Straubhaar: „Konflikt zwischen Kapitalismus und Demokratie“ – Euractiv DE

Straubhaar: „Konflikt zwischen Kapitalismus und Demokratie“

Kurssturz an der Börse in Frankfurt. "Allein die Kombination aus Rating-Herabstufungen und Leerverkäufen kann eine Eigendynamik auf den Finanzmärkten entwickeln, die mit realen Gegebenheiten nichts mehr zu tun hat", erklärt der Schweizer Wirtschaftswissen

Thomas Straubhaar (HWWI) im EURACTIV.de-InterviewDer Euro ist ein ungewolltes Kind mit einer schwierigen Jugend, analysiert der Ökonom Thomas Straubhaar (HWWI). Die Häme der Euro-Kritiker und -Pessimisten helfe aber in der jetzigen Situation nicht weiter. Im Interview mit EURACTIV.de erklärt Straubhaar Wege aus der Krise, verwahrt sich gegen den „ideologischen Glaubensstreit“ um Euro-Bonds und rechnet mit den „ineffizienten“ Finanzmärkten ab. Mit spekulativen Angriffen auf Italien sei zu rechnen.

Zur Person

" /Thomas Straubhaar ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg und Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). In einem Standpunkt zu den gegenwärtigen Turbulenzen an den Börsen (11. August 2011) kommt der Schweizer Ökonom zu dem Schluss: "Der Börsencrash der letzten Tage hat mit tatsächlichen realen Veränderungen der Wirtschaft wenig bis gar nichts zu tun." Die Staatsschuldenkrise könne mit Sicherheit eher bewältigt werden, wenn sich Medien, Öffentlichkeit und Politik von einem inszenierten Finanztheater nicht anstecken lassen.

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EURACTIV.de: Vor dem jüngsten deutsch-französischen Gipfeltreffen haben Sie eindringlich die Einführung von Euro-Bonds gefordert (EURACTIV.de vom 16. August 2011), um den Spekulationen gegen Länder wie Italien oder Spanien ein Ende zu setzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schlossen Gemeinschaftsanleihen nicht für alle Zeit aus, lehnen aber die kurzfristige Einführung ab (EURACTIV.de vom 17. August 2011). Sind Sie mit dem Treffen zufrieden?

STRAUBHAAR: Das Ergebnis des Gipfels ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht der große Durchbruch. Vieles blieb zu vage, zu abstrakt und damit zu unverbindlich. Erkannt wurde, dass es mehr und nicht weniger Europa geben muss. Das ist wichtig. Auch die Idee einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung ist im Ansatz richtig. Die sollte sich allerdings erst einmal auf die Fiskalpolitik konzentrieren.

Es müsste jetzt dringend eine Institution geschaffen werden, die klärt, welche Gegenleistungen die Länder der Euro-Zone erbringen, die Hilfen der anderen beanspruchen. Das gilt unabhängig davon, ob der Euro-Rettungsschirm EFSF hilft, oder ob Euro-Bonds eingeführt werden. Diese Behörde oder Institution müsste den betroffenen Ländern Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung  vorgeben. Sie müsste klären, ob Steuererhöhungen oder Sparpakete ausreichen, ob genug Privatisierungserlöse erzielt, und ob genug Strukturreformen unternommen werden, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen. Es muss überwacht werden, ob die Länder auf dem richtigen Pfad sind. An dieser Stelle hätte ich mir viel mehr Substanz erwartet.

"Noch kein Befreiungsschlag"

EURACTIV.de: Ein Regierungssprecher in Madrid kommentierte den deutsch-französischen Gipfel mit den Worten: "Je mehr wir uns auf die Integration der Wirtschaftspolitik zubewegen, desto näher kommen wir der Idee von Euro-Bonds". Teilen Sie diesen Eindruck?

STRAUBHAAR: Es besteht zumindest kein Widerspruch. Die Impulse für mehr wirtschaftspolitische Integration sind richtig und klug. Bezogen auf künftige Euro-Bonds haben Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy alles offen gelassen. Deshalb war das Treffen zwar ein Teilschritt, aber mit Blick auf die Schuldenkrise noch kein Befreiungsschlag.

EURACTIV.de: Braucht die Euro-Zone gemeinsame Anleihen als Befreiungsschlag?

