Zusammenfassung
Am 3. Februar 1923 fand in Frankfurt die offizielle Gründung des Instituts für Sozialforschung statt, nachdem man ein Jahr lang verhandelt hatte, in welchem Rahmen das geschehen sollte. Das Institut sollte gleichzeitig unabhängig sein, aber doch in Anlehnung an die Universität Frankfurt stehen. Die Idee der Gründung stammte von Felix J. Weil, dem einzigen Sohn eines nach Argentinien ausgewanderten Getreide-Großkaufmanns, der schon aus eigenem mütterlichen Vermögen einige „radikale Aktivitäten“ in Deutschland finanziert hatte, um zu studieren, wie man die verschiedenen marxistischen Strömungen zu einer Einheit bringen könne.
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Am 3. Februar 1923 fand in Frankfurt die offizielle Gründung des Instituts für Sozialforschung statt, nachdem man ein Jahr lang verhandelt hatte, in welchem Rahmen das geschehen sollte.Footnote 1 Das Institut sollte gleichzeitig unabhängig sein, aber doch in Anlehnung an die Universität Frankfurt stehen. Die Idee der Gründung stammte von Felix J. Weil, dem einzigen Sohn eines nach Argentinien ausgewanderten Getreide-Großkaufmanns, der schon aus eigenem mütterlichen Vermögen einige „radikale Aktivitäten“ in Deutschland finanziert hatte, um zu studieren, wie man die verschiedenen marxistischen Strömungen zu einer Einheit bringen könne. Seine Dissertation erschien in einer von Karl Korsch – neben Georg Lukács einer der bedeutendsten Marxisten jener Jahre – herausgegebenen Reihe.Footnote 2 Bei einer Diskussionsveranstaltung lernte Weil Friedrich PollockFootnote 3 kennen, der schon seit der Vorkriegszeit mit Max Horkheimer befreundet gewesen war, der nun seinerseits dem Plan von Weil zustimmte, ein solches Institut zu begründen.
Es war sicher das erste Mal, daß in der deutschen akademischen Welt ein Institut für Sozialwissenschaften aus privater Initiative entstand, nachdem schon viel früher, 1901, das Institut Solvay in Brüssel mit ähnlicher Zwecksetzung, wenn auch anderer politischer Orientierung, eröffnet worden war.Footnote 4 Friedrich Pollock wurde übrigens lebenslänglich zum guten Geist des Instituts, dessen Finanzen er mit Umsicht regelte, besonders auch, als es mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in die Gefahrenzone geriet. Pollock hat oft genug eigene Arbeitspläne um des Instituts willen zurückgestellt; er war der getreue Paladin seines Meisters Horkheimer, und von ihm strahlte eine Ruhe und Sicherheit aus, deren die anderen Mitglieder oft nur allzusehr ermangelten.
Da mit dem Kultusministerium vereinbart worden war, daß der Direktor des Instituts ordentlicher Professor an der Universität Frankfurt sein mußte, einigte man sich nach einigem Hin und Her, worüber später mehr, auf den Rechts- und Wirtschaftshistoriker Carl Grünberg aus Wien, der allerdings schon 1929 krankheitshalber von seinem Direktorenamt zurücktrat. Als dann im gleichen Jahr an der Frankfurter Universität ein Lehrstuhl für Sozialphilosophie eingerichtet und mit Max Horkheimer besetzt worden war (als Stiftungsprofessur ebenfalls von Weil finanziert), konnte Horkheimer ab Juli 1930 auch das Direktorat des Instituts übernehmen. Gleichzeitig begann auch die Begründung von Nebenstellen im Ausland, zunächst in Genf, später in Paris. Das war für Pollock auch der Anlaß, das Stiftungskapital nach Holland zu transferieren, was sich angesichts der kommenden politischen Entwicklung in Deutschland als ein entscheidender Schachzug erwies, mit dem das Institut den Nationalsozialismus überrundete. Gleichzeitig begann die „Zeitschrift für Sozialforschung“ als Institutsorgan zu erscheinen (1932‒1939), die später in New York durch die „Studies in Philosophy and Social Science“ fortgesetzt wurde (1939‒1941). Die entscheidende Organisationsstruktur des Instituts war diktatorial (und ausdrücklich nicht kollegial) auf Horkheimer ausgerichtet, neben dem bestenfalls noch Pollock als „Schatzkämmerer“ eine Nebenrolle zufiel. Darin unterschied sich das Frankfurter Institut wesentlich von dem etwas früher (1919) eingerichteten Kölner Institut für Sozialwissenschaften.Footnote 5
Da heute die hervorragende Monographie von Martin Jay über die weitere Entwicklung des Frankfurter Instituts vorliegt, mag darauf verwiesen werden, um die folgende Pariser Periode und die Übersiedlung nach New York (1940) in Einzelheiten zu verfolgen. Die Historiker einer späteren Zeit mögen ferner ausmachen, ob das Institut in seinen Verlagerungen von Frankfurt nach New York und dann wieder (1950/51) von New York nach Frankfurt zurück seine Identität durchgehalten hat. Da ich selber an der Wiedereröffnungsfeier teilgenommen habe, kann ich als Augen- und Ohrenzeuge bekunden, daß das neue Institut für Sozialforschung zunächst als Propagator der empirischen Soziologie auftrat; selbst Adorno wirkte in diesem Sinn.Footnote 6 Man wird sich fragen müssen, ob das Tarnung war oder eine wirkliche Programmatik – eine Frage, die um so berechtigter ist, als die Institutsmitglieder (vielleicht mit Ausnahme von Pollock) nur geringe Erfahrung auf diesem Gebiet hatten, wie auch die durchweg ablehnenden Kritiken in den Vereinigten Staaten lehren. Aber Pollocks Studie über Gruppendiskussion (1955) war doch eine originelle Leistung mit einer hintergründig forschungstechnisch-politischen Doppelbedeutung.Footnote 7 Mit der Zeit wurde aber die Einstellung gegenüber der empirischen Sozialforschung immer negativer, und man kann wohl sagen, daß das Institut in Frankfurt wesentlich mitverantwortlich wurde für die seit der Mitte der sechziger Jahre erfolgte Polarisierung der deutschen Soziologie, wobei die eingesetzten Mittel nicht immer fair waren.Footnote 8
Soziologie und Kritik. Da sich Soziologie seit jeher auch als „Kritik“ verstanden hat, scheint es durchaus überflüssig, den Begriff einer „kritischen Theorie“ für eine besondere Art von Soziologie zu verwenden, wie das seit etwa 1936 der Fall ist (also nicht von Anfang an). In der Tat liegt aber in der Betonung dieses Begriffs ein besonderer Anspruch, vor dem sich die „kritische Theorie“ wird ausweisen müssen, um festzustellen, inwiefern sie wirklich kritisch ist oder vielleicht „anders“ kritisch ist als die anderen Soziologien.
Als Immanuel Kant den Begriff der „Kritik“ konzipierte, um seine „neue Wissenschaft“ zu charakterisieren, stellte er diese Kritik zwischen „Dogmatismus“ und „Skeptizismus“, womit er seine kopernikanische Wendung ankündigte, die sich gleich weit entfernt hielt von der Wiederholung des Gewesenen und der zynischen Entscheidungslosigkeit angesichts einer sowieso nicht gestaltungsfähigen Wirklichkeit – Positionen, die nur zu falschen Friedensschlüssen mit den gegebenen „Verhältnissen“, zu Akkomodation oder Assimilation verleiten. Solche Kritik war aber auch seit jeher das Ziel der Soziologie, wie es zuerst von Claude-Henri de Saint-Simon und Auguste Comte ausgesprochen worden war und später von anderen übernommen und ausgebaut wurde.
