Ingrid Caven über ihr Leben mit Rainer Werner Fassbinder - WELT
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Partnerschaft Ingrid Caven

„Unterdrückung und Vergewaltigung sind kein Spiel“

Blick zurück und in den Spiegel: Ingrid Caven in der Garderobe der Berliner Volksbühne Blick zurück und in den Spiegel: Ingrid Caven in der Garderobe der Berliner Volksbühne
Blick zurück und in den Spiegel: Ingrid Caven in der Garderobe der Berliner Volksbühne
Quelle: Neal Franc
Doch Frauen sollen sich auch nicht als „arme Würstchen“ stilisieren. Die Schauspielerin Ingrid Caven, bekannt aus Filmen von Rainer Werner Fassbinder, spricht über Moral, Kunst, Spiel und ihr Leben an der Seite des Regisseurs.

Eine Frau, wie es sie nicht mehr oft gibt: Offen und scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste spricht Ingrid Caven über ihr Leben als Schauspielerin, Sängerin, Ehefrau von Rainer Werner Fassbinder. Das Interview findet in der Bar des Berliner Apartment-Hotels statt, in dem sie während der Proben und den Aufführungen ihres aktuellen Theaterstücks an der Volksbühne lebt. In „Liberté“ des katalanischen Regisseurs Albert Serra spielt die 79-Jährige neben Helmut Berger eine so gelangweilte wie durchtriebene Duchesse, die im Preußen des Jahres 1774 die Libertinage einführen möchte. Während des anderthalbstündigen Gesprächs bei Rotwein und Wasabinüssen füllen sich ihre Augen hinter den dunklen Brillengläsern immer dann mit Tränen, wenn sie von Fassbinder spricht. Zum Abschied lässt sie eine Kusshand durch die Luft fliegen.

ICONIST: Frau Caven, Sie sind jetzt schon zwei Monate in Berlin. Fühlen Sie sich wohl hier?

Ingrid Caven: Ja, ja. Ich habe Freunde hier, ich habe neue junge Leute kennengelernt, was sehr erfrischend war. Mein Apartment hier ist klein, aber ich kann mich darin bewegen, so ungekämmt und fern der Heimat, wie ich hier bin. Es gibt auch eine Kochecke, in der man sich mal was Biologisches kochen kann.

ICONIST: Sie kochen?

Caven: Ab und zu, ja. Ich bin doch eine erwachsene Dame. Ich esse gern, man kann nicht immer nur ausgehen. Haben Sie das Stück gesehen?

ICONIST: Natürlich! Und ich habe mich amüsiert.

Caven: Ah, das freut mich für Sie. Mir macht es mehr als Spaß. Es ist ein Geschenk!

ICONIST: Sie spielen eigentlich kein Theater mehr. Warum haben Sie trotzdem zugesagt?

Caven: Albert Serras Filme haben mich beeindruckt, weil er wirklich etwas ganz anderes versucht. Und mir hat das Thema Libertinage imponiert, ist ja klar. Er kam nach Paris, und ich sah, dass er mir auch so gefällt. Ein attraktiver Mann …

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ICONIST: Aha!

Caven: Na sicher, hehe! Das ist für mich immer noch sehr wichtig. Manche Frauen und Männer sagen mir nichts, manche Frauen und Männer gefallen mir einfach. Das ist motivierend. Dann habe ich noch mehr Lust, mich zu streiten, zu kabbeln und auf ungewisses Terrain zu wagen. Dann erst wird meine eigene Energie frei. Eigentlich bin ich eher eine faule Person, die keine Lust hat, sich anzustrengen.

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ICONIST: In „Liberté“ stehen Sie mit Helmut Berger auf der Bühne, Sie beide kennen sich noch aus den 1970ern. Fanden Sie ihn damals attraktiv? Er galt als der schönste Mann der Welt.

Caven: Das ist eine Fangfrage.

ICONIST: Reines Interesse.

Caven: Es gab viele attraktive Leute damals (kichert). Helmut gehörte dazu. Rainer und ich trafen ihn ab und zu in Rom, zusammen mit Mario Adorf und dessen Frau, mit denen Helmut Berger sehr befreundet war. Helmut war so interessant, frech, risikobereit, spritzig und witzig! Es war immer lustig mit ihm. Und er war mit Visconti liiert, das war natürlich attraktiv. Aber das war weit weg für uns.

ICONIST: Und heute: Verstehen Sie sich?

