Das Fliegende Klassenzimmer: Eine Neuverfilmung mit Schwächen | BR24
Vier Kinder stehen in einer Reihe
Bildrechte: © UFA Fiction/LEONINE

Die Internen: Uli (Wanja Valentin Kube), Jo (Lovena Börschmann Ziegler), Martina (Leni Deschner) und Matze (Morten Völlger)

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Das Fliegende Klassenzimmer: Eine Neuverfilmung mit Schwächen

Diese Woche kommt die mittlerweile vierte Kinoverfilmung des Kästner-Klassikers "Das fliegende Klassenzimmer" in die Kinos. Der Film knüpft an Bewährtes an, macht aber auch viel anders als seine Vorgänger. Braucht der Stoff wirklich ein Update?

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Knapp 70 Jahre ist es her, dass "Das fliegende Klassenzimmer" zum ersten Mal in die Kinos gekommen ist. Erzähler im Film und Drehbuchautor damals: Erich Kästner selbst. Sein großer Kinderroman, der entlang einer Geschichte um zwei verfeindete Schülergruppen, von Freundschaft, wahrem Mut und dem unschätzbaren Wert guter Lehrer erzählt, wurde seitdem dreimal neu für die Leinwand adaptiert. 1973, 2003  und nun auch dieses Jahr. 

Im Video: Trailer - Das fliegende Klassenzimmer

Martina, gespielt von Nachwuchsschauspielerin Leni Deschner, hat das Stipendium bekommen. Und damit ein Ticket raus aus ihrer tristen Hochhaussiedlung in Berlin. Obwohl sie erst 13 ist, muss sie daheim schon viel Verantwortung übernehmen. Die Mutter ist im Schichtdienst, der kleine Bruder braucht sie. Dank ihrer guten Noten geht es jetzt ins Alpenstädtchen Kirchberg ins Johann-Sigismund-Gymnasium. Im Gegensatz zu den anderen Neu-Adaptionen, die im vergleichsweise urbanen Raum angesiedelt sind, geht es 2023 wie im Original wieder in ein kleines Alpenörtchen.

Zoff in der Bergidylle

Eigentlich will Martina sich einfach nur an der neuen Schule beweisen, macht sich Sorgen um den Bruder, der in Berlin sitzt und sie vermisst. Aber die seit Jahrzehnten geführten Fehden zwischen den "Internen" und "Externen" Schülern ihres neuen Internats dominieren ihren Schulalltag praktisch ab dem Moment, in dem Martina ihren Fuß auf den Bahnsteig des idyllischen Kirchbergs setzt. Daran ändert sich auch nichts, als Internatsleiter Justus Bökh, gespielt von einem fast etwas zu jung wirkendem Tom Schilling und Schuldirektorin Kreuzkamm, sympathisch, aber ein bisschen klamaukig inszeniert von Hannah Herzsprung, einen Plan aushecken:   Die "Internen" und "Externen" sollen das Stück "Das fliegende Klassenzimmer" gemeinsam aufführen.  

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Internatsleiter Justus Bökh (Tom Schilling) beim Unterricht

Was an einer Neuverfilmung gut ist - und was nicht

Braucht es das? Noch eine Neuverfilmung des Kästner-Klassikers? Oder andersherum gefragt: Würde es Kindern heute schaden, wenn man ihnen einfach das Original, den Schwarz-Weiß-Film von 1954 zeigt? Ganz bestimmt nicht. Aber natürlich ist das Identifikationspotenzial für Kinder höher, wenn die Schauspieler auf der Leinwand so aussehen und sprechen wie sie selbst, Handys haben wie sie selbst oder die Menschen um sie herum. In der Neuverfilmung der schwedischen Regisseurin Carolina Hellsgård ist außerdem der Cast zum ersten Mal divers. Zentrale Rollen sind weiblich besetzt.

Die verschiedenen Verfilmungen sind ein ziemlich guter Spiegel des jeweiligen bundesdeutschen Zeitgeists. Da ist zum Beispiel Justus Bökh, der Internatsleiter - von Erich Kästner einst als zugewandtes und engagiertes Gegenbeispiel zu seinen damals oft noch prügelnden Kollegen erdacht. Auffällig ist: Bökh, der sehr verständnisvoll ist und sich viel Zeit für seine Schüler und Schülerinnen nimmt, wirkt auch 2023 noch wie ein exzeptionell gutes Beispiel für einen Lehrer - nicht wie die Regel. Das alleine spricht für sich. Im Film hat Bökh allerdings keinen Gegenspieler. Ihm das marode deutsche Bildungssystem gegenüberzustellen, wäre eine Idee gewesen. "Das fliegende Klassenzimmer" ist ja auch eine Geschichte darüber, was Schule leisten kann. Dieser Teil der Geschichte kommt leider in der aktuellen Verfilmung viel zu kurz.

Es scheint darüber hinaus ein Bedürfnis zu geben, die Prügelszene zwischen den Schülern – im Original von 1954 wird die Szene noch genussvoll brutal ausagiert – Film für Film immer weniger explizit zu zeigen. Im aktuellen "fliegenden Klassenzimmer" wird zwar noch vor Postkartenmotiv-Bergen gerauft, aber das Ganze wird in vielen totalen Einstellungen recht schnell abgehandelt. Gleichzeitig werden jetzt andere Kämpfe ausführlicher behandelt: Die emotionalen.

Fliegt das Klassenzimmer noch?

In den ersten Filmen sind die Kinder-Figuren noch sehr durch den Blick des erwachsenen Erzählers geprägt. Je moderner die Versionen des "fliegenden Klassenzimmers", desto mehr werden die jungen Charaktere im Film selbst zu Erzählern ihrer Geschichte. Sie bekommen mehr Backstory, die Erwachsenen in ihrem Leben verlieren an Autorität. Das macht nicht alles besser. Aber man sieht an den Filmen einen sich verändernden Blick auf die Kinder in der Gesellschaft. Zumindest in der idealen Welt des Kinos werden sie immer mehr als eigenständigere Wesen mit legitimen Gefühlen gezeigt. Man könnte auch sagen: Erich Kästners Forderung: "Nur wer auch als Erwachsener ein Kind bleibt, ist ein Mensch" wird von den Filmschaffenden ernst genommen.