„Die Diva, Thailand und wir!“ ist eine gro�artig gespielte Tragikom�die mit Hannelore Elsner als Egomanin und Anneke Kim Sarnau als Tochter Susanne, die ihre Mutter beim Thailandurlaub in einem Pflegeheim entsorgen m�chte. Das Drehbuch strotzt nur so von bitterb�sen Dialogen. Angesichts des darstellerischen Potenzials der beiden erfahrenen Hauptdarstellerinnen ist die Leistung der jungen Lina H�esker als Enkelin, die bei den Wortgefechten erstaunlich gut mith�lt, umso bemerkenswerter. Die L�uterung der Hauptfigur erfolgt etwas pl�tzlich, aber das schm�lert den Unterhaltungswert in keiner Weise.
Foto: BR / Marc ReimannOhne Betreuung geht es nicht mehr. Anneliese Behrens (Hannelore Elsner) nimmt die R�umung ihrer Wohnung, wie eine Diva so eine Unannehmlichkeit eben nimmt.
Dieser Film ist ein ausgezeichnetes Beispiel daf�r, wie souver�n ARD und ZDF in ihren Fernsehfilmen mit einem Stoff umgehen, der vor zwanzig Jahren allenfalls als Drama verfilmt worden w�re; wenn �berhaupt. �ber den eher an einen Freitagsfilm erinnernden Titel „Die Diva, Thailand und wir!“ l�sst sich streiten, aber er ist das richtige Signal: Die Kom�die erz�hlt erfrischend respektlos und mitunter sehr b�se, wie eine Frau ihre l�stige Mutter beim gemeinsamen Familienurlaub in einem thail�ndischen Seniorenheim entsorgen will; der Arbeitstitel lautete treffenderweise „Thailand sehen und sterben“.
Das Buch von Aglef P�schel und Franziska An der Gassen wirkt zun�chst wie eine finstere Variation der Mutter/Tochter-Kom�die „Mama geht nicht mehr“ (ZDF). Das Kunstst�ck des Films besteht darin, die Titeldiva als Frau einzuf�hren, die sich durch eine fast schon pathologische Ich-Bezogenheit auszeichnet; und dieses Bild schlie�lich in Frage zu stellen. Wie in vielen Geschichten dieser Art erfolgt die L�uterung der Hauptfigur dennoch etwas pl�tzlich, aber dank Hannelore Elsner f�llt das nicht weiter ins Gewicht: Als eine der letzten deutschen Filmdiven ist sie die perfekte Besetzung f�r die Operns�ngerin, die Zeit ihres Lebens nur an sich und ihre Karriere gedacht hat. Kein Wunder, dass Tochter Susanne (Anneke Kim Sarnau) der Meinung ist, dieser Frau, die sie fr�h in ein Internat abgeschoben hat, nichts schuldig zu sein, und aus der Haut f�hrt, als ausgerechnet Anneliese ihr Erziehungsratschl�ge gibt.
Foto: BR / Dominik ElstnerPl�tzlich steht die Mutter (Elsner) vor der T�r. Das Verh�ltnis zwischen ihr & Tochter Susanne (Anneke Kim Sarnau) stand noch nie zum Besten. Weshalb sollte sie sich um diese Egozentrikerin k�mmern? K�nnte ein Thailand-Urlaub Abhilfe schaffen?
Die Handlung beginnt �hnlich wie Uwe Jansons Kinofilm „Auf das Leben!“ (2014) mit einer Zwangsr�umung. In Jansons Drama spielt Elsner ebenfalls eine S�ngerin, hier wie dort hat sie auch Gesangseinlagen, aber damit enden die Parallelen: Als Anneliese Behrens nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus kommt, wird ein Gehirntumor entdeckt; ihr bleiben noch maximal zwei Jahre. Sie ist zwar kein Pflegefall, braucht aber rund um die Uhr jemanden in der N�he, weshalb Susanne sie zu sich nehmen soll. Anneliese verschweigt ihr jedoch die Wahrheit und berichtet stattdessen von einem „kleinen Schlaganfall“. Ihre Tochter will die Winterferien samt Familie in Thailand verbringen, und weil sie auf die Schnelle keine Pflegekraft findet, muss die Mutter notgedrungen mit.
Soundtrack: LMFAO (“Sexy And I Know It), Olivia Newton-John („Physical“), Antony & the Johnsons (“Knockin’ On Heaven’s Door”), PCU (“Get Up”), Cornu (“Youpi”), Alice Russell (“Hard And Strong”)
Foto: BR / Dominik ElstnerBeim thail�ndischen Partymachen kommen sich Mutter und Tochter wieder n�her.
Schon allein die Konfrontation dieser beiden Charaktere ist ein darstellerischer Genuss, schlie�lich prallen mit Elsner und Sarnau zwei Schauspielerinnen aufeinander, die das richtige Potenzial f�r die Powerfrauen haben. F�r beide schlie�t sich in gewisser Weise ein Kreis: 2001 haben sie in Stefan Krohmers Regiedeb�t „Ende der Saison“ schon einmal Mutter und Tochter verk�rpert. Auch damals spielte Elsner eine todkranke Frau, die die letzten Lebenstage bei ihrer Tochter verbringen will; Sarnau bekam damals f�r erste Hauptrolle den Deutschen Fernsehpreis. In „Die Diva, Thailand und wir!“ ist die Konstellation allerdings eine ganz andere; mit diebischer Freude haben P�schel und An der Gassen Situationen ersonnen, in denen sich Anneliese und die kontrolls�chtige Susanne, die ihre Mutter blo� „die Callas“ nennt, nichts schuldig bleiben. Nicht minder eindrucksvoll ist allerdings die Leistung der Dritten im Bunde: Die junge Lina H�esker h�lt sich als 13j�hrige Tochter Leni in den b�sen Dialogduellen mit Elsner vortrefflich. Die drei weiblichen Generationen lassen derart die Funken spr�hen, dass Marcel Mohab als Susannes Mann Frank kaum zur Geltung kommt. Immerhin ist er pr�sent genug, um die moralische Instanz der Geschichte zu verk�rpern: Als Susanne rausfindet, dass es in Thailand als Ehre gilt, sich um alte Menschen zu k�mmern, weshalb das Seniorenheim der Insel das reinste Paradies und au�erdem auch noch erschwinglich ist, meldet sie Anneliese kurz entschlossen hinter deren R�cken dort an.
Foto: BR / Dominik ElstnerIn Thailand ergibt sich auch Zeit f�r ernste Aussprachen. Hannelore Elsner & Anneke Kim Sarnau – 2001 spielten sie schon einmal, in Krohmers "Ende der Saison", Mutter und Tochter. F�r den Film und seine Schauspielerinnen gab es etliche Preise. Auch f�r "Die Diva, Thailand und wir!" sind sie die Idealbesetzung.
Obwohl Frank seine Schwiegermutter nicht ausstehen kann und anfangs lieber einen Auftragskiller als eine Pflegekraft besorgt h�tte, ist er schockiert von der Kaltbl�tigkeit, mit der Susanne ihre Mutter entsorgen will. Nicht zu Unrecht macht er sie darauf aufmerksam, was f�r ein Vorbild sie damit f�r die eigenen Kinder sei, und sp�testens jetzt schl�gt der Film auch andere T�ne an, ohne jedoch belehrend zu werden. Um den moralischen Diskurs aber mogelt sich das Drehbuch trotzdem herum, denn nun ereignet sich beinahe buchst�blich �ber Nacht die angesprochene L�uterung: Nachdem sich die Eltern zerstritten haben und Frank in ein Zelt am Strand umgezogen ist, macht sich Leni heimlich aus dem Staub, um eine Vollmondparty zu besuchen. Als es sie auf dem Weg dorthin m�chtig gruselt, taucht als rettender Engel ausgerechnet Anneliese auf. Die beiden besuchen die Party gemeinsam, haben einen Riesenspa� und stellen fest, dass die andere eigentlich gar nicht so �bel ist. Das gleiche Erlebnis haben kurz drauf Anneliese und Susanne, die nach dem Verzehr halluzinogener Drogen eine wilde Nacht erleben. Das Familiengl�ck scheint gerettet; bis der Manager des Seniorenheims auftaucht, als Susanne im Kleiderschrank ihren Rausch ausschl�ft, und Anneliese mitteilt, soeben sei ein Platz freigeworden.
Neben den b�sartigen Dialogen zeichnet sich der Film durch liebevoll zusammengestellte Details aus. Das Bett des Sohnes von Frank und Susanne zum Beispiel ist ein Drachenmaul mit illuminierten Z�hnen. Der kleine Paul (Luis Kurecki) �berl�sst der Oma gro�z�gig sein Zimmer; sie revanchiert sich, indem sie dort ebenso unbeschwert vor sich hin raucht wie im Krankenhaus. Mit Leni wiederum liefert sie sich eine lautstarke „Music-Battle“: LMFAO, laut Anneliese „Primatenmusik“, vs. Arie; Ergebnis: unentschieden. Dass diese Frau, einsam, pleite und dem Tod geweiht, im Grunde eine h�chst tragische Figur ist, ger�t angesichts ihrer Arroganz ohnehin rasch in Vergessenheit, zumal Elsner der Frau mit Ausnahme einiger wehm�tiger Blicke auf Fotografien aus ihrer glorreichen Vergangenheit auch keine Schw�che erlaubt. Immerhin ist ihr ein kleines Gl�ck verg�nnt, als sie auf der Insel einen sympathischen �sterreicher (Karl Fischer) kennenlernt. Sehr clever ist auch die Idee, erst mal zu verschweigen, was in der wilden Nacht passiert ist. Es muss ein mittleres Ereignis gewesen sein, denn am n�chsten Tag begl�ckw�nschen wildfremde M�nner Susanne zu ihrer Vorstellung. Die verbl�ffende Aufl�sung gibt es als Schmankerl zum Schluss.
Foto: BR / Dominik ElstnerAuch das Naturerleben sorgt f�r transzendente Erfahrungen. Elsner & Sarnau
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.