Esoterik oder Wissenschaft? Der Magnet-Mann vom Bodensee
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Mystisch

Esoterik oder Wissenschaft? Der Magnet-Mann vom Bodensee

Meersburg / Lesedauer: 8 min

Franz Anton Mesmer behauptete, Menschen mit seinen Magnethänden heilen zu können. Auf erste Höhenflüge folgte für den Arzt ein Absturz.
Veröffentlicht:16.05.2024, 18:00

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Bis heute gilt die um das Jahr 1700 aufkommende Aufklärung als das Zeitalter der Vernunft. Rationales Denken, Naturwissenschaft und Bildung hielten triumphal Einzug in eine Gesellschaft, in der vorher Religion und Aberglauben wichtige Stützpfeiler des alltäglichen Lebens bildeten. Doch längst nicht alles, was frühe Forscher in dieser Zeit ersannen, hielt dem prüfenden Blick der Vernunft tatsächlich stand. Etwa der „animalische Magnetismus“ des Franz Anton Mesmer vom Bodensee. Dabei waren seine ersten Versuche durchaus vielversprechend.

Im vorrevolutionären Paris des 18. Jahrhunderts war Mesmer Stadtgespräch, seine Gruppentherapien im luxuriösen Hôtel de Bouillon legendär. Erzählungen schildern Behandlungen, die ein mystischer Hauch umweht. Teils unterscheiden sich die Berichte bei Details, aber sie dürften in etwas so abgelaufen sein: Die Patienten versammelten sich bei gedämpftem Licht zunächst um das Baquet, einen von Mesmer „magnetisierten“ Holzzuber, gefüllt mit Wasser, Flaschen und Eisenspänen, die aus dem Deckel ragten. Aus einem Nebenraum erklang sphärische Musik. Mesmer selbst spielte dort die Glasharmonika. Erst nachdem die Patienten auf Anweisung von Helfern einen Kreis um den Zuber bildeten und aus dem Baquet ragene Eisenstangen berührten, betrat der Meister den Raum. Angetan, mit einem violetten Seidenmantel schritt er durch die Reihe der Erkrankten, wechselte hier ein geflüstertes Wort, dort eine kurze Berührung. Nach und nach, so heißt es in Beschreibungen, verfielen die Patienten in Trance, brachen in Tränen oder Lachanfälle aus. Für Mesmer war das ein Zeichen der Heilung. Von solchen Vorgängen berichtet etwa der mit Mesmer freundschaftlich verbundene Arzt Justinus Kerner (1786 bis 1862) in seinen Aufzeichnungen „Franz Anton Mesmer aus Schwaben, Entdecker des thierischen Magnetismus“.

Prominente Anhänger in Frankreich

Was aus heutiger Sicht mystisch und esoterisch anmutet, war für Mesner selbst pure Wissenschaft. Der Religionswissenschaflter Manuel Stadler bezeichnet Mesmers Haltung im Podcast „Darwin gefällt das“ so: Bei Mesmer gäbe es keinen Glauben „an die Hinterwelt oder an Dämonen, sondern er versucht das, sehr physikalisch oder naturwissenschaftlich“ zu begründen. Für das, was bei den Sceance-ähnlichen Gruppentherapien stattfindet, hat er allerdings eine andere Erklärung. Das hänge wahrscheinlich „mehr mit der Einbildung der Patienten zusammen“, als mit den Geräten. Mesmers Thesen fanden allerdings prominente Anhänger, unter anderem wollten König Ludwig XVI. und Marie Antoinette, die selbst Patientin bei ihm war, den Mediziner mit unerhörten Summen dazu bewegen, in Paris zu bleiben und eine Klinik einzurichten. Doch wo der deutsche Doktor war, war die Kontroverse nie weit.

Das Sterbehaus von Franz Anton Mesmer (1734-1815) in Meersburg, aufgenommen am (31.10.2011). Der Arzt gilt als Begründer der Hypnose-Therapie. Foto: Patrick Seeger dpa/lsw (Zu lsw Korr: «Ein Mesmerhaus in Meersburg für den Magier vom Bodensee? » vom 16.11.2011)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Das Sterbehaus von Franz Anton Mesmer (1734-1815) in Meersburg, aufgenommen am (31.10.2011). Der Arzt gilt als Begründer der Hypnose-Therapie. Foto: Patrick Seeger dpa/lsw (Zu lsw Korr: «Ein Mesmerhaus in Meersburg für den Magier vom Bodensee? » vom 16.11.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: Patrick Seeger)

Mesmer wurde am 23. Mai 1734 in Inznang auf der Halbinsel Höri als drittes von neun Geschwistern geboren. Sein Vater war Anton Mesmer, Förster beim Fürstbischof von Konstanz. Früh erhielt der junge Franz Anton Musik- und Lateinunterricht. Als Jugendlicher besuchte er das Konstanzer Jesuitenkolleg. 1750 bis 1754 folgten das Studium der Logik, Metaphysik und Theologie in Dillingen, das Studium der Theologie in Ingolstadt, und ab 1759 ein Studium der Medizin in Wien. Dort lernte er unter anderem beim Hofarzt der Kaiserin Maria Theresia, Gerard van Swieten. Inspiriert durch den katholischen Geistlichen Johann Joseph Gaßner befasste Mesmer sich mit den Anziehungskräften der Planeten. Er glaubte, sie würden Einfluss auf den menschlichen Körper ausüben und verfasste dazu 1766 seine medizinische Dissertation unter dem Titel „De planetarum influxu in corpus humanum.“ 768 heiratete Mesmer die reiche Witwe Maria Anna von Posch und ließ sich als Arzt in Wien nieder.

Kontakt mit Mozart und Haydn

Dort verkehrte Mesmer zunächst in illustren Kreisen. Er pflegte, wie in verschiedenen Biografien berichtet wird, Umgang mit Joseph Haydn, Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart. In seiner Praxis behandelte er seine Patienten noch nach herkömmlichen Methoden, doch an einem Fall biss er sich die Zähne aus: Die 29-jährige Franziska Österlin konnte er partout nicht heilen. Ihre Leiden erstreckten sich von Ohrenschmerzen bis hin zur Melancholie, wohl einer damaligen Umschreibung für eine Depression. Auf Empfehlung des Jesuitenpaters und Astronomen Maximilian Hell legte er seiner Patientin schließlich Magneten auf und erklärte diese Behandlung für erfolgreich und Österlin für genesen.

Bildnummer: 1-M363-E1780_Kurztext: Franz Anton Mesmer, Le baquet.. / Kupf._Bildtext: Mesmer, Franz Anton; Arzt, BegraÖ¬ander der Lehre vom animalen Magnetismus; 1734-1815.-"Le baquet de Mr. Mesmer ou RepraÖ¬asentation fidaǬèle des OpaÖ¬arations du MagnaÖ¬atisme Animal".-(Anwendung von Mesmers Heilmethode). Kupferstich, um 1780._Ereignisjahr: 1780_Herstellungsjahr: 1780_Technik & Material: KUPFERSTICH|GRAFIK|DRUCKGRAFIK_Bildnachweis: akg-images_Dateiname: AKG_8573
Bildnummer: 1-M363-E1780_Kurztext: Franz Anton Mesmer, Le baquet.. / Kupf._Bildtext: Mesmer, Franz Anton; Arzt, BegraÖ¬ander der Lehre vom animalen Magnetismus; 1734-1815.-"Le baquet de Mr. Mesmer ou RepraÖ¬asentation fidaǬèle des OpaÖ¬arations du MagnaÖ¬atisme Animal".-(Anwendung von Mesmers Heilmethode). Kupferstich, um 1780._Ereignisjahr: 1780_Herstellungsjahr: 1780_Technik & Material: KUPFERSTICH|GRAFIK|DRUCKGRAFIK_Bildnachweis: akg-images_Dateiname: AKG_8573 (Foto: akg-images)

Ob sie wirklich geheilt war - und wenn, ob durch Mesmers Methode oder durch einen Placebo-Effekt, lässt sich heute kaum mehr klären. Nach dieser Erfahrung und unter Berücksichtigung seiner Thesen aus seiner Dissertation entwickelte Mesmer die Theorie des „Animalischen Magnetismus“. Er war überzeugt, dass in menschlichen und tierischen Körpern eine magnetische Flüssigkeit, ein „Fluidum“ fließe. Störungen und Blockaden im Kreislauf dieser Flüssigkeit seien Ursache für alle Krankheiten. Heilung könne also nur die Beseitigung dieser Störungen durch magnetische Kräfte bringen. Wie es der Zufall wollte, stellte Mesmer bei sich selbst solche Kräfte fest - oder zumindest behauptete er das von sich. Mit diesen Fähigkeiten könne er entweder direkt durch Berührungen heilen oder beliebige Gegenstände magnetisieren und damit zu Heilmitteln machen - etwa einen Zuber mit Flaschen und Metallstäben. Im Jahr 1775 teilte Franz Anton Mesmer seine Entdeckung des Animalischen Magnetismus mit anderen Medizinern und wissenschaftlichen Akademien und bat sie um ihre Einschätzung.

Test geht schief

Die Antworten fielen abfällig aus. Bei einem Versuch, seinen Heilerfolg der Franziska Österlin zu präsentieren, wurde Mesmer auch noch von dem Arzt Jan Ingenhousz hinters Licht geführt. Österlin sollte bei dem Versuch auf von Mesmer magnetisierte Gegenstände reagieren. Was beide nicht wussten: Ingenhousz hatte zuvor überall im Raum Magneten versteckt. Ingenhousz machte den Fall öffentlich und kreidete Mesmer in den illustren Kreisen Wiens als Betrüger an.

Um seinen Ruf zu retten, übernahm Mesmer einen besonders prekären Fall. Er wollte die 18-jährige Pianistin Maria Theresa Paradis heilen, die seit frühester Kindheit erblindet war. Andere Ärzte waren an ihrer Erkrankung bereits gescheitert, ihre Blutegel und Stromschläge brachten keine Besserung. Auch in diesem Fall behauptete Mesmer, er habe die Patientin heilen können. Sie habe nach der Behandlung sogar Gesichter erkannt. Doch der große Befreiungsschlag für sein Renommee gelang ihm nicht. Marias Vater befürchtete, das Publikum könnte das Interesse an der Begabung seiner Tochter verlieren, wenn sie ihr Augenlicht wieder erhalte. Außerdem fürchtete er wohl um eine Blindenrente, die sie bekam. Weil Mesmer die Behandlung stur fortsetzte, soll der Vater sogar mit Gewalt versucht haben, die Pianisten aus den Klauen des Arztes zu befreien. Als die junge Frau schließlich zu ihrer Familie zurückkehrte, hieß es von dieser, sie könne weiterhin nichts sehen. Mesmers Versuch der Rufrettung war gescheitert.

Kommission mit Benjamin Franklin untersucht Mesmers Methode

Gedemütigt und verspottet, kehrte er Wien den Rücken und zog nach Paris, wo er mit seinen Baquet-Therapien für Aufsehen sorgte. Doch auch hier stießen seine Methoden in der Fachwelt auf Ablehnung. Selbst Ludwig der XVI. schien nun skeptisch, im August 1784 beauftragte er eine Kommission damit, die Behandlungsmethode des Arztes zu untersuchen. Die Mitglieder der Kommission - darunter der amerikanische Erfinder und Staatsmann Benjamin Franklin sowie der Astronom Jean Baily, der Chemiker Antoine Lavoisier und der Mediziner Joseph Guillotin - nahmen Proben aus dem Baquet, nahmen an Gruppensitzungen teil und ließen sich selbst behandeln.

Ihr Urteil war vernichtend. Es sei unmöglich, die Existenz des Fluidums zu beweisen, seine Methode entbehre „jeder Grundlage“. „Mesmer war damit auch in Paris erledigt. Selbst sein alter Weggefährte Wolfgang Amadeus Mozart verhöhnte jetzt den Arzt vom Bodensee. In der Oper „Così fan tutte“ ließ er einen angeblichen Doktor - in Wirklichkeit ein verkleidetes Hausmädchen - auftreten, der mit einem riesigen Magneten hantierte.

Tod in Meersburg

Mesmer verließ Paris und kehrte in die Bodenseeregion zurück. Doch sein Ruf folgte ihm auch nach Deutschland, wie der Arzt Justinus Kerner schrieb: „Es ging so weit, dass man, ohne verleumdet zu werden, den Magnetismus nicht entfernt mehr verteidigen durfte“. Im Schweizerischen Frauenfeld lebte Mesmer zurückgezogen und behandelte von 1808 bis 1812 auch im hohen Alter meist unentgeltlich arme Kranke aus der Umgebung. Nach einigen Jahren Aufenthalt in Konstanz siedelte er schließlich nach Meersburg über, wo er 1815 an einen Schlaganfall starb. „Den 5. März, als er sein Ende herannahen fühlte, begehrte er mit gebrochener Stimme den Seminaristen Feßler herbeizuholen, damit dieser ihm während des Verscheidens auf der Glasharmonika spiele, aber Mesmer verschied, ehe Feßler kam, klaglos, lächelnd; wie unter dem Vorgefühl einer nie endenden, allfluthenden, göttlichen Harmonie“, schrieb Justinus Kerner über den Moment des Todes.

Mesmers Arbeit, so unhaltbar seine Theorie des Fluidums auch ist, hat bis heute Auswirkungen. Esoterische Lehren verweisen heute noch auf den Mesmerismus, seine Thesen verbreiteten sich besonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland erneut. So enthalten auch die Psychoanalyse Freuds oder die Suggestionstherapie nach Émile Coué - beides Dinge, die durchaus auch kritischen Blicken der Vernunft standhalten können, Anleihen der Methoden Mesmers. Im Bereich der Hypnose gilt Mesmer sogar als Wegbereiter - auch wenn er selbst die Wirkung seines Schaffens auf andere Weise zu erklären suchte.