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Caven: Ah, ich mag Helmut sehr! Heute werden solche Leute mundtot gemacht, weil das nicht der Zeitgeschmack ist. Deswegen ist auch vieles so langweilig geworden.

ICONIST: Helmut Bergers Figur, der Duc de Walchen, sagt, dass die Frauen schon für die Verbreitung der Libertinage sorgen werden. Was meint er damit?

Caven: Geschichtlich war es so, dass die Libertinage in den französischen Bordellen entstand. Die Nutten waren die Ersten, die eine Art von Verhütung bekamen, Medikamente und Hygienemittel, zum Teil sicher auch Gifte wie Quecksilber. Der Vater von Proust war ja zum Beispiel Hygiene-Arzt. Diese Frauen konnten also freieren Sex haben. Die Aristokratie hat das übernommen, und so kam das Spielerische und Artifizielle in den Sex. Es ging nicht länger nur rein und raus, es wurde erotisch. Der Roman wurde ein anderer …

ICONIST: … genau wie die Ausgehkultur, die Restaurants, die Oper, das Theater …

Caven: Das kam alles aus diesen Zonen. Die französische Art der Diplomatie, die ich früher immer für Lüge hielt – das ist eine Verführungskraft, die aus dieser Zeit stammt. Das gefällt mir.

Rainer Werner Fassbinder und Ingrid Caven 1974 während der Dreharbeiten zu "1 Berlin-Harlem"
Rainer Werner Fassbinder und Ingrid Caven 1974 während der Dreharbeiten zu "1 Berlin-Harlem"
Quelle: picture alliance / Keystone / Ke

ICONIST: Geht uns dieses Spielerische derzeit ein wenig verloren? Mich hat es nicht gewundert, dass der offene Brief, der in der MeToo-Debatte vor undifferenzierter Hetze warnte und den Sie zusammen mit Catherine Deneuve und Dutzenden anderen prominenten Frauen unterschrieben haben, aus Frankreich kam.

Darum geht es

Caven: Eben. Man muss aber jetzt nicht idealisieren. In Frankreich passieren eklige Übergriffe, die man anprangern muss, genauso wie überall auf der Welt. Wir Frauen und viele andere Künstler sehen die Notwendigkeit für Spiel, das Ausprobieren in der Kunst und wollen das bewahren. Auf keinen Fall können wir uns darauf einlassen, dass die Kunst eingeschränkt wird, nur weil der Künstler vielleicht ein Leben führt, das der gängigen Moral nicht entspricht. Dann muss man alle streichen: Goethe …

ICONIST: Fassbinder.

Caven: Den zuerst! Und viele andere auch. Da läuft derzeit etwas schief. Ganz klar: Unterdrückung und Vergewaltigung sind kein Spiel, sondern Gewalt. Wenn sich Frauen aber als arme Würstchen stilisieren, hat das nichts mehr mit der Befreiung des Weiblichen zu tun. Im Gegenteil.

Französische Frauen fürchten den Verlust sexueller Freiheiten

In einem offenen Brief, der in der Tageszeitung „Le Monde“ abgedruckt wurde, fordern prominente französische Frauen „die Freiheit, aufdringlich zu werden“. Sie beklagen die Folgen der #MeToo-Debatte für das Verhältnis der Geschlechter.

Quelle: WELT/Lukas Axiopoulos

ICONIST: Sie sind als Schauspielerin gerade wieder sehr gefragt.

Caven: Ich habe in letzter Zeit wieder ein paar Filme gemacht. Immer mit Ausländern: mit Luca Guadagnino in Italien, mit Rita Azevedo Gomes in Portugal, mit dem Spanier Adolfo Arrieta und eben das Theaterstück mit Albert Serra. Ich habe mich gefragt: Was ist das, warum wollen die noch einmal die alte Caven haben?

ICONIST: Haben Sie die Antwort gefunden?

Caven: Sie wollen komischerweise etwas sehr Deutsches – obwohl ich wirklich nicht typisch deutsch rumlaufe. Aber ich wurde mit Märchen und Musik erzogen, in den Ruinen des Zweiten Weltkriegs. Das und einige Krankheiten haben eine starke Sehnsuchtskraft hervorgebracht.

ICONIST: Sehnsuchtskraft?

Caven: Ja, eine deutsche Kraft, die aus dieser Gegend kommt. Sehnsucht, aber auch etwas, das durch Märchen gefördert wird: Angst, das Unheimliche. Dazu kommt mein Spaß an Kritik. Ich habe eine richtige Lust, an allem herumzumeckern und mit nichts zufrieden zu sein. Besonders bei denen, deren Arbeit ich bewundere.