Angesichts dieser Tatsache muß es verwundern, wenn sich die „kritische Theorie“ von allem Anfang an einer völligen Mißverkennung der genannten Begründer der Soziologie schuldig macht, die sie als „Positivisten“ verteufelt; dazu bemerkt selbst der wohlgesonnene Historiker der Frankfurter Schule, Martin Jay, daß man in diesem Kreise „den Begriff des ‚Positivismus‘ niemals streng definiert, sondern ihn stets locker zur Kennzeichnung jener philosophischen Strömung benutzt, deren Vertreter man als Nominalisten, Phänomenologen (das heißt Anti-Essentialisten) und Empiristen bezeichnet und die der sogenannten szientifischen Methode huldigen“.Footnote 9 Damit beweisen sie nur, wie man sofort hinzufügen muß, daß sie niemals verstanden haben, daß der Begriff „Positivismus“ im 20. Jahrhundert einen völlig anderen Sinn hat als bei Saint-Simon und Comte.Footnote 10 Umgekehrt beweist neuerdings Jürgen Habermas, der sich als das Sprachrohr dieser Schule empfindet, daß er Comte und dem Positivismus gegenüber genau so voreingenommen gegenübersteht wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. „Der Positivismus steht und fällt mit dem Grundsatz des Szientismus, daß der Sinn von Erkenntnis durch das, was die Wissenschaften leisten, definiert ist und darum zureichend auf dem Wege der methodologischen Analyse wissenschaftlicher Verfahrensweisen expliziert werden kann.“Footnote 11
In einem Aufsatz über Traditionelle und kritische Theorie (1937) hebt Horkheimer gegenüber der empirischen Wissenschaft hervor, es komme ihr auf reines Wissen und niemals auf Handeln an.Footnote 12 Wir fragen uns, was er mit Comtes Selbstdefinition des Positivismus angefangen hätte: „Positivisme c’est action“ – „Positivismus ist Handlung“.Footnote 13 Insbesondere ist die Annäherung von Comte an Ernst MachFootnote 14 durch Habermas zweifellos völlig abwegig. Er nimmt sie mit der Begründung vor, Comte sei „Szientist“ (also eingeschworen auf Technokratie der Forschungstechniken), und es gebe keine Erkenntnistheorie hei ihm. Man zweifelt daran, daß Habermas Comte jemals gründlich gelesen hat.
Denn wenn man Comte einen Vorwurf machen kann, dann ist es der, daß er die Frage der Forschungstechniken mehr oder weniger vernachlässigt, während der ganze Schlußteil seines Hauptwerks auf soziologische Durchdringung der Erkenntnistheorie ausgerichtet ist (was man heute als „Soziologie der Erkenntnis“ bezeichnen würde).
Sowohl Horkheimer als auch Habermas erliegen schon im Ansatz dem seit einem Jahrhundert immer wieder nachgeredeten deutschen Vorurteil über den französischen Positivismus. Gewiß ist bei Comte auch von Wissenschaftsmethode (wenn auch nur vorübergehend und nicht sehr erschöpfend) die Rede; niemals fragt sich aber einer der Betrachter: warum „positiv“ und nicht etwa einfacher „empirisch“? In Wahrheit eröffnet der Positivismus seinen Sinn erst, wenn man das Wort in das zugehörige Sprachfeld einordnet; dann steht das positive Stadium einem „negativen“ (resp. „kritischen“) gegenüber, innerhalb dessen sich die Krise der modernen Welt mit ihren verschiedenen Revolutionen vollzieht. Hier ist in der Tat weder von Wissenschaft noch von methodologischem Monismus, sondern von Krisenanalyse im strengen Sinne die Rede (übrigens auch kombiniert mit einer eigentlichen Erkenntnistheorie, die sich schon bei Comte als Soziologie des Wissens darstellt). Darum habe ich es auch immer wieder abgelehnt, den Ausdruck des Szientismus auf Comte und die daraus herausgewachsene Soziologie etwa eines Emile Durkheim anzuwenden, für den Soziologie ebenfalls Kritik war, die sich gleich weit von Dogmatismus und Skepsis fernhielt.Footnote 15
Die Frankfurter Schule – Bund oder akademische Gemeinschaft? Es ist allerdings nicht einfach, ein adäquates Bild der kritischen Theorie zu gewinnen, da ganze Reihen von Motiven sich miteinander verflechten, die häufig das Bild eher verwirren als klären. Um das zu verstehen, muß man nur die Einstellung Horkheimers zu Karl Mannheim und seinem von Alfred Weber übernommenen Begriff des „freischwebenden Intellektuellen“ betrachten, dem in dem Chaos der Weltanschauungskämpfe die Rolle des ausgleichenden Analytikers zukomme.Footnote 16 Horkheimer lehnt das ab und betont die Einheit von Erkenntnis und Interesse (dies auch ein Buchtitel von Habermas); gleichzeitig aber setzt er als Ausgangspunkt die „dialektische Sozialforschung“, worin auch „ästhetische Imagination“, „Phantasie als eine Quelle genuin menschlicher Wünsche und Bestrebungen einbegriffen sind“.Footnote 17 Diese Momente haben auch den Titel des Werkes von Martin Jay bestimmt: Dialektische Phantasie. Damit schält sich aber ein charismatischer Anspruch heraus, den Horkheimer unumwunden zu mehreren Malen angemeldet und auch in seiner Institutspolitik durchgesetzt hat. Das ist bereits von einer akademischen Gemeinschaft sehr verschieden und weist uns mehr und mehr auf die Kategorie des „Bundes“ zur Charakteristik der Frankfurter Schule. Dieser Bund war zudem von streng autoritärer Struktur, in der alle Mitarbeiter des Instituts für Horkheimer Zubringerdienste zu leisten hatten, der als Philosoph die Forschung der anderen zur Synthese bringen wollte.Footnote 18
Der in der ästhetischen Imagination bereits angeklungene romantische Hintergrund vertieft sich, wenn man sich etwa mit einem frühen Mitglied dieses Kreises, Walter Benjamin, befaßt und bei ihm in seiner hochinteressanten Dissertation über den Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1920) dem Begriff der „poetischen Kritik“ begegnetFootnote 19, ein Ausdruck, der überraschenderweise ausgerechnet hei Habermas in seiner Charakteristik Wilhelm Diltheys wiederkehrt. Hier heißt es: „Jedes Erlebnis von kognitiver Bedeutung ist poetisch – wenn Poiesis Sinnschöpfung, eben den Produktionsvorgang meint, in dem der Geist sich selber objektiviert.“Footnote 20 Gemeinsamkeit in der Sinnschöpfung ist aber unter anderen ein Merkmal des Bundes, dessen zentrale Persönlichkeit zweifellos Horkheimer war. Wichtig scheint uns, daß hier nicht nur eine romantische, sondern gleichzeitig eine stark ästhetische Kraft obwaltet, die ihn auch gelegentlich in die Domäne der Kunst entführte, wie übrigens vor allem Adorno, dessen bedeutendste, zeitweilig stark auf die jüngeren Generationen wirkenden Leistungen zweifellos seine ästhetischen Schriften sind (abgesehen von seinen Kompositionen). In dieser wie in anderen Hinsichten ist der Bund um Horkheimer dem „Kreis“ um Stefan GeorgeFootnote 21 außerordentlich ähnlich, ganz abgesehen davon, daß in der Person von Kurt Albert Gerlach (der ursprünglich als erster Institutsdirektor ausersehen war, aber 1922 unerwartet früh verstarbFootnote 22) diese Beziehung faktisch gegeben war, wenn auch im Gegensatz zum Georgeschen Rechtskonservatismus mit einer linken (vielleicht sogar kommunistischen) Linie, die wohl eindeutig klar wird bei Richard Sorge, dem damaligen Assistenten von Gerlach und späteren sowjetischen Meisterspion in Ostasien.Footnote 23
