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Die Flicks – der Konzern, die Familie, die Macht

Welch Idylle! Sie hielt nicht lang. Friedrich Flick mit seinen Söhnen Rudolf (r.), Otto-Ernst (M.) und dem Säugling Friedrich Karl 1927 Welch Idylle! Sie hielt nicht lang. Friedrich Flick mit seinen Söhnen Rudolf (r.), Otto-Ernst (M.) und dem Säugling Friedrich Karl 1927
Welch Idylle! Sie hielt nicht lang. Friedrich Flick mit seinen Söhnen Rudolf (r.), Otto-Ernst (M.) und dem Säugling Friedrich Karl 1927
Quelle: Forschungsarchiv Sammlung Flick
Friedrich Flick machte sein Unternehmen zu einem Motor der deutschen Wirtschaft. Er schaffte es, sich und seine Firma immer wieder neu zu erfinden. Nur an der Weitergabe seines Lebenswerks ist er gescheitert, schreibt Norbert Frei. WELT ONLINE stellt einen Auszug der Geschichte dieses Scheiterns vor.

Dramen um die Nachfolge sind in Familienunternehmen bei weitem häufiger als Insolvenzen und ernähren inzwischen eine eigene Beratungsindustrie. In den fünfziger und sechziger Jahren suchte man sich in solchen Fällen selbst zu helfen. Am Beispiel Flick ist zu studieren, welches Risiko man damit einging und welche Auswirkungen dies haben konnte.

Die Höhen, in denen Friedrich Flicks Selbstbewusstsein ein Jahrzehnt nach seiner Verurteilung in Nürnberg schwebte, lassen sich allenfalls erahnen. Aber es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, mit welch tiefer Befriedigung, mit welcher inneren Genugtuung der Mitsiebziger auf sein Lebenswerk geblickt haben muss.

Nicht nur hatte er die Amerikaner, seine bisher ärgsten Widersacher, überlebt; er hatte die von ihnen verlangte Zerschlagung seines Konzerns in einen gewaltigen Umstrukturierungserfolg verwandelt. Er hatte sich und sein Imperium noch einmal neu erfunden! Er war bereits wieder einer der Mächtigsten und Reichsten seiner Art! Und immer noch ging es aufwärts!

Wie außerordentlich hätten die Fähigkeiten eines Dritten sein müssen, der es in dieser Konstellation vermocht hätte, mit klugem Rat jene dynastische Lösung ins Werk zu setzen, die Friedrich Flick nach eigenem Bekunden so sehr wünschte? Wie sollte sich Otto-Ernst, der in dieser Phase noch als Nachfolger vorgesehene älteste Sohn, in einem Konzern bewähren, dessen Führungsstruktur und Loyalitätsverhältnisse seit jeher ganz und gar auf dessen Gründer zugeschnitten waren?

Wie hätte sich ein unumschränkter Herrscher, der außer seiner Arbeit keine wirklichen Interessen hatte, selbst von seiner Ersetzbarkeit überzeugen sollen, wo er doch gerade jetzt, ausgestattet mit dem frischen Geld, das ihm der erzwungene Verkauf seiner Kohlefelder in die Kasse gespült hatte, von einem Coup zum nächsten eilte?

Zwei Jahrzehnte Erbfolgedrama

Das seit Mitte der Fünfzigerjahre sich entfaltende Erbfolgedrama im „Hause Flick“ war die Geschichte einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die Söhne versagten nicht zum geringsten Teil, weil der Vater genau dies befürchtet hatte. So wusste oder ahnte Otto-Ernst Flick wahrscheinlich schon seit einer Dekade, vielleicht sogar länger, dass er nicht der „geborene“ Nachfolger war. Denn die Einhaltung der traditionellen Regeln hat Friedrich Flick trotz aller Unbedingtheit seines dynastischen Denkens wohl nie für dessen Kern gehalten.

Vielmehr spricht manches dafür, dass dem mittleren Sohn, Rudolf Flick, eine mindestens ebenso wichtige Rolle zugedacht war wie seinem drei Jahre älteren Bruder: Im Frühsommer 1941, noch ehe er sich, anders als Otto-Ernst, die ersten Sporen im Konzern hatte verdienen können, sollte der gerade Volljährige per Schenkungsvertrag als Kommanditist in die Flick KG aufgenommen werden (ebenso wie, aus steuerlichen Gründen, auch schon der erst 14-jährige Friedrich Karl). Doch Rudolf Flick, seit 1939 Gefreiter, später dann Leutnant im Regiment „General Göring“, das gelegentlich auch als Leibgarde des Reichsmarschalls fungierte und in seiner Reinickendorfer Garnison distinkte Kameradschaft pflegte, fiel sechs Tage nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion beim Vormarsch in der Ukraine.