STRAUBHAAR: Ob rasch ein nachhaltiger Rettungsschirm kommt oder Euro-Bonds ist nur zweitrangig. Vor allem geht es darum, schnell und verbindlich klarzumachen, dass die Politik zu 100 Prozent gewillt ist, am Euro festzuhalten und einzelne Länder den Märkten nicht als Spielball überlässt.

Sonst werden wir in den kommenden Monaten immer wieder diskutieren, was passiert, wenn Länder wie Spanien und Italien sich nicht günstig am Kapitalmarkt finanzieren können und damit in einen Teufelskreis der Schulden und steigenden Zinslasten geraten. Diese Debatte wird wieder aufbrechen. Wenn Frankreich und Deutschland bei ihrem Treffen Nägel mit Köpfen gemacht hätten, wäre uns das erspart geblieben. Sie hätten klar sagen sollen, was sie bei Finanzierungsschwierigkeiten in Spanien und Italien unternehmen werden, damit hätten sie die Unsicherheit aus den Märkten genommen.

"Finanzmärkte testen, wie sie Italien angreifen können"

EURACTIV.de: Sehen Sie sich durch die jüngsten Kursstürze an den Börsen in dieser Forderung bestätigt?

STRAUBHAAR: Ja, wobei es keinsefalls darum gehen darf, dass es zu einer Euro-Politik nach Börsenkursen kommt. Sonst werden die Finanzmärkte erst Recht die Politik vor sich hertreiben.

EURACTIV.de: Sie gaben jüngst eine düstere Prognose ab, indem Sie sagten:  "Italien wird die Märkte durch Reform- und Sparanstrengungen nicht mehr überzeugen können." (EURACTIV.de vom 16. August 2011) Rom wurde für seine jüngsten Konsolidierungspläne viel gelobt, warum sind Sie so pessimistisch?

STRAUBHAAR: Ich muss das klarstellen: Ich selber sehe Italien nicht so kritisch. Aber ich vermute stark, dass die Finanzmärkte testen werden, wie sie Italien spekulativ angreifen können. Sie werden versuchen, dort eine Krisenstimmung zu erzeugen und damit die bereits bekannten Reaktionen auslösen, also einen Anstieg der Zinsen für Staatsanleihen und eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens. Dann gerät das Land erst Recht in Refinanzierungsschwierigkeiten, und die steigenden Kreditkosten torpedieren die Spar- und Sanierungsmaßnahmen. Dann geht die ganze Spirale wieder los, die wir zum Beispiel aus Griechenland schon kennen, und entwickelt eine Eigendynamik. Wie gesagt, das ist meine Vermutung mit Blick auf die Finanzmärkte. Ich selbst sehe weder in Spanien noch in Italien einen Grund, warum die Verschuldungsproblematik eskalieren muss.

"Da kann man doch nicht mehr von Markteffizienz reden"

EURACTIV.de: Da helfen nur noch Euro-Bonds?

STRAUBHAAR: Beim Vergleich zwischen Rettungsschirm und Euro-Bonds sehe ich gar keinen Grund für einen ideologischen Glaubensstreit. Beide Konstruktionen unterscheiden sich bei entsprechender Ausgestaltung nicht wirklich so fundamental, wie es jetzt in dieser überhitzten Diskussion scheinen mag. Entscheidend ist: Wenn man sagt, wir lassen Spanien und Italien nicht alleine, dann wird der Spekulation der Boden entzogen und das Worst Case-Szenario wird dort nicht eintreten. Diese Politik ist sowohl mit einem Rettungsschirm wie auch mit Euro-Bonds möglich.

EURACTIV.de: Nun könnte man aus ordnungspolitischer Sicht sagen: Die Märkte haben Recht. Man könnte die Meinung vertreten, die steigenden Zinskosten sind für Italien und Spanien sogar heilsam, weil diese Länder nun zu überfälligen Reformen gezwungen sind. Schieben Sie den Märkten nicht zu Unrecht den schwarzen Peter zu?

