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Geschichte „Röhm-Putsch“ 1934

„Das Schwein wäre erledigt“

Am 30. Juni und 1. Juli 1934 schlug Hitler angeblich einen Putschversuch des SA-Chefs Ernst Röhm nieder. In Wirklichkeit ging es bei den mindestens 89 Morden um etwas ganz anderes.
Leitender Redakteur Geschichte

Spannung lag in der Luft. Dass etwas geschehen würde, war Ende Juni 1934 in Deutschland jedem halbwegs aufmerksamen Beobachter klar. Nur was? Propagandaminister Joseph Goebbels, ohne Zweifel einer der bestinformierten Männer im Dritten Reich, rechnete mit einem Schlag des Reichskanzlers Adolf Hitler gegen reaktionäre Kräfte um Vizekanzler Franz von Papen. Der hatte am 17. Juni 1934 in Marburg eine Rede gehalten, die ihm sein Sekretär geschrieben hatte und die eine klare Kritik an der Politik des Regimes darstellte. Papen hatte nicht verstanden, was er da vortrug, aber das machte es nach Goebbels’ Ansicht nicht besser.

Über Papens Rede berichtete der amerikanische Botschafter in Berlin, William Dodd, am 20. Juni 1934 zwar auch nach Washington. Doch zugleich verwies er auf „umlaufende Informationen“, nach denen die Reichswehr, die SS und die preußische Polizei Hitler zwingen wollten, sich von der SA und seinen „radikalen Beratern“ zu trennen – gemeint waren damit die Verfechter einer „zweiten Revolution“ in Deutschland. Dodd warnte, das könne „recht bald“ erfolgen.

15th March 1935: Chancellor Adolf Hitler in conversation with Franz Von Papen (1879 - 1969), the former Chancellor. (Photo by Keystone/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Kritik von den Konservativen: Franz von Papen (1879-1969) mit Hitler
Quelle: Getty Images

Sein Bericht erreichte das State Department in Washington erst am 29. Juni 1934 – der Botschafter hatte ihn offenbar mit normaler diplomatischer Post geschickt, nicht verschlüsselt per Telegraf gesendet. Für so dringend hielt er seine Informationen offenbar doch nicht.

Während Dodds Brief noch per Schiff auf dem Weg in die USA war, erhielt der Botschafter einen Anruf seines Kollegen in Rom. Breckinridge Long wollte wissen, was an den Gerüchten über Spannungen in Berlin dran sei. Dodd war verärgert: „Seine Fahrlässigkeit überraschte mich; ich sprach so offen, wie es im Hinblick auf den Abhördienst der deutschen Geheimpolizei möglich war“, schrieb er in sein Tagebuch.

Am 28. Juni, einem Donnerstag, notierte Dodd, „dass die Atmosphäre in Berlin jetzt gespannter ist als je, seitdem ich in Deutschland bin“. Zwei Tage später, am Sonnabend, dem 30. Juni 1934, kam sein ältester Sohn William Jr. zum Mittagsessen in die Residenz und berichtete, er sei Unter den Linden entlanggefahren: „Die Straßen seien gesperrt, und im Hauptquartier Stabschefs Röhms seien höhere SA-Leute verhaftet worden.“

circa 1933: Ernst Roehm (1887 - 1934), German leader of the Nazi Brownshirts the SA (Sturmabteilung). He was murdered in the 'Night of the Long Knives' organised by the Nazis on the pretext of an SA putsch. (Photo by Keystone/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
SA-Stabschef Ernst Röhm (1887-1934) inmitten seiner Braunhemden
Quelle: Getty Images

In sein Tagebuch schrieb Dodd: „Es kursieren Gerüchte, dass es in München zu Gewalttätigkeiten gekommen sei.“ Genaueres wusste der Botschafter nicht, aber er schloss: „Es ist klar, dass ein Putsch oder Staatsstreich im Gange ist.“ Am Abend erhielt Dodd die Absage einer Einladung für Ernst Röhm zum Dinner am 6. Juli; sein Büro teilte mit, der SA-Chef befinde sich „zur Kur“.