ICONIST: 1978 gingen Sie nach Paris. Wie lernten Sie dort Yves Saint Laurent kennen?

Caven: Yves hatte mich in dem Film „La Paloma“ von Daniel Schmid gesehen und war, sagen wir: begeistert. Wir verstanden uns auf Anhieb. Sein Lebensgefährte Pierre Bergé schlug mir eine Konzertserie im Nachtclub „Pigall’s“ vor. Ich stellte Bedingungen: Ich will singen, aber unter einem Regisseur meiner Wahl.

Ingrid Caven und Pierre Berge bei der Premiere des Films "Yves Saint Laurent" auf der Berlinale 2014
Ingrid Caven und Pierre Berge bei der Premiere des Films "Yves Saint Laurent" auf der Berlinale 2014
Quelle: picture alliance / Eventpress Ra

ICONIST: Yves Saint Laurent schneiderte Ihnen dann ein legendäres Kleid auf den nackten Leib.

Caven: Ich hatte schon einen Slip an. Yves fragte mich, welche Seite des schweren schwarzen Satins ich haben wollte, und ich entschied mich dafür, die glänzende Innenseite nach außen zu kehren – was sehr gefährlich ist. Aber ich war ja sehr schlank damals. Er kam vorher ein paar Mal zu Proben, um zu sehen, wie ich mich bewege. Ich bin ja Sängerin, kein Model. Dann nahm er 130 Maße – auch den Abstand von der Niere zum Arsch hin, das ist alles wichtig. Er schnitt es am Körper zu, mit einer langen Schleppe und einem tiefen Rückendekolleté, in das er bei der Premiere ganz viele Rosen steckte. Das war ein gutes Kleid. Elegant und gleichzeitig sehr schlampig, eine Mischung aus seriös und geil. Wenn ich eine Drehung machte, dauerte es ein paar Sekunden, bis das Kleid nachkam – das hat einen erotisierenden Effekt. Es hat viel dazu beigetragen, dass dieses Programm so gut funktionierte. Einen Schlitz kann jeder machen. Yves konnte Kleider von theatralischer Eleganz schaffen. Das war sein Können.

ICONIST: Wo ist das Kleid heute?

Caven: Das hängt bei mir in Paris und fühlt sich immer noch wohl, glaube ich.

Ebenfalls von Saint Laurent, ebenfalls in Paris

ICONIST: Was war eigentlich der Grund dafür, dass Sie in Paris landeten?

Caven: Das war die Flucht vor der Droge in München.

ICONIST: Sie sind vor Fassbinder geflohen?

Caven: Doch nicht vor ihm geflohen! Wir waren zusammen bis zu seinem Lebensende. Aus der Situation bin ich geflohen. Wir sind dann beide in Paris gelandet und hatten ein gemeinsames Appartement. Fassbinder hat in München gearbeitet und kam immer vorbei, während ich schon hauptsächlich in Paris lebte.

ICONIST: Sie waren mit ihm, einem offen schwul lebenden Mann, befreundet, und irgendwann schliefen Sie auch mit ihm. Wie war das?

Caven: Ganz normal. Wir haben ja dafür gekämpft, dass all das möglich war: dass man schlafen konnte, mit wem man wollte. Viel wichtiger war die Frage: Verstehe ich mich mit ihm, mit ihr oder mit dem da? Ich war auch eine Zeit lang in Rosa von Praunheim verknallt. Der war so schön.

ICONIST: Auch ein Filmemacher, auch dermaßen schwul.

Caven: Alle wussten das, aber ich habe das irgendwie nicht mitgekriegt. Der war immer höflich zu mir und sehr galant. Ich habe gedacht, wenn ich jemanden haben will, kann ich ihn haben.

ICONIST: Welche waren für Sie die lustigsten Jahre? Die wildesten?

Caven: Ach, wild. Ja, es war wild, aber was immer vergessen wird oder was wir nicht gut genug vermittelt haben, war Folgendes: Man musste auf jeden Fall mit Stil und Haltung arbeiten. Mit Form! Das war gar keine Frage. Jeder hatte seine eigene Form, aber mit starkem Stilbewusstsein. Wenn jemand etwas irgendwie gemacht hat, bisschen poetisch rumgemacht, trallalala – das hat nicht genügt. Das wurde nicht als Kunst anerkannt.