Das Überraschendste an dieser Gruppe ist nun aber die Tatsache, daß der Motor, der hier die Sozialwissenschaft antrieb, der Marxismus war. Zwar wirkt auch dabei eine stark ästhetische Note mit, die Jay dazu veranlaßt, die Frankfurter als „Paramarxisten“ zu bezeichnenFootnote 24; aber es bleibt doch das Paradox, daß sich „Kritik“ hier letztlich als „Dogmatismus“ enthüllt, selbst wenn man ein noch so hohes Maß an Selbstbewußtsein und Distanz bei den Beteiligten zu manchen Formen des Vulgärmarxismus voraussetzen darf. Allerdings gibt es gelegentlich auch das, wie man leicht aus den Minima Moralia (1951) von Adorno erkennen kann, wo die vulgärmarxistische Kulturkritik nur durch den preziösen Stil verdeckt wird. Als Konstante bleibt aber zunächst der dogmatische Marxismus (auf Abweichungen soll später eingegangen werden), was – wissenschaftslogisch besehen – um so mehr überraschen muß, als alle Beteiligten ausnahmslos der bürgerlichen Oberklasse angehörten, was sie für manche in die Nähe von „Salonmarxisten“ zu rücken schien. Dazu kommt noch, daß der Finanzier des Instituts für Sozialforschung, Felix Weil, ein ausgesprochener Vertreter der „Kapitalistenklasse“ war.
Ein weiterer Umstand hat sowohl während der amerikanischen Zeit als auch nach der Rückkehr in die Bundesrepublik (1950/51) ebenfalls zur Verwirrung beigetragen: man hat die grundsätzlich marxistische Ausrichtung tunlichst verheimlicht, um nicht Anstoß zu erregen (wie man schon in den zwanziger Jahren im Gründungsstadium den Namen „Institut für Marxismus“ als zu provokatorisch fallenließFootnote 25). Es gab in den fünfziger Jahren eine Zeit, in der die „Zeitschrift für Sozialforschung“ gewissermaßen im Panzerschrank unter Verschluß gehalten wurde, um die wahre Identität der Ausrichtung nicht zu „enthüllen“. Daß darin mehr als nur der Zufall waltete, wird auch durch das Verhalten des Instituts während seiner amerikanischen Zeit bewiesen. Größere Untersuchungen, die dort seit 1943 über den Antisemitismus amerikanischer Arbeiter angestellt wurden und deren Ergebnisse für diese äußerst nachteilig waren, wollte man lieber „herunterspielen“. M. JayFootnote 26 gibt ein sehr differenziertes Bild dieser Unsicherheiten, die nicht nur echten Widersprüchen, sondern auch Spannungen zwischen den Institutsmitgliedern entsprangen. Von nicht zu überbietender Naivität ist allerdings Horkheimers Äußerung von 1946, „das gegenwärtig einzige Land, in dem es keinerlei Antisemitismus zu geben scheint“Footnote 27, sei Rußland, und zwar nicht nur von heute aus gesehen, sondern insbesondere aus der Perspektive der großen Schauprozesse vom Ende der dreißiger Jahre, denen bis zur Ermordung Trotzkijs weitgehend Juden zum Opfer fielen.
Die einzelnen Werkbeiträge. Auch bei der Beurteilung der Werke der wichtigsten Mitglieder der Frankfurter Schule stößt man auf Unklarheiten und Probleme. Horkheimer selber, der charismatische Herr des Ganzen, schrieb sehr schwer und veröffentlichte dementsprechend wenig.Footnote 28 Immerhin konnte man seine Arbeiten wenigstens als Sozialphilosophie bezeichnen. Adorno als Soziologen zu bezeichnen, wäre wohl recht verfehlt, da nur ein ganz kleiner Teil seines Werkes in diesem Sinn charakterisiert werden kann, und dazu nicht einmal der beste. Wenn er als Mitautor des Sammelwerks über die „Autoritäre Persönlichkeit“ bekannt wurde, so ist das u. a. dem Umstand zu verdanken, daß sein Name mit dem Buchstaben A beginnt und daher bei jeder bibliographischen Zitierung des Werks an der Spitze steht.Footnote 29 Das hat für Außenstehende seinen Beitrag zweifellos unmäßig aufgebläht. Deutlicher ist M. Jay: „Er war nur einer von vielen Mitarbeitern“, was allerdings nicht verhindert, daß man bis in die Gegenwart die Legende, er sei der Hauptautor des Werkes, immer wieder zu nähren versucht hatFootnote 30 (s. die in Anm. 32 zitierte Ausgabe von 1973). Im übrigen war die Fachkritik teilweise vernichtendFootnote 31, so daß man nach der Rückkehr nach Frankfurt auf die Veröffentlichung in deutscher Sprache zunächst verzichtete, obwohl im Institut eine maschinenschriftliche Übersetzung zirkulierte. Erst 1973 ist eine Teilausgabe erschienenFootnote 32, in der aber mit keinem Wort auf die alten und die neuen Kritiken eingegangen wird; abgedruckt sind auch hier nicht nur die von Adorno verfaßten Teile, sondern noch anderes, woran sein Anteil sehr indirekt war.
Auch die in der Zeitschrift veröffentlichten Arbeiten der Hauptmitarbeiter waren recht zweideutig.
Zunächst fällt durchweg der eher literarisch-aphorismatische Charakter der Publikationen auf, die ebensogut in irgendeiner anderen literarischen Zeitschrift hätten erscheinen können. Außerdem handelt es sich nur in Ausnahmefällen um eigentliche Forschung, wie sich auch echte Forschernaturen von diesem Kreise bald distanzierten, wie Erich Fromm, Otto Kirchheimer, Paul F. Lazarsfeld, Franz Neumann, Karl August Wittfogel und andere. Was sonst erschien, spiegelte die theoretische Orientierungslosigkeit der deutschen Soziologie am Ende der zwanziger Jahre getreulich wider, nur daß die marxistische Linie konsequent durchgehalten wurde. So kam es zu immer neuen methodologischen Ansätzen und Absichtserklärungen, ohne daß irgend etwas darauf gefolgt wäre. Der sachliche Ertrag beschränkte sich zumeist auf einzelne Beispiele, die in ein hochintellektuelles Gespinst paramarxistischer Dialektik eingewickelt waren.
