Helge Schneider: „Wo haben Sie denn diesen Quatsch her?“
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Helge Schneider empört über Interviewfrage: „Wo haben Sie denn diesen Quatsch her?“

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Helge Schneider in diesen Tagen in München.
Helge Schneider in diesen Tagen in München. © IMAGO/Lindenthaler

Helge Schneider über die Freiheit, die Musik schenkt, und das Weglassen als die eigentliche Kunst.

Herr Schneider, wir leben in einer neuen Realität mit zwei neuen Kriegen, die zwar weit weg stattfinden, uns aber betreffen. Wie definieren Sie Ihre Rolle als Entertainer?

Die Musik ist für mich unantastbar. Sie spricht für sich selbst. Musik kommt aus dem Himmel. Ich als Pianist bekomme ein Signal gesendet, das fließt in meine Finger. Und dann spiele ich das. Natürlich hat jeder Idole, es ist egal, ob die schwarz, weiß, gelb oder … (Pause) … blau sind. Darum geht es, nämlich um eine Verbindung und nicht um eine Trennung. Ich glaube, viele Leute aus der modernen Benimmregel-Bewegung wissen gar nicht, dass zum Beispiel Joe Zawinul voll integriert und ganz selbstverständlich bei und mit Miles Davis, Cannonball Adderley und Dinah Washington gespielt hat.

Der Akt des Musizierens auf der Bühne ist in Ihren Augen also eine Art Unabhängigkeitserklärung?

Ja, natürlich, eine Unabhängigkeitserklärung. Aber auch ein Friedensangebot. Und damit ist Musik in meinen Augen eine starke politische Kraft. Sobald man sich aber als Musiker vor irgendeinen Karren spannen lässt, ist die Musik nicht mehr so göttlich, denn sie ist dann ja nicht mehr für alle da.

Helge Schneider spricht im Interview über Ukraine-Krieg

Weil sie sich exklusiv einer politischen Position zuordnet?

Ja. Aber ich bin dabei, wenn es um unverfängliche Benefizveranstaltungen zum Beispiel für Obdachlose geht, denen geholfen werden muss. Ich habe sehr wohl explizit politische Ansichten, aber die posaune ich nicht in eine Social-Media-Blase. Ich tausche meine Gedanken lieber mit Freunden aus. Alexander Kluge meinte zum Beispiel zu Beginn des Ukraine-Kriegs zu mir: Wenn nach einem Feuersturm, wie er ihn als Kind selbst in seiner Heimatstadt Halberstadt erlebt hat, der Frieden einkehrt, dann ist es scheißegal, wer den bringt. Ob Russen oder Amis, das ist egal. Hauptsache Frieden. Endlich hört der Krieg auf! Kriege finden auf dem Rücken der zumeist ärmeren Zivilbevölkerung statt. Je weiter und skrupelloser die Staatenlenker vom Volk und vom Gespräch mit den Menschen entfernt sind, desto abstrakter ist ihr Handeln. Je weiter man entfernt ist vom Einschlag der Granate, umso mehr regiert die kalte Abstraktion.

Sie trennen den politisch empfindenden Privatmenschen und den Künstler auf der Bühne?

Nein. Das geht doch gar nicht! Auf der Bühne wähle ich die Sprache der Musik. Ich propagiere die Idee der Freiheit, allein schon durch den Umstand, dass ich auf meinen Konzerten improvisiere. Denn Improvisation ist Freiheit. Und improvisierte Musik ist ein Botschafter dieser Freiheit. So gebe ich den Leuten etwas mit, etwas Immaterielles, Flüchtiges, das aber gleichbedeutend ist mit Freiheit.

Katzeklo auf Rädern - Helge Schneider „weniger politisch“

Ihre vorletzte Tournee trug den Titel Akopalütze Nau. Das bezog sich natürlich auf Coppolas Film über die Absurdität und Grausamkeit des Krieges. Wenn Sie eine Tournee so nennen, öffnen Sie dann eine Echokammer?

