Da stimmt die Chemie

Was macht eigentlich Angela Merkels Ehemann, wenn seine Gattin zur Bundeskanzlerin gewählt wird? Wird er Deutschlands erster "First Man"? Porträt eines inzwischen berühmten Professors.

Schon vor den Wirren des CDU-Spendenskandals hatte ein Ereignis stattgefunden, mit dem zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet hatte, die zweite Heirat Angela Merkels. Über eine unverheiratete, noch dazu in „wilder Ehe“ lebende Frau als CDU-Bundesvorsitzende hatten manche Traditionalisten die Nase gerümpft. „Angeblich gibt es ja auch in der jetzigen Regierung eine Ministerin christlicher Couleur, die nicht in einer Ehe lebt“, hatte Joachim Kardinal Meisner bereits im August 1993 in der Bild-Zeitung erklärt. Daraufhin war Angela Merkel zum Kölner Kardinal gefahren und hatte ihm „erklärt, warum ich es für richtig halte, vorsichtig zu sein, wenn man schon mal verheiratet war“. Immer wieder wurde die Ministerin und spätere Generalsekretärin auf ihren fehlenden Ehestand angesprochen: Bevor sie 1991 die Nachfolge von Lothar de Maizière als Stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende angetreten hatte, antwortete sie laut Bild auf die Frage einer Wiederheirat noch mit einem Nein: „Das hatte ich schon mal.“ Irgendwann war es Angela Merkel leid, direkt oder indirekt auf ihr Zusammenleben mit dem Quantenchemiker Joachim Sauer angesprochen zu werden, über den bislang fast nichts bekannt ist. Es kursiert das Gerücht, dass ihr der damalige Fraktionsvorsitzende Schäuble zur Eheschließung geraten habe. Am 30. Dezember 1998 heirateten Angela Merkel und Joachim Sauer. Die beiden Naturwissenschaftler wurden im Standesamt Berlin-Mitte getraut. Nicht einmal die Eltern – so wusste Bild zu berichten – waren zugegen. Die Presse rieb sich gleichsam die Augen. Niemand war informiert. Erst eine völlig unscheinbare und schnörkellose Anzeige („Wir haben geheiratet. Angela Merkel Joachim Sauer – Berlin, Dezember 1998“) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Januar 1999 in der Mini-Größe des Boden-Deckels einer Zigarettenschachtel (8,4 mal 2,4 Zentimeter) machte dieses Ereignis öffentlich. Sauer ist fünf Jahre älter als Angela Merkel. Er wurde 1949 als Sohn eines Konditor-meisters geboren, nahm 1967 sein Studium an der Humboldt-Universität in Berlin auf, wo er 1972 sein Diplom in Chemie erhielt. An der Humboldt-Universität arbeitete er wissenschaftlich von 1973 bis 1976. Bereits 1974 wurde er zum „Dr. rer. nat.“ promoviert. 1977 ging er zur Akademie der Wissenschaften. Die einstige Chemische Gesellschaft der DDR zeichnete Sauer 1982 mit dem Friedrich-Wöhler-Preis aus. 1985 habilitierte er sich an der Akademie der Wissenschaften, konnte sich seitdem „Dr. sc. nat.“ nennen. Sauer war bereits einmal verheiratet. Aus dieser im Jahre 1969 geschlossenen Ehe mit einer einstigen Klassenkameradin, einer diplomierten Chemikerin, gingen zwei Söhne hervor. Seine erste Frau, die lange Jahre wegen der Kindererziehung nicht berufstätig war, arbeitete später als Lektorin. Angela Merkel war zeitweise im Hause Sauer eingeladen. Sauer zog 1983 aus der gemeinsamen Wohnung aus, 1985 erfolgte die Scheidung. Sauer und Merkel waren sich am Zentralinstitut für Physikalische Chemie (ZIPC) der Akademie der Wissenschaften näher gekommen. Die Zeitschrift Bunte schrieb, das Brautpaar hätte sich zum Zeitpunkt der Eheschließung schon seit 17 Jahren gekannt. Scheiterte Sauers erste Ehe wegen Angela Merkel? Sie selbst äußert sich verständlicherweise nicht dazu. Sauer, dem Angela Merkel in ihrer im Januar 1986 eingereichten Doktorarbeit für die „kritische Durchsicht des Manuskripts“ dankte, hatte sich an der Akademie der Wissenschaften vor allem mit der Quantenchemie befasst. Sauer ist insgesamt in der akademischen Fachwelt – auch über Berlin hinaus – sehr anerkannt, wenngleich er von vielen als „schroff“ und „seine Überlegenheit ausspielend“ analysiert wird. Gerhard Öhlmann indes, der bis zur Wendezeit das ZIPC leitete, schwärmt heute noch von seinem einstigen Mitarbeiter, „der auf dem Gebiet der Theoretischen Chemie einer der fähigsten Mitarbeiter überhaupt war. Sowohl hinsichtlich seines Wissens als auch seines analytischen Denkvermögens hat er andere überragt.