„Heil“: Trailer & Kritik zur Neonazi-Komödie - WELT
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Film „Heil“

Wollt ihr den totalen Spaß?

Filmredakteur
„Heil“ - deutsche Komödie nimmt Nazis aufs Korn

Schriftsteller Sebastian ist auf Lesetour in der ostdeutschen Provinz. Durch einen Schlag auf den Kopf plappert er nur noch nach, was ihm gesagt wird. Das nutzen die ortsansässigen Neonazis schamlos aus.

Quelle: X-Verleih

Autoplay
Alles doch sehr lustig hier: Die Neonazi-Komödie „Heil“ des jungen Regisseurs Dietrich Brüggemann ist ein Film über öffentliches Sprechen und Handeln. Und ein Manifest der jüngsten Regiegeneration.

Natürlich darf man das, um eine besorgte Frage von vornherein zu beantworten. Man darf eine Komödie über Neonazis machen. Es war sogar höchste Zeit, auch wenn in diesem Jahr allein in Sachsen jeden dritten Tag ein Anschlag auf eine (leerstehende) Asylbewerberunterkunft verübt wurde. Man darf doofe Glatzen „Wheit Pauer“ an die Wände sprühen lassen. Man darf einen mediengeilen Nazi witzig finden, der sich in ständig neuen Klamotten als Nipster (steht für: nationaler Hipster) ablichten lässt. Man darf kichern, wenn unter den Augen egoshooternder Soldaten ein Panzer aus der Kaserne gestohlen wird, für den nächsten Feldzug gegen Polen.

Darf dieser Brüggemann alles. Er will doch nur spielen. Wirklich. Dietrich Brüggemann, 39, ist so etwas wie die Speerspitze der ganz neuen deutschen Kinogeneration, die nach Tykwer und Petzold, Dresen und Schanelec mit den Hufen scharrt. Sie heißen Brüggemann oder Maximilian Erlenwein oder Florian David Fitz oder Axel Ranisch.

Endlich zeigen, was wir wirklich denken über das Land

In Brüggemanns Kurzfilm „One Shot“ spielt dessen Schwester Anna (die all seine Drehbücher mitschreibt) eine Regisseurin des alten Schlages: „In dem Land hier läuft echt was schief. In den Medien wird Panik gemacht und Hass geschürt, und das hier ist unsere Chance zu zeigen, was wir wirklich denken“, beschwört sie ihre Crew. „Wir hoffen alle, dass sich damit in den Köpfen was ändert. Ich frage euch: Wollen wir unsere Chance ergreifen?“

Nein, ihre Mitstreiter wollen nicht, verkrümeln sich mit Ausreden. „Warum machst du nicht Berliner Schule und läufst damit in Cannes“, fragt der letzte, bevor er geht. Das ist so etwas wie das Brüggemannsche Manifest: bloß nicht so werden. Er hat Lust am Experimentieren: das Beziehungsdickicht „3 Zimmer/Küche/Bad“, die strenge Kühle von Filmstil und Religion in „Kreuzweg“ und nun eine – nennen wir es so – Oberflächenübung.

Wahlkampf in Deutschland: Benno Fürmann spielt in Dietrich Brüggemanns „Heil“ einen politischen Rechtsausleger
Wahlkampf in Deutschland: Benno Fürmann spielt in Dietrich Brüggemanns „Heil“ einen politischen Rechtsausleger
Quelle: X Verleih AG

„Heil“ ist der Grenzziehungsfilm par excellence, die Abnabelung vom gesellschaftlich korrekten Gremienprodukt. Brüggemann verweigert sich dem aufklärerischen Gestus eines Films, der davon ausgeht, dass es hinter der Fassade eine tiefere Wahrheit gibt; er verweigert den pädagogischen Impuls, der das Kino als ein Agens der Genesung betrachtet. Bei ihm gibt es die materialistische Sicht: Er nimmt die Fassade als das, was sie scheinen will: „Heil“ ist ein Film über öffentliches Sprechen und Handeln. Das Bild wird für bare Münze genommen. What you see is what is there: WYSIWIT.

Lars von Trier war nie in den USA und ihn plagt keinerlei Sehnsucht nach diesem Land, aber er hat mit „Dogville“ einen Film über Amerika gemacht, und zwar darüber, wie es sich medial präsentiert. Den gleichen Kunstgriff wendet „Heil“ an. Brüggemann bezeichnet seine Weltsicht auch schon mal als die eines Geiers, der eine Art Gesundheitspolizei sei, weil er das Aas fresse, und er, der Komödiant, picke sich die idiotischsten Positionen heraus und gebe sie zum heilenden Totlachen frei.

Alles Bekloppte da draußen

Im Flug über die (ost)deutschen Lande entdeckt Brüggemann Idioten en Masse: Ortsgruppenführer Sven (Benno Fürmann), der zum Angriff auf Polen rüstet, um seiner Nazibraut Doreen (Anna Brüggemann) zu imponieren; den afrodeutschen Korrektliteraten Sebastian (Jerry Hoffmann), der nach einem Schlag auf den Kopf Svens Parolen nachplappert; Sterni (Desiree Klaeukens) und Hagel (Moritz Krämer) von der Antifa, die sich in internen Debatten verzetteln; die Verfassungsschützer (Michael Gwisdek und Heinz-Rudolf Kunze), die nicht ahnen, dass ihre V-Leute sie gegeneinander ausspielen; die Zivilgesellschaft die sich im Talkgeschwafel erschöpft.

Es sind leichte Ziele, die er aufs Korn nimmt, und er kennt sie aus den Medien und ein bisschen dem richtigen Leben. Brüggemann erzählt gern die wahre Geschichte von einem alten Freund, der sich beim Verfassungsschutz beworben hatte. Man müsse dann drei Gewährsleute angeben. Er sei einer von den dreien gewesen. „Dann bekommt man einen Anruf mit unterdrückter Nummer, und es wird ein Treffen ausgemacht. Meines fand in einem Mittelklasse-Mercedes auf einem Parkplatz statt. Ein Mann saß am Steuer, und ich habe mich dazu gesetzt. Dann kamen Fragen wie: ,Hat der Kandidat rechte Parteien gewählt? Hat er Drogen konsumiert?’ Ich habe das verneint – sie haben meinen Freund genommen.“

Sitzende Ziele eben, kaum zu verfehlen. In seinem Flug über unsere Lande findet Brüggemann eigentlich nur Idioten und bestäubt sie nach dem Gießkannenprinzip mit Selbstentlarvungs-Spray. Deutschlandweit herrscht Idiotie, triumphiert das Phrasendreschen, endet alles in der blödmöglichsten Variante. Wer in „Heil“ eine reine Neonazisatire sieht, verkürzt den Film. Er mokiert sich ebenso über die willigen Verführten des Spießbürgertums und die „Wir dürfen nicht vergessen“-Phraseologie der amtlich bestellten Erinnerer.

Vor denen muss man sich nicht fürchten, die muss man auslachen: Szene aus „Heil“
Vor denen muss man sich nicht fürchten, die muss man auslachen: Szene aus „Heil“
Quelle: X Verleih AG
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Darin ist „Heil“ der Film einer neuen Generation, der vierten nach der Stunde Null, deren bisherige Lebenserfahrung sie lehrt, dass alles bleibt, wie es ist, ob man sich nun engagiert oder nicht. Angela Merkel bleibt Angela Merkel, auch wenn LeFloid sie befragt, und die NSA hört weiter jeden ab, so sehr man sich auch empört. Brüggemanns Film richtet sich in dieser Geste des „Wir können die Zustände nicht ändern, deshalb lachen wir sie kräftig aus“ ein. Es ist eine relativ bequeme Geste, und diese Generation begnügt sich damit, weil es den meisten relativ bequem geht.

„Wollt ihr den totalen Spaß“, glaubt man Brüggemann rufen zu hören. „Wollt ihr ihn totaler und radikaler, als ihr ihn euch bisher überhaupt vorstellen konntet?“ Schön wär’s gewesen. Nazis und Anti-Nazis nach „Titanic“-Rezept bis zur geistigen Zwergenhaftigkeit zu verkleinern, ergibt noch keinen radikal witzigen Film.

Die Glatzen bloß nicht zu Angstgestalten aufbauen

Natürlich weiß Brüggemann, an welcher Ahnengalerie er gemessen wird – und jeder dieser Referenzfilme weist auf ein Defizit. Anders als im „Großen Diktator“ gibt es keine Identifikationsfigur, zu der Wahrheit gesellt sich kein Schmerz, weil die Charaktere piepegal sind. In „Sein oder Nichtsein“ schwebte allgegenwärtig der Tod über der Komödie, hier nur der Aasgeier. Die Figuren von „Heil“ folgen stur einem einzigen Impuls, wie bei „Monty Python“ – aber die Pythons zeichneten sie mit liebevollem Respekt, während Brüggemann einzig Spott für sie übrig hat.

Auch in „Brazil“ herrschte heilloses Durcheinander, aber darin wurde wenigstens klar, dass „das System“ ein jeder ist – während es „Heil“ einem leicht macht, sich zu distanzieren; diese Witzfiguren und ich, iwo! Schließlich: „Four Lions“, die Komödie über vier vollpfostige Briten-Jihadisten: Der Film nimmt sie zwar nicht ernst, dafür aber ihr Tun – und deshalb müssen sie sterben.

Diesen Gefallen will Brüggemann seinen Neonazis wiederum nicht tun, sie nicht zu Angstgestalten aufbauen. Er wählt stattdessen die Problembehandlung durch Lächerlichkeit. Selten so gelacht.

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