In Wirklichkeit saß Röhm zu diesem Zeitpunkt in einer Einzelzelle im Gefängnis München-Stadelheim. Sechs weitere hohe SA-Führer, darunter Röhms Vertrauter Edmund Heines und Münchens Polizeipräsident August Schneidhuber, waren bereits am Nachmittag im selben Gefängnis erschossen worden, ebenso mehrere Dutzend SA-Führer in Berlin, Dresden, dem KZ Dachau und außerhalb von Breslau.

Doch nicht nur Röhm und seine Vertrauten in der SA-Führung wurden an diesem 30. Juni 1934 ausgeschaltet. Das gleiche Schicksal ereilte bekannte Gegner der Regierung Hitler: In München starb zum Beispiel der frühere Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, der 1923 den NSDAP-Putsch hatte niederschlagen lassen.

circa 1932: German soldier and politician General Kurt Von Schleicher (1882-1934) walking his dogs. The Chief of Staff of the Germany Army in the first world war, he and his wife were executed by the Nazis on trumped up charges of treason. (Photo by Keystone/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Hitlers Vorgänger im Kanzleramt, Kurt von Schleicher (1882-1934), wurde erschossen
Quelle: Getty Images

In Neu-Babelsberg tötete ein Rollkommando den letzten Reichskanzler vor Hitler, Kurt von Schleicher, und seine Frau. Bereits mit zwei Kopfschüssen ermordet traf die Leiche des pensionierten Generalmajors Ferdinand von Bredow in der SS-Kaserne Berlin-Lichterfelde ein. Auch Gregor Straßer, von 1925 bis Ende 1932 der zweite Mann der NSDAP nach Hitler, wurde verhaftet. Im Keller der Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße erschoss ihn ein SS-Hauptsturmführer und sagte danach: „Das Schwein wäre erledigt.“

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Mit viel Glück überlebte Straßers enger Mitarbeiter Paul Schulz, ebenfalls ein Urgestein der völkisch-rechtsextremen Bewegung: Ein Gestapo-Kommando verhaftete ihn, fuhr in einen Wald bei Potsdam und ließ ihn dort aussteigen. Schulz bekam einen Schuss in den Rücken und brach zusammen. Doch als die Täter eine Plane holten, um den vermeintlich toten Schulz abzutransportieren, konnte er trotz seiner schweren Verletzung fliehen. Schulz konnte sich verstecken und wandte sich über Vertraute an Hitler persönlich. Der „Führer“ entschied, dass der Schwerverletzte innerhalb der kommenden zwei Wochen in die Schweiz ausreisen dürfe.

Der Fall Schulz zeigt, dass es bei den Morden am 30. Juni und 1. Juli 1934, denen mindestens 89, möglicherweise auch bis zu doppelt so viele Menschen zum Opfer fielen, nicht um ein einheitliches Geschehen handelt. Genau aufzuklären ist es wohl nicht, aber die entscheidenden Akteure kann man identifizieren.

German Nazi leader Adolf Hitler (1889 - 1945) with SA (Sturmabteilung) chief of staff Ernst Roehm (1887 - 1934), circa 1933. Picture 47 of a series of collectable images published in Germany during the Nazi period, entitled 'Deutschland Erwacht' (Germany Awakes). (Photo by Heinrich Hoffmann/Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Hitler wusste längst von Röhms Homosexualität
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Zunächst muss man aber feststellen, was für die Mordaktion keine Rolle spielte. Weder gab es so etwas wie einen „Putsch“-Plan der SA-Führung gegen Hitler und die Reichsregierung. Im Gegenteil, Röhm hatte eingewilligt, der SA für den Juli 1934 „Urlaub“ zu erteilen, also keine Aufmärsche in Uniform stattfinden zu lassen. Mächtig war die Masse der insgesamt vier Millionen SA-Mitglieder aber vor allem als Kollektiv.

Noch hatte die ziemlich offen gelebte, wenngleich seinerzeit kriminalisierte Homosexualität von Röhm und einigen anderen hohen SA-Führern irgendetwas mit Hitlers Losschlagen zu tun. Denn der NSDAP-Chef wusste spätestens seit Ende der 1920-Jahre, dass sein Duzfreund sexuell mit (stets jüngeren) Männern verkehrte.