“ In der Akademie selbst war Sauers kritische Einstellung gegenüber dem real existierenden Sozialismus bekannt. Das ehemalige SED-Mitglied Öhlmann weist darauf hin, dass an der Akademie alles in allem eine recht tolerante Atmosphäre herrschte. „Sicher, es gab auch Leute, die die parteiliche Holzhammermethode bevorzugten. Doch man konnte in der Akademie seine Auffassungen sagen, auch wenn sie sich nicht mit der Staatsmeinung deckten.“ Andere berichten, Sauer habe während der Debatte um die NATO-Nachrüstung in der Endphase der Kanzlerschaft Helmut Schmidts die Berechtigung des Westens zu einem solchen Schritt hervorgehoben. Seit wann genau Angela Merkel und der zu Hause „Achim“ genannte Sauer zusammenleben, ist nicht bekannt. Es fällt auf, dass es nur wenige gemeinsame Fotos des Ehepaars Sauer/Merkel gibt. Am bekanntesten sind die alljährlich bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth und manchmal auch in Salzburg geschossenen Bilder. Ein einstiger unmittelbarer Mitarbeiter von Merkel erinnert sich, dass sein erster Arbeitsauftrag darin bestand, „Karten für Bayreuth“ zu besorgen; ihr Mann wolle das so. Seitdem gilt auch Angela Merkel als „Wagnerianerin“. Sauer wurde schon zu DDR-Zeiten häufig mit seiner ersten Frau in der Berliner Staatsoper gesichtet. Selbst an Wahlabenden hält sich Sauer im Berliner Konrad-Adenauer-Haus von der Öffent1ichkeit fern. Mitgeteilt werden nur die privaten Ereignisse, deren Veröffentlichung nicht vermeidbar ist, wo sie beispielsweise den Urlaub verbringen, und dass beide gerne in den Bergen wandern: „…weil wir dort auch körperlich sehr gefordert sind und schon deshalb nicht unentwegt über Politik nachdenken. Und noch einen Vorteil hat das Wandern in den Bergen: „Wir sind für einige Stunden per Handy nicht erreichbar.“ Das Ehepaar Sauer/Merkel hält sich öfters zum Wandern in der Schweiz in Pontresina im Engadin auf. Oder es wird eine „wunderbare Kalifornienreise“ bekannt gegeben: „Urlaub weit weg von daheim hilft, den Dingen zu entfliehen. In diesen vier Wochen ist es mir gelungen, richtig abzuschalten.“ Auch dass Angela Merkel ihren Mann „sehr gerne“ bekocht, hat sie preisgegeben: „Eintöpfe, Schnitzel, verschiedene Fischgerichte – das kann ich alles besonders gut. Auch Kuchen backe ich gerne. Bei mir ist noch keiner unzufrieden weggegangen.“ Bei mehreren Interviews mit Fotografin Herlinde Koelbl feiert sie ihre Kunst des Pflaumenkuchenbackens und bekennt 1993: „Das war überhaupt der größte Fortschritt im letzten Jahr. Zweimal habe ich es geschafft. Zweimal Pflaumenkuchen! Leider Blässlinge, weil ich es nicht schaffe, den Boden braun zu kriegen. Dass ich den Pflaumenkuchen endlich gebacken habe, ist ein Teil der Konsolidierung meines Lebens nach der Wende.“ Allerdings ist der Konditor-sohn Sauer ebenfalls als „Tortenmacher“ befähigt, „hinreißend zu backen“, wie sich Familienanhänge erinnern. Am Silvestertag 2001 hat Angela Merkel zu Hause eine Gans gebraten, mit Rotkohl und Salzkartoffeln. Aber auch sonst beherrscht die CDU-Vorsitzende Deftiges: „Ich bin bei Rouladen ganz firm, koche gern Kartoffelsuppe und Hühnerbrühe.“ Wichtig ist dem Ehepaar ein gelegentlicher Aufenthalt in ihrer „Datsche“ in der Nähe von Templin, einem einfachen Häuschen inmitten der herrlichen Natur der Uckermark. Dort war sie auch in Hohenwalde, einem Ort mit sechzig Einwohnern, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre Mitglied eines Anglervereins. Das gab sie auch beim Festakt anlässlich des fünfzigsten Gründungsjubiläums in einer Rede zu Protokoll: „Ich zum Beispiel war, ohne jemals selber einen Fisch geangelt zu haben, trotzdem Mitglied des Anglerverbandes der DDR, weil dort, wo ich lebte, in der Uckermark, das Befahren des nahen Sees nur erlaubt war, wenn man Mitglied des Anglerverbandes war.