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Kultur „Ferrari“ von Michael Mann

Schöne Männer, die dem Tod entgegenrasen

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Ferrari von Michael Mann: Patrick Dempsey als Piero Tartufi Ferrari von Michael Mann: Patrick Dempsey als Piero Tartufi
Probesitzen für den Tod: Patrick Dempsey als Piero Tartufi
Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com
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Der Regisseur Michael Mann huldigt in seinem Film „Ferrari“ dem Gründer der legendären Automarke – und dem Mythos, den Enzo Ferrari schuf. Jetzt ist er endlich auch in Deutschland zu sehen. Eine Hymne auf die innere Mechanik des Westens, den Kapitalismus und den Individualismus.

Enzo Ferrari hat wie alle Pioniere einen unendlich hohen Preis gezahlt. Für alles: seinen Erfolg, seine Härte, seine Rücksichtslosigkeit, sein Genie, seinen Ehrgeiz, seinen Mut, sein großes Herz, seine Leidenschaft, seine absolute Unbestechlichkeit. Als Unternehmer schuf er in jungen Jahren einen Mythos, der so einzigartig und wirkmächtig und unglaublich wurde, dass er bis heute trägt. Und der, ein wenig ketzerisch formuliert, Berge von Milliarden erwirtschaftet. Keine Marke ist rentabler, kein Rennstall magischer.

Michael Mann hat den einen Film über diese mythische Figur geschaffen, den es lohnt zu sehen. Der Regisseur ist Ferraristo – und man merkt dem Film jede Sekunde an, dass hier einer nicht nur bis in die marginalsten Details eines Biopics hineingekrochen ist, sondern dass es eine direkte emotionale Verbindung zu dieser Figur gibt, die diese am Ende lesbarer, liebenswerter und herzzerreißender macht. Dem heroischen Wahnsinn, den Ferrari über sich, seine Fahrer, seine Leute, seine Firma, seine Familie, seine Frau, seine Geliebte, seinen lebenden und seinen toten Sohn gebracht hat – diesem Wahnsinn steht Mann staunend gegenüber. Die Figur hat Tiefe ohne Anmaßung: Frei von klischierten Rollenverteilungen bleiben die Helden bei Mann in einer absoluten Einsamkeit verstrickt.

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Getrieben von Leidenschaften, machen sie vor nichts halt. Und bleiben wegen ihrer wortkargen Unnahbarkeit bis hin zur nächsten Umgebung weitgehend rätselhaft. Die Schweigsamkeit ist weniger Ausdruck innerer Leere als vielmehr der Selbstblockade durch Emotionen, denen Worte keine Entsprechung liefern können.

Enzo Ferrari ist vor allem Liebender. Die Liebe zu seinen Söhnen ist herzzerreißend. Er sieht alles in ihnen, aber vor allem sich und seinen Wahnsinn. Und die stille Hoffnung, dass die Söhne nicht den Weg des Vaters gehen müssen, weil dieser Weg voller Verlust und Entsagung ist.

Fortschritt ist ein Blutbad. Und eine absolute Freiheits- und Geschwindigkeitssehnsucht macht das Blutbad im Zweifel größer und unansehnlicher. Michael Mann ist mit „Ferrari“ ein Meisterwerk gelungen, das die innere Mechanik des Westens, seines Kapitalismus und seines Individualismus anhand einer entscheidenden Miniatur aus der Biografie des Helden erzählt. Es ist ein Film voller Hingabe an die Figuren, bis hin zu den kleinsten Nebenrollen – und damit tief humanistisch.

Penélope Cruz spielt Laura Ferrari, die gehörnte, verbitterte, sardonisch fluchende Frau, mit einer harten, verführerischen Unerbittlichkeit, die staunen lässt. Mit drei, vier Pinselstrichen hat sie die Figur unverwechselbar gefährlich und liebenswürdig zugleich gemacht. Dasselbe gelingt auch dem spektakulären Adam Driver, der so überhaupt nicht aussieht wie Ferrari und doch dessen Herz – für alle Ferraristi – in der Arbeit an diesem Film gefunden hat. Bis in die Nebenrollen hinein – von der herben, warmen Schönheit Lina Lardis, gespielt von Shailene Woodley, über Patrick Dempsey als 50-plus-Rennfahrer Piero Taruffi bis zur spektakulären Miniatur der Mutter Ferraris, gespielt von Daniela Piperno – reicht das exquisite Ensemble, das so hochwertig ist wie ein Motorblock von Ferrari.

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Enzo Ferrari war ein Impresario, der sein Bedürfnis und seine Versessenheit für Perfektion und Triumph wie einen Virus in seiner nächsten Umgebung verbreitet hat. Mitten in der Emilia-Romagna schuf er innerhalb von nur 10 Jahren einen Exzellenzcluster radikalen Wagemuts. 1947 mit seiner Frau in den Trümmern des Nachkriegsitaliens gegründet, ist die Firma 1957 am Ende. Warum? Weil Ferrari mehr ausgibt, als er einnimmt, wie ihm sein kühler Buchhalter beschert.

Und warum ist das so? Weil Geld Ferrari nichts bedeutet hat: nie. Weil es nur Treibstoff für seine Träume war. Und weil Träume und Leidenschaft ein gelingendes, ein gelebtes Leben erst sinnvoll machen. Während das emotionale Leben vermeintlich normaler Menschen auf einer Oktave abgespielt werden kann, benötigt Enzo die gesamte Klaviatur. Wunderbar fängt Mann die Musikalität von Enzo Ferrari ein, seine Liebe zur italienischen Oper und deren süßen Schmerz.

Der Klang der Ferrari-Motoren ist symphonisch. Die Leben der Fahrer sind tödliche Operetten. In den Details des Films hält diese Liebe zum rauschhaften Sinnesgenuss alles zusammen. Das einfache Essen im Stammrestaurant Cavallino in Maranello, die Sinnlichkeit der Kirchen und Friedhöfe und die bösartige, laszive Brutalität der fauchenden Zwölf-Zylinder, die nie entspannt gefahren werden. Selbst die zwanzig Meter vom Firmenhof bis in die Werkstatt werden mit einem Drift ausgeführt.

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Ferrari heißt Leben im Drift. Sein Team ist eine eingeschworene Gemeinschaft von Gläubigen, die ohne diesen Drift nicht mehr leben wollen. Und es ist Manns Verdienst, auch kleinen Rollen wie denen des einfachen, aber herzensguten Karosseriebauers Sergio Scaglietti oder des Renningenieurs Carlo Citi eine Genauigkeit und Liebe zu spenden, die bei dem großen Ensemble des Films wirklich einzigartig ist.

Auch deshalb schmerzen all die Tode und Verluste. Der Playboy de Portago, für den die schönsten Frauen der Welt ihre Hollywood-Star-Männer verließen, war als 17-Jähriger mit einem Flugzeug unter der Londoner Tower Bridge durchgeflogen, um eine Wette zu gewinnen. Don Alfonso (!) Antonio Vicente Eduardo Ángel Blas Francisco de Borja Cabeza de Vaca y Leighton, Carvajal y Are, Conde de la Mejorada, Marqués de Portago, so sein Name, war wie Wolfgang Alexander Albert Eduard Maximilian Reichsgraf Berghe von Trips und die aufreizend eleganten Hipster-Briten Peter Collins ein Teil jener Schar todessehnsüchtiger Draufgänger, von denen alle auf der Rennstrecke starben. Die berührendsten Momente der Stille und Einkehr sind in den Hotels vor dem Einschlafen, wenn sie ihre Abschiedsbriefe an ihre Geliebten schreiben, weil sie damit rechnen müssen, das Ende des Rennens nicht zu erleben.

Der Tod der Männer, die Schönheit der Frauen, der Zorn der Motoren: in diesem Dreieck oszilliert der Film ohne große Worte. Michael Mann hat mir in einem Interview vor gut einem Vierteljahrhundert einmal erzählt, dass er 1968 in Paris war und die Geschwätzigkeit des europäischen Autorenkinos für einen Albtraum hielt. Die Helden von Mann sind die Gegenentwürfe zu Jean-Pierre Léaud: schweigsam, nach außen hart, nach innen zart, offen nur zu jenen, die wissen, was in dem Mann arbeitet. In seinen Filmen stellt er statt eines langen, öden, melancholischen Monologs eine traurige Figur einfach vor eine Fensterfläche, die den Blick auf ein graublaues Meer freigibt. Oder einen leeren Himmel.

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Ferrari ist mehr Poet als Unternehmer, mehr Geschwindigkeitsromantiker als Geschäftsmacher. Er setzt sein Lebenswerk ständig aufs Spiel, damit seine Jungs, die Rennfahrer, ihr Leben aufs Spiel setzen. Deswegen ist „Ferrari“ auch ein großer Film über den Tod und den Verlust. Jeden Tag steht Enzo am Grab seines geliebten Sohnes Dino, der 1956 mit nur 24 Jahren verstarb. Am Ende des Films nimmt er seinen unehelichen Sohn Piero mit an das Grab seines Bruders. Es ist Enzos Variante des Happy Ends. Ferrari war Katholik, und deswegen war seine Arbeitswut hedonistisch. „Ich möchte ein Auto bauen, dass schneller ist als alle anderen, und dann will ich sterben“ – das trieb ihn bis ans Ende seiner Tage an. Und, etwas philosophischer: „Du musst kontinuierlich arbeiten, sonst musst du dir Gedanken über den Tod machen.“ Und existenzialistisch: ein Mann ist alt, wenn er morgens ohne Wunsch aufwacht.

Es steht eher schlecht um die Filmkunst, wenn ein Meisterwerk wie Michael Manns „Ferrari“ seinen Weg nicht mehr in deutsche Kinos findet. Auf der anderen Seite ist es ein weiterer Grund, Streamingdienste – in diesem Fall Amazon Prime – zu feiern, die Filmkunst in die interessierte Öffentlichkeit bringen. Programmkinos hätten Abende mit Valet-Parking für Ferrari machen und diese wunderbare italienische Hochkultur in die von Radwegpollern und seelenlosen Investorenschrott-Immobilien zerstörten deutschen Innenstädte lotsen können. Aber dafür fehlt diesem Land gerade jede Größe und Poesie.

„Ferrari“ ist auf Amazon Prime zu sehen

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