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Urteil gegen Thüringer AfD-Chef: Höcke in Schockstarre, Skandal um FAZ-Meldung, Richter mit knallharter Ansage
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glomex Gericht verurteilt AfD-Höcke zu Geldstrafe - so begründet der Richter das Urteil
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Björn Höcke muss 13.000 Euro zahlen, weil er im AfD-Wahlkampf eine verbotene Parole der SA benutzt hat. Zuvor bezeichnete er sich als „politisch Verfolgten“ und schimpfte den Staatsanwalt einen „Aktivisten“. Für Empörung im Gericht sorgte jedoch etwas anderes.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist nicht nur die Heimat kluger Köpfe, sie liefert weltexklusive Nachrichten auch in atemberaubender Schnelligkeit. An diesem Dienstag bringt sie um 8.52 Uhr eine Eilmeldung heraus mit der Überschrift „AfD-Politiker Höcke zu Geldstrafe verurteilt“.

Das Problem: Es handelt sich zu diesem Zeitpunkt um eine Falschmeldung!

Denn als die FAZ-Story sich im Internet wie ein Lauffeuer zu verbreiten beginnt, hat der vierte Verhandlungstag gegen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke am Landgericht Halle (Saale) noch gar nicht angefangen!

FAZ-Eilmeldung sorgt im Gericht für Empörung

Der Vorsitzende Richter Jan Stengel wird in der ersten Sitzungspause auf den Vorfall aufmerksam gemacht – und stellt zu Beginn der Fortsetzung sofort klar: „Die Kammer hat noch keine Entscheidung getroffen!“

Dies versichert Stengel den anwesenden Prozessbeobachtern, insbesondere aber dem Angeklagten Höcke, den er direkt anspricht. So etwas, resümiert der erfahrene Richter fassungslos, habe er „noch nicht erlebt“. Schließlich befinde man sich noch mitten in der Beweisaufnahme.

Zu dem Eklat bei der FAZ war es offenbar gekommen, weil irgendjemand zu früh eine Taste gedrückt und den Artikel mit dem – von der Redaktion ausgedachten und vorformulierten – Urteil in die Welt gesetzt hatte.

Ein kleines technisches Versehen mit großer Wirkung.

Ungewollt vermittelte eine angesehene Qualitätszeitung den Eindruck, sie habe vorab Kenntnis von einem wichtigen Gerichturteil, das nicht wie üblich in öffentlicher Verhandlung gefällt wurde, sondern in den Hinterzimmern der Justiz.

Ein fatales Signal, das gerade Anhänger der AfD in ihrer kritischen, abwehrenden Haltung gegenüber „etablierten Medien“ und der vermeintlich voreingenommenen Justiz bestärken dürfte. Noch dazu, weil die Frankfurter Journalisten am Ende inhaltlich richtiglagen.

Am Abend fällt das Urteil: 13.000 Euro Geldstrafe

Kurz nach 19 Uhr verurteilt die 5. Große Strafkammer Höcke zu einer Geldstrafe . Er muss 100 Tagessätze zu jeweils 130 Euro zahlen, insgesamt 13.000 Euro. Als unmittelbar nach der Verkündung im Saal Applaus aufbrandet, schreitet Richter Stengel sofort ein und stoppt die Jubelnden.

Stengel belässt es bei einer kurzen, aber durchaus gepfefferten Urteilsbegründung. Er sagt Sätze wie: „Das Gericht muss sich alles anhören, aber es muss nicht alles glauben.“ Und er betont, die Kammer habe „völlig unabhängig“ entschieden.

An Höckes ausgebuffte Verteidiger gewandt, erklärt Stengel, die Drohung mit Rechtsmitteln „ist uns völlig schnuppe“. Man sei überzeugt, dass die Vorwürfe der Anklage im Kern zuträfen.

Demnach hat Höcke bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung 2021 in Merseburg (Sachsen-Anhalt) die Parole „Alles für Deutschland“ benutzt. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um einen verbotenen Slogan der SA, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP.

Das Gericht betont, es sei sicher, dass Höcke gegen Paragraph 86a des Strafgesetzbuchs („Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen”) verstoßen hat. Der 52-Jährige habe die Tat unter „dem Deckmantel der Meinungsfreiheit“ begangen und dabei genau gewusst, dass er sich strafbar macht.

Sein Motto habe gelautet: „Mal gucken, wie weit ich gehen kann.“

Höcke wie versteinert - er hatte mit Freispruch gerechnet

Als Höcke dies hört, schüttelt er entsetzt den Kopf. Ansonsten wirkt er wie versteinert, schockiert . Allem Anschein nach hatte er fest mit einem Freispruch gerechnet.

Mit seinem Urteil folgt das Gericht der Staatsanwaltschaft nicht. Die Anklagebehörde hatte sechs Monate Haft gefordert, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung. Als Auflage sollte Höcke 10.000 Euro zahlen - etwa an ein Demokratieförderprojekt oder ein Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten.

Höcke, so der Anklagevertreter in seinem Plädoyer, habe „vorsätzlich gehandelt“ und „sehr wohl“ um den historischen Kontext der Parole gewusst. Alles andere sei weder glaubhaft noch realitätsnah, sondern schlichtweg „eine Schutzbehauptung“.

Der Angeklagte habe sich sehr intensiv mit der Sprache der Nazis befasst und setze sie „strategisch und systematisch“ ein. Er verfüge über einen „fundierten NS-Wortschatz“ und damit über „Täterwissen“. Höcke begehe mit seinen Äußerungen „gezielte, planvolle Grenzüberschreitungen“.

Dass er als AfD-Spitzenpolitiker die Bedeutung von „Alles für Deutschland“ nicht gekannt haben will, nimmt ihm der Staatsanwalt nicht ab.

Das ergebe sich schon daraus, dass zwei Partei-Kollegen bereits 2017 und 2020 juristischen Ärger wegen der Verwendung des Spruches hatten. Über die Verfahren sei „hinlänglich medial berichtet worden“. Außerdem habe Höcke einen der beiden gut gekannt und sich oft mit ihm ausgetauscht.

Deshalb könne es „keine vernünftigen Zweifel“ geben, dass Höcke um die Strafbarkeit wusste – und die Formulierung trotzdem gebrauchte.

Während der Anklagevertreter das alles zum Besten gibt, schüttelt Höcke immer wieder den Kopf. Später wird er verbal auf seinen Gegenspieler losgehen und sich – wieder einmal – als schutzloses Opfer von Justiz und Medien darstellen.

„Sie bewegen sich im Bereich des magischen Denkens!“

Doch erst einmal sind die drei Verteidiger des Angeklagten mit ihren Schlussvorträgen an der Reihe. Sie fordern unisono einen Freispruch. In zum Teil scharfen Worten greifen sie die Staatsanwaltschaft an.

Rechtsanwalt Ralf Hornemann lässt sich zu der wenig schmeichelhaften Bemerkung hinreißen: „Sie bewegen sich im Bereich des magischen Denkens!“ Das sei fatal, denn schließlich gehe es in dem Prozess um nicht weniger als die Frage, „was man in diesem Staat noch sagen darf“.

Sein Kollege Philip Müller nennt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft „konstruiert und wenig lebensnah“. Die beiden Vertreter der Behörde würde zwar „rhetorisch eindrucksvoll“ daherkommen, sich aber „auf der Ebene von Vermutungen“ und unzulässigen Schlüssen bewegen.

Um die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft auf den Punkt zu bringen, bemüht Müller eine Formulierung, die eigentlich dem Verfassungsschutz vorbehalten ist: Höcke bleibe ein „Verdachtsfall“.

Der Rechtsanwalt aus München wirft der Anklage eine „zweifelhafte Indizienbeweisführung“ vor. Sie handele frei nach dem Motto: „Der Höcke, der wird schon so einer sein…“ Gemeint ist ein Schuldiger, ein Gesetzesbrecher.

Deshalb appelliert der Verteidiger an das Gericht, die „subjektive Einstellung zum Angeklagten“ dürfe nicht über Schuld oder Unschuld entscheiden.

Experte erklärt Herkunft und Gebrauch der Parole

Der dritte Verteidiger im Bunde, Ulrich Vosgerau, sieht schon den objektiven Tatbestand als „nicht erfüllt“ an, nämlich, dass „Alles für Deutschland“ eine wichtige Parole der SA gewesen sei.

Genau das hatte ein von Höckes Verteidigung überraschend aufgebotener Zeuge am Vormittag dargelegt. Die Rede ist von dem promovierten Historiker Karlheinz Weißmann, 65 Jahre alt, Studienrat im Ruhestand aus Göttingen und Experte für politische Symbole.

Der Mann, der regelmäßig für die Junge Freiheit schreibt und einst gemeinsam mit Götz Kubitschek das rechtsextreme „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda gründete, soll dem Gericht die Frage beantworten, woher die Parole „Alles für Deutschland“ stammt und welche Bedeutung sie insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus hatte.

Weißmann erklärt, dass die Losung „seit 1848 in Umlauf“ ist und später unter anderem „in sozialdemokratischen Wehrverbänden“ stark verbreitet war. In Kirchenkreisen („Alles für Deutschland, alles für Christus“), im Widerstand gegen die Nazis („Alles für Deutschland, nichts für Hitler“) und während der SED-Diktatur in der DDR sei die Parole ebenfalls verwendet worden.

Auch die Nazis hätten sich „dieser Formel bedient“, so der Zeuge, allerdings habe sie dort „keine starke Präsenz“ gehabt. Die Parole sei in ihrer Bedeutung nicht vergleichbar mit „Sieg Heil“ oder „Deutschland erwache“, so Weißmann.

Der einstige Geschichtslehrer versichert, die Hintergründe der Parole seien „kein Gegenstand des Geschichtsstudiums und erst recht nicht des Geschichtsunterrichts“ gewesen. Damit bestätigt er eine Aussage Höckes, der selbst viele Jahre Geschichtslehrer war, vom zweiten Verhandlungstag.

Ausdruck von „überschießendem Patriotismus“

Weißmann erklärt weiter, die meisten Menschen würden im Spruch „Alles für Deutschland“ wohl eher einen Ausdruck von „überschießendem Patriotismus“ sehen. Aber so gut wie niemand wisse, dass die Formel wegen ihrer Nähe zur SA unter Strafe steht.

Der Angeklagte Höcke nimmt genau das für sich in Anspruch. Es habe es schlicht und ergreifend „nicht gewusst“, trägt er gebetsmühlenartig vor. Sein Verteidiger Ulrich Vosgerau folgert daraus, dass auch „der subjektive Tatbestand nicht erfüllt ist“.

Er bezeichnet die Linie der Staatsanwaltschaft als „grenzwertig, um nicht zu sagen skandalös“. Die Vorwürfe gegen Höcke seien „nicht bewiesen und belegt“.

Darüber hinaus stellt Vosgerau die Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen 86a massiv infrage. Denn die Rechtsnorm verrate weder den Bürgern noch den Juristen, „was erlaubt und was verboten ist“. Selbst Spezialisten müssten erst juristische Fachkommentare zu Rate ziehen. Das sei nicht mit der Verfassung vereinbar.

Für den Fall, dass Höcke hier und heute verurteilt werde, kündigt Vosgerau an, vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen.

Höcke: „Habe ich keine Menschenwürde?"

Abschließend hat Höcke das letzte Wort, das er „selbstverständlich“ ergreift. Er steht auf, gestikuliert mit den Armen, wirkt hochemotional.

Er keilt gegen die Staatsanwaltschaft, bezeichnet deren Vorgehen als „inakzeptabel“ und „unredlich“. In ihrem Plädoyer sei sie „auf eine Fantasiereise“ gegangen, beklagt Höcke. Er habe den Eindruck, dass sein Widersacher nicht neutral agiert, sondern im Gericht als „politischer Aktivist“ auftritt. Der AfD-Politiker: „Das hat mich persönlich sehr enttäuscht.“ Er fühle sich ungerecht behandelt.

Fast weinerlich fragt Höcke in den Saal hinein: „Habe ich keine Menschenwürde? Bin ich kein Mensch?“ Lange Pause. Schweigen. Dann spricht er weiter. Seine parlamentarische Immunität sei mittlerweile acht Mal aufgehoben worden – nicht wegen Korruption oder Untreue oder ähnlicher schwerer Straftaten, sondern „wegen Meinungsdelikten“.

Höcke: „Ich habe das Gefühl, ein politisch Verfolgter zu sein!“ Er spüre, dass er als Chef der „mit Abstand größten Oppositionspartei in Thüringen beschädigt werden soll“. Seine Reden würden „auf die Goldwaage gelegt“, jedes Komma interpretiert.

„Wollen wir die deutsche Sprache verbieten, weil die Nazis auch Deutsch gesprochen haben?“ Die Nazis hätten auch „Guten Tag“ gesagt, so Höcke. „Wollen sie jetzt auch die Formulierung ‚Guten Tag‘ verbieten?“ Mehrmals betont er, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei „existenziell bedroht“ – und er liefere dafür das beste Beispiel.

Er sei einiges an Gegenwind gewohnt, aber so „Maß genommen zu werden“, sei selbst für ihn überraschend. Er hätte sich ein „Mindestmaß an weltanschaulicher Neutralität“ gewünscht, sagt er dem Staatsanwalt ins Gesicht. Er fragt ihn, ob ihn die entlastenden Ausführungen seiner Verteidiger „unbeeindruckt gelassen“ hätten. Oder habe ihn das alles gar nicht interessiert, „weil sie Ihr Urteil schon gefällt hatten?“

Höckes letzte Worte an den Vorsitzenden Richter: „Ich bitte Sie um Freispruch. Vielen Dank!“

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, eine Revision ist innerhalb einer Woche möglich.

gös/
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