Gottfried John und Ingrid Caven im Fassbinder-Film "In einem Jahr mit 13 Monden" (1978)
Gottfried John und Ingrid Caven im Fassbinder-Film "In einem Jahr mit 13 Monden" (1978)
Quelle: Getty Images

ICONIST: Mit welchem Gefühl denken Sie heute an Rainer Werner Fassbinder?

Caven: Ach! Wie an einen Zwillingsbruder. Schon damals hatte ich das Gefühl, mit ihm in einer Inzestbeziehung zu stecken. Ich wusste das damals nicht, aber er sprach mit niemandem, und schon gar nicht sprach er über sich. Mit mir aber hat er das getan. Er war sehr abhängig von mir, von unserer Beziehung.

ICONIST: Was sah er in Ihnen?

Caven: Er hatte sehr viel Vertrauen zu mir, mehr als zu seiner Mutter. Ich glaube, Leute haben in meiner Gegenwart weniger das Bedürfnis, sich selbst zu bestrafen. Ich glaube, ich kann durch meine eigentlich einfache Art ein wenig von der Angst nehmen.

ICONIST: Haben Sie jemals daran gedacht, dass er sich mit der Ehe vielleicht auch reinwaschen wollte? Sie beschreiben, wie er nach Ihrer ersten gemeinsamen Nacht im weißen Hemd am Frühstückstisch saß und sagte: Wir müssen heiraten. Waren Sie seine Hoffnung auf ein bürgerliches Leben, eine Chance, den Schmutz des Strichs hinter sich zu lassen?

Caven: So habe ich das noch nie gesehen, aber ja. Ich war jedenfalls schockiert. Wir hatten doch nur eine Nacht zusammen verbracht. Für mich war das kein großes Ereignis, er war sowieso mein bester Freund. Ich war ein bisschen schlampig damals und noch in anderen Beziehungen. Obwohl er sich bei anderen erkundigt hatte, wie ich es gern hätte. Das hatte auch etwas Rührendes.

ICONIST: Liebten Sie ihn auch?

Caven: Zunächst ging das von ihm aus, nachher auch von mir. Aber ich hatte mehr Möglichkeiten, das in eine Freundschaft zu verwandeln. Aber als er immer mehr in die Droge reinrutschte, brauchte er Leute, die ihn bedienten, die er ausnutzte. Die Regisseure Daniel Schmid und Werner Schröter, Peer Raben – der ihm der wichtigste war in der Arbeit – zogen sich alle zurück. Es war aber auch unerträglich, wie er sich in die Droge schmiss. Unrettbar. Bis zehn Tage vor seinem Tod sagte Fassbinder zu Jean-Jacques Schuhl, mit dem ich damals schon zusammen war, dass ich noch ein paar Wochen bei ihm, Rainer, bleiben sollte. Ich war empört. Ich entscheide selbst, wo ich bleibe! Daniel Schmid organisierte ihm eine Entgiftung in einem Schweizer Hotel, dasselbe, in das die Rolling Stones auch gingen. Ich versprach ihm, dass ich mich drei Wochen lang nebenan im Hotel einmieten würde. Er war ganz begeistert, aber nicht, weil er den Entzug machen wollte, sondern weil er mich bei sich haben wollte. Später versuchte ich in München noch mal, etwas zu organisieren, aber seine Mutter Lilo war dagegen. Wie Sie wissen, ist es gefährlich, jemanden zwangseinweisen zu lassen. Auch daran kann man sterben.

Sie machte aus ihrer Sucht eine Kolumne

ICONIST: Ihnen hat er manchmal nur Komparsinnenrollen gegeben, wie in „Die Warnung vor der heiligen Nutte“.

Caven: Ich stand nicht im Drehbuch, aber als Zitat musste er mich irgendwo drin haben. Eigentlich wollte er, dass ich überhaupt nicht arbeite, sondern immer bei ihm bin.

ICONIST: Das ist das Verrückteste: Sie waren Freunde auf Augenhöhe, aber als Sie heirateten, mutierte er zum Ehemann, der seine Frau zu Hause einsperren wollte, Affären hat, aber ihr keine gönnt und ihre Tätigkeit, die Schauspielerei, einen Nuttenberuf nennt. Wo Sie nun schon mit Fassbinder verheiratet waren, hätten Sie eigentlich auch Kinder mit ihm bekommen können, oder?

Caven: Das wollte er sofort, ja sicher. Für mich kam das damals nicht infrage, ich wollte keine Kinder. Er fand meine Antibabypille – es war tragisch. Er hat immer gesagt, dass er keine platonische Liebe mit mir wollte. Er war homosexuell, hat mich aber sehr stark geliebt. Die Beziehungen, die er zu Männern hatte, waren entweder anonym auf der Klappe oder hatten ein erzieherisches, beschützendes Element. Diese Jungs wurden ihm immer nach einer Zeit langweilig. Seine große Liebe war Günther Kaufmann. Aber Günther war nicht homosexuell, er blieb unerreichbar.