STRAUBHAAR: Ich bin heute viel misstrauischer als vor der Finanzmarktkrise 2008. Finanzmärkte sind alles andere als informationseffizient, sie sind alles andere als rational gesteuert. Die Entscheidungen auf Finanzmärkten werden durch Eigeninteressen getrieben, ihre Eigendynamik führt weit weg von rationalem Verhalten und makroökonomisch effizienten Ergebnissen. Aus Eigeninteressen werden auf den Märkten Unsicherheit, Volatilität und starke Kursschwankungen erzeugt. Sehr viele Akteure können damit sehr viel Geld verdienen. Krisengerüchte, Bonitäts-Herabstufungen durch Ratingagenturen und Wetten auf fallende Kurse treiben die Börsen. Allein die Kombination aus Rating-Herabstufungen und Leerverkäufen kann eine Eigendynamik auf den Finanzmärkten entwickeln, die mit realen Gegebenheiten nichts mehr zu tun hat. Da kann man doch nicht mehr von Markteffizienz reden. Das hat mit der klassischen Lehre, wonach Produktionsfaktoren ihrer knappen Verwendung zugeführt werden und Preise auf Güter- und Faktormärkten, auf Arbeits- und Kapitalmärkten relativen Knappheiten entsprechen, nichts mehr zu tun.

Die Politik soll Kosten des Marktversagens minimieren

EURACTIV.de: Wenn wir es im Finanzsektor mit einem ineffizienten, "irrationalen" Markt zu tun haben, der sich gewissermaßen von der Wirklichkeit abgelöst und verselbständigt hat –  wie soll dann die Politik den Kampf gegen diese Finanz- und Staatschuldenkrise gewinnen?

STRAUBHAAR: Wenn es der Politik nicht gelingt, diesen Kampf zu gewinnen, geraten der Kapitalismus und die Demokratie in einen Konflikt. Die Politik muss ihr Primat wiederherstellen. Es gibt keine Alternative. Letztlich muss es auch zu einer ordnungspolitisch sauberen Lösung gehören, dass nicht-effiziente Märkte so reguliert werden, dass sie entweder effizient werden oder dass sie wenigstens nicht immense Schäden für die gesamte Volkswirtschaft anrichten. Es muss auch das ökonomische Ziel der Politik sein, die makroökonomischen Kosten eines Marktversagens zu minimieren.

Außerdem gehört es zum Primat der Politik, dass öffentliche Institutionen eine viel größere Legitimation besitzen, als einzelne Marktteilnehmer, die mit Transaktionen auf den Finanzmärkten ihr Eigeninteresse durchsetzen. Das Eigeninteresse ist nicht illegitim, aber es darf nicht die Demokratie aushebeln und die Politik dominieren.

"Unter vielen schlechten Optionen die günstigste wählen"

EURACTIV.de: Kommen wir wieder zu den Euro-Bonds, die Sie als Befreiungsschlag in der gegenwärtigen Lage befürworten würden. Auch sie bergen Gefahren. Die Krisen-Länder könnten die Bonität der stärkeren Länder ausnutzen. Sie könnten ihre Sparanstrengungen wieder zurückfahren, sobald Gemeinschaftsanleihen ihnen wieder eine günstige Verschuldung ermöglichen. Der Ökonom Ansgar Belke (DIW) warnt, die fiskalische Kapazität und Toleranz der Geberländer könnte überstrapaziert werden, "was dann über die Reaktionen der Bevölkerung möglicherweise das Ende der Euro-Zone bedeuten würde" (EURACTIV.de vom 16. August 2011). Ist dieses ökonomische und politische Risiko von Euro-Bonds nicht zu hoch?

STRAUBHAAR: Diese Frage ist grundsätzlich falsch gestellt. Wissen Sie, wenn ich vor 15 Jahren gefragt worden wäre, hätte ich der Währungsgemeinschaft in dieser Konstruktion nicht zugestimmt. Das war und ist der Grund, wieso ich der Schweiz immer geraten habe, außerhalb des Euro-Raums zu bleiben. Anders als Deutschland hatte und hat die Schweiz hier Handlungsfreiheit. Und vor fünf Jahren hätte ich gesagt, Euro-Bonds sind weder notwendig noch ökonomisch zielführend. Es ist unstrittig, Euro-Bonds sind nicht die beste und wohl nicht einmal die zweitbeste Lösung. Aber Fakt ist nun einmal, dass wir in der Wirklichkeit nicht mehr die Wahl zwischen guten und sehr guten Lösungen haben. Stattdessen müssen wir unter vielen schlechten Optionen die günstigste wählen, und diese ist für mich entweder eine verbesserte Auflage der Rettungsschirme oder dann halt eben Euro-Bonds.

