Stalingrad 1942: Nur 40 Kilometer trennten die 6. Armee und ihre Retter - WELT
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Zweiter Weltkrieg Stalingrad 1942

Nur 40 Kilometer trennten die 6. Armee und ihre Retter

Drei Tage vor Weihnachten 1942 hörten die Eingekesselten in Stalingrad bereits die Panzer, die sie entsetzen sollten. Hitler gab Befehl zu „Unternehmen Donnerschlag“, zum Ausbruch – um ihn kurz darauf wieder zurückzunehmen.
Die 23. Panzer-Division auf dem Vormarsch nach Stalingrad – Foto aus der Geschichte dieser Einheit von Ernst Rebentisch Die 23. Panzer-Division auf dem Vormarsch nach Stalingrad – Foto aus der Geschichte dieser Einheit von Ernst Rebentisch
Die 23. Panzer-Division auf dem Vormarsch nach Stalingrad – Foto aus der Geschichte dieser Einheit von Ernst Rebentisch
Quelle: Ernst Rebentisch

Auf den Treibstoff kommt es an. Ohne genügend Benzin und Diesel sind Panzer und andere Fahrzeuge einer Armee nicht viel mehr als nutzloser Metallschrott. Der absolute Mindestbedarf der deutschen 6. Armee im Kessel von Stalingrad betrug nach Angaben ihres Stabes Mitte Dezember 1942 300 Kubikmeter Benzin und 50 Kubikmeter Diesel pro Tag – und das war schon weniger als die Hälfte der nominellen Menge von 850 Kubikmeter Treibstoff, die der Armee nach offiziellen Ansätzen zur Verfügung stehen sollten.

Doch tatsächlich waren in der Zeit seit der Einschließung durch die Rote Armee Ende November gerade einmal durchschnittlich 37,5 Kubikmeter pro Tag eingeflogen worden – ein rundes Zehntel des Mindestbedarfs. Die großspurige Zusage Hermann Görings, seine Luftwaffe werde die Eingeschlossenen schon mit allem Nötigen versorgen, erwies sich als leere Versprechung. Reserven gab es in der „Festung“ kaum mehr. Die wenigen noch funktionsfähigen Panzer und Sturmgeschütze hatten kurz vor Weihnachten 1942 einen Einsatzradius von gerade einmal 30 Kilometern.

Am 19. Dezember 1942 waren die drei Panzerdivisionen der 4. Panzerarmee, die am 12. Dezember unter dem Decknamen „Wintergewitter“ ihren Entsatzangriff Richtung Stalingrad eröffnet hatten, bis an das Südufer des Flusses Myschkkowa vorgedrungen. Allerdings unter teilweise extremen Verlusten – von den rund 200 Panzern und Sturmgeschützen der gerade erst in Frankreich neu ausgerüsteten 6. Panzerdivision waren zeitweise nur noch 20 Kampfwagen einsatzfähig.

Vielleicht zehn Kilometer würde die Panzergruppe des Generals Hermann Hoth noch vorstoßen können. Die übrigen 40 Kilometer müssten die Truppen aus dem Kessel selbst zurücklegen. Der Ausbruch unter dem Decknamen „Unternehmen Donnerschlag“ war Teil des Rettungsplans, den Generalfeldmarschall Erich von Manstein zur Entschärfung der dramatischen Situation zwischen Don und Wolga entworfen hatte.

Während die deutschen Divisionen auf Stalingrad vorrückten, griff die Rote Armee westlich davon an
Während die deutschen Divisionen auf Stalingrad vorrückten, griff die Rote Armee westlich davon an
Quelle: Infografik Die Welt

Doch Hitler hatte befohlen, dass ein Ausbruch der gesamten Armee nur infrage komme, wenn Stalingrad dennoch gehalten würde. Es ging also nicht um eine Rücknahme der gesamten Armee, sondern nur um die Herstellung eines Korridors in den Kessel. Einer Nabelschnur, die der 6. Armee das Überleben ermöglichen sollte.

In Stalingrad selbst wussten General der Artillerie Walther von Seydlitz-Kurzbach und eigentlich auch sein Vorgesetzter Generaloberst Friedrich Paulus natürlich, dass dieser Plan unrealistisch war. Seydlitz-Kurzbach war bereit, den „Führer“-Befehl zu ignorieren und mit den noch beweglichen Truppen auszubrechen und sich auf die Gruppe Hoth zuzukämpfen. Doch Paulus zögerte.