Wirkliche Verdienste erwarb sich das Institut dagegen, als es in der Emigration in Europa und später in den Vereinigten Staaten zahllosen Gelehrten Forschungsaufträge und Stipendien erteilte, die häufig genug das einzige Einkommen dieser mittellosen Flüchtlinge darstellten.Footnote 33 So muß man zusätzlich unterscheiden zwischen dem Kern des Instituts und einer relativ großen Zahl von Abhängigen, die aber im Grunde bald ihre eigenen Wege gingen.
Selbst in relativ ausgeführten Werken überwiegt bei Horkheimer das aphoristische Moment mit all der zugespitzten Künstlichkeit, die seinem Stil zu eigen ist. In seinem Werk Eclipse of Reason (1947) tritt dies klar, fast verhängnisvoll zutage.Footnote 34 Das Thema der Entfremdung wird spielerisch zu dem der Selbstversklavung des Menschen umgebogen. Was bei Marx noch historische Analyse ist, wird hier zur anthropologischen Spekulation, die dann durch einige emotional geladene Schlüsselworte wie „Repression“ und „Rebellion“ aufgelockert werden soll, wobei ihm unversehens die Gegenwartsgesellschaft zur „Gesellschaft überhaupt“ wird, in der nur noch das „Unbehagen in der Kultur“ zu gelten scheint. Was bei Freud noch seinen Sinn hatte, hier wird es zum Ausdruck einer subtilen Sehnsucht nach Asozialität, wie sie für Angehörige der Oberschicht oft so charakteristisch ist.
Mit geradezu peinlicher Deutlichkeit tritt das schon hervor in der umfangreichen Programmschrift über Autorität und Familie (1936), in der bei Horkheimer das Modell des deutschen Oberklassenpatriarchalismus unversehens mit der Familienstruktur insgesamt verschwimmt. Erich Fromm ist auch hier realistischer und weniger utopisch, indem er die historische Wandelbarkeit der Familie diesem Modell gegenüber betont. Damit verbindet sich natürlich auch eine relativierende Einstellung zu Freud, dessen Familienmodell ebenfalls der bürgerlichen Oberklasse entstammt, wenn auch in einer österreichisch resp. wienerisch gemilderten Form. Horkheimer hat dagegen nichts von seiner ursprünglichen Konzeption zurückgenommen, wie ein Aufsatz von 1949 beweist, den er später wieder mehrfach unverändert abdrucken ließ. Dabei ist das Problem sehr viel ernster, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, weil die autoritäre Familienstruktur für Horkheimer die Voraussetzung der vermeintlichen deutschen Anfälligkeit für Autoritarismus darstellt, während die überwältigende Masse der Deutschen im Industriezeitalter schon lange unter dem Druck der Verhältnisse ein neues Familienbild entwickelt hatte – mit einziger Ausnahme der obersten Oberklasse. Aber historisches Denken lag Horkheimer fern, ebensosehr wie den vielen Jüngern, die seine Theorie heute noch immer findet, obwohl sie auf der ganzen Linie empirisch widerlegt ist.Footnote 35
Horkheimer wird damit zum Urheber einer ganzen Reihe von Stereotypen, zusammengesetzt aus falsch verstandenen amerikanischen anthropologischen Ideen, aus denen er bezeichnenderweise einzig die „Anpassung“ herausliest, ohne zu sehen, daß jede Anpassung auch Kreativität impliziert (creative adjustment).Footnote 36 Das führt nochmals und direkt zu Rousseaus „gutem Wilden“, der mit der Vertreibung aus dem Paradies sich selbst entfremdet worden ist. Gewiß steht dahinter ein moralischer Anspruch, den man nur unterschreiben kann, den Menschen aus allen Verhältnissen zu befreien, in denen er ein unterworfenes und gedemütigtes Wesen ist. Wenn sich das aber darstellt als Freilassung aller „Triebe“ – wie etwa bei Herbert Marcuse –, dann fragt man sich unwillkürlich, ob die Rebellion, die hier verlangt wird, wirklich der Handlungsweise von erwachsenen Menschen entspricht, oder nicht doch nur der des reichen Mannes, der es sich leisten kann, die bestehenden sozialen Regeln zu mißachten. Deutlich wird das etwa in Marcuses Philosophie der Psychoanalyse, die sich als Weg zu einer „Zivilisation ohne Repression“ versteht. Während Sigmund Freud gemeint habe, „daß Triebunterdrückung für die bestehende Ordnung notwendig sei“, forderte er „das Bild einer Menschlichen Ordnung, in der dieser Widerspruch versöhnt wäre“, was zweifellos eine echte Utopie darstellt. Dagegen hat die moderne Anthropologie schon lange gezeigt, daß von der Sexualität Kräfte ausstrahlen, die nicht nur in einer bestimmten historischen Gesellschaft (etwa der kapitalistischen), sondern in jeder Gesellschaft strukturell geregelt werden müssen, weil sie sich sonst disruptiv auswirken und das Bestehen der Gesellschaft in der Zeit in Frage stellen. Allerdings sieht Marcuse dies alles nicht und transfiguriert das Verhältnis rein privatistisch zu einer ästhetischen Utopie „nichtrepressiver Sublimierung der Sexualität“. Das war natürlich auch das Moment, das das Frankfurter Institut unter den rebellierenden Studenten von 1968 so populär machte, bis sie merkten, daß alles nur „Literatur“ und eigentlich gar nicht so gemeint war. Dann wendeten sie sich ab von dieser nur rein verbal strukturierten Philosophie.
Die geschilderten Züge verstärken sich noch in dem von Horkheimer und Adorno gemeinsam verfaßten Buch Dialektik der Aufklärung (1947)Footnote 37, wo auch das literarische Moment das wissenschaftliche definitiv verdrängt. Zugleich tritt deutlich ein destruktiver Zug dieser Kritik hervor, wie es auch der Titel des 1966 erschienenen philosophischen Hauptwerks von Adorno, Negative Dialektik, dokumentiert, das sich auch noch insofern irgendwie im Kreise dreht, als alle Gesellschaft als Repression stigmatisiert wird, die Repression unter dem Titel der bürgerlichen Gesellschaft kritisiert wird und schließlich mit den gleichen Mitteln wie die der vermeintlichen Repressoren eine Überwindung ohne Alternativen gesucht wird, so daß sich die negative Dialektik selber als typisches Gebilde spätbürgerlichen Geistes entpuppt. Deutlich kommt das in der „Vorrede“ zum Ausdruck, wo Adorno behauptet, „mit konsequenzlogischen Mitteln … anstelle des Einheitsprinzips und der Allherrschaft des übergeordneten Begriffs die Idee dessen zu rücken, was außerhalb des Bannes solcher Einheit wäre“.Footnote 38 Offensichtlich verbirgt sich hinter den „konsequenzlogischen Mitteln“ nichts mehr als die „bürgerliche Logik“.