"Alle Optionen sind nicht kostenlos und riskant"


EURACTIV.de:
Sonst gerät die Euro-Zone ernsthaft in Gefahr…

STRAUBHAAR: Generell gibt es nur noch zwei Alternativen: Entweder, wir bleiben untätig und lassen die Märkte mit ihren Eigeninteressen und ihrer Eigendynamik die Politik vor sich her treiben, und das hat massive makroökonomische Folgekosten, oder wir reagieren.

Für die Reaktion gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Euro-Zone bricht auseinander – mit massiven ökonomischen Risiken und Folgekosten, oder man versucht einen Weg, bei dem die Politik die Handlungsfähigkeit zurückgewinnt, die Euro-Zone stabil und berechenbar bleibt. Alle Optionen sind nicht kostenlos und riskant. Aber eine kluge Politik wägt ab und entscheidet für die Option, die bei gleichen Risiken billiger ist, oder bei gleichen Kosten die kleineren Risiken birgt. Das ist die Forderung nach Realpolitik.

Selbstverständlich tragen Euro-Bonds das Risiko falscher Anreize. Trotzdem lässt sich sagen: Vielleicht ist es langfristig klüger, diese Risiken in Kauf zu nehmen, um überhaupt den Binnenmarkt und die Währungsunion mit all ihren Vorteilen, die sie unzweifelhaft haben, stabil zu gestalten.

Außerdem glaube ich, dass man in Deutschland zu stark versucht, den paradiesischen Idealzuständen der Vergangenheit nachzuhängen, die es nicht mehr gibt. Wir müssen uns vielmehr anschauen, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir bei Euro-Bonds noch haben. Wir müssen fragen: wie handhabt die USA diese Frage, wie machen es die Schweizer, wie macht es Deutschland mit seinem Länderfinanzausgleich? Das sind alles im Grunde Währungsunionen verschiedenster Regionen, die gemeinsame Staatsanleihen begeben und ökonomisch trotzdem gut über die Runden kommen.

"Berlins Versäumnis aus ideologischer Prinzipientreue"

EURACTIV.de: War es ein "massiver Fehler" der Bundesregierung, Euro-Bonds frühzeitig zu tabuisieren, wie es Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) kritisiert (EURACTIV.de vom 19. Juli 2011)? Hätte man die Zeit seit Mitte 2010 nutzen können, über eine vernünftige Ausgestaltung gemeinsamer Anleihen in der Euro-Zone zu diskutieren?

STRAUBHAAR: Absolut. Peer Steinbrück hat völlig Recht. Man hat es in Berlin aus einer ideologischen Prinzipientreue heraus realpolitisch verpasst, nach Lösungen zu suchen, mit denen man Handlungsfähigkeit zurückgewinnt. Bei der Ausgestaltung von Euro-Bonds ist es entscheidend, darauf zu bestehen, dass es eine primär nationale Aufgabe bleibt, sich auf privaten Kapitalmärkten Kredite zu beschaffen. Da unterscheide ich mich von der aktuellen Präferenz der SPD. Euro-Bonds dürfen nicht der Normalfall werden, sondern eine Ausnahmeregelung für jene Länder, die sich auf dem privaten Kapitalmarkt nicht zu akzeptablen Konditionen Kredite beschaffen können. Nur in diesem Fall dürfen Euro-Bonds befristet zum Tragen kommen. Im Gegenzug müssen die betroffenen Länder ihre nationale Finanzautonomie preisgeben. An dieser Stelle brauchen wir die eingangs erwähnte Institution, die kontrolliert, sanktioniert und vorgibt, wie das Geld ausgegeben wird.

"Deutschland würde von Stabilität enorm profitieren"

EURACTIV.de: Wie erklären Sie sich den massiven Widerstand von Union und FDP sowie zahlreicher namhafter Ökonomen gegen jegliche Form von Euro-Bonds (EURACTIV.de vom 22. August 2011 und vom 17. August 2011)?

