Relativitätstheorie eine kumulative Wissensvermehrung vor, obwohl diese beiden Theorien im Rahmen verschiedener Paradigmen entwickelt wurden.“ (Wenturis et al., 1992, S. 264–265)

Vermutet werden kann daher, dass ohne die normative und subjektivistische Journalismusbetrachtung, die im 19. Jahrhundert begann und bis in die heutige Zeit fortwirkt (s. Kap. „Paradigmengeschichte der Journalismusforschung“), weder die empirisch-analytische Journalismusforschung noch eine holistische Journalismustheorie, die das System/Umwelt-Paradigma verwendet, entstanden wären. Insofern verdient im Prinzip jede theoretische Bemühung Beachtung – sei es, indem sie die Erkenntnis innerhalb eines bestehenden Paradigmas kumulativ erweitert; sei es, indem sie Erkenntnis außerhalb eines bestehenden Paradigmas ermöglicht und damit zu dessen Ablösung beiträgt.

Seit der empirisch-analytischen Wende der Journalismusforschung, von Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert (Weischenberg, 2014, S. 244–252; Weischenberg, 2012, S. 78–109; Kutsch, 1988) und in den 1970er-Jahren realisiert, gehören die Theorien des Journalismus überwiegend zu den erfahrungswissenschaftlichen Theorien – in Abgrenzung zu den Theorien der Formalwissenschaften und der klassischen Geisteswissenschaften. Erfahrungswissenschaftliche Theorien beziehen sich auf einen empirisch erfassbaren Objektbereich und sind in ihrer Überprüfung durch diesen beeinflusst (Wenturis et al., 1992, S. 329). Solche Theorien enthalten – im Sinne einer Minimalbedingung – „Aussagen über empirisch prüfbare Zusammenhänge zwischen Variablen“ (Diekmann, 1995, S. 127). Tatsächlich beinhalten Theorien häufig eine Kette von Variablen und Aussagen, wobei die Zusammenhänge oft wenig eindeutig formuliert sind. Ob eine ‚Supertheorie‘ wie die Luhmannsche Theorie sozialer Systeme empirisch nutzbar gemacht werden kann, ist besonders strittig. Bezogen auf die Journalismusforschung bieten Scholl und Weischenberg (1998, S. 51–62, 305–381) eine differenzierte Diskussion der Empiriefähigkeit der Systemtheorie.

Bei allen Theorien, die als erfahrungswissenschaftlich eingeordnet werden, stellt sich die grundsätzliche erkenntnistheoretische Frage, wie sie auf ihren Gegenstand bezogen sind. Nach Auffassung von Popper kann die Wirklichkeit durch Theorien approximativ beschrieben werden: Wissenschaftler näherten sich der Wahrheit durch Theorien, die sich in der Konkurrenz zueinander bewährten, indem sie stete Falsifikationsversuche überstünden (Popper, 1969). Demgegenüber geht Kuhn davon aus, dass die Wirklichkeit – auch – durch Theorien konstituiert wird. Wahrheit begreift er als relative Wahrheit (Kuhn, 1976). Übereinstimmend wenden sich Kuhn und Popper freilich gegen einen naiven Realismus, wonach wissenschaftliche Erkenntnis als Suche nach der Wahrheit verstanden wird. Denn jede wissenschaftliche Beobachtung setzt ein Interesse voraus, ist also durch das verwendete Paradigma vorbestimmt. Theorien als Hauptträger wissenschaftlicher Erkenntnis können die ‚Wirklichkeit‘ des Journalismus also nicht abbilden, sondern sich dieser Wirklichkeit allenfalls, im Popperschen Sinn, annähern, ohne aber zu ‚wahren‘ Aussagen zu führen. Gleichzeitig, im Kuhnschen Sinn, prägen Theorien die Beobachtung des Journalismus – und damit den Journalismus selbst.

Ähnlich wie Kuhn argumentiert der österreichische Philosoph Feyerabend (1924–1994), für den wissenschaftliches Denken nur ein Weg zur Erkenntnis ist: „Wir deuten […] unsere ‚Erfahrungen‘ im Lichte von Theorien um, die wir besitzen – es gibt keine neutrale Erfahrung.“ (Feyerabend, 1978, S. 71) Radikalisiert wird diese Position durch Einsichten einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie, die durch Überlegungen des chilenischen Neurophysiologen Maturana (1928–2021) besonders inspiriert wurden:

„Wissenschaft ist kein Bereich objektiver Erkenntnis, sondern ein Bereich subjektabhängiger Erkenntnis, der durch eine Methodologie definiert wird, die die Eigenschaften des Erkennenden festlegt. Mit anderen Worten, die Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis ruht auf ihrer Methodologie, die die kulturelle Einheitlichkeit der Beobachter bestimmt, und nicht darauf, daß sie eine objektive Realität widerspiegelt.“ (Maturana, 1985, S. 309)

Im Licht einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie wird der Erkennende (das kognitive System) als Ort der Produktion von Sinn und Wissen angesehen. Keineswegs jedoch führt das zu einer Beliebigkeit der Erkenntnis. Denn kognitive Operationen sind sozio-kulturell geprägt; Sinn und Wissen können nur durch ständigen Rückbezug auf kollektives Wissen produziert werden. Der „soziokulturelle Konstruktivismus“ (Schmidt, 1994, S. 47) verortet wissenschaftliche Erkenntnis primär auf der Ebene von Kommunikation, die im Rahmen des Sozialsystems Wissenschaft erfolgt (Schmidt, 1994, S. 43–46).