Während Walther von Seydlitz-Kurzbach (l.) den Ausbruch vorantrieb, zögerte sein Oberbefehlshaber Friedrich Paulus
Während Walther von Seydlitz-Kurzbach (l.) den Ausbruch vorantrieb, zögerte sein Oberbefehlshaber Friedrich Paulus
Quelle: Bundesarchiv

Am 21. Dezember 1942 endlich genehmigte Hitler den verlangten Ausbruch der Truppen aus dem Kessel. Allerdings forderte wahrscheinlich der Wehrmachtsführungsstab, der persönliche Beratungsstab des „Führers“, eine Übersicht des Treibstoffs an, der der 6. Armee noch zur Verfügung stand. Als Manstein die niederschmetternd schlechten Zahlen verkündete, revidierte Hitler seine eben erteilte Genehmigung wieder.

Der Protokollant des Kriegstagebuchs der Wehrmacht, der Ministerialrat Helmuth Greiner, fasste den Tag zusammen: „Beim Lagevortrag kommt es aufgrund der Meldungen des Generalfeldmarschalls von Manstein, dass die vierte Panzerarmee über den erreichen Abschnitt nicht mehr hinauskomme und die sechste Armee nicht mehr als höchstens 30 Kilometer vordringen könne, zu einer langen Aussprache zwischen dem Führer und den Chefs der Generalstäbe des Heeres und der Luftwaffe über die Lage im Süden der Ostfront.“

Kommentierend fügte Greiner hinzu: „Wie bisher werden aber wiederum keine ganzen Entschlüsse gefasst. Es ist, als ob der Führer dazu nicht mehr fähig wäre.“ Wenige Monate später wurde er übrigens aufgrund einer Denunziation aus seiner Vertrauensstellung entfernt und ans Reichsarchiv versetzt.

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Mit dieser Entscheidung Hitlers schloss sich das schmale Zeitfenster, das für einen Ausbruch der 6. Armee aus der Umklammerung durch die Rote Armee möglicherweise noch bestanden hätte, endgültig. Denn die 6. und die 23. Panzerdivision gewannen bis zum 23. Dezember 1942 noch jeweils wenige Kilometer Richtung Nordosten, sodass schließlich noch rund 40 Kilometer zwischen ihren Angriffsspitzen und der vordersten Verteidigungsstellung von Paulus’ Armee lagen.

Die Männer dort konnten das Feuer der näher rückenden Kameraden hören. Doch die Anweisung des Hauptquartiers, auszuharren und eben nicht auszubrechen, war unmissverständlich – und Paulus hatte nicht den Mut, Hitlers Befehl zu ignorieren und zu handeln.

"Verzicht auf Entsatz der sechsten Armee auf lange Zeit": Generalfeldmarschall Erich von Manstein (M.) und Hitler
"Verzicht auf Entsatz der sechsten Armee auf lange Zeit": Generalfeldmarschall Erich von Manstein (M.) und Hitler
Quelle: Bundesarchiv/Bild 146-1995-041-23A/CC BY-SA 3.0 de

Wäre ein Ausbruchsversuch liegen geblieben? Die Zahlen sprechen dafür: Knapp 40 Kilometer wären zu überwinden gewesen, aber der Treibstoff reichte nur noch für 30 Kilometer. Es war unwahrscheinlich, dass man während heftiger Kämpfe sowjetische Treibstoffvorräte erobern würde – unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Sicher hätte das „Unternehmen Donnerschlag“ sehr vielen Soldaten der 6. Armee das Leben gekostet. Ein Erfolg, also die Herstellung einer einigermaßen stabilen Verbindung aus dem Kessel zur deutschen Front, war keineswegs garantiert. Ohne Zweifel aber hätten die Ruinen von Stalingrad aufgegeben werden müssen. Das wollte Hitler keinesfalls. Am Abend des 22. Dezember 1942 jedenfalls beantragte Erich von Manstein, Kräfte an den linken Flügel seiner Heeresgruppe Don zu verschieben, wo sowjetischen Truppen ein Einbruch gelungen war – auch wenn das „den Verzicht auf Entsatz der sechsten Armee auf lange Zeit“ bedeutete.

Realistischerweise, aber das schrieb Manstein wohlweislich nicht, war damit die 6. Armee dem Untergang geweiht. Illusionen auf einen anderen Ausgang machte er sich kaum mehr.

Unser Entlastungsversuch der Festung Stalingrad gegenüber ist liegengeblieben
Joseph Goebbels, NS-Propagandaminister

Anders als der militärische Laie Joseph Goebbels, der seinem Sekretär in Berlin zwar diktierte: „Unser Entlastungsversuch der Festung Stalingrad gegenüber ist liegengeblieben. Wir kommen und kommen nicht weiter. Die Bolschewisten haben schon eine ziemlich massive Verteidigung aufgebaut, die außerordentlich schwer zu durchbrechen ist. Die von uns angesetzten Kräfte reichen dazu nicht aus.“

Den richtigen Schluss zog der Propagandaminister dennoch nicht – er erlag vielmehr seiner eigenen Durchhalterhetorik: „Die Festung Stalingrad muss also vorläufig weiter durch die Luftwaffe durchgehalten werden.“

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