STRAUBHAAR: Möglicherweise überschätzt man in Deutschland die Kosten von Euro-Bonds, auch im Vergleich zur derzeitigen Lösung des Rettungsschirms. Mit Euro-Bonds wird ein riesiger Markt für eine sehr sichere Anleihe geschaffen, mit höchstwahrscheinlich sehr geringen Zinsen. Die Finanzierung der Krisen-Staaten über Euro-Bonds würde möglicherweise schon deshalb günstig, weil allein die Existenz eines solchen Rettungsrings die Spekulationen auf einen Bankrott einzelner Euro-Länder endgültig beendet.

EURACTIV.de: Es gibt auch die gegenteilige Einschätzung, der "sichere Hafen" der Euro-Bonds würde die Zinsen für die anderen, weniger sicheren, nationalen Staatsanleihen von Ländern wie Spanien und Italien in die Höhe treiben. Der Ökonom Ansgar Belke kommentiert zum Beispiel: "Neue Anleihen aus diesen Ländern würden dann zu Ladenhütern. Im Endeffekt wären diese Länder zur Finanzierung ihrer Nettokreditaufnahme vollständig auf Euro-Bonds angewiesen." Sehen Sie diese Gefahr nicht?

STRAUBHAAR: Ich verstehe diesen Einwand. Aber dieses Problem gibt es nur, wenn erwartet würde, dass alle staatlichen Kredite der gesamten Euro-Zone mit Euro-Bonds abgewickelt werden. Aber wenn klar ist, dass alle Euro-Länder kreditwürdig sind, wenn sie ordentlich haushalten, dann werden die Risikoprämien zwar nicht Null sein, aber auch nicht extrem hoch, weil sonst in diesem Fall dann eben auf die Euro-Bonds ausgewichen werden kann. Bei kluger Ausgestaltung würde der Markt für die nationalen Staatsanleihen nicht völlig austrocknen. Und auch für Deutschland würde es nicht teurer, nationale Anleihen zu platzieren. Deutschland könnte seinen nationalen Kapitalbedarf immer noch zu absolut günstigen Konditionen auf dem privaten Kapitalmarkt aufnehmen. Andererseits würde man konjunkturell von der Stabilität der Krisen-Länder wie der Euro-Zone als Ganzes enorm profitieren.

Ein Blick auf den Euro-Rettungsschirm (EFSF) zeigt übrigens: Seine Finanzierungskosten sind viel geringer ausgefallen als ursprünglich erwartet. Und trotz der Haftung für den Rettungsschirm haben sich auch für Deutschland die Finanzierungskosten nicht wesentlich erhöht. Bei zeitlich befristeten Euro-Bonds für einzelne Länder wird es ähnlich sein.

"Es wird schwierig, teuer, riskant, eine echte Herausforderung"

EURACTIV.de: Noch einmal grundsätzlich: Derzeit müssen die hochverschuldeten Euroländer wie Griechenland, Italien und Spanien deutlich höhere Zinsen für ihre Kredite zahlen als Deutschland. Sie sollen gleichzeitig sparen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken oder diese überhaupt erst wieder herstellen. Sie sollen nationale Kompetenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik mehr oder weniger abgeben, als Gegenleistung für Euro-Bonds oder Hilfen aus dem Rettungschirm. Rechnen Sie nicht damit, dass die betroffenen Länder irgendwann sagen: ‚Wir wollen diese Rosskur nicht, wir wollen uns nicht zu Tode sparen‚ wir verlassen freiwillig die Euro-Zone, und werden dank einer schwachen nationalen Währung wieder wettbewerbsfähig‘?

STRAUBHAAR: Das sind zwei Fragen. Ich stimme alle Kritikern zu, dass es für die betroffenen Länder ein sehr langer und sehr harter Weg wird. Harte und weitreichende Strukturreformen liegen vor ihnen. Das wird politisch, gesellschaftlich und ökonomisch schwer. Es wird Proteste und Widerstände geben. Wir sehen in Großbritannien, was ein harter Sanierungskurs bedeutet. Es wird schwierig, teuer, riskant, eine echte Herausforderung.

