Charley Chase, der eigentlich Charles Joseph Parrott hieß, gehört zu den heute fast vergessenen Komikern der Stummfilmzeit. Dies mag damit zusammenhängen, dass Chase schon lange tot war, als die ersten Wiederentdeckungen des Stummfilmslapsticks in den 1960er Jahren einsetzten. Er war bereits 1940 im Alter von nur 46 Jahren gestorben.
Vom Vaudeville kommend arbeitet Chase – wie Chaplin – seit 1914 beim Film, seit 1915 bereits als Hauptdarsteller. Als Charles Parrott schreibt er Filme und macht sich in den 1920er Jahren auch als Regisseur einen Namen (James Parrott, später auch Hausregisseur der Hal-Roach-Studios und Regisseur klassischer Laurel-und-Hardy-Filme, ist Charles’ Bruder). Als Charley Chase entwickelt er eine Leinwandfigur, die auf den ersten Blick gewisse Ähnlichkeiten mit dem Harold-Lloyd-Filmcharakter aufweist. Doch Chase’ Figur basiert stärker auf Kontrasten. Einerseits strahlt die Figur mit ihrem dünnen Bärtchen und dem exakt gezogenen Scheitel etwas Gelangweiltes und Blasiertes aus. Typisch ist zum Beispiel die Darstellung nichtsnutziger junger Männer. Andererseits zeigt die Figur erhebliche Initiative und Erfindungsreichtum, wenn sie unter Druck gerät oder anderweitig motiviert wird. Höhepunkt einer solchen Entfesselung persönlicher Energie sind Szenen, in denen Chase zu tanzen beginnt. Hier zeigt er – wiederum ähnlich wie Chaplin – eine vollendete Eleganz.
Die vorliegende DVD enthält vier Charley-Chase-Filme, die allesamt Hal-Roach-Produktionen aus dem Jahre 1926 sind:
(1) »Mum’s the Word« (Dauer: 24 Min.; Regie: Leo McCarey)
(2) »Bromo and Juliet« (Dauer: 23 Min.; Regie: Leo McCarey)
(3) »Long Fliv the King« (Dauer: 24 Min.; Regie: Leo McCarey)
(4) »Crazy Like a Fox« (Dauer: 24 Min.; Regie: Leo McCarey)
In (2) und (3) ist Oliver Hardy jeweils in Nebenrollen zu sehen, in (3) spielt der heute leider vergessene, aus Deutschland stammende jüdische Komiker Max Davidson neben Chase. Das bizarrste Szenario der vier Filme hat sicherlich (3): Eine Prinzessin muss, um ihre Ansprüche auf den Thron zu sichern, innerhalb von 24 Stunden heiraten. Kurzerhand ehelicht sie in Amerika einen zum Tode Verurteilten (Chase), um sicherzugehen, dass ihr fremder Gemahl zukünftig keine Ansprüche stellt. Der junge Mann kommt jedoch wider Erwarten frei und wird König eines europäischen Phantasiestaats, wo er sich der Intrigen des eingesessenen Adels erwehren muss. Überaus witzig und charmant ist auch (4), in dem Chase sich einer arrangierten Hochzeit entwinden will, indem er psychische Störungen vortäuscht. Der Plan scheint aufzugehen, doch es zeigt sich, dass das Hochzeitsarrangement andere Voraussetzungen hat, als Charley anfänglich glaubte.
Die Filme sind restauriert (für (1) wurde erkennbar Material aus unterschiedlichen Kopien zusammengefügt). Wie bei so vielen Filmen aus den Hal-Roach-Studios ist auch in diesen Fällen das Ausgangsmaterial teilweise in mittelmäßigem Zustand. Kratzerfreie Filme bekommt man hier nicht zu sehen, aber die restaurierten Fassungen sind so gut, dass man beim Anschauen der Filme nicht durch Beschädigungen usw. abgelenkt wird. Die Zwischentitel sind im englischen Original belassen, optionale italienische Untertitel sind verfügbar. Als Extras gibt es recht umfangreiche (ausschließlich italienischsprachige) Texttafeln mit Informationen zu Charley Chase, Leo McCarey, Hal Roach und die Filmkomik insgesamt.
Charley Chase’ Filme funktionieren heute noch, – und meines Erachtens sogar besser als etwa die von Harold Lloyd. Die aus ihren Kontrasten lebende Hauptfigur, deren beeindruckende Körperkomik, das präzise Timing der Gags und nicht zuletzt die ironischen Zwischentitel sorgen dafür, dass die Filme auch beim wiederholten Ansehen noch Spaß machen.