ICONIST: Wann verliebten Sie sich dann in Fassbinder?

Caven: Er konnte auch sehr zärtlich sein. Einmal hatte ich wieder einen schrecklichen allergischen Schub und war ganz rot überall. Er hat mich in den Arm genommen und immer wieder gesagt: Das ist nicht schlimm, das geht vorbei. Ich war krank, und er wollte mich trösten. Das waren die Momente, in denen auch bei mir starke Gefühle entstanden sind. Dabei brauchte er selbst Trost, aber das konnte er nicht vermitteln. Wir waren intellektuell gleichauf, ich bewunderte seine Arbeit, er hat sehr bewundert, was ich mit der Musik gemacht habe. Er hat mir etwa zwanzig Gedichte und Lieder geschrieben, das hat er für keinen anderen getan.

ICONIST: Wo sind diese Texte?

Caven: Ich habe noch fast alle Originale. Die meisten kamen nach der Scheidung.

ICONIST: Wie haben Sie von Fassbinders Tod erfahren?

Caven: Von seiner Mutter. Ich war noch zehn Tage vor seinem Tod in seiner grausigen Münchner Wohnung gewesen und nach Paris zurückgefahren. An dem Tag seines Todes sprach ich am Telefon mit ihm und hatte den Eindruck, es ginge ihm nicht gut. In dieser Nacht war ich zum Essen eingeladen, hatte was getrunken und kam nach Hause zurück. Ich rief ihn an, um zu sagen, wie schön es bei ihm war – irgendwas Nettes, Sentimentales. Ich rief ihn an, aber keiner hob ab. Ich rief im Vorraum an, der Regisseur Wolf Gremm ging ran und sagte: Rainer ist unterwegs. Ich dachte, Gott sei Dank, dann geht es ihm wieder besser. Ich bat darum, dass Gremm ihm einen Zettel unter der Tür durchschob, auf dem stand, dass ich angerufen hätte. Der antwortete: Das kann ich nicht, mein Flieger nach Berlin geht jetzt. Ich schaute auf die Uhr, und es war 1.30 oder zwei Uhr nachts. Um diese Uhrzeit geht doch kein Flieger. Da lag Rainer schon im Sterben.

ICONIST: 1980, lange vor Fassbinders Tod, haben Sie Ihren Freund kennengelernt, wie Sie ihn noch immer nennen, den Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl.

Caven: Eines Tages kam jemand ins „Le Pigall’s“ und wollte ein Autogramm. Er hatte ein Buch dabei, „Rose poussière“. Das war von Jean-Jacques, ein Kultbuch. Der Autogrammjäger wollte, dass ich in dem Buch unterschreibe, ich sagte, das kann ich doch nicht. Er sagte: Aber er ist mein Lieblingsschriftsteller, und Sie sind meine Lieblingssängerin. Ich habe also neben dem Namen von Schuhl unterschrieben. Wenn wir uns trafen, hat er, wie Rainer zuvor auch, immer versucht, in meiner Nähe zu sein. Wie bei Rainer auch habe ich nicht verstanden, dass er an mir interessiert ist. Ich kriege das immer als Letzte mit. Ich fand ihn toll, aber er hatte eine andere Frau. Dann bekam ich Blumen, und heute, 38 Jahre später, sind wir noch immer zusammen.

Ingrid Caven, Sängerin und Schauspielerin
Ingrid Caven, Sängerin und Schauspielerin
Quelle: Neal Franc

1938 in Saarbrücken geboren, singt sie schon im Mädchenalter. 1967 lernt sie den Regisseur Rainer Werner Fassbinder kennen und spielt in zahlreichen seiner Filme mit. Zwei Jahre ist sie mit dem offen schwul lebenden Regisseur verheiratet; Ende der 70er wandert sie nach Paris aus, wo sie eine zweite, sehr erfolgreiche Karriere als Chansonsängerin beginnt und bis heute lebt.

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Biografie-Doku „Fassbinder“

Rainer Werner Fassbinder starb mit nur 37 Jahren. Doch er hinterließ ein umfangreiches Werk von 44 Filmen und Serien. Sie und einige Interviews erzählen das Leben des Filmemachers, Autors und Schauspielers.

Quelle: Real Fiction

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