Rudolf Flick mag von jener willensharten Stetigkeit gewesen sein, die der Vater bei seinem Ältesten vermisste – und manches spricht dafür, dass Friedrich Flick vom Tod des Mittleren hart getroffen wurde, zu dessen Grab in der Nähe von Lemberg man ihn im Sommer 1942 dank seiner Verbindungen zu Göring flog. Der fürchterliche Hautausschlag, der ihn seitdem plagte und im Jahr darauf in die Hände von Felix Kersten trieb (jenes zweifelhaften finnischen Masseurs und Wunderdoktors, der dann bei Himmler Karriere machte), scheint ebenfalls darauf hinzudeuten, dass der ansonsten so robust wirkende Konzernchef in der zweiten Kriegshälfte eine schwere persönliche Krise durchlebte.

Es war deshalb womöglich nicht nur die Beherzigung einer Familientradition, sondern auch der Versuch, ein wenig Trost zu spenden, als Otto-Ernst seines Bruders gedachte, indem er seinen Erstgeborenen im Frühjahr 1943 Gert-Rudolf nannte. Doch spätestens seit den Haftjahren in Landsberg, während derer der Vater an der Loyalität seines Ältesten zu zweifeln begann, war der Familienfriede bei den Flicks gestört.

Ein Vater ist zum Bruch entschlossen

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„Die jahrzehntelangen Strapazen, die du deinen Eltern zugemutet hast, können und wollen von denselben nicht länger ertragen werden“, protokollierte Otto-Ernst im Sommer 1958, nach zweistündiger „Verhandlung“ im Kreis der erweiterten Familie, eine der bitteren Kernaussagen seines zum Bruch entschlossenen Vaters. Über die Zukunft der Maxhütte waren die beiden in schweren Streit geraten. Der Weg, den Otto-Ernst Flick daraufhin einschlug und der im Frühjahr 1963 vor Gericht führte, wird man als den Beginn einer persönlichen Tragödie bezeichnen müssen.

Am Ende der Prozesse – beim zweiten, im Frühjahr 1965, standen sich Vater und Sohn im Gerichtsaal von Angesicht zu Angesicht gegenüber – war der Sohn gebrandmarkt: nicht nur als Verlierer, sondern als gescheiterter Vatermörder und mutwilliger Beinahe-Zerstörer einer der größten unternehmerischen Leistungen der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Dass Konrad Adenauer dem Firmengründer während der Auseinandersetzung wiederholt schrieb („Ich bin über das Verhalten Ihres Sohnes, über die grenzenlose Undankbarkeit und Rücksichtslosigkeit zutiefst empört.“), war mehr als nur ein Zeugnis der persönlichen Sympathie, die sich zwischen den beiden Patriarchen im Alter entwickelt hatte.

Die Korrespondenz zeigte an, wie sehr der Streit im „Hause Flick“ zum Thema des öffentlichen Gesprächs geworden war – und was den Sohn anging: auch des Gespötts. Otto-Ernst Flick, faktisch enterbt und nicht einmal mehr als der Vater jener beiden Söhne respektiert, auf denen Friedrich Flicks dynastische Hoffnungen von nun an ruhten, verschwand mit noch nicht Fünfzig von der Bildfläche. Er starb als Privatier, nur zwei Jahre nach dem Vater, bei dessen Begräbnis er fehlte. Er ist an ihm, so wird man sagen können, zerbrochen.

Doch es wäre ein zu einfaches Bild, wollte man über Friedrich Flick behaupten, die Auseinandersetzung mit seinem Ältesten habe ihn kalt gelassen. Was der Sohn als verletzend empfand – „Verhandlungssprache von Herrn Dr. Flick war scharf bis drohend, nur selten ausfallend, ich blieb ruhig“ –, das war die dem Vater zur zweiten Natur gewordene, jahrzehntelang eingeübte geschäftsmäßige Härte, von der er auch im Kreis der Familie offensichtlich keinen Abstand nahm.

Adenauer zeigte väterliches Mitgefühl

Aber der alte Adenauer lag nicht falsch, als er in seinen Zeilen zum Jahreswechsel 1964/65 zusammenzog, wovon ihm Flick, die Dinge künstlich auseinander haltend, am Silvestertag berichtet hatte: dass ihn das vergangene Jahr „wiederum nicht nur in gesundheitlicher Beziehung, sondern auch in der Ihnen bekannten Prozessangelegenheit sehr belastet“ habe. Für Adenauer war das eine die Folge des anderen, und daher die einfühlenden Worte als Wendung gegen den ungezogenen Sohn: „Ich kann mir vorstellen, wie sehr Sie dieses Vorgehen schmerzt.“

Der nicht mehr zu heilende Bruch mit dem Ältesten brachte Flicks Jüngsten in durchaus ungeplanter Weise ins Spiel, denn Illusionen hinsichtlich der Fähigkeiten Friedrich Karl Flicks hegten weder der Vater noch die Mutter. Marie Flick, die in dem Erbstreit keine geringe Rolle spielte, taxierte ihre beiden Söhne kaum weniger gnadenlos als ihr Mann.