Selektiv sind Theorien schon, weil sprachliche Mittel die vielfältige Materialität von Welt (wie Raum, Zeit, Körper, Gefühle) nur begrenzt repräsentieren können. Theorien können vor diesem Hintergrund als selektive Schemata verstanden werden, die beobachterabhängig sind, auf der Basis bestimmter Regeln (Methodologie) kommunikativ stabilisiert werden, aus konventionalisierten Symbolen (Begriffe, Logikzeichen etc.) bestehen und Aussagen über Zusammenhänge bereitstellen, um Ordnung, Abstraktion, Erklärung und Prognose zu ermöglichen. Ordnung beginnt mit der Definition von Begriffen, führt zu Typenbildung und Klassifikation sowie zu einer möglichst exakten Beschreibung des Erkenntnisgegenstandes. Abstraktion schafft einen übergeordneten Bezug und ermöglicht die Zuordnung einzelner Phänomene zur gleichen Theorie (Merten, 1999, S. 31–37). Die Ergebnisse einer theoriegeleiteten Erforschung des Journalismus gelten so lange als valide, bis sie durch andere Daten und Sichtweisen abgelöst werden, die einen höheren Grad an Konsistenz aufweisen. Der Status einer Theorie kann also nicht auf Dauer festgelegt und gesichert werden. Eine weitere Konsequenz konstruktivistischen Denkens: Nicht die Isomorphie zwischen Theorie und realer Welt begründet die Güte einer Theorie, sondern die Akzeptanz innerhalb einer Scientific Community, die Ansprüche zur Bewertung der Qualität von Theorien formuliert. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass „auf eine gegebene Sammlung von Daten immer mehr als eine theoretische Konstruktion paßt“ (Kuhn, 1976, S. 89).

Allerdings: So unterschiedliche Theoriebegriffe existieren, so divergente Ansichten bestehen über Gütekriterien wissenschaftlicher Theorien. Die im Folgenden genannten Kriterien liefern insofern nur Anhaltspunkte für eine metatheoretische Bewertung der Qualität von Theorien. Bei dieser Bewertung geht es – sowohl kritisch rationalistisch als auch konstruktivistisch gesehen – darum, Theorien weder zu ‚beweisen‘ noch ‚endgültig‘ zu widerlegen. Metatheorien wie zum Beispiel Wissenschaftstheorien stellen stattdessen eine reflexive Struktur bereit, um wissenschaftliche Kriterien und Regeln auf sich selbst anwendbar zu machen. So ermöglichen Metatheorien die Prüfung

  1. a.

    der Kommunikabilität und Intersubjektivität von Theorien als Garanten für ihre wissenschaftliche Unbedenklichkeit; solche Garantien sind erforderlich, wenn unterstellt wird, dass das Produkt wissenschaftlicher Arbeit nur kommunikativ zu fassen ist. Kommunikabilität meint, dass nichts wissenschaftlich verbürgt ist, was nicht veröffentlicht ist. Intersubjektivität bedeutet, dass zur Diskussion stehende Sachverhalte für alle am wissenschaftlichen Prozess Beteiligten in gleicher Weise zutreffend und rückverfolgbar sind (Merten, 1999, S. 45–46).

  2. b.

    der Zweckoptimalität von Theorien, also den Vergleich intendierter und realisierter Zwecke einer Theorie (West & Turner, 2014, S. 60);

  3. c.

    der äußeren Konsistenz von Theorien, also der Übereinstimmung mit bereits etablierten Theorien (Opp, 2005, S. 191);

  4. d.

    der inneren Konsistenz von Theorien (West & Turner, 2014, S. 60; Opp, 2005, S. 195);

  5. e.

    der Viabilität (Gangbarkeit, Passfähigkeit) von Theorien, also den systematischen und kontrollierten Validitätstest (West & Turner, 2014, S. 60).

Metatheorien ermöglichen die wissenschaftliche Beobachtung wissenschaftlicher Beobachtungen. Metatheorien sind also Beobachtungen zweiter Ordnung, die im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess stets mitlaufen, da nur so Wissenschaftlichkeit – in Abgrenzung zur Rationalität anderer Sozialsysteme – gesichert werden kann. Nicht eine wie auch immer aussehende ‚reale Welt‘ liefert der Wissenschaft und ihren Theorien die Maßstäbe zur Bewertung ihrer Qualität, sondern der systematische und kontrollierte Abgleich von Beobachtungen, die – nicht nur – im Wissenschaftssystem erzeugt werden. Denn eine konstruktivistische Erkenntnistheorie impliziert, dass alle Aussagen über den Journalismus – ob von Wissenschaftlern, Berufspraktikern oder Laien – letztlich auf Beobachtungen basieren, also auf individuell, kulturell und sozialstrukturell geprägten Unterscheidungen und Benennungen. Einen Journalismus ‚an sich‘ gibt es nicht, wie Rühl überzeugend herausgearbeitet hat: „Insofern ist kein noch so praxisnahes Wissen über Journalismus urtümlich im Sinne von begriffs- und theoriefreier Erfahrung.“ (Rühl, 1980, S. 12) Denn: „Alles was über ihn ausgesagt wird, ist, so oder so, konstruiert bzw. rekonstruiert.“ (Rühl, 1992, S. 121) In diesem Sinn korrespondieren der Journalismus als beobachteter Gegenstand und Theorien als wissenschaftliche Instrumente der Beobachtung miteinander: Die Beobachtung des Journalismus beeinflusst die Theoriebildung; die Theorie bestimmt, was beobachtet wird. Auch in einer Gegenwart, die gelegentlich ihrer Beobachtung vorauszueilen scheint.

