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Geschichte Weimarer Republik

Fünf Kugeln zerfetzten die Hoffnung Deutschlands

Er hätte der Weimarer Republik Reputation verleihen können. 1922 war Außenminister Walther Rathenau die Hoffnung der deutschen Demokraten. Das machte ihn am 24. Juni zum Ziel rechtsextremer Attentäter.
Textchef ICON / Welt am Sonntag
+honorarpflichtig+++ *29.09.1867-24.06.1922+ Industrieller, Politiker, D Der Mord an Walter Rathenau: Tatort in der Königsallee, Ecke Erdener- und Wallotstraße, im Berliner Grunewald nach dem Mord - 24.06.1922 +honorarpflichtig+++ *29.09.1867-24.06.1922+ Industrieller, Politiker, D Der Mord an Walter Rathenau: Tatort in der Königsallee, Ecke Erdener- und Wallotstraße, im Berliner Grunewald nach dem Mord - 24.06.1922
Berlin, 24. Juni 1922: Schaulustige und Polizisten stehen an dem Tatort, an dem Rechtsextreme Außenminister Walther Rathenau erschossen
Quelle: ullstein bild
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Schon mehrere Attentate auf hochrangige Politiker hatte es gegeben, drei Polizisten waren zu seinem Schutz abgestellt – aber der Außenminister erlaubte sich trotzdem eine Haltung gegenüber der alltäglichen Gefahr, die irgendwo zwischen Nonchalance und Ignoranz lag: „Ich habe die Kerls nach Hause geschickt. Es ist eine Sache des Schicksals“, ließ Walther Rathenau seine Mitarbeiter kurz vor dem Mordanschlag auf seine Person wissen, ganz so, als habe eine höhere Macht entschieden, er könne nichts beeinflussen. Deshalb deprimiert es bis heute, wie einfach die Attentäter es hatten, den Mann umzubringen, von dem manche Historiker bis heute glauben, er hätte mehr für das Ansehen der Republik als Staatsform tun können als jeder, der ihm bis 1933 nachfolgte.

Der 24. Juni 1922 war einer jener Sommertage, an denen über Berlin einige Regenwolken hingen. Der Chauffeur, der seinen Dienstherrn in der Koenigsallee 65 im Stadtteil Grunewald abholte, fuhr sein NAG-Cabriolet trotzdem mit offenem Verdeck. Ziel war das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße in Mitte. Am Abend zuvor hatte der Minister bei einem Essen mit dem amerikanischen Botschafter Alason Houghton über die Reparationen gestritten, die das Deutsche Reich den Siegern des Weltkriegs zu zahlen hatte.

Industrieller, Politiker, Literat: Walther Rathenau vereinte viele Widersprüche in sich
Industrieller, Politiker, Literat: Walther Rathenau (*1867) vereinte viele Widersprüche in sich
Quelle: Getty Images

Auf dem Weg bemerkte der Chauffeur, dass sie verfolgt wurden. Kurz vor einer Kreuzung überholte sie ein offener Mercedes, den der Maschinenbaustudent Ernst Werner Techow steuerte; im Fond saßen der Jurastudent Erwin Kern und der gerade examinierte Ingenieur Hermann Fischer. Kern eröffnete mit einer Maschinenpistole MP18 das Feuer auf Rathenau, Fischer warf eine Handgranate in dessen Wagen. Fünf Schüsse trafen den Minister, er starb binnen Minuten. Die Täter konnten zunächst fliehen. Die Behörden stellten sie erst knapp einen Monat später; Kern fand bei einem Schusswechsel den Tod, Fischer nahm sich das Leben.

Die Fähigkeiten, mit denen die drei Männer den Anschlag ausführen konnten, standen in einem geradezu grotesken Missverhältnis zu denen ihres Opfers: Das Wissen um die Bedienung einer Waffe und eines Automobils reichte, um Geschichte zu schreiben. Die Attentäter stammten aus dem rechtsextremen Milieu: Kern hatte bei der Planung gesagt, Rathenau müsse sterben, weil er „alle Fäden in der Hand hält“ – ein antisemitischer Allgemeinplatz.

