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FOCUS Magazin | Nr. 25 (1997)
ZEITGESCHICHTE: Nur der Spion klickt
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Wie der einst allmächtige Stasi-Chef Erich Mielke heute unauffällig in einem Ostberliner Hochhaus lebt

Der 16geschossige Plattenbau im Ostberliner Neubaugebiet besitzt keinen Eingang. Müssen die Bewohner der Prendener Straße 28 sich per Leiter in ihre Wohnungen hangeln? Doch nein, es findet sich schließlich eine verborgene Pforte – lächerlich winzig wirkend in dem ockerfarbenen Betonklotz. Das geheimnisvolle Türchen paßt gut zu jener Mietpartei, die als einzige ihren Namen neben dem Klingelknopf getilgt hat.

In der vierten Etage findet die Anonymität ein Ende: „G. Mielke“ steht auf dem Türschild. Hinter diesen Mauern, beklebt mit verblichener gelber Flurtapete, wohnen Gertrud Mielke, 87, und ihr Ehemann. Vor 49 Jahren heiratete die gelernte Schneiderin Gertrud Müller den kleinen Holzarbeitersohn Erich Mielke, damals noch nicht Chef des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, wohl aber ehrgeizbesessener Ausbilder politischer Polizisten in der Ostzone.

Einlaß in das 64 Quadratmeter große, behindertengerechte Zweizimmerquartier mit Balkon wird seit Jahren nur noch dem Rechtsanwalt Stefan König und nächsten Angehörigen gewährt. „Lassen Sie keinen Fremden in Ihre Wohnung“, mahnt ein Plakat des Berliner Polizeipräsidenten im Hausflur. Die Mielkes nehmen diese Warnung ernst. Jedem Klingeln folgt ein Klicken des Türspions. Nach der Gesichtskontrolle entfernen sich schlurfende Schritte. Kein Unberufener darf hinter die Gardinen der schießschartengroßen Fenster schauen.

Nach 1904 Tagen Haft war der einst allmächtige Stasi-Minister am 1. August 1995 aus der Gefängniszelle Berlin-Moabit in sein ebenso nüchternes Hohenschönhauser Domizil gezogen. Ärzte und Richter hatten dem Häftling eine „positive Sozialprognose“ bescheinigt sowie kriminelle Rückfallgefahren verneint. Nach seiner Entlassung bewachten zunächst sechs Personenschützer den Greis rund um die Uhr. Kosten pro Tag: 2400 Mark. Berlins Innenbehörde fürchtete Anschläge rachedurstiger MfS-Opfer.



Heute ist es still geworden um den Träger des Ordens „Held der DDR“. Die Nachbarschaft reagiert auf Fragen nach Erich Mielke mit Achselzucken und Abwinken. „Der ist doch gar nicht mehr prominent“, grummelt ein älterer Herr in Netzhemd und Turnhosen.

Verlegenes Lächeln bei Getränke-Hoffmann im Erdgeschoß, wenn die Rede auf den Stasi-Chef von ehedem kommt. „Ich weiß überhaupt nichts und sage auch nichts“, stammelt die Verkäuferin.

Auskunftsfreudiger gibt man sich im Hundesalon neben dem Eingang. „Einfach, ruhig und bescheiden“, lebe der MfS-Rentner. „Seine Frau Trude ist auf Draht. Sie geht morgens einkaufen und hat immer ein nettes Wort auf den Lippen“, weiß ein Angestellter. Mielke selbst bewege sich nie ohne einen älteren Genossen vor die Tür. Dieser Mann hat sich einmal als „inoffizieller Begleitdienst“ des Ex-Ministers vorgestellt und wacht mit grimmigem Blick über das Wohlergehen seines Schützlings. Während Mielkes zahlreicher Wanderpausen mustert der Geheime mit profihafter Neugier die Umgebung.

Letzte Kontakte zur Außenwelt hält der 89jährige über das Solidaritätskomitee für alle verfolgten Kommunisten in Deutschland. Alte Rotfront-Kämpfer begleiten ihn bisweilen bei Spaziergängen in benachbarten Parks. „Er soll Bewegung haben und sich nicht so isoliert fühlen“, erklärt Klaus Feske, Berliner Resident des Solidaritätskomitees. Zu Mielkes Freunden zählt u. a. Monika Meinel. Die 47jährige ehemalige Mitarbeiterin der Stasi-Firma VEB Spezialhochbau Berlin läßt ihren Ex-Chef im eigenen Nissan-Pkw zu Ausflügen ins Grüne chauffieren.

Auf seinem dreieckigen Minibalkon mit Hollywoodschaukel wurde Mielke hingegen noch nie gesichtet – der General im Ruhestand hält auch heute noch Sicherheit für das oberste Prinzip. Statt dessen delektiert er sich an seiner Lieblingssendung im Fernsehen, dem SAT.1-Gewinnspiel „Glücksrad“.

Der Traum vom schnellen Geld blieb bisher unerfüllt. Abstinenzler und Nichtraucher Erich Mielke ist vom Staat auf schmale Kost gesetzt worden. Mit 802 Mark Alterssalär lassen sich keine großen Sprünge machen. Allein die Wohnungsmiete frißt knapp 600 Mark. Dennoch denkt der Mindestrentner nicht daran, wie sein einstiger MfS-Vize Markus Wolf die eigene Vita in Gestalt spektakulärer Interviews und skandalträchtiger Memoiren zu versilbern. Anwalt Stefan König: „Mein Mandant sagt Fremden gegenüber generell nichts.“ Reporter, die unvermutet vor Mielkes trautem Heim auftauchten und Auskünfte begehrten, „hat er allesamt rausgeschmissen“.

Die Kinder lassen sich gelegentlich in der Prendener Straße sehen. Sohn Frank, 48, und Tochter Marion, 47, ehedem im väterlichen Stasi-Unternehmen tätig, betreiben gemeinsam eine Arztpraxis in Berlin-Hellersdorf. Internist Frank Mielke mag sich seit seinem naßforschen Satz von 1995 („Mein Vater leidet unter Altersschwachsinn“) lieber nicht mehr zum Thema äußern.

Für die deutsche Justiz ist der Fall Erich Mielke immer noch nicht abgeschlossen. Am Montag dieser Woche wird vor der 25. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts eine Klage verhandelt. Der Ex-Geheimdienstchef fordert die Rückgabe seines 1990 beschlagnahmten Privatvermögens von 390 000 DDR-Mark. Sollten die Richter in seinem Sinn entscheiden, dürfte Ende Dezember einer opulenten Feier zum 90. Mielke-Geburtstag nichts im Weg stehen.

DER STAATSTERRORIST

* Erich Mielke, geboren am 28.12.1907 in Berlin. 1925 KPD-Mitglied. 1931 in Berlin an der Ermordung von zwei Polizisten beteiligt

* Minister für Staatssicherheit der DDR von 1957 bis 1989, ab 1976 Mitglied im SED-Zentralkomitee. 13.11.1989 Rede in der Volkskammer: „Ich liebe doch alle Menschen!“

* 1993 wegen des Mordes von 1931 zu sechs Jahren Haft verurteilt, im August 1995 aus der Haft entlassen

MIELKES STEILER ABSTURZ
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