2 Was ist Journalismus?

Digitalisierung und Virtual Reality, Medienkonvergenz und Multimedia, Globalisierung und kulturelle Synchronisation, Algorithmen und Desinformation, Kommerzialisierung und Trivialisierung – alles neu, alles anders? Den kontemporären Journalismus kennzeichnen vielfältige Innovationen (Wahl-Jorgensen & Hanitzsch, 2020), darunter Praktiken wie der mobile Journalismus (Ayisch & Dahdal, 2021), Daten- und Investigativjournalismus (Meier et al., 2022), Newsrooms, die parallel verschiedene Plattformen bedienen (Rasem, 2020), die mittlerweile selbstverständliche Interdependenz sozialer und linearer Medien (Görke, 2009), die Pluralisierung journalistischer Tätigkeiten in Ergänzung zu klassischen Redaktionskonzepten bis hin zum bereits erwähnten individuellen „Entrepreneurialism“ (Deuze & Witschge, 2018, S. 174) sowie ein generell großer Einfluss technischer Innovationen (Meier et al., 2024; Manninen et al., 2022; Hogh-Janovsky & Meier, 2021).

Um diese komplexe Situation zu charakterisieren, nutzen wissenschaftliche Beobachter seit Langem Begriffe wie Wandel, Veränderung und Dynamik (Deuze & Witschge, 2018; Neuberger, 2018; Rühl, 2011; Chalaby, 2000). Dabei geht es jedoch selten um die Beobachtung der langfristigen Emergenz des Journalismus. Nicht zuletzt aus methodischen Gründen: Trendanalysen, Szenariotechnik und Delphi-Untersuchungen sind – wie die breit angelegte Studie zur „Zukunft des Journalismus“ (Weischenberg et al., 1994) schon vor mehr als drei Jahrzehnten demonstrierte – nur innerhalb eines engen Zeithorizontes sinnvoll, häufig selbsterfüllend (oder selbstzerstörend) und eher auf die Problematisierung der Gegenwart als auf die Planung der Zukunft bezogen.

Die Anpassung des wissenschaftlichen Tempos an die Geschwindigkeit von – vorgeblich gravierenden – Veränderungen erschwert allerdings eine kommunikationswissenschaftliche Grundlagenforschung, der es um Theoriebildung geht. Wenn also primär vom Wandel gesprochen wird, lohnt sich die Frage nach der Stabilität des Journalismus. Trotz vielfältiger Innovationen scheinen manche Charakteristika des Journalismus gar Jahrhunderte zu überdauern. So fanden sich im ausgehenden 20. Jahrhundert vielerorts Klagen über die Relevanzverluste des „Aufklärungsjournalismus“ (Weischenberg, 1995, S. 334) und die „ständige Entwicklung weg von der Information hin zur fiktionalen Unterhaltung“ (Scholl & Weischenberg, 1998, S. 261). Pointierter ausgedrückt: „Entertainment takes over.“ (Chalaby, 2000, S. 35) Aber bereits 200 Jahre vor diesen Einschätzungen, am Ende des 18. Jahrhunderts, kritisierte ein zeitgenössischer Beobachter in einer zeitungskundlichen Schrift, dass „ein Ritterordenfest bis auf den Winkel des gebogenen Knies voran dargestellt und dagegen der Abschluß eines Bündnisses unter einem Wust unerheblicher Nachrichten versteckt ist“ (Schwarzkopf, 1993 [1795], S. 84).

Journalismus klärt insofern keineswegs nur auf, sondern beobachtet die Gesellschaft im Rahmen spezieller Organisationen (Medien, Redaktionen, Plattformen, Netzwerke), bestimmter Handlungsprogramme (Recherche, Selektion, Darstellungsformen) und journalistischer Rollendifferenzierung. Auf der Basis von Realitäts- bzw. Faktizitätstests werden Themen ausgewählt, bearbeitet und publiziert, die als informativ und relevant gelten (Löffelholz & Altmeppen, 1998, S. 666; Scholl & Weischenberg, 1998, S. 77–78). Diese generellen Leistungen und Strukturen kennzeichnen den Journalismus seit dem Übergang vom schriftstellerischen zum redaktionellen Journalismus, also seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (Baumert, 1928).

Heute, im Zeitalter von Facebook, Youtube, Snapchat, Telegram, X oder Instagram, wird der redaktionelle Journalismus freilich auf den Prüfstand gestellt. Mit dem rasanten Aufstieg sozialer Medien (Taddicken, 2011; Weißensteiner & Leiner, 2011; Deans, 2009) erscheinen manchen Beobachtern bloggende Rucksackreisende, tweetende Fernsehsternchen oder Schüler, die Bilder an Ohmynews schicken, als Bürgerjournalisten (Hermida, 2012; Northrup, 2006). Noch weiter geht Ian Hargreaves (1999, S. 4), der bereits vor mehr als 25 Jahren mit der Behauptung provozierte: „Everyone is a journalist.“ Faktisch bedienen keineswegs mehr nur hauptberuflich tätige Journalistinnen und Journalisten das Publikum. Ob digital publizierte Artikel, Tweets, Fotos oder Web-Videos – die Zahl publizierender Kommunikatoren hat rasant zugenommen.