Die Organisation Consul, der die Mörder angehörten, galt 1922 als schlagkräftigste Vereinigung der Kräfte, die der Republik den Kampf angesagt hatten. Gegründet hatte den Geheimbund der ehemalige Marineoffizier Hermann Erhardt. Seine Kameraden im Krieg beschrieben ihn als äußerst hart und kühn – und kurz nach dem Sturz der Monarchie hatte er begonnen, ehemalige Soldaten um sich zu scharen mit dem Ziel, die neue Demokratie zu zerstören.

Die Tatwaffe: Mit einer Maschinenpistole vom Typ MP18 erschoss der Jurastudent Erwin Kern den Mann, auf den die Liberalen hofften
Die Tatwaffe: Mit einer Maschinenpistole vom Typ MP18 erschoss der Jurastudent Erwin Kern den Mann, auf den die Liberalen hofften
Quelle: SZ Photo

Für Erhardt und die Seinen war ein Mann wie Walther Rathenau das Böse schlechthin. Ein Beleg dafür, wie beladen mit Vorurteilen das Milieu war, dem die Organisation Consul entstammte. Denn in kaum einem Deutschen vereinten sich die Widersprüche einer ganzen Epoche so sehr wie im Außenminister des Jahres 1922, der 1867 als Sohn eines jüdischen Industriellen auf die Welt gekommen war. Nach einigen Misserfolgen hatte Rathenaus Vater Emil 1881 die Allgemeine Electricitätsgesellschaft (AEG) gegründet. Dort absolvierte der Junior eine Kaufmannslehre, anschließend vertiefte er seine Kenntnisse durch ein Studium des Maschinenbaus und der Chemie in München. Seinen Militärdienst leistete Walther bei den Berliner Gardekürassieren.

Schon in diesen Jahren zeichneten sich die Zwiespalte ab, die Rathenaus Leben bestimmen sollten. Als Jude stand er in der Gesellschaft des Kaiserreichs immer genau so weit außen vor, dass er kein selbstverständlicher Teil der Elite sein konnte – sein Wunsch, Offizier zu werden, blieb ihm beispielsweise wie so vielen Juden versagt. Doch neben diesem Streben nach Insignien war es vor allem eine innerliche Zerrissenheit, die den Charakter des Mannes prägte: Walther Rathenau hatte eine praktische Veranlagung fürs Geschäftliche, aber auch einen Hang zum Künstlerischen, der ihn Musik lieben und Prosa schreiben ließ.

Betrachtete man die Dinge boshaft wie der Schriftsteller Robert Musil, begegnete einem in Rathenau eine „Vereinigung von Kohlenpreis und Seele“. Aber nicht jeder war bereit, solchem Hohn zu folgen, dem auch Neid zugrunde gelegen haben dürfte. Denn bei aller Klarheit des Begriffs, bei aller Kunst des sauberen Satzbaus, lauerte in Rathenaus Reden und Essays hinter jeder Formulierung eine Verführung. Wer diese Texte las, konnte glauben, dass die unsichtbare Welt des Geistes doch realer ist als alles, was Menschen sehen und hören können. Was bei rechten Autoren von Oswald Spengler bis Ernst Jünger oft in pathetisches Geraune umschlug, war bei Rathenau so ausgedrückt, dass ihn Stil-Lehrbücher bis heute zitieren.

In seinem Brotberuf versuchte er vor dem Ersten Weltkrieg an der Spitze der AEG, Industrie- und Bankkapital zu verschmelzen – eine Politik, die Antisemiten selbstredend mit Entzücken quittierten, passte sie doch ins Klischee des gewissenlosen „Geldjuden“. Doch als im August 1914 das große Sterben auf den Schlachtfeldern begann, blieb Rathenau trotz dieser Anfeindungen selbst dann noch stramm national, als ruchbar wurde, dass Juden in den Schützengräben besonders gern zuerst verheizt wurden.