Beide „Begründungen“ für die Mordaktion, die Hitler am 13. Juli 1934 in einer Rede vor dem längst bedeutungslosen Reichstag anführte, hatten für die tatsächliche Aktion keinerlei Rolle gespielt. Sie sollten nur die disparaten Machtgruppen verschleiern, die unabhängig voneinander und teilweise in Konkurrenz zueinander tätig geworden waren.

UNSPECIFIED - CIRCA 1930: From left to right: Himmler (1900-1945), Hitler (1889-1945) and Röhm (1887-1934), German politicians, around 1930. (Photo by Roger Viollet/Getty Images)
Wer braucht bei solchen Partnern noch Feinde: SS-Chef Heinrich Himmler (v. l.), Hitler, Röhm und ein SS-Führer
Quelle: Roger Viollet/Getty Images

Es handelte sich einerseits um eine informelle Kooperation von Reichswehr-Führung und SS-Spitze, also Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich. Sie störten sich an den Ambitionen Röhms, die SA zu einer vollwertig bewaffneten Volksmiliz auszubauen. Gemeinsam bearbeiteten sie Hitler, um einen Schlag gegen den 1934 zweitwichtigsten Mann der NS-Bewegung zu erreichen.

Unabhängig davon agierte das Duo Hermann Göring und Joseph Goebbels. Die beiden gehörten zu dieser Zeit zur engsten Führung um Hitler, mussten sich die Position aber mit Röhm und Franz von Papen teilen. Außerdem gab es vage Indizien, dass Hitler Straßer zurückholen wollte. Um ihre eigene Macht auszubauen, strebten sie danach, ihre Konkurrenten auszuschalten.

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Hitler selbst war bis zum 28. Juni 1934 unentschlossen, was er wollte. Er spürte den Erwartungsdruck der SS und der Reichswehr, ärgerte sich andererseits über Papen und seine reaktionäre Kamarilla. Erst an diesem Donnerstag traf er eine Entscheidung und bestellte umgehend Goebbels nach Godesberg bei Bonn, wo er sich gerade aufhielt. In sein Tagebuch notierte der Propagandaminister: „Es muss gehandelt werden. Führer kommt um vier Uhr. Er ist sehr ernst. Gibt mir gleich ausführlich Bericht: Samstag handelt er. Gegen Röhm und seine Rebellen. Mit Blut. Sollen wissen, dass Auflehnung Kopf kostet. Ich stimme zu. Wenn schon, dann rücksichtslos.“

German army officer Viktor Lutze (1890 - 1943) accompanies German leader Adolf Hitler (1889 - 1945) on a review of the army in Berlin, to commemorate the third anniversary of Hitler's regime, 31st January 1936. (Photo by Central Press/Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Hitler mit Viktor Lutze (1890-1943), Röhms Nachfolger in der Führung der SA
Quelle: Getty Images

Nach seinem Entschluss war Hitler sehr ruhig: „Keiner darf etwas merken. Aussprache mit Lutze, dem neuen Stabschef. Er ist gut.“ Viktor Lutze, SA-Mitglied seit 1923 und 1934 in Personalunion Oberster SA-Führer Nord sowie Verwaltungschef der Provinz Hannover, sollte an Röhms Stelle treten. Er hatte wesentlich mitgewirkt an den Intrigen gegen Röhm und sollte nun belohnt werden.

Mutmaßlich Hitler persönlich gab den Befehl, neben Gustav von Kahr einige weitere persönliche Gegner zu töten. Möglicherweise gehörte dazu auch der ehemalige Priester Bernhard Stempfle. Jedoch gibt es andererseits Zeugenaussagen, laut denen Hitler Stempfles Tod bedauert habe. Sicher ordnete der Diktator den Mord an Röhm am 1. Juli 1934 an. Ihm war in seiner Zelle die Gelegenheit zum Selbstmord gegeben worden, die er jedoch verstreichen ließ. Der Mörder war der Kommandant des KZ Dachau, Theodor Eicke.

Botschafter William E. Dodd sagte das Dinner für deutsche Gäste am 6. Juli 1934 nicht ab. Doch er war froh, dass der wie Röhm ebenfalls eingeladene Hermann Göring nicht erschien: „Ich weiß nicht, was ich im anderen Fall getan hätte“, schrieb er in sein Tagebuch.

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