Auch in der Dialektik der Aufklärung wird insofern mit utopischen Mitteln argumentiert, als am Schicksal des Odysseus „die urgeschichtlichen Stufen menschlicher Selbstkonstitution und ihre Dialektik“Footnote 39 abgelesen werden sollen. Das ist eine Perspektive von einer derartigen Allgemeinheit, daß ihr notwendigerweise alle Wirklichkeit entschlüpfen muß. Nimmt man das Ganze als „Literatur“, dann mag es angehen, und manche geistvolle Wendung bleibt haften: „Die Irrfahrt von Troja nach Ithaka ist der Weg des leibhaft gegenüber der Naturgewalt unendlich schwachen und im Selbstbewußtsein erst sich bildenden Selbst durch die Mythen.“ – „Die Abenteuer, die Odysseus besteht, sind allesamt gefahrvolle Lockungen, die das Selbst aus der Bahn seiner Logik herausziehen.“Footnote 40 Doch andere Wendungen sind verfänglicher, indem der Autor (in diesem Fall Adorno) rein sprachliche Assonanzen metaphorisch (oder dialektisch?) vereint. Das schlimmste Beispiel lautet: „Verschlagen werden und verschlagen sein sind bei Homer Äquivalente.“Footnote 41 Anderes ist ähnlich fragwürdig: „Die athletischen Fähigkeiten des Odysseus sind die des gentleman, der, praktischer Sorgen bar, herrschaftlich-beherrscht trainieren kann.“ – „Der gefesselte Hörende will zu den Sirenen wie irgendein anderer. Nur eben hat er die Veranstaltung getroffen, daß er als Verfallener ihnen nicht verfällt. Er kann mit aller Gewalt seines Wunsches, die die Gewalt der Halbgöttinnen selber reflektiert, nicht zu ihnen, denn die rudernden Gefährten mit Wachs in den Ohren sind taub nicht bloß gegen die Halbgöttinnen, sondern auch gegen den verzweifelten Schrei des Befehlshabers. Die Sirenen haben das Ihre, aber es ist in der bürgerlichen Urgeschichte schon neutralisiert zur Sehnsucht dessen, der vorüberfährt.“ Dann heißt es: „Aus dem Formalismus der mythischen Namen und Satzungen, die gleichgültig wie die Natur über Menschen und Geschichte gebieten wollen, tritt der Nominalismus hervor, der Prototyp bürgerlichen Denkens.“ Und schließlich noch deutlicher: „Der listige Einzelgänger ist schon der homo oeconomicus, dem einmal alle Vernünftigen gleichen: daher ist die Odyssee schon eine Robinsonade. Die beiden prototypischen Schiffbrüchigen machen aus ihrer Schwäche – der des Individuums selber, das von der Kollektivität sich scheidet – ihre gesellschaftliche Stärke. Dem Zufall des Wellenganges ausgeliefert, hilflos isoliert, diktiert ihnen ihre Isoliertheit die rücksichtslose Verfolgung des atomistischen Interesses. Sie verkörpern das Prinzip der kapitalistischen Wirtschaft, schon ehe sie sich eines Arbeiters bedienen; was sie aber an gerettetem Gut zur neuen Unternehmung mitbringen, verklärt die Wahrheit, daß der Unternehmer in die Konkurrenz von je mit mehr eingetreten ist als mit dem Fleiß seiner Hände.“Footnote 42
Diese zentralen Zitate aus der Dialektik der Aufklärung zeigen gleich mehreres. Zum ersten machen sie die vulgärmarxistische Herkunft Adornos besonders deutlich, wie schon von den Minima Moralia hervorgehoben wurde. Zweitens „enthüllen“ sie sein analytisches Prinzip. In der Tat: die „Signatur“ Adornos ist die Metapher genau gleich der „Zweideutigkeit“ der von ihm als Kronzeugin beschworenen KirkeFootnote 43, „wie sie denn in der Handlung nacheinander als Verderberin und Helferin auftritt“. Damit erscheint aber schließlich drittens das gleiche Prinzip wie bei Marcuse, nämlich das der erstrebten „Verwirklichung der Utopie“Footnote 44 im Gegensatz zur „Unterdrückung des Triebs“. Dies wird bei den Lotophagen wie bei der Zauberin Kirke gesehen: „Kaum ist an der homerischen Darstellung die Spur der Lust noch zu gewahren. Sie wird um so nachdrücklicher getilgt, je zivilisierter die Opfer selber sind.“Footnote 45
Die Signatur der Metapher befördert zweifellos den literarischen Effekt der Plausibilität; für die Erkenntnis gibt sie aber nichts her. Genauer definiert: Es handelt sich dabei insgesamt um Literatur über Literatur, die entsprechend nirgendwo an die Wirklichkeit rührt, zu deren „Veränderung“ man ursprünglich ausgezogen war. In jüngster Zeit wurde darum hervorgehoben, daß die Theorie Adornos gerade darum sich „als unfähig [erweist], sich mit dem Bestehenden zu vermitteln, dessen radikale Kritik sie sein will. Sie beläßt es bei dem, was es ist.“Footnote 46 Damit wird letztlich ein vorher schon angedeutetes Abrücken vom Marxismus sichtbar, indem „die Dominanz der Herrschaft über den Tauschprozeß“ hervortritt, seitdem in der letzten Entfaltungsstufe des „Spätkapitalismus“ dieser „sowohl die Identität der Bourgeoisie wie die des Proletariats durch ihren Antagonismus hindurch zerfallen macht und damit diesen selbst zum Verschwinden bringt“.Footnote 47 „Die Arbeitenden werden damit zu totaler Anpassung gezwungen: Ihre Interessen lassen sich unter den angegebenen Bedingungen nur mehr systemimmanent vertreten, und dadurch zerfallen sie als Klasse.“Footnote 48 Damit ist an die Stelle des Begriffs des Klassenkampfes der von der „verwalteten Welt“ getreten, ein neues Reizwort aus dem Arsenal der „Kritischen Theorie“, das im Grunde genauso konsequenzlos bleibt wie die früher benutzten der kapitalistischen Gesellschaft, des Klassenkampfes, der Revolution. Das führt noch ein letztes Mal zum Begriff der Negativen Dialektik, zu dem der Philosoph Günter RohrmoserFootnote 49 eine Stellungnahme vorgelegt hat, die nach Beantwortung verlangt, bevor man den Begriff der „Kritischen Theorie“ weiter verfolgt. „Wenn der Begriff praxislos geworden ist und wenn eine Theorie die Notwendigkeit zeigen will, nach der eine sich auf die Veränderung der Gesellschaft richtende Theorie nur ohne Bezug zur Praxis möglich sein kann, dann kann auf der anderen Seite eine sich unmittelbar gegen die Totalität der Gesellschaft wendende Praxis nur theorielos sein. Die behauptete Notwendigkeit und Unumgänglichkeit praxisloser Theorie setzt also eine begriffs- und theorielose Praxis frei. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Evidenz, wenn die von dieser Schule inspirierte revolutionäre Praxis sich in der Theorie verweigert, nachdem die Theorie von sich selbst gesagt hat, daß keine theoretische Vermittlung eingreifender verändernder Praxis möglich sei.“ Das führt notwendigerweise zur Apotheose der Gewalt.