Oh! So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber irgendwie stimmt’s. Und übrigens: Vor Jahren war das eine prophetische Idee von mir. Ich habe das kommen sehen. Und jetzt haben wir den Salat. Ich muss mir jedes Jahr für meine Tournee ein neues Motto einfallen lassen. Mal sehen, was demnächst so anfällt. Ich habe nämlich schon im Unterbewusstsein immer die aktuellen Ereignisse mit in meine Überlegungen eingebracht. Zum Beispiel lautet das Motto meiner anstehenden Tournee weniger politisch: Katzeklo auf Räder. Da spielt vieles mit, zum Beispiel habe ich mir überlegt, wie es wohl werden wird, wenn wir mit Lastenfahrrädern auf Tournee gehen müssten. Und überhaupt, Katzeklo auf Räder bezieht sich sicher auch auf meinen Namen, den mir die Leute geben, wenn sie mir von der anderen Straßenseite rüberrufen: „Guck mal, da ist Katzeklo!“

Sie sind aber auch Filmemacher, Schauspieler, Buchautor …

Das stimmt: Aber mehr nebenbei, dann entsteht zum Beispiel so ein Buch wie „Stepptanz: Kommissar Schneider versteht die Welt nicht mehr“, meine neueste Kreation. Das sollten Sie mal lesen! Ein sehr guter Film von mir, „Ein Tag im Leben des blauen Mannes“, ist leider nie realisiert worden – angeblich zu teuer!

Worum ging es in dem Film?

Die Eingangsszene: eine Massenkarambolage auf der Autobahn mit 600 ineinander verkeilten Autos, Hubschrauber, Feuer – und schließlich ein riesiger Ölfleck, aus dem heraus so ein Typ erwächst – der blaue Mann. Er kann fliegen, er hebt ab, fliegt ein paar Runden über die Karambolage und dann weg über die Landschaft. Bald stößt er auf eine Pariser-Fabrik, Ratex. Das fasziniert ihn. Herr Ratex wiederum wittert das große Werbegeschäft: Der blaue Mann aus Gummi soll für die Firma Reklame machen. Im Fernsehen lässt sich der blaue Mann zwischen zwei weiß angestrichene Elefanten binden, die ziehen ihn auseinander, und seine Arme werden zehn Meter lang in beide Richtungen gezogen, und dann lassen die Elefanten ihn los, und er schnappt wieder zu seiner Originalgröße zusammen. Zum Schluss heiratet er die Tochter des Hauses, die ihn unheimlich gerne kneift.

Das klingt nach einem tollen Film. Aber jetzt gehen Sie erst einmal wieder auf Tournee. Wie dürfen wir uns die anstehenden Konzerte vorstellen?

Ich weiß bisher nur, dass ich mittlerweile mal die Worte weglasse und versuche, einfach nur mit Musik und Motorik meine Kunst zu vermitteln.

Helge Schneider: „Das Weglassen ist die eigentliche Kunst“

Sie haben jetzt gerade eine Liveplatte veröffentlicht, „Helge Schneider live in Graz“. Bereits auf dieser Aufnahme reden Sie relativ wenig.

Worte sind vergänglich. Gut, ich singe immer noch meinen Song „Texas“ in fast immer demselben Wortlaut. Ein solcher Text, wie soll ich sagen, ist nun einmal bereits eine Institution und nicht eine neue Aufgabe, die Improvisation zulässt. Aber es gibt auch Texte, die improvisiere ich ständig. Bei „Katzeklo“ etwa erfinde ich jeden Abend neue Textzeilen.

Sie machen aber nach wie vor Ansagen. Sie sagen: „Graz, eine der schönsten Städte …“, und dann folgt eine unbequem-komische Pause, als ob Sie das soeben Gesagte gar nicht so gemeint hätten. Das ist ein sehr minimalistischer, aber sehr effektiver Wortwitz.

Das Weglassen ist die eigentliche Kunst. Ich stelle meine Band jetzt manchmal als „meine Kolleg:innen“ vor, schön mit Pause, dabei sieht jeder im Publikum: Das sind ja nur Männer!

Leiden Sie unter den Regeln der neuen Gendersprache?

Zur Person:

Helge Schneider , geboren 1955 in Mülheim an der Ruhr, ist Musiker, Komiker, Schauspieler, Autor, auch von Romanen, die als „dadaistisch“ beschrieben werden. 1994 wurde er schlagartig ziemlich berühmt, als er einen Auftritt bei „Wetten, dass...?“ hatte und sein Titel „Katzeklo“ daraufhin in den deutschen Charts landete. Für das Doppelalbum „Es gibt Reis, Baby“ erhielt er eine Goldene Schallplatte. Dann gab es noch den erfolgreichen Kinofilm „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“.

Er zog sich für zwei Jahre zurück , begann dann wieder zu touren und Neues herauszubringen. „Helge Schneider: Live in Graz“, erschienen in diesen Tagen, ist die jüngste CD.

Die offene und freie Sprache verschwindet zunehmend. Es gehen Spontaneität und Sprachrhythmus verloren. Schere im Kopf! Wer die richtige Sprache benutzt, gehört zu den Guten, und wer die falsche Sprache verwendet, ist schlecht. Als ob man gerade hier nicht auch wieder schummeln könnte. Dabei muss wirklicher Humanismus von innen kommen.

Wie sprechen Sie, wenn Sie privat mit Alexander Kluge sprechen?

Natürlich normal. Ich bin Ruhrgebietler, ich habe sowieso meine eigene Sprache. Ich sage noch „dat“, und ich sage „wat“. Und Mutter oder Frau heißen „die Alte“. Vater heißt „der Alte“. Und wenn ich in Bayern bin, sage ich natürlich „der Herr Vater“ oder „die Frau Gemahlin“.

Wenn Sie sagen, dass die Musik göttlich sei und vielleicht auch eine heilende Kraft habe, welche Bedeutung hat dann Quatsch oder das Clowneske? Ist zum Beispiel alles gut, was die Menschen in einer dunklen Zeit zum Lachen bringt?

Ja, natürlich! Beides hat seinen Platz. Musik und Quatsch. Beides basiert auf Timing. Und beides hat auch mit Pausen zu tun. Ich bin ein großer Fan von Count Basie. Den habe ich immer beobachtet: Wie der mit einem einzigen Finger seine Big Band dirigierte, indem er nur einen Ton gespielt hat und noch einen, und die Band ging total los, und dann machte er eine Pause, und dann hat er wieder einen Ton gespielt. Das war extrem musikalisch, und zugleich war es auch unheimlich lustig. Ich habe das an seinem Gesicht gesehen, wie der immer so verschmitzt in sich hineingelacht hat dabei. Also, für mich ist das komisch, ein so riesiges Orchester mit nur einem kleinen Finger zu dirigieren, das ist bedeutsam.

Verinnerlichen Sie die Musik und die Methoden der anderen Musiker eher, indem Sie zuhören, oder, indem Sie zuschauen?

Das Zuschauen ist für mich als Musiker absolut wichtig. Musiker live zu sehen, selbst vor Ort zu sein, während die spielen, das ist für mich das Allerwichtigste. Nur so habe ich auch all die tollen Leute selbst kennengelernt. Damals gab es in Düsseldorf einen Jazzclub, das Downtown. Da haben sie alle gespielt. Und ich war immer im Publikum.

Wen bedauern Sie nie live gesehen zu haben?

Thelonious Monk! Leider nie gesehen. Das Klavierspiel von Monk habe ich immer wie so eine Art Akupunktur empfunden, als wirklich heilende Kraft. Und zugleich unheimlich lyrisch und romantisch. Ich höre aber auch Klassik – Moment, was steht denn auf der Plattenhülle? Ah: Vladimir Horowitz, 1959 aufgenommen. Wunderschön.

Hören Sie viel Musik zu Hause?

Nö, aber manchmal lege ich eine Platte auf. Ich mag auch die Liner Notes auf den alten Jazz- und Klassikplatten. Die erklären einem ein wenig die Begleitumstände und den Kontext.

Warum finden sich dann auf Ihren Platten eigentlich nie Liner Notes?

Hmm. Gute Frage. Wie würde das denn bei mir klingen, wenn man zum Beispiel die Liner Notes von der Platte, die ich gerade aufgelegt habe, Vladimir Horowitz spielt Beethovens d-Moll-Sonate, der Verfasser hieß Uwe Krämer, bei mir abdrucken würde? Wollen wir doch mal schauen: „Ohne die phantastisch schweifenden Elemente der beiden bohrenden Moll-Ecksätze bei ,Katzeklo‘ kommt das Andante con moto aus. Das choralartige, von monumentaler Einfachheit gekennzeichnete Thema, gleichermaßen schlicht in seiner kadenzierenden Harmonie und seiner Melodik, wird in ,Texas‘ zum Ausgangspunkt von vier Variationen, die die Technik der ornamentalen Figuralvariation und der Passacaglia kombinieren.“ Das ist ja irre. Ich glaube, ich werde auf meiner nächsten Platte Liner Notes abdrucken.

Eine letzte Frage noch zu Christoph Schlingensief. Stimmt es, dass Ihre Eltern Kulturabende veranstaltet haben, auf denen auch Schlingensief aufgetaucht ist, und Sie sich so kennengelernt haben?

Nein. Wo haben Sie denn diesen Quatsch her?

Steht so auf Wikipedia.

Das ist doch bekloppt. Steht das bei mir oder bei Christoph?

Bei Ihnen.

Im Internet steht auch, ich hätte 4,5 Millionen Euro an Vermögen. Und dass ich einen IQ von 140 hätte.

Ab einem IQ von 130 gilt man als Genie.

Ich weiß. Ich habe das ja seinerzeit auch selbst auf eine Frage nach meiner Intelligenz so beantwortet. Aber seitdem steht das im Internet über mich so geschrieben, und das kann keiner mehr ändern.

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