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Seine ökonomische Kompetenz wiederum brachte ihm bald die Aufgabe ein, für das Reich die Kriegswirtschaft zu organisieren. Hier bewegte er sich weg vom Marktgedanken und entwickelte eine staatliche Planwirtschaft, an der sich noch Hitlers Rüstungsminister Albert Speer im Zweiten Weltkrieg orientierte. Es war also nur konsequent, dass Rathenau bis zuletzt an einen „Siegfrieden“ glaubte und noch Anfang November 1918 empfahl, die Kämpfe fortzusetzen. Deutschland dürfe nicht als geschlagene Nation in Verhandlungen eintreten, lautete sein Credo. Die Hetze gegen Rathenau, die nach der Kapitulation losbrach, entbehrte also jeder Grundlage. Wie konnte jemand ein vaterlandsloser Geselle sein, der sich in einer aussichtslosen Situation für eine Fortführung des Krieges ausgesprochen hatte, um den monarchischen Staat zu erhalten?

Doch hat es die extreme Rechte offensichtlich schon immer ausgezeichnet, sich um Fakten nicht zu scheren. In seinem Buch „Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution“ zeichnet der Historiker Martin Sabrow minutiös nach, wie sich die Feinde der Demokratie auf den Politiker einschossen, der nun zur liberalen DDP gehörte. Zuerst arbeitete er als Aufbau- und ab dem 31. Januar 1922 als Außenminister. Die Einsicht in Sachzwänge trieb Rathenau an, bei der Frage nach Kriegsentschädigungen für eine Weile auf Briten, Franzosen und Amerikaner zuzugehen.

Die Reaktionen im rechten Lager reichten von gehässigen Kommentaren bis zu Freikorps, die zur Parole „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau“ marschierten. Auch der Publizist Sebastian Haffner, damals ein Schüler in Berlin, erinnerte sich in seiner „Geschichte eines Deutschen“, wie Nationale mit Blick auf den Außenminister völlig selbstverständlich forderten: „Das Schwein muss gekillt werden!“ Andere wiederum vergötterten Haffner zufolge den Politiker. Diese Deutschen waren außer sich, als sie am 24. Juni 1922 vom Tod des Mannes erfuhren, der dabei gewesen war, ihnen wieder Zuversicht zu schenken.

Soldiers on guard at the funeral of German industrialist and politician Walther Rathenau (1867 - 1922), who was assassinated by extreme German nationalists. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Preußisch geordnet: Das Staatsbegräbnis für Walther Rathenau in Berlin
Quelle: Getty Images

Haffner führte aus, der Außenminister habe letzte Liebe und letzten Hass der Menschen auf sich gezogen. Es ist erstaunlich, wie gut diese Beobachtungen zu dem Konzept der „charismatischen Herrschaft“ passen, das der Soziologe Max Weber 1919 entwickelt hatte. Walther Rathenau verfügte über eine unerlernbare Anziehungskraft, die in seinem Fall wohl nicht zuletzt aus den vielen Widersprüchen erwuchs. Fachwissen und praktische Vernunft, die sich im Idealfall mit Tüchtigkeit und Bescheidenheit paaren, können einen Berufspolitiker populär machen. Aber so starke Gefühle, wie Haffner sie im Zusammenhang mit diesem Staatsmann schilderte, wecken solcherlei Begabungen nicht.

Auf den Mord vom 24. Juni 1922 jedenfalls folgten Trauer und Anteilnahme, wie es sie für einen Liberalen in der Weimarer Republik nie mehr geben sollte. Reichskanzler Joseph Wirth, ein Angehöriger der katholischen Zentrumspartei, sprach im Reichstag davon, dass der Feind rechts stehe: eine Einsicht, die rasch wieder verflog. Nach dem Anblick der Trauerzüge auf den Straßen der Hauptstadt überkam Sebastian Haffner der Gedanke, dass dies der Augenblick für eine wahrhaft demokratische Revolution hätte sein können, hätte ein Anführer mit dem Charisma Rathenaus zu den Menschen gesprochen.

Doch dieser Anführer war eben nicht zugegen, alles blieb ruhig, preußisch geordnet. Und der nächste Mann, der den letzten Hass und die letzte Liebe der Massen auf sich zog, hieß Adolf Hitler.

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