Unter ähnlichen Problemen leiden auch die Publikationen von Herbert MarcuseFootnote 50, nur sind sie viel einseitiger, manchmal geradezu verspielt und im Aufstand gegen die repressive Gesellschaft mit ihrer repressiven Toleranz oft nur noch von privaten Ressentiments getragen, was ihre Lektüre – wie etwa die von Eros and Civilization von 1955 – heute zu einer recht beschwerlichen macht, weil statt echter Analytik nur literarisches Wiederkauen verstaubter Stereotypen des dialektischen Marxismus in einer sehr speziellen Form psychoanalytisch und ästhetisch-homöopathischer Verdünnung als Sexualrevolution geboten wird. Wenn wir von Stereotypen sprechen, so meinen wir das übrigens dem Buchstaben nach. Denn das verblüffendste Paradox der Kritischen Theorie liegt darin, daß sie selber getreulichst den bewährten Techniken der von Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung angegriffenen „Kulturindustrie“ als der ultima ratio der „Aufklärung“ bis in alle Einzelheiten erliegt.Footnote 51 Dabei wollen wir hier zum Abschluß keineswegs die Frage noch ein letztes Mal aufrollen, daß die von den Autoren in den sechziger Jahren präsentierten Theorien schon lange vor dieser Zeit empirisch widerlegt waren, und zwar teilweise sogar von ehemals dem Institut nahestehenden Forschern wie Paul F. Lazarsfeld. Vielmehr geht es darum, daß sie auch ihrerseits „den Versuch [unternehmen], sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht“.Footnote 52 Noch niemals hat eine scheinbar so esoterische Gruppe von Intellektuellen einen so starken Gebrauch von Massenmedien gemacht und in ihnen einen so großen Erfolg zu verzeichnen gehabt wie die Vertreter der Kritischen Theorie. Das betrifft insbesondere den kulturellen und teilweise auch den politischen Journalismus von heute, die ohne den Jargon der Kritischen Theorie gar nicht zu denken wären.
Wiederum muß aber hier differenziert werden. Neben den besprochenen Werken stehen sehr seriöse und heute noch lesenswerte Arbeiten wie die von Franz Neumann, Paul F. Lazarsfeld, von Bruno Bettelheim und Morris Janowitz, vor allem aber auch Leo Lowenthal, die sich nicht nur mit Literatursoziologie, sondern vor allem mit der Populärkultur der amerikanischen Gesellschaft befassen.Footnote 53 Dementsprechend fanden diese Arbeiten wie auch die von Erich Fromm ein starkes Echo in den Vereinigten Staaten und der übrigen Welt, während die anderen über einen modischen Erfolg nicht hinauskamen, oder wegen ihrer stereotypen Diktion wie bei Marcuse zu Bestsellern im schlimmsten Wortsinn wurden, die jene Simplifizierung an sich selbst erfuhren, die sie den anderen vorwarfen, nachdem sie gewissermaßen als Bestseller konzipiert worden waren. So besehen erweist sich der Anspruch der Kritischen Theorie letztlich als eine recht unkritische Angelegenheit, die zwar zweifellos als literarisches Phänomen ihre Bedeutung hat, nicht aber als Paradigma für die Soziologie.Footnote 54 Wir bemerken noch, daß die große Menge der genannten Publikationen schon am Ende der zwanziger und am Anfang der dreißiger Jahre konzipiert wurden, so daß vielfach historisch schon abgestandene Ansätze durch Neuaufarbeitung und Erweiterung in späteren Publikationen neu verwertbar gemacht wurden. Eine genaue Durchsicht der Jahrgänge der „Zeitschrift für Sozialforschung“ von 1932‒1939 kann das schlagend belegen.
Insgesamt muß also differenziert werden. So können wir folgende sechs Gruppen unterscheiden: 1. Die Kerngruppe mit Weil, Horkheimer, Adorno, Pollock, Marcuse. 2. Interessierte Außenstehende wie Walter Benjamin und andere, die vom Institut insbesondere in der Emigrationszeit finanziell unterstützt wurden oder Forschungsaufträge durchführten. Dazu gehören zum Beispiel Paul F. Lazarsfeld, Karl August Wittfogel, Leo Lowenthal, deren Einfluß auf die Institutstätigkeit verschieden groß war, manchmal auch zu verschiedenen Momenten verschieden groß, wie etwa bei Leo Lowenthal, der von 1930‒1933 Hauptassistent war. 3. Eine weitere Gruppe wird von jenen gebildet, die wie der Lowenthal nahestehende Erich Fromm oder Karl Landauer und Heinrich Meng von Anfang an eine selbständige Stellung hatten. 4. Während der Emigration waren zuerst in Paris, später in den USA andere Gelehrte in meist kurzfristigem Kontakt mit dem Institut (Raymond Aron, C. Bouglé, Georges Friedmann). 5. Nach Wiedereröffnung des Instituts in Frankfurt studierten dort zahlreiche junge Sozialwissenschaftler, die jeder auf seine Weise die Anregungen von Horkheimer und Adorno verarbeiteten, wobei sie sich manchmal des Etiketts der „Kritischen Theorie“ bedienten, manchmal aber auch nicht. Der repräsentativste Vertreter dieser Gruppe ist zweifellos Jürgen Habermas, der aber vorher bei dem sehr rechts orientierten Erich Rothacker promoviert hatteFootnote 55 und sich seit einiger Zeit in andere Richtung weiterzuentwickeln scheint, nachdem er schärfsten Angriffen von seiten der radikalen Studenten ausgesetzt gewesen ist. Ihm folgten viele andere mit der oben angedeuteten Qualifikation, auch solche, die überhaupt nicht in Frankfurt studiert hatten, sondern nur der Modeströmung folgten, zu der sich unterdessen die „Kritische Theorie“ ausgewachsen hatte.Footnote 56 Schließlich ist jener Gruppe zu gedenken, die seit Mitte der sechziger Jahre von ursprünglichen Anhängern zu erbitterten Gegnern wurde. Bei ihnen entfiel definitiv das Beiwort Theorie und sie flüchteten in „irrationale, theoretisch nicht reflektierte Praxis“, in der letztlich die Gewalt das tragende Ferment der „Kritik“ wurde, nachdem die Theorie über Bord gegangen war.Footnote 57 Zur Gesamtbewertung der „Kritischen Theorie“ muß man im Auge behalten, daß sich auch diese Möglichkeit in ihrem Rahmen verwirklichen konnte.Footnote 58
Notes
- 1.
M. Jay, Dialektische Phantasie. Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung (1923‒1950), Frankfurt a.M. 1976, Kap. 1.
- 2.
Karl Korsch (15.8.1886 Tostedt, Lüneburger Heide – 21.10.1961 Belmont, Mass.), sehr selbständiger und origineller Vertreter eines revolutionären Marxismus und Politiker, der sehr zu Unrecht bis vor kurzem völlig vergessen schien. Unter seinen Werken besonders wichtig Marxismus und Philosophie (1923) und Die materialistische Geschichtsauffassung (1929), Karl Marx (1938), Jahrbuch Arbeiterbewegung, Bd. 1: über Karl Korsch (mit Bibliogr).
- 3.
Friedrich Pollock (22.5.1894 Freiburg i.Br. – 16.12.1970 Montagnola/Tessin), Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe, arbeitete auf dem Gebiet der Sozialismusforschung und der Industriesoziologie. Hauptwerke: Die planwirtschaftlichen Versuche in der Sowjetunion (1929). Automation (1956).
- 4.
Vgl. dazu den Artikel Ernest Solvay in: W. Bernsdorf, Internationales Soziologenlexikon, Stuttgart 1959, S. 518‒19.
Zu Ernest Solvay vgl. WALTHER NERNST, IX, S. 613, Anm. 20. [Der Verweis bezieht sich auf Bd. IX der Reihe „Die Großen der Weltgeschichte“, Anm. des Herausgebers.]
- 5.
H. von Alemann, Leopold von Wiese und das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften in Köln 1919‒1934, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 28 (1976).
- 6.
Vgl. dazu R. König, „Neue Wege der Sozialforschung. Zur Wiedereröffnung des Frankfurter lnstituts für Sozialforschung“, in: „Neue Zeitung“ Nr. 272, 19.11.1951, S. 4 (in diesem Band). Zu Adornos Anfängen auf dem Gebiet der empirischen Kunstsoziologie 1941 vgl. A. Silbermann, Soziologie der Künste, in: R. König. Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 13, Stuttgart 1978, I, 1 b.
- 7.
F. Pollock (Hrsg.), Gruppenexperiment, Frankfurt a.M. 1955. Vgl. dazu auch W. Mangold, Gruppendiskussionen, in: R. König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Stuttgart 1973, Bd. 2, S. 229 f.
- 8.
Vgl. dazu R. König. Nachwort zu E. Durkheim. Der Selbstmord, Neuwied 1974. Neudr. in: R. König, Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München 1978 (RKS 8).
- 9.
M. Jay, Dialektische Phantasie, a.a.O., S. 70.
- 10.
Vgl. Auguste Comte, VII, S. 592 ff. [Bd. VII der Reihe „Die großen der Weltgeschichte“, Anm. des Herausgebers.]
- 11.
J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt a.M. 1973, S. 89.
Jürgen Habermas (geb. 18.6.1929 Düsseldorf), Philosoph und Soziologe, Professor in Heidelberg, in Frankfurt, seit 1971 Direktor im Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Mit M. Horkheimer und T. W. Adorno einer der führenden Theoretiker der kritisch-dialektischen Soziologie, der sog. Frankfurter Schule. Vertritt eine Theorie kommunikativen Handelns, seine Beiträge zu einer Kritischen Theorie der Gesellschaft beeinflussen wesentlich die Entwicklung der Soziologie. Hauptwerke: Erkenntnis und Interesse (1958), Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962), Theorie und Praxis (1963), Zur Logik der Sozialwissenschaften ( 1967), Technik und Wissenschaft als „Ideologie“ ( 1968), Protestbewegung und Hochschulreform (1969), Philosophisch-politische Profile (1971), Legitimitätsprobleme im Spätkapitalismus (1973), Kultur und Kritik (1973).
- 12.
M. Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, in: Kritische Theorie 1, Frankfurt a.M. 1968.
- 13.
Vgl. Auguste Comte, VII, S. 592 ff.; A. Comte, Discours sur l’ensemble du positivisme, Paris 1848.
- 14.
Dessen Positivismus ebenso einseitig gesehen scheint. Vgl. ERNST MACH, VIII, S. 464 ff. [Bd. VIII „Die Großen der Weltgeschichte“, Anm. des Herausgebers.]
- 15.
R. König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie, München 1975 (RKS 3); R. König, Auguste Comte, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, New York 1968 (RKS 7); R. König, Emile Durkheim, Der Soziologe als Moralist, in: D. Käsler (Hrsg.). Klassiker des soziologischen Denkens, München 1976 (RKS 8).
- 16.
A. Weber, Vom Begriff des Intellektuellen, München 1920. – Zu K. Mannheim vgl. R. König, Studien zur Soziologie, Frankfurt a.M. 1971, S. 89.
- 17.
Vgl. dazu H. Dubiel, Dialektische Wissenschaftskritik und interdisziplinäre Sozialforschung. Theorie und Organisationsstruktur des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 27 (1975).
- 18.
Ebenda. S. 107‒08.
- 19.
W. Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Frankfurt a.M. 1973. S. 63‒64. – Walter Benjamin (15.7.1892 Berlin – 27.9.1940 Port Bou/ Spanien), Literaturkritiker und Schriftsteller, Studium der Philosophie, lebte ab 1933 als freier Schriftsteller in Paris, analysierte in seinen Werken die moderne Gesellschaft, kritisierte die geistige und sittliche Korruptheit des Bürgertums. Hauptwerke: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1920), Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928), Einbahnstraße (1928), Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), Berliner Kindheit um Neunzehnhundert (1950), Illuminationen (1961), Charles Baudelaire: Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus (1969).
- 20.
J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, a.a.O., S. 187.
- 21.
Zu Stefan George vgl. HENRIK IBSEN, VIII, S. 520, Anm. 39. [Bd. VIII „Die Großen der Weltgeschichte“, Anm. des Herausgebers.]
- 22.
M. Jay, Dialektische Phantasie. a.a.O., S. 26‒27.
- 23.
Richard Sorge (1895‒1944), sowjetischer Meisterspion und getarnter Kommunist, seit 1929 in Schanghai, seit 1933 in Japan, von wo er Moskau über den Zeitpunkt des deutschen Angriffs informiert. 1941 von den Japanern verhaftet und angeblich gehängt.
- 24.
M. Jay, Dialektische Phantasie. a.a.O., S. 210 ff.
- 25.
Ebenda, S. 26‒27.
- 26.
Ebenda, S. 267‒96.
- 27.
Ebenda, S. 271.
- 28.
Vgl. dazu die Bibliographie (s. unten), und M. Jay, Dialektische Phantasie …, a.a.O., S. 409‒411.
- 29.
T. W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, D. J. Levinson, R. Nevitt Sanford, New York 1950.
- 30.
M. Jay, Dialektische Phantasie …, a.a.O., S. 266. – Siehe die in Anm. 32 zitierte Ausgabe von 1973.
- 31.
R. Christie/Marie Jahoda, Studies in the Scope and Method of the Authoritarian Personality, Glencoe/ Ill. 1954. Siehe auch H. Hyman/P. B. Sheatsley, The Authoritarian Personality. A Methodological Critique, ebenda; ferner M. Rokeach, The Open and the Closed Mind, New York 1960; K. Roghmann, Dogmatismus und Autoritarismus, Meisenheim a. G. 1966; J. M. Steiner/J. Bahrenberg, Die Ausprägung autoritärer Einstellung bei ehemaligen Angehörigen der SS und der Wehrmacht, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 22 (1970); zusammenfassend H. E. Wolf, Die Problemsituation der Vorurteilsforschung, in: R. König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Stuttgart 1978, Bd. 12, Kap. 1V, 4, S. 150 ff.
- 32.
T. W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a.M. 1973, aber auch hier bleibt manches unklar, so z. B. wenn es in der Vorrede von Ludwig von Friedeburg heißt, daß diese Studie „bisher in deutscher Sprache nicht erschienen ist“, obwohl es fast fünf Jahre früher eine Ausgabe gegeben hat: T. W. Adorno u. a., Der autoritäre Charakter. Studien über Autorität und Vorurteil, 2 Bde., Amsterdam 1968‒69 Schwarze Reihe), und das ganz abgesehen davon, daß schon seit etwa 1950 ein käufliches Schreibmaschinenmanuskript verfügbar war. Außerdem wird die Kritik an der Forschungstechnik verschwiegen.
- 33.
M. Jay, Dialektische Phantasie. a.a.O., passim.
- 34.
M. Horkheimer, Eclipse of Reason, New York 1947, deutsch in: M. Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a.M. 1957.
