War es nur ein zynischer Spruch, um seelischen Druck, abzubauen – oder doch eine düstere Ahnung? Vielleicht sogar eine fatalistische Fügung ins Unvermeidliche? Niemand weiß, was genau im Kopf von Richter Giovanni Falcone vor sich ging, als er einmal öffentlich sagte: „Es wird ein Massaker werden. Ein Clan wird mich umbringen.“
Am Sonnabend, dem 23. Mai 1992, genau um 17.57 Uhr war es so weit. Die Kolonne des wichtigsten Mafia-Jägers Italiens bestand aus drei gepanzerten Fiat-Limousinen des Typs „Croma“, sie raste gerade mit 160 Kilometern pro Stunde in der Nähe der sizilianischen Stadt Palermo über die Autobahn, da detonierte in der lang gezogenen Kurve nahe des Vorortes Capaci eine Bombe. Sie hatte eine Sprengkraft von etwa 500 Kilogramm TNT und war in einem Drainagerohr unter der Autobahn verborgen gewesen.
„Es knallte. Es regnete Asphaltstücke. Es war, als hätte sich die Hölle aufgetan“, schilderte ein Augenzeuge die Explosion, der Bauer Salvatore Gambino: „Ich sah das erste Auto, das etwa 100 Meter fortgeschleudert wurde. Das zweite Auto flog auseinander. Wo die Autobahn gewesen war, tat sich ein mindestens 50 Meter breiter Graben auf. Ich lief, so schnell ich konnte, zu dem Auto, das auseinandergebrochen war. Es war von Asphalt bedeckt. Ich holte einen Körper heraus, der keine Beine mehr hatte, einen zerfetzten Bauch und leblose Arme.“
Gambino konnte das nicht wissen, aber er hielt die sterbende Francesca Morvillo in seinen Armen, seit 1983 die Lebensgefährtin und seit 1986 die zweite Ehefrau von Giovanni Falcone. Die 46-Jährige lebte noch, erlag aber fünf Stunden später ihren schweren Verletzungen. Ihr sechs Jahre älterer Mann war direkt bei der Detonation gestorben; sein Körper war regelrecht zerfetzt worden. Auch die drei Polizisten im ersten Wagen, der weggeschleudert wurde, überlebten nicht. Es war ein Massaker, wie vorhergesagt.
Anderthalb Jahrzehnte lang hatte Giovanni Falcone unermüdlich gegen das organisierte Verbrechen ermittelt und als Untersuchungsrichter (eine Funktion, die in der deutschen Justiz so nicht bekannt ist) Anklagen vorbereitet. Zu Beginn seiner Karriere als Richter Mitte der 1960er-Jahre hatte er sich zunächst auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert, besonders auf mit Schwerpunkt Bankrotte mit betrügerischer Absicht. Nachdem 1979 jedoch Richter Cesare Terranova zusammen mit seinem Fahrer im Auftrag der Mafia erschossen worden war, wechselte Falcone das Aufