The Hateful 8 | Kritik | Film | critic.de

The Hateful 8 – Kritik

Katerstimmung nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Quentin Tarantino trauert einem Kino nach, das noch Haare am Sack hatte, und überrascht mit ungewohntem Klassizismus.

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In The Hateful 8 gibt es eine Tür, die nicht nur geschlossen, sondern sogar mit Holzbrettern vernagelt ist. Für den Film ist das durchaus bezeichnend. Quentin Tarantino hatte schon immer ein Faible dafür, lange mit seinen Figuren an einem Schauplatz zu verweilen und damit eine Bühne zu schaffen, auf der sich seine ausufernden Dialoge richtig entfalten können. Diesmal treibt er die Einheit von Raum und Zeit sogar noch weiter auf die Spitze als bei dem bereits sehr fokussierten Reservoir Dogs (1992): Fast die gesamte Handlung ist in der abgefuckten Bar „Minnie’s Haberdashery“ kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg angesiedelt. Während eines teuflischen Schneesturms versammelt sich dort ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der reichlich Konfliktpotenzial bietet. Nord- und Südstaaten stehen sich dabei ebenso gegenüber wie Schwarz und Weiß sowie Kriminelle und ihre Verfolger. Tarantino selbst beschrieb sein brachiales Whodunnit folgendermaßen: „Just a bunch of nefarious guys in a room, all telling backstories that may or may not be true. Trap those guys together in a room with a blizzard outside, give them guns, and see what happens.“

Ein geduldiger Geschichtenerzähler

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Was dabei herauskommt, ist vor allem ein Film, der so konzentriert, geradlinig und aufs Wesentliche reduziert ist, wie man es von diesem Regisseur nicht mehr erwartet hätte. Als die deutlichsten Merkmale von Tarantinos Schaffen gelten eigentlich die Ironie, die Coolness und vor allem das zitatenreiche Feiern der eigenen Kino- und Videotheken-Sozialisation – das man mögen kann, weil dadurch die popkulturellen Einflüsse stets stolz nach außen getragen werden, oder es ablehnen kann, weil die Filme ohne diese Referenzen ziemlich mager aussähen. Doch auch hier passt das Motiv der geschlossenen Tür zum Film, denn Tarantino beschäftigt sich diesmal mehr mit seiner Geschichte als mit stilsicher ausgewählten Querverweisen. Aber auch wenn wir es diesmal mit einem Regisseur zu tun haben, der bisher nur bei Jackie Brown (1997) so reif wirkte, löst sich The Hateful 8 nicht gänzlich von seinen Vorgängern. Die Sehnsucht nach einem Kino der Vergangenheit, das noch ordentlich Haare am Sack hatte, ist geblieben. Das fängt schon mit der Musik an. Weil Ennio Morricone keine Lust hatte, seine unverkennbaren Western-Soundtracks der 1970er Jahre noch einmal neu aufzuwärmen und stattdessen eine modernisierte Version davon ablieferte, ergänzte der Filmemacher einfach den Score (den ersten, der überhaupt für einen seiner Filme komponiert wurde) um einige von Morricones unveröffentlichten Stücken. Und auch bei der Veröffentlichung des Films im Rahmen einer 70mm-Roadshow ging es vor allem um die Wiederbelebung einer verloren gegangenen Tradition.

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Dieses Spannungsverhältnis aus klassischer und postmoderner Herangehensweise bestimmt den gesamten Film. Zwar wird in der letzten Stunde wieder ungeniert über die Stränge geschlagen – da meldet sich Tarantino plötzlich als Erzähler aus dem Off, bricht mit einer Rückblende die lineare Handlung und setzt auf grell überzeichnete Gewaltexzesse –, aber dafür ist die erste Hälfte des Films ganz das Werk eines geduldigen Geschichtenerzählers. Schon die Exposition ist geradezu episch. Eine Kutschfahrt zu besagter Kneipe nutzt Tarantino, um sorgfältig seine Hauptfiguren einzuführen: einen schwarzen Kopfgeldjäger (Samuel L. Jackson), der die Südstaaten-Armee zur Zeit des Bürgerkriegs das Fürchten lehrte, einen weißen Kollegen (Kurt Russell), der seine Opfer immer lebendig abliefert, seine kratzbürstige Gefangene (Jennifer Jason Leigh) sowie einen etwas bauerntrampeligen Lost-Cause-Kämpfer und angehenden Scheriff (Walton Goggins). Dabei zeichnet sich schon früh ab, was die Spannung von The Hateful 8 ausmacht: ein Klima des ständigen Misstrauens, unter dem man mit einer Lüge zweifellos länger am Leben bleibt als mit der Wahrheit.

Kein trügerischer Triumph der Entrechteten

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Die getragene Inszenierung lässt den Darstellern genug Raum, ihre eigenwilligen Charaktere mit Leben zu füllen. Bei der Besetzung hatte Tarantino ohnehin schon immer ein glückliches Händchen. Wenn die Reisenden später noch Gesellschaft von einer Gruppe undurchsichtiger Typen bekommen, darf unter anderem noch ein irre grinsender Tim Roth den Christoph Waltz geben, Bruce Dern einen verbitterten Rassisten spielen und Michael Madsen beweisen, dass er völlig zu Unrecht in die filmische Kreisliga abgewandert ist. Die eigentliche Überraschung ist aber, dass die etwas in Vergessenheit geratene Jennifer Jason Leigh als charmebefreite Gangsterbraut Daisy Domergue zwar kaum Dialog hat, mit ihrer mürrischen Miene, den Zahnlücken und einer unappetitlichen Kruste aus Speichel und Blut, die ihr Gesicht bedeckt, aber trotzdem eine unheimliche Präsenz besitzt. Schon früher verkörperte Leigh vor allem Figuren, die nicht besonders anmutig waren. Sie spielte die Schnapsdrosseln, die Labilen und die gemeingefährlichen Psychos. Die Figur der Daisy Domergue wirkt wie eine schamlos überzeichnete Hommage an ihre Außenseiterrollen von damals. Und nicht zuletzt ist sie, genauso wie die Rolle von Samuel L. Jackson, eine Abkehr von der aktuellen Tendenz im amerikanischen Kino, sozial Entrechtete als Wiedergutmachung der Geschichte zu Helden zu stilisieren – wie es auch Tarantino schon in Inglourious Basterds (2009) und Django Unchained (2012) getan hat.

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Das heißt jedoch nicht, dass sich The Hateful 8 nicht für die Rolle der Stigmatisierten interessiert. Er schlägt sehr wohl eine Brücke zwischen der gewalttätigen Vergangenheit Amerikas und seiner rassistischen Gegenwart. Dieselben Typen, die damals gegen die Abschaffung der Sklaverei in den Krieg gezogen sind, beharren heute vermutlich auf der identitätsstiftenden Funktion ihrer Konföderationsflagge. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass sich Tarantino nicht mehr auf einen trügerischen Triumph der Unterdrückten verlässt. Es sind eher die kleinen Momente, in denen Samuel L. Jackson zurückschlagen darf, etwa wenn er ausgiebig erzählt, wie ihm ein konförderierter Soldat den dicken schwarzen Schwanz lutschen musste. Ob es sich bei dieser Erzählung jedoch um die Wahrheit handelt oder nur um eine weitere taktische Lüge, lässt der Film im Ungewissen. Vielleicht ist auch das ein Indiz dafür, dass wir es mit einem reiferen Tarantino zu tun haben: Um sein Unbehagen gegenüber der amerikanischen Geschichte auszudrücken, muss er sie nicht mehr zwangsläufig umschreiben.

Trailer zu „The Hateful 8“


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Kommentare


ule

verzockt: langweilig, hervorsagbar, Roth äfft Waltz nach, Samuel spielt Samuel. Tarantinos Zeit ist vorbei, schade.


Wilm

Das seh' ich insgesamt auch so, abgesehen von Roth. Roth spielt mMn schon sehr lange so.

Wer 'lie to me' kennt, weiß das - auch wenn sich die Brücke zu Waltz natürlich anbietet...






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