- 35.
Vgl. dazu M. Horkheimer, Authoritarianism and the family today, in: Ruth N. Anshen (Hrsg.), The Family. Its Function and Destiny, New York 1949. Zur Diskussion R. König, Der deutsche Vater 1955, in: R. König. Materialien zur Soziologie der Familie, Köln-Berlin 1974.
- 36.
Vgl. dazu R. König, Art. Anpassung, in: W. Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1969. – Zu Marcuse vgl. seine Abhandlung Trieblehre und Freiheit, in: Sociologica 1 (Max Horkheimer zum sechzigsten Geburtstag), Frankfurt a.M. 1977, S. 47‒66.
- 37.
M. Horkheimer/T. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947. Wenn in diesem Buch unter dem listigen Odysseus die „bürgerliche Gesellschaft“ symbolisiert wird, die immer auf Erwerb aus ist, so könnte man das auch umgekehrt deuten und in Odysseus das Bild des in der Welt herumgeschlagenen (leidenden) Emigranten erkennen, der zusehen muß, wie er überlebt; letzteres ist eine Alternative, die sich für die zuhöchst bourgeoisen Angehörigen der Oberklasse, die sich auch in der Emigration nicht um Geld zu kümmern hatten, zweifellos nie gestellt hat. Dazu kommt noch eine spätere Legende über das Schicksal des Odysseus nach seiner Heimkehr: er bleibt nicht, sondern geht von neuem als ein für immer Heimatloser. Die „List“ des Odysseus hat sich also nicht „ausgezahlt“, die Heimat ist nicht mehr, was sie einmal war.
- 38.
T. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1966, S. 8.
- 39.
Diese Wendung von J. F. Schmucker, Adorno – Logik des Zerfalls, Stuttgart 1977. S. 21.
- 40.
M. Horkheimer/T. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1971, S. 44, S. 45.
- 41.
Ebenda, S. 59.
- 42.
Ebenda, S. 53, S. 55, S. 56, S. 57.
- 43.
Ebenda, S. 64.
- 44.
Ebenda, S. 58.
- 45.
Ebenda, S. 65.
- 46.
J. F. Schmucker, a. a. O., S. 15.
- 47.
M. Horkheimer/T. W. Adorno, a.a.O., S. 57.
- 48.
Ebenda, S. 57.
- 49.
G. Rohrmoser, Das Elend der kritischen Theorie. T. W. Adorno, H. Marcuse, J. Habermas, Frankfurt 1971, S. 31.
- 50.
Herbert Marcuse (geb. 19.7.1898 Berlin), amerikanischer Sozialphilosoph, Tätigkeit am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a.M., 1933 Emigration, Mitarbeiter an dem von Horkheimer geleiteten Institute of Social Research, später Professuren an verschiedenen amerikanischen Universitäten, wichtiger Vertreter der kritischen Theorie. Seine Arbeiten über die spätkapitalistische Wohlstandsgesellschaft dienten den Studentenbewegungen der sechziger Jahre und der Neuen Linken als Basis. Hauptwerke: Reason and Revolution (1941); Eros and Civilization (1955); The One-Dimensional Man: Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society (1964); Das Ende der Utopie (1967); Negations: Essays in Critical Theory (1968); An Essay on Liberation (1969); Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft (1969).
- 51.
M. Horkheimer/T. W. Adorno, a.a.O., S. 108‒50.
- 52.
Ebenda, S. 150.
- 53.
B. Bettelheim/M. Janowitz, Dynamics of Prejudice, New York 1950; L. Lowenthal, Historical Perspective of Popular Culture, in: B. Rosenberg/D.M. White, Mass Culture. The Popular Arts in America, Glencoe/Ill.-London 1957; Literature, Popular Culture, and Society, Englewood Cliffs/N.J. 1961. – Die Werke der Genannten haben auch nachweisbare Einflüsse in der internationalen Soziologie hinterlassen. Umgekehrt gibt es auch deutliche Hinweise darauf, daß sie sich teilweise sehr scharf vom „Kern“ der „kritischen Soziologie“ abgehoben haben, z. B. Erich Fromm, aber vor allem auch P. F. Lazarsfeld (der überhaupt nur vorübergehend mit dem Institut in Kontakt war) von Adorno, wie Jay, Dialektische Phantasie …,a.a.O., S. 256‒57 berichtet.
- 54.
Erich Fromm → X. [Der Verweis bezieht sich auf Bd. X der Reihe „Die Großen der Weltgeschichte“, Anm. des Herausgebers.]
- 55.
In allen Details durchgeführt an einem Beispiel von R. König, Nachwort zum Suicide von E. Durkheim, Neuwied 1974 (RKS 8); Neudruck siehe Anm. 8. Zu Jürgen Habermas vgl. oben, Anm. 11.
- 56.
Es ist dies ein ähnlicher Fall wie bei Herbert Marcuse, der bei Martin Heidegger in Freiburg studiert hatte und sich sogar bei ihm habilitieren wollte. Die Spuren dieses Einflusses kann man nachlesen in H. Marcuse, Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlichkeit, Frankfurt 1932, das in den meisten Bibliographien Marcuses fehlt; in diesem Buch erweist er sich als perfekter Beherrscher des „Jargons der Eigentlichkeit“ von Heidegger. Er trennte sich von ihm erst unter dem Einfluß der politischen Entwicklung von 1932/33 und gehörte ab 1933 zum Institut, dessen Genfer Büro er zuerst zugeteilt wurde. Vgl. dazu M. Jay, a. a. O., S. 47‒48.
- 57.
Vgl. J. F. Schmucker, a.a.O., S. 121, S. 128.
- 58.
Vgl. auch M. Clemenz, Theorie als Praxis?, in: M. Clemenz/L. Eley u. a., Kritik und Interpretation der kritischen Theorie, Gießen 1975. Noch schärfer U. Richter, Der unbegreifbare Mythos – Musik als Praxis Negativer Dialektik, Köln 1974 (Diss.). Für die Vorgeschichte dieser ganzen Entwicklung vgl. R. König, Zur Soziologie der Zwanziger Jahre oder Ein Epilog zu zwei Revolutionen, die niemals stattgefunden haben, und was daraus für unsere Gegenwart resultiert, in: ders., Studien zur Soziologie, Frankfurt a.M. 1971. S. 9‒37 (RKS 9).
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Kants Kritik der Urteilskraft als Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, Stuttgart 1925. Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1930.
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Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, übers. von A. Schmidt, Frankfurt a. M. 1967.
Kritische Theorie, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1968.
Gesellschaft im Übergang, Frankfurt a. M. 1972.
Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie, Frankfurt a. M. 1974.
Aus der Pubertät, Novellen und Tagebuchblätter, hrsg. von A. Schmidt, München 1974.
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M. Horkheimer/T. W. Adorno, Sociologica II. Reden und Vorträge, Köln 1974.
T. W. Adorno:
Gesammelte Schriften, 20 Bde., hrsg. von Gretel Adorno und R. Tiedemann, Frankfurt a. M. 1970 ff.
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König, R. (2022). Max Horkheimer, Theodor W. Adorno. Die Kritische Theorie. In: Klein, M. (eds) Aufgaben des Soziologen und die Perspektiven der Soziologie. René König Schriften. Ausgabe letzter Hand, vol 10. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28213-4_15
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