Obschon der historische Vergleich, zu dem sie beim Familientermin mit Otto-Ernst und dessen Frau Barbara in höchster Erregung Zuflucht nahm, allseits betretenes Schweigen produzierte: „OE ist stets begabt, tüchtig und fleißig gewesen, aber er verträgt sich nicht, FK war nicht begabt, tüchtig und fleißig, aber er verträgt sich. Er wird schon wie Kaiser Wilhelm I. gute Ratgeber arbeiten lassen, darauf kommt es jetzt an.“

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Am Ende war es Friedrich Flick, der für seinen Jüngsten den Bismarck bestimmte. Noch während des zweiten Prozesses, in dem Otto-Ernst gegen die Rücknahme aller an ihn und seine Kinder ergangenen Schenkungen klagte, mauerte der Vater Friedrich-Karl in der Konzernspitze regelrecht ein, indem er gleich drei neue persönlich haftende Gesellschafter berief.

Mit dem Spielkamerad an der Seite

Der mit Abstand jüngste war Eberhard von Brauchitsch, Friedrich Karls einstiger Spiel- und späterer Schulkamerad. Er hatte sich in den Augen des Alten offenkundig bewährt, seit er 1960 an der Seite des Filius in das Unternehmen eingetreten war; ihm war nun die Rolle zugedacht, den schwachen Sohn auf Dauer zu stützen.

Als von Brauchitsch den Konzern 1970 gleichwohl verließ – geschmeichelt von einer Offerte Axel Springers, aber durchaus im Dissens mit Friedrich Karl, der nominell inzwischen seit einer Reihe von Jahren das Sagen hatte –, sah Friedrich Flick sein Lebenswerk erneut in Gefahr. Noch einmal änderte der Greis sein Testament, um über seine eigene Zeit hinaus die Zusammensetzung der Führungsmannschaft zu bestimmen.

Eberhard von Brauchitsch musste, so hörten es die Anverwandten nach dem Tod des Gründers, eine Rückkehr als persönlich haftender Gesellschafter angeboten werden. Tatsächlich akzeptierte der selbstbewusste Manager 1973 den postumen Ruf.

Zusammen mit der Bestellung der Enkel Gert-Rudolf und Friedrich Christian Flick, die nun ebenfalls in der Geschäftsleitung saßen (und zwar mit demselben Stimmenanteil wie ihr Onkel), bedeutete das: Friedrich Flick hatte auch seinen jüngsten Sohn aufs Schwerste beschädigt; psychologisch gesprochen hatte er ihn geradezu entmannt. Friedrich Karl Flick suchte deshalb Stärke zu demonstrieren, indem er seine beiden Neffen binnen kurzem aus dem Unternehmen drängte. Aber er unterstrich damit in Wirklichkeit nur seine Schwäche.

Friedrich Karl Flick, so wurde spätestens im Spendenskandal der Achtzigerjahre deutlich, hatte weniger einen Konzern geerbt als eine ihm viel zu schwere Bürde. Das Unternehmen bot ihm nicht jene „vernünftige Kombination“ von Lust und Last, von der er, deutlich zögernd, im März 1985 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sprach. Viel eher galt generell, was er doch eigentlich nur auf die geldbewehrten Kontakte seines Hauses mit der Politik verstanden wissen wollte: „Meine Rolle sehe ich in der Zeit vor allem auf diesem Gebiet absolut passiv.“

Ein Fiasko bereitet sich vor

Schon der spektakuläre Verkauf des Daimler-Pakets 1975 war kein Zeichen konzeptioneller Stärke gewesen, ganz unabhängig davon, ob es den von Eberhard von Brauchitsch so vehement bestrittenen Zusammenhang mit der Auszahlung der Linie Otto-Ernst Flick gegeben hatte oder nicht. Aber das eigentliche Fiasko folgte erst dem Milliardendeal. Es zog auf als eine Parade unternehmerischer Investitionsentscheidungen, die Rat- und Planlosigkeit offenbarten, gefolgt von einem schier endlosen medialen Desaster, aus dem der Konzernerbe regelrecht flüchtete: in den Gesamtverkauf an die Deutsche Bank, der seit Frühjahr 1985 vorbereitet wurde.

Das beispiellos negative Image seines Namens auf der Seele, den triefenden Spott nach seinem Bonner Auftritt vor Augen („brillierte … noch einmal in der Rolle des ahnungslosen Tölpels“), machte Friedrich Karl Flick jetzt aus Zukunftsangst Kasse. Seinem Vater wurde er dabei nur in dem Bemühen gerecht, noch einmal Steuern zu sparen oder diese doch wenigstens um zwölf Monate zu stunden. Die vertragliche Transaktion erfolgte deshalb erst in der Silvesternacht 1985: Exakt in der „logischen Sekunde“ auf das neue Jahr erlosch der Flick-Konzern, knapp 70 Jahre nachdem im Siegerland der junge kaufmännische Direktor Friedrich Flick begonnen hatte, sich heimlich in die Charlottenhütte einzukaufen.

Gekürzter Vorabdruck aus: Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: Flick (Der Konzern, die Familie, die Macht. 800 S., 34,95 €). Das Buch erscheint am 24. September bei Blessing in München.

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