Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten (22.02.2023) • SWR2 / SWR Kultur Wort zum Tag • Alle Beiträge • Kirche im SWR

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22FEB2023
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„Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten“. Diese Parole hat Sophie Scholl nach ihrer Verhaftung am 18. Februar 1943 an die Wand ihrer Münchner Gefängniszelle geschrieben. Die Gewalten, denen sie so tapfer getrotzt hat, feiern zur selben Zeit am andern Ort teuflische Triumphe: Gerade hat der Reichspropagandaminister den totalen Krieg ausgerufen. Und im 600 Kilometer weit entfernten Berliner Sportpalast tobt die Menge vor Begeisterung.

„Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.“ Mit diesem Satz macht Sophie sich Mut. Führt sich noch einmal die Haltung vor Augen, die sie einnehmen möchte. Bis zum bitteren Ende. Die Worte stammen aus einem Gedicht von Goethe. Denn die 21jährige Studentin ist belesen, sie ist eine wache Zeitgenossin. Und sie ist fromm. All diese Prägungen haben wohl dazu beigetragen, dass sie schließlich den Widerstand gewagt hat.

Das Atrium der Ludwig-Maximilians-Uni in München, in dem Sophie und ihr Bruder Hans Scholl an jenem Morgen aufgeflogen sind, sieht heute noch genauso aus wie vor 80 Jahren. Durch die Glaskuppel, die sich über den Innenhof wölbt, fällt helles Licht. Am Vormittag jenes 18. Februar segeln dort Flugblätter auf den Boden, als kämen sie direkt aus dem Himmel. Sophie Scholl hat sie kurz vor elf über die Brüstung geworfen. Gleich werden aus den Hörsälen ringsum die Studentinnen und Studenten strömen und die Blätter aufsammeln. Werden schwarz auf weiß gedruckt lesen, was viele heimlich denken, aber sich nicht zu sagen trauen. Werden endlich Mut fassen und Widerstand leisten. Das NS-System niederringen. Die Freiheit zurückgewinnen. So haben die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose sich das erträumt. Aber es kommt alles ganz anders. Sophie und Hans werden entdeckt und verhaftet. Vier Tage später, am 22. Februar, wird ihnen der Prozess gemacht. Noch am selben Nachmittag werden sie hingerichtet. Heute vor 80 Jahren.

„Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.“ Ich hoffe, dass diese Worte sich in dem Moment geweitet haben, als Sophie sich selbst nicht mehr halten konnte. Dass sie sich fallen lassen konnte, weil sie allen Gewalten zum Trotz sich gehalten wusste. Von Gott.  

Am Schauplatz von damals habe ich eine weiße Rose in die Vase vor der Bronzebüste von Sophie Scholl gestellt. Für Sophie und für alle, die allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.

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