Anders als in den Anfangsjahren weisen Online-Journalisten und ihre Kollegen, die für traditionelle Massenmedien tätig sind, kaum noch distinkte Merkmale und Einstellungen auf (Hanitzsch et al., 2019; Löffelholz et al., 2003, 2004). Auch im Organisationskonzept des „Newsrooms“ (Rasem, 2020) wird seit längerem kaum noch eine Abgrenzung inhaltlicher oder technischer Art zwischen ehemaligen „Onlinern“ und „traditionellen“ Redakteuren gemacht. Journalismusbezogene Theorien müssen insofern „den fragmentierten Nutzungsgewohnheiten und der Konvergenz der Einzelmedien“ (Meier & Neuberger, 2023, S. 12–13) Rechnung tragen, auf die sich wandelnden Parameter des Journalismus beziehbar sein und stetig angepasst oder erweitert werden können (Steensen & Ahva, 2015).

Nichtsdestotrotz hat sich der Journalismus – über einen längeren Zeitraum betrachtet – bislang als Sozialsystem erwiesen, das seine Leistungen und Strukturen zwar permanent prüft und gegebenenfalls anpasst, insgesamt aber mehr auf Stabilität als auf Variation ausgerichtet ist: Eher werden bewährte und akzeptierte Strukturen zur Herstellung aktueller Medienaussagen routinisiert und tradiert als innovative Programme, Prozesse und Rollen erprobt. So wird bspw. erklärbar, warum neue Medientechnologien keineswegs immer und keineswegs sofort im Journalismus implementiert werden. Seine Evolution beruht eben nicht nur auf steter Anpassung, wie im strukturfunktionalen Neoevolutionismus des US-Soziologen Parsons (1902–1979) unterstellt (Parsons, 1972, S. 40–46), sondern auch auf der Stabilisierung ausgewählter Neuerungen. Innovation und Tradition ermöglichen Evolution und damit das „Überleben“ (Luhmann, 1985, S. 645) des Systems.

Anders als Parsons geht Luhmann (1927–1998), der Grandseigneur der Theorie sozialer Systeme, nicht von der Idee einer – wie auch immer gearteten – Höherentwicklung aus. In Abgrenzung zu unilinearen Stufenmodellen soziokultureller Anpassung (Sozialdarwinismus), die auf einem trivialen Biologismus basieren, sieht Luhmann keine Gewähr dafür, dass Variation, Selektion und Stabilisierung als relevante Evolutionsmechanismen Systeme dauerhaft in eine bestimmte Richtung verändern (Löffelholz, 1999, S. 269–270). Im Gegenteil: Für moderne Gesellschaften ist eine reflexive Modernisierung geradezu charakteristisch. Der Soziologe Beck (1944–2015) beschreibt die Moderne deshalb als „Risikogesellschaft“ (Beck, 1986). Stig Nohrstedt und Ottosen (2008, S. 2) gehen mit dem Begriff „threat society“ sogar noch einen Schritt weiter: Die Medien agierten in einem von Terroranschlägen und Kriegen geprägten Umfeld und seien daher als „carriers of a culture of fear“ (Nohrstedt & Ottosen, 2008, S. 6) anzusehen.

Evolutionäre Prozesse ermöglichen dem Journalismus demnach Bestandssicherung, ohne jedoch zwangsläufig eine höhere Fähigkeit zur Selbststeuerung oder eine günstigere Umweltanpassung zu erreichen, wie Parsons (1972) noch vermutete. Voraussetzungen für Evolution in diesem Sinne sind die Fähigkeiten, Bewährtes zu bewahren (Tradition) und Neues zu integrieren (Innovation). Daraus leitet sich eine analytische Differenz zwischen tradiertem und innovativem Journalismus ab. Beide unterscheiden sich hinsichtlich der vorherrschenden evolutionären Mechanismen, der dominanten Systemdynamik sowie der zugrunde liegenden Evolutionsmuster. Aufgrund dieser unterschiedlichen Strukturen und Leistungen wird es möglich, den Bestand des Journalismus in einer dynamischen Umwelt zu sichern (Löffelholz, 1999, S. 274–275).

3 Was finden Sie in diesem Handbuch?

Vor diesem Hintergrund erfüllen Theorien des Journalismus nach Auffassung von Meier (2018, S. 28) vier Aufgaben: „(a) Darstellung: Sie beschreiben den Journalismus beispielsweise durch Bildung von Typologien und Klassifikationen. (b) Erklärung: Sie suchen nach Ursachen und Bedingungen dafür, warum Journalismus so und nicht anders ist. (c) Prognose: Sie sagen voraus, wohin sich der Journalismus entwickelt. (d) Normative Aufgabe: Sie treffen und begründen Aussagen über wünschenswerte Entwicklungen (‚Was soll Journalismus?‘).“ Die Beiträge in diesem Handbuch betrachten Journalismustheorien im Hinblick auf alle vier Aspekte – mit dem primären Anspruch, einen umfassenden Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu geben und damit Theorienvergleiche zu ermöglichen, etwa im Hinblick auf die Frage, wie mit Hilfe unterschiedlicher theoretischer Ansätze die journalistische Autonomie, die journalistische Objektivitätsnorm oder die Rolle des Publikums betrachtet werden (Scholl, 2013, S. 169).