Aber eine ganz andere Frage ist der Euro-Austritt. Die Länder können das schon rechtlich gar nicht so einfach, sie müssten gleichzeitig aus der EU austreten….

EURACTIV.de: Sie könnten theoretisch aus der EU und der Euro-Zone austreten,  aber dann – quasi in derselben Sekunde –  wieder in die EU eintreten, ohne den Euro….

STRAUBHAAR: Na gut, aber dann wird die Euro-Zone zu einem Jekami-Verein ("Jekami" steht für "Jeder-kann-mitmachen", Anm. d. Red) degradiert, zu einer lockeren Zusammenkunft, wo jeder kommt und geht, wie es ihm passt. Dann ist die Währungsgemeinschaft nicht mehr eine politisch, gesellschaftlich, und wirtschaftlich planbare, institutionell abgesicherte, durch Strukturen geprägte Wirtschaftsunion. Dann kommt Beliebigkeit und Verunsicherung hinein, die von den Märkten sofort durch erhöhte Risikoprämien bestraft würde.

Aber natürlich, ich versteh ja die Frage. Der Europafrust wird zunehmen. Die Menschen in den Geberländern wollen nicht Zahlmeister sein. Die Menschen in den Nehmerländern werden die Schuld für ihre Lage in Brüssel und vielleicht auch in Deutschland suchen. Aber die Quintessenz kann für niemanden der Euro-Austritt sein. Das werden sich weder Deutschland noch Italien leisten können. Da ist die Euro-Zone wie Deutschland. Hierzulande kann auch kein Bundesland sagen: ‚Wir wollen jetzt für uns alleine wirtschaften und wollen in diesem friedlichen Europa eigentlich gar keine gemeinsame Bundespolitik mehr‘.

"Schadenfreude und Häme der Euro-Kritiker hilft nicht weiter"

EURACTIV.de: Viele Ökonomen analysieren heute die dramatischen Fehlentwicklungen innerhalb der Euro-Zone – etwa den Fall "Griechenland".  Man spricht von der fatalen Wirkung billiger Kredite auf die GIPS-Staaten, zu denen diese quasi über Nacht Zugang erhielten. Zugleich hätten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren, weil sie ihre Währungen nicht mehr abwerten konnten. Und man fragt sich als Laie verwundert: Hat eigentlich die gesamte europäische Politik seit der Euro-Einführung 1999 vollkommen versagt, indem sie die von Beginn an bekannten Risiken der Währungsunion einfach komplett ignorierte?

STRAUBHAAR: Deutschland hat bei der Gründung der Währungsgemeinschaft nicht die volle Handlungsfähigkeit gehabt. Die Aufgabe der D-Mark war der Preis für die deutsche Wiedervereinigung, den Frankeich und Großbritannien verlangten. Der Euro war ein ungewolltes Kind. Dann hat man massive Konstruktionsfehler gemacht, indem man eine Währungsunion ohne politische und fiskalische Union installierte. Ökonomen haben das von Beginn an immer wieder kritisiert. Nun sehen wir, wie instabil der Euro-Raum geworden ist. Aber die Schadenfreude und Häme der Euro-Kritiker und -Pessimisten hilft in dieser Situation überhaupt nicht weiter. Wir müssen jetzt sehen, wie aus diesem ungewollten Kind mit dieser schwierigen Jugend noch ein vernünftiger Erwachsener werden kann.

EURACTIV.de: Und das halten Sie für möglich?

STRAUBHAAR: Das halte ich für möglich. Man ist es allen Beteiligten und den künftigen Generationen schuldig, dass man nicht einen Scherbenhaufen hinterlässt, sondern mit allen politischen Mitteln eine Lösung findet.