“ Das Anfischen, das Abfischen und das winterliche Fest des Anglerverbandes hat sie dann auch „ein- oder zweimal organisiert“. Aber alles in allem versucht das Paar, sich völlig abzuschirmen. Fotos von einem gemeinsamen Planschbad im Swimmingpool etwa wird man für die nächsten Jahre nicht zu erwarten haben, auch nicht eine medial zu vermittelnde Liebe zu einem Haustier. Die erste wie die zweite Ehe Angela Merkels blieb kinderlos. „Ich habe Kinder nicht ausgeschlossen, es hat sich aber nicht ergeben. Als ich dann in die Politik ging, war ich 35 Jahre alt und da hat sich diese Frage nicht mehr gestellt“, sagte sie 2002. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Sauer nicht ein weiteres Mal Vater werden wollte. „Vielleicht bedauere ich mit 70, dass ich keine Enkel habe. Ich weiß es nicht“, sagte Merkel schon 2000. Die beiden Sauer-Söhne lebten nach der Trennung bei der Mutter. Gelegentlich verdienten sie sich im Hause Sauer/Merkel etwas Taschengeld, wenn Gäste kamen. Das Ehepaar wohnt in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nähe zum Pergamon-Museum – wenige Meter vom Büro des früheren Bundespräsidenten Richard Freiherr von Weizsäcker entfernt. Gelegentlich mokierte man sich in Berlin über die Ruhebedürftigkeit des Ehepaares Merkel/Sauer (oder: Sauer/Merkel?), insbesondere von Sauer. Als die beiden Söhne Sauers noch zu Hause waren, mussten sie „durch dicke gestrickte Strümpfe“ jedem Lärm vorbeugen, wie sich Familienmitglieder heute erinnern. Sauer hat nach der zweiten Open-Air-Aufführung von Kleists „Amphitryon“ am Pergamon-Museum gegenüber seiner Wohnung am 16. August 2001 beim Umweltamt des Bezirks Mitte Anzeige wegen des Lärms erstattet, was zu einer Verwarnung der Liedermacher führte; eine Lärmmessung wurde angeordnet. Wer Sauer kennt, hält ihn trotz seiner naturwissenschaftlichen Profession für sehr „politisch“. Vermutlich übt er – der als ein „brillanter Kopf“ gilt – mehr politischen Einfluss auf Angela Merkel aus als bekannt ist oder vermutet wird. Dies wird von Angela Merkel nicht einmal bestritten: „Es heißt oft, dass mein Mann als politischer Berater keine Rolle spiele. Diese Einschätzung entspricht überhaupt nicht den Tatsachen.“ Manche haben beobachtet, dass zu Hause, im unmittelbar-privaten Umfeld, Sauer der Dominierende sei. Sein in der Fachwelt bekanntes ausgeprägtes Selbstbewusstsein lässt wohl kaum zu, dass er sich über seine Frau definiert. So wurde berichtet, dem FDP-Chef Guido Westerwelle sei ein kaum verzeihlicher Fauxpas unterlaufen, als er den Professor mit „Guten Tag, Herr Merkel“ begrüßte. „Der so Angesprochene reagierte wie sein Name – sauer“, berichtet die Bunte. In Deutschland ist zudem die Rolle eines Ehemannes einer bedeutenden und einflussreichen Politikerin eher noch eine ungewohnte. Sauer tut alles, um nicht in die Rolle von Dennis Thatcher, des einst viel belächelten Ehemannes der als Eiserne Lady bekannt gewordenen britischen Premierministerin, zu geraten. Angela Merkel vermittelte 2000 in einem Gesellschaftsblatt eine erstaunliche Botschaft: Wenn ihr Mann beispielsweise eine Professur oder einen Forschungsauftrag in Südafrika bekäme, „dann würde sie ihm wohl folgen – und die Politik links liegen lassen“. Dies hätten beide „schon vor längerer Zeit“ so vereinbart. Ob dem wirklich so ist? Aber ein deutscher Professor verlässt wohl kaum freiwillig seinen sicheren Lehrstuhl für einen Forschungsauftrag im Ausland. Gerd Langguth, Merkel-Biograf, unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn, war Bundestagsabgeordneter und Mitglied des CDU-Bundesvorstandes

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