Hugo Müller Vogg 2024.04.22 fdp


22.04.2024

FDP-Papier zur Wirtschaftswende: Lambsdorff ohne Zähne

Neu ist das alles nicht, was die FDP in ihren „12 Punkten zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ fordert. Für schärfere Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld oder die Abschaffung der Rente mit 63 haben sich führende Liberale schon häufig ausgesprochen. Doch hier gilt wie in der Medizin: Die Dosis macht das Gift.

Wenn der Parteitag der Freien Demokraten am kommenden Wochenende das Papier beschließen soll, dann wollen sich die Liberalen ganz bewusst als marktwirtschaftliche Kraft positionieren und sich zugleich von den eher staatsgläubigen Koalitionspartnern SPD und Grüne absetzen. Da macht ein 12-Punkte-Plan eben mehr her als ein paar einzelne Vorschläge. Wobei die Formulierung „Beschleunigung der Wirtschaftswende“ euphemistisch ist. Von einer Wirtschaftswende, die man beschleunigen könnte oder sollte, kann angesichts der aktuellen Konjunkturlage keine Rede sein.

Ganz bewusst weckt die Partei Erinnerungen an das berühmte Lambsdorff-Papier von 1982. Damals listete Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) in seinem „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ alles auf, was sich aus Sicht seiner Partei ändern müsste. Klaus Bölling, Regierungssprecher und enger Vertrauter von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), bewertete es damals in seinem Tagebuch so: „eine ökonomische und politische Kampfansage an die Sozialdemokraten“.

Nicht alles, was hinkt, ist freilich ein Vergleich. Als „Marktgraf“ Lambsdorff in Abstimmung mit FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher seine Thesen zu Papier brachte, kalkulierte er den Bruch mit der in wirtschaftspolitischen Fragen heillos zerstrittenen SPD/FDP-Koalition kühl mit ein. Allerdings stand die CDU/CSU nicht nur als neuer Koalitionspartner bereit; Union und FDP verfügten auch im Bundestag über die absolute Mehrheit. Mit der wählten sie ein paar Wochen später dann Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler.

Sozialleistungs-Moratorium für drei Jahre

Jetzt ist die Ausgangslage eine völlig andere. Falls die Ampel scheitern sollte, käme es über kurz oder lang zu Neuwahlen. Ob die FDP diese überleben würde, erscheint sehr fraglich. Ob die FDP sich bis zur regulären Bundestagswahl im Herbst 2025 aus ihrem demoskopischen Tief herausarbeiten könnte, falls die Ampel so weiterwurstelt, steht ebenfalls in den Sternen.

Christian Lindner und die Seinen spielen gewissermaßen mit dem Feuer. Aber sie haben nur dann eine Chance, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, wenn sie mit dem Thema Wirtschaft in der rot-grün-gelben Koalition mehr Profil gewinnen. Denn offenbar wissen ihre Wähler nicht (mehr) zu schätzen, was die FDP in der Ampel so alles verhindert hat: noch mehr Umverteilung bei der Einkommensteuer, höhere Erbschaftsteuern, eine Vermögenssteuer, noch höhere Sozialleistungen und noch mehr Schulden. Da kann es wohl nicht schaden, das wirtschaftspolitische Profil zu betonen.

Die FDP will das Wachstum unter anderem durch Entbürokratisierung ankurbeln, dem Fachkräftemangel durch Abschaffung der Rente mit 63 und Steuererleichterungen bei Überstunden begegnen. Zudem möchte sie die Sanktionsmöglichkeiten für arbeitsunwillige Empfänger von Bürgergeld verschärfen, bis hin zur völligen Streichung. Bei der Bürgergeldberechnung soll die Preisentwicklung strikt berücksichtigt werden, was auf eine Nullrunde für das Jahr 2025 hinausliefe. Zudem wird ein Sozialleistungs-Moratorium für drei Jahre gefordert. Das heißt: keine neuen Sozialleistungen in dieser Zeit.

„Scheidungsurkunde für die Ampel“

Weitere FDP-Forderungen: Streichung des Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung nach Erreichen der Regelarbeitsgrenze, um das freiwillige Arbeiten bis 72 attraktiver zu machen, und Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Windräder und Solaranlagen sollen nicht mehr staatlich gefördert, die EEG-Umlage abgeschafft werden. Erneuerbare Energien sollen „endgültig in den Markt“ übernommen werden, bis dahin müsse die EEG-Umlage gesenkt werden.

Dass dies bei der Union auf großen Beifall stößt, ist nicht verwunderlich. CSU-Chef Markus Söder nannte den 12-Punkte-Plan „eine Scheidungsurkunde für die Ampel“. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte, das Papier lese sich „wie ‚Lambsdorff 2.0‘“. Umso heftiger fällt dagegen die Kritik der SPD aus, auch wenn diese – anders als Bölling 1982 – das FDP-Papier nicht als „ökonomische und politische Kampfansage an die Sozialdemokraten“ interpretieren.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil wendet sich – ungeachtet aller Kritik an den FDP-Vorschlägen – sogar gegen Spekulationen, die FDP wolle der Ampel den Strom abstellen. „Ich gehe fest davon aus, dass alle sich bewusst sind, welche große Verantwortung wir tragen“, so Klingbeil bei RTL. „Wir müssen gucken, was sicherheitspolitisch los ist in der Ukraine, im Nahen Osten. Wir haben riesige Herausforderungen im Land, wenn es darum geht, wirtschaftliche Stärke zu erreichen. Auf diese Herausforderung sollten wir uns konzentrieren. Das ist das, worum es mir geht, worum es uns geht.“

Investmentbanker verstehen immerhin etwas von Wirtschaft

Während SPD-Chef Klingbeil die Ampel irgendwie fortsetzen will, scheint sein Generalsekretär Kevin Kühnert schon ganz auf Wahlkampf eingestimmt zu sein. Er unterstellt Lindner einen „zynischen Blick auf unsere Mitmenschen“. Die Forderungen seien „untauglich“ und „verantwortungslos“. Die SPD werde es nicht zulassen, „dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird“.

Fragt sich nur, was Kühnert über Investmentbanker und deren Fingerspitzen weiß. Dass diese etwas von Wirtschaft verstehen, wird er ihnen wohl nicht absprechen. Hätte Olaf Scholz (SPD) sonst den ehemaligen Investmentbanker und Chef von Goldman Sachs Deutschland, Jörg Kukies, erst ins Finanzministerium und dann ins Kanzleramt geholt?

Wenn Klingbeil sich im Gegensatz zu Kühnert staatsmännisch gibt, spielt parteipolitisches Kalkül eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn Neuwahlen würden für die SPD zu einem Ergebnis unter 20 Prozent und dem Verlust des Kanzleramtes führen. Bei einer Fortsetzung der Ampel-Koalition bis 2025 bestünde immerhin die Hoffnung, dass sich die wirtschaftlichen Daten bessern und damit auch die Wahlchancen der Kanzlerpartei. Zudem brauchte die FDP einen sehr konkreten, sehr einleuchtenden Anlass, um aus der Koalition auszusteigen.

Das könnte der Fall sein, wenn es über den Bundeshaushalt 2025 zu keiner fiskalisch und politisch vertretbaren Einigung mit der SPD und den Grünen kommen sollte. Dann hätte Lindner seinen Lambsdorff/Genscher-Moment: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Allerdings – anders als 1982 – mit höchst ungewissem Ausgang.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 22. April 2024)


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