Interview: Opens window for sending emailAlexander Wragge

Links


HWWI:
Das inszenierte Finanztheater. HWWI Standpunkt von Prof. Dr. Thomas Straubhaar (11. August 2011)

Analysen, Standpunkte und Dokumente zu "Euro-Bonds"

Eurointelligence: "The Big Cannoli". Von: Barry Eichengreen (17. August 2011)

Project Syndicate: Euro-Bonds ohne Angst. Von Andrés Velasco (18. August 2011)

ifo Institut: Was kosten Eurobonds? Stellungnahme des ifo Instituts (17. August 2011)

Universität Duisburg-Essen: Dauerhafter Rettungsmechanismus (ESM): "Drohender Teufelskreis" 2.0 – Mit Anmerkungen zur Kontroverse zwischen Plenum der Ökonomen und der FTD. Positionspapier von Ansgar Belke (7. März 2011)

Jacques Delpla/Jakob von Weizsäcker: ‚The Blue Bond Proposal‘. Erschienen im Bruegel Policy Brief 2010/03 (Mai 2010)

Jacques Delpla/Jakob von Weizsäcker: ‚Eurobonds: The blue bond concept and its implications‘. Erschienenin: Bruegel Policy Contribution 2011/02 (März 2011)

Jüngste Beschlüsse zur Euro-Krise

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Mitschrift der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy (16. August 2011)

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Gemeinsamer Deutsch-Französischer Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy (16. August 2011)

Bundesregierung: Deutschland und Frankreich für europäische Wirtschaftsregierung (16. August 2011)

Bundesregierung:
Deutsch-französisches Kommuniqué zur aktuellen Situation in der Euro-Zone (7. August 2011)

Bundesregierung: Deutsch-Französische Agenda 2020 (4. Februar 2010)

EU-Kommission: Statement by President Barroso and Commissioner Rehn on today’s proposals by President Sarkozy and Chancelor Merkel (16. August 2011)

FDP: "Euro-Bonds sind vom Tisch". Presseerklärung von FDP-Generalsekretär Christian Lindner (17. August 2011)

Rat: Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets und der EU-Organe (22. Juli 2011)

Mehr zum Thema auf EURACTIV.de:

Wenn kein Wunder geschieht: Hohe Inflation oder Euro-Bonds (19. August 2011)

Griechenland-Hilfe: Ärger um Extrawurst für Finnland (19. August 2011)

Nowotny: Euro-Bonds-Debatte verfrüht (18. August 2011)

Exodus der Banker? Streit um Finanztransaktionssteuer (18. August 2011)

Euro-Krise: Merkel und Sarkozy schreiben Brief an Van Rompuy
(17. August 2011)

Merkel bei Sarkozy: Alte Beschlüsse neu angekündigt (17. August 2011)

Ifo-Institut zu Euro-Bonds: "Europas Zukunft nicht aufs Spiel setzen" (17. August 2011)

HWWI-Chef Straubhaar: Massive Zweifel an Italien (16. August 2011)

"Kein Teufelszeug": CDU-Politiker offen für Euro-Bonds (16. August 2011)

Euro-Bonds: Pro und Contra zu gemeinsamen Anleihen (15. August 2011)

Rettungsschirm, Italien, Leerverkäufe – Debatte zur Schuldenkrise (15. August 2011)

"Euro-Bonds ohne Transferunion". Standpunkt der Euro-Bonds-Erfinder (22. Juni 2011)

Weitere EURACTIV.de-Interviews zur Euro-Krise

"Aufstockung des Euro-Rettungsschirms wäre völlig sinnlos". Interview mit Volker Grossmann (Uni Fribourg) (8. August 2011)

Lucke: "Der Rettungsschirm kann destabilisierend wirken (4. August 2011)

Fuest zu Europas Schuldenkrise: "Die Lage ist kritisch" (4. Juni 2011)

Europas Schuldenkrise: "Banken nötigen die Politik" (13. Mai 2011)

Holznagel zur Eurokrise: "Merkel hat Weg zur Haftungsgemeinschaft geebnet" (20. April 2011)

Neumann: "Umschuldung Griechenlands unabdingbar". Interview mit Manfred Neumann (19. April 2011)

"Herr Katainen wird die Euro-Rettung nicht gefährden". Interview mit Risto Tähtinen (18. April 2011)

Europäische Schuldenkrise: "Der Kern des Problems liegt im Bankensektor". Interview mit Kai Konrad (7. April 2011)

"Irland-Hilfe nicht vertretbar".Interview mit Wolfgang Gerke (31. März 2011)

"Der ESM ist nicht alternativlos". Interview mit Andreas Haufler (23. März 2011)

Dauerhafter Rettungsmechanismus (ESM): "Drohender Teufelskreis". Interview mit Ansgar Belke (7. März 2011)

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