Denn klar ist: Journalismus lässt sich aus verschiedenen theoretischen Perspektiven betrachten: handlungsorientiert, systemtheoretisch, konstruktivistisch, partizipationsorientiert, sozialintegrativ, kulturorientiert und anderen Sichtweisen. Jede dieser Perspektiven kann gewinnbringend sein und lässt sich für die empirische Forschung mehr oder minder gut fruchtbar machen. Das vorliegende Handbuch nimmt die Vielfalt dieser Ansätze ernst und systematisiert sie zugleich. Die Beiträge sind in zehn thematische Abschnitte gegliedert und ermöglichen so schnelle Einstiege in die jeweiligen Theorienkomplexe. Damit schafft das Handbuch eine verständliche Orientierung über die Grundlagen, Entwicklungsstränge, Konzepte und Problemfelder des journalismustheoretischen Diskurses und beschreibt darüber hinaus theoretische Ansätze zu den Interrelationen des Journalismus mit anderen Bereichen wie Kultur, Politik, Religion, Sport, Wirtschaft oder Wissenschaft.

Der erste Abschnitt führt in zentrale Aspekte der journalismusbezogenen Theoriebildung ein. Mit einem Überblick zur Paradigmengeschichte der Journalismusforschung vermitteln Martin Löffelholz und Aynur Sarısakaloğlu denjenigen, die bisher keinen oder nur einen geringen Einblick in die journalismusbezogene Theoriebildung haben, grundlegende Ausgangspunkte, die das weitere Verständnis der Beiträge des Handbuchs erleichtern (s. Kap. „Paradigmengeschichte der Journalismusforschung“). In den folgenden drei Beiträgen wird die Einführung in die wissenschaftliche Diskussion fortgeführt: Armin Scholl erläutert die Beziehungen von Journalismustheorie und Methodologie (s. Kap. „Journalismustheorie und Methodologie“), Frank Esser das Verhältnis von Journalismustheorie und komparativer Forschung (s. Kap. „Journalismustheorie und komparative Forschung“) und Michael Haller erläutert Bezüge zwischen Journalismustheorie und journalistischer Praxis (s. Kap. “Journalismustheorie und journalistische Praxis“).

Im zweiten Abschnitt stehen Ansätze im Mittelpunkt, die den Journalismus als System beschreiben. Den Auftakt macht Bernd Blöbaum, der Journalismus als Funktionssystem der Gesellschaft konzipiert. Er erläutert grundlegende systemtheoretische Begriffe wie journalistische Programme, Funktionen, Leistungen oder Rollen und zeigt deren Bedeutung im „strukturdeterminierten System“ Journalismus auf (s. Kap. „Journalismus als Funktionssystem der Gesellschaft“). Die Systemtheorie des Soziologen Luhmann nutzen auch Matthias Kohring und Fabian Zimmermann, die Journalismus als Leistungssystem der Öffentlichkeit identifizieren und damit ein Beispiel für die verschiedenen Spielarten einer systemtheoretischen Beschreibung des Journalismus geben (s. Kap. „Journalismus als Leistungssystem der Öffentlichkeit“). Die folgenden drei Beiträge vertiefen die systemtheoretische Perspektive: Wiebke Loosen beschreibt Journalismus als (ent-)differenziertes Phänomen und diskutiert die Frage, inwiefern Journalismus trotz diverser Entgrenzungsphänomene seine gesellschaftliche Funktion weiterhin erfüllen kann (s. Kap. „Journalismus als (ent-)differenziertes Phänomen“). Stefan Frerichs zeigt anhand einer Analyse von Nachrichten-Selektionsprozessen, wie Journalismus als konstruktives Chaos operiert (s. Kap. „Journalismus als konstruktives Chaos“), und Stefan Weber verwendet die nicht-dualisierende Erkenntnistheorie, um den Journalismus als Beschreibungsproduzent – aus nondualistischer Sicht einzuordnen (s. Kap. „Journalismus als Beschreibungsproduzent – aus nondualistischer Sicht“).

Den Schwerpunkt des dritten Abschnitts bilden individuums- und handlungstheoretisch fundierte Beschreibungen des Journalismus. Diese stehen systemtheoretischen Überlegungen nicht notwendigerweise diametral gegenüber, da – wie Hans-Jürgen Bucher in seinem Beitrag über den Journalismus als kommunikatives Handeln schreibt – „eine Theorie des Journalismus, die auf einem strukturellen und relationalen Handlungsbegriff aufsetzt, auch übergeordnete soziale Strukturen integrieren kann und demzufolge mit einer systemischen und makrostrukturellen Modellierung des Journalismus vereinbar ist. Eine kommunikativ verstandene Handlungstheorie verhält sich zu einer Theorie sozialer Ordnung wie der Systemtheorie deshalb komplementär“ (s. Kap. „Journalismus als kommunikatives Handeln“). Primär akteurtheoretisch argumentieren hingegen zwei weitere Beiträge dieses Kapitels: Ausgehend von der wirtschaftswissenschaftlichen Idee des Homo oeconomicus betrachtet Susanne Fengler den Journalismus als rationales Handeln, der mit Hilfe ökonomischer Theorien angemessen erklärt werden könne (s. Kap. „Journalismus als rationales Handeln“). Bernhard Pörksen und Armin Scholl verstehen demgegenüber Journalismus als Wirklichkeitskonstruktion: Auf der Basis konstruktivistischer Überlegungen erläutern sie, wie die subjektabhängige Konstruktion von Wirklichkeit die Entstehung von Medienangeboten prägt (s. Kap. „Journalismus als Wirklichkeitskonstruktion“). Wie sich schwerwiegende berufliche Situationen, die beispielsweise in Traumata enden, auf journalistische Wahrnehmungsprozesse auswirken können, beschreibt Andrea C. Hoffmann in ihrem Beitrag Journalismus als kognitiver und emotionaler Prozess (s. Kap. „Journalismus als kognitiver und emotionaler Prozess“).

Im vierten Abschnitt haben wir jene theoretischen Ansätze zusammengefasst, die darauf zielen, den (scheinbaren) Gegensatz von handlungs- und systemorientierten Sichtweisen zu überwinden. Diese von uns als sozialintegrativ bezeichneten Theorien beruhen im Kern auf soziologischem Denken. So beschreiben Bernd Rasem und Aynur Sarısakaloğlu, der Strukturationstheorie des Soziologen Anthony Giddens folgend, Journalismus als System organisierten Handelns (s. Kap. „Journalismus als System organisierten Handelns“). Thomas Hanitzsch führt in das Denken des französischen Soziologen Bourdieu ein und stellt das journalistische Feld vor (s. Kap. „Das journalistische Feld“), während Christoph Neuberger die theoretischen Überlegungen des Soziologen Schimank in den Mittelpunkt seines Beitrags rückt und Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation identifiziert (s. Kap. „Journalismus als systembezogene Akteurskonstellation“). Zu den sozialintegrativen Ansätzen gehört zudem der Beitrag von Carsten Reinemann und Philip Baugut, die Journalismus als subjektiv rationales Handeln im sozialen Kontext auffassen. Sie plädieren dafür, die Analyse des individuellen situationsbedingten Handelns von Akteuren zu nutzen, um übergeordnete soziale Zusammenhänge zu verstehen, da „nur über die Erklärung individuellen Handelns echte Erklärungen gesellschaftlicher Phänomene möglich sind“ (s. Kap. „Journalismus als subjektiv rationales Handeln im sozialen Kontext“).

Im fünften Abschnitt fassen wir Beiträge zusammen, die ihre Wurzeln vor allem in normativen und partizipationsorientierten Überlegungen haben. Hierzu gehört der Beitrag Journalismus aus normativer Perspektive von Alexander Filipović und Christine Ulrich, die Normativität im Sinne von gesellschaftlich und praktisch etablierten Handlungserwartungen an den Journalismus thematisieren (s. Kap. „Journalismus aus normativer Perspektive“). Mit Journalismus aus marxistischer Perspektive setzt sich Christian Fuchs auseinander, der im Unterschied zum kommunikationswissenschaftlichen Mainstream weiterhin erhebliches heuristisches Potenzial in den damit verbundenen Ansätzen sieht (s. Kap. „Journalismus aus marxistischer Perspektive“). Wenn Andreas M. Scheu Journalismus aus der Perspektive der Kritischen Theorie vorstellt, bezieht er sich in seiner theoriegeschichtlichen Einordnung vor allem auf die Kritik der Frankfurter Schule an der sogenannten Kulturindustrie (s. Kap. „Journalismus aus der Perspektive der Kritischen Theorie“).

Ausgehend von den Traditionen der Cultural Studies, die die Journalismusforschung seit längerem nachhaltig beeinflussen, analysiert Margreth Lünenborg den Journalismus als kulturellen Diskurs (s. Kap. „Journalismus als kultureller Diskurs“). Um Journalismus als Inklusions- und Partizipationsleistung zu konzipieren, greift Martin Welker auf zwei Theoriestränge zurück: die kulturkritisch-emanzipatorische Tradition und die individuell-ökonomische Perspektive. Er veranschaulicht, weshalb in einer Demokratie die Einbindung von Bürgern als journalistischen Laien wesentlich ist, und erklärt für den Journalismus relevante Phänomene wie Community, Watchdog und Citizen Journalism (s. Kap. „Journalismus als Inklusions- und Partizipationsleistung“). Christoph Kuhlmann setzt sich mit der Theorie des kommunikativen Handelns des Soziologen Habermas auseinander und beschreibt, davon ausgehend, Journalismus als Moderation gesellschaftlicher Diskurse – eine Sichtweise, die laut Kuhlmann „teilweise inkompatibel zu herrschenden journalistischen Berufsnormen“ sei und daher einer theoretischen Reflexion bedarf (s. Kap. „Journalismus als Moderation gesellschaftlicher Diskurse“).

Die Beiträge im sechsten Abschnitt tragen der größeren Bedeutung vernetzungs- und technikorientierter Ansätze Rechnung. Netzwerke im Journalismus bestehen häufig aus menschlichen Akteuren; jedoch macht vor allem die Akteur-Netzwerk-Theorie darauf aufmerksam, dass darüber hinaus technische, nicht-menschliche Akteure prägende Elemente von Netzwerken sein können. Diese und weitere Aspekte erläutert Christian Nuernbergk, wenn er Journalismus als Netzwerk beschreibt (s. Kap. „Journalismus als Netzwerk“). Der Beziehung zwischen Internet und Journalismus gehen Alexander Godulla und Cornelia Wolf nach und erklären unter anderem Phänomene wie „Disintermediation“ und „Prosuming“ (s. Kap. „Internet und Journalismus“).

Sportberichte und Börsennachrichten, die von einem Computer geschrieben wurden – solche Szenarien sind mit der zunehmend enger werdenden Beziehung von Automatisierung und Journalismus verbunden. Andreas Graefe und Mario Haim fragen danach, was passiert, wenn journalistische Inhalte durch Algorithmen erstellt werden (s. Kap. „Automatisierung und Journalismus“). Wie seit einigen Jahren virtuelle Realität und Journalismus verbunden werden, beschreiben Irina Tribusean und Aynur Sarısakaloğlu (s. Kap. „Virtuelle Realität und Journalismus“). Werden künstliche Intelligenz und Journalismus verknüpft, sind damit tiefgreifende Veränderungen beispielsweise der Arbeitsprozesse verbunden, wie Aynur Sarısakaloğlu verdeutlicht. Dabei beantwortet sie die Frage, inwieweit diese technologischen Optionen den Nachrichtenjournalismus grundlegend herausfordern (s. Kap. „Künstliche Intelligenz und Journalismus“).

Im siebten Abschnitt finden Sie die sogenannten „Theorien mittlerer Reichweite“, benannt nach dem Soziologen Merton. Hier geht es primär um Aspekte, die mit der Selektion von Informationen verbunden sind und nicht nur in der Journalismusforschung „das zentrale Verbindungsstück zur Empirie“ (Scholl, 2013, S. 168) bilden. Zentrale Modelle, um Journalismus und Gatekeeping zu beschreiben, stellt Nina Springer vor (s. Kap. „Journalismus und Gatekeeping“). Christiane Eilders fasst in ihrem Beitrag Journalismus und Nachrichtenwert zentrale Überlegungen der Nachrichtenwertforschung unter besonderer Berücksichtigung wahrnehmungspsychologischer Aspekte zusammen (s. Kap. „Journalismus und Nachrichtenwert“). In Journalismus und Agenda-Setting stellt Marcus Maurer vor, wie die Themenagenden von Journalismus, Politik und Bevölkerung entstehen und aufeinander bezogen sind (s. Kap. „Journalismus und Agenda-Setting“). Der Beitrag zu Journalismus und Framing schließt daran direkt an: Ines Engelmann und Simon Lübke erläutern, wie sich Medien-Frames definieren und analysieren lassen (s. Kap. „Journalismus und Framing“).

Im achten Abschnitt rücken journalistische Produkte und deren Publikumsbezüge in den Fokus. Oliver Hahn, Julia Lönnendonker und Roland Schröder betonen dabei linguistische Ansätze: Journalismus als sprachkulturelle Leistung zu verstehen helfe beispielsweise, der zunehmend international und interkulturell verlaufenden Medienkommunikation besser gerecht zu werden (s. Kap. „Journalismus als sprachkulturelle Leistung“). Um Sprache, Stil und Genres des Journalismus geht es im Beitrag von Hektor Haarkötter. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass die Sprache des Journalismus vermehrt vehementer Kritik ausgesetzt sei (s. Kap. „Sprache, Stil und Genres des Journalismus“). Viorela Dan setzt sich im Anschluss mit der Multimodalität im Journalismus auseinander, also mit den Beziehungen zwischen visuellen und verbalen Darstellungen (s. Kap. „Multimodalität im Journalismus“).

Einen neuen Zugang zu Qualität im Journalismus findet Dennis Reineck, indem er fragt, welche Werte Journalismus eigentlich zugrunde liegen und wie Qualitätsurteile zustande kommen (s. Kap. „Qualität des Journalismus“). Mit Fehlinformation, Themenverdrossenheit, Misstrauen und Journalismus beschäftigen sich Johanna Radechovsky und Christina Schumann. Sie erklären, wann Rezipient:innen verstärkt mit Fehlinformationen in Kontakt kommen und warum sie sich von journalistischen Informationen abwenden (s. Kap. „Fehlinformation, Themenverdrossenheit, Misstrauen und Journalismus“). Martina Thiele und Elisabeth Lueginger rücken ebenfalls die Publikumsperspektive in den Fokus ihres Beitrags zu Publika des Journalismus. Relevante Ansätze unterscheiden sich demnach vor allem danach, inwiefern das Publikum eher starken oder schwachen Medienwirkungen ausgesetzt ist, und ob es als eher aktiv oder passiv, als Individuum, als Gruppe oder Masse, gesehen wird (s. Kap. „Die Publika des Journalismus“).

Im neunten Abschnitt konzentrieren wir uns auf zentrale Teilaspekte oder Dimensionen des Journalismus, die mit Hilfe unterschiedlicher theoretischer Ansätze beschrieben und erklärt werden. Thomas Birkner und Annika Keute konzipieren Journalismusgeschichte als Sozialgeschichte. Sie konstatieren, „dass etwa die Systemtheorie nach Niklas Luhmann oder auch die Feldtheorie nach Pierre Bourdieu durchaus hilfreiche Bausteine für eine theoretische Fundierung der historischen Forschung zur Entwicklung des Journalismus bieten können.“ (s. Kap. „Journalismusgeschichte als Sozialgeschichte“). Mit der Globalisierung des Journalismus entstehen neue Herausforderungen für die Theoriebildung, die Liane Rothenberger im Hinblick auf gesellschaftliche, organisatorische und individuelle Aspekte erläutert und darauf aufbauend Hinweise zur empirischen Umsetzbarkeit globaler Journalismusstudien gibt (s. Kap. „Globalisierung des Journalismus“).

Um die Organisation des Journalismus zu verstehen, erläutert Alice Srugies Ansätze aus Soziologie, Kulturwissenschaft und Managementforschung (s. Kap. „Institution und Organisation des Journalismus“). Beatrice Dernbach diskutiert in ihrem Beitrag zur Ausbildung für Journalismus „inwieweit eine Neujustierung der forschungsgeleiteten Gestaltung der Ausbildung sowie deren praxisorientierte Neukonzeption notwendig und umsetzbar sind“ (s. Kap. „Ausbildung für Journalismus“). In dem Beitrag Journalismustheorien und Gender Studies gehen Elisabeth Klaus und Susanne Kirchhoff auf den Gleichheits- und Differenzansatz, den De/Konstruktivismus, die Cultural sowie die Queer Studies ein (s. Kap. „Journalismustheorien und Gender Studies“). Barbara Thomaß führt in ihrem Beitrag in die Ethik des Journalismus ein und berücksichtigt dabei vor allem individualethische, systemtheoretische und diskurstheoretische Positionen (s. Kap. „Ethik des Journalismus“).

In den zehnten Abschnitt haben wir Beiträge aufgenommen, die die Interrelationen des Journalismus zu seinen verschiedenen Umwelten theoretisch beschreiben. Klaus-Dieter Altmeppen, Regina Greck und Tanja Evers problematisieren die Beziehungen von Journalismus, Medien und Plattformen und erläutern, warum Journalismus und Medien nicht gleichgesetzt werden sollten (s. Kap. „Journalismus, Medien und Plattformen“). Einen Überblick über Ansätze zur Beschreibung der Interrelationen von Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit liefert Andreas Schwarz, ergänzt durch Hinweise zu damit verbundenen Konzepten der internationalen Kommunikationsforschung (s. Kap. „Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit“). Ebenfalls intensiv erforscht sind die Beziehungen von Journalismus und Politik: Hartmut Wessler und Eike Mark Rinke erklären, welche normativen Schablonen angelegt werden, um zu beschreiben, was Journalismus in einer Demokratie leisten soll (s. Kap. „Journalismus und Politik“). Im daran anschließenden Beitrag Journalismus und Justiz thematisiert Franziska Oehmer-Pedrazzi normative, juristische und journalistische Perspektiven auf diese durchaus spannungsreiche Beziehung (s. Kap. „Journalismus und Justiz“).

Kathrin Schleicher zeigt, wie das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von Journalismus und Militär theoretisch modelliert werden kann (s. Kap. „Journalismus und Militär“). Harald Rau erklärt die wesentlichen Aspekte einer Ökonomie des Journalismus vor dem Hintergrund neoklassischer Ansätze und der Vorstellung eines rational handelnden Subjekts (s. Kap. „Ökonomie des Journalismus“). Das Verhältnis von Journalismus und Wissenschaft schwankt nach Auffassung von Alexander Görke zwischen „Führen“ und „Geführt-Werden“; er geht dabei kritisch auf das „Paradigma Wissenschaftspopularisierung“ und den Medialisierungsansatz ein (s. Kap. „Journalismus und Wissenschaft“). Folker Hanusch widmet sich dem komplexen Verhältnis von Journalismus und Kultur, das in der Forschung zunehmend wichtiger wird (s. Kap. „Journalismus und Kultur“). Ähnliches lässt sich für die Interrelationen von Journalismus und Religion feststellen. Kerstin Radde-Antweiler präsentiert dazu systemtheoretische und akteurszentrierte Perspektiven (s. Kap. „Journalismus und Religion“). Den Beziehungen von Journalismus und Unterhaltung widmet sich Daniel Beck. Einerseits kann Unterhaltung primär als Rezeptionsprozess gesehen werden, andererseits fungieren Unterhaltung und Journalismus als „Teilsysteme der Öffentlichkeit mit unterschiedlichen Leistungen und Orientierungen“ (s. Kap. „Journalismus und Unterhaltung“). Michael Schaffrath verwendet system- und akteurtheoretische Überlegungen, um das Verhältnis von Journalismus und Sport zu bestimmen (s. Kap. „Journalismus und Sport“).

Die insgesamt 55 Beiträge dieses Handbuchs zeigen: Journalismustheorien präsentieren sich heute vielfältiger und heterogener denn je. Ob die vormals klar erkennbaren Abgrenzungsbemühungen zwischen unterschiedlichen theoretischen Richtungen „mittlerweile einem Theorieintegrationsbedürfnis gewichen“ (Altmeppen et al., 2007, S. 8) sind, vermögen wir nicht zu sagen. Richtig ist aber, dass „das Ringen um die Deutungshoheit […] nicht beendet“ (Altmeppen et al., 2007, S. 8) ist – und das ist gut so, denn die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Konsistenz, Viabilität und Empiriefähigkeit theoretischer Ansätze ist ein maßgeblicher Treiber zu einem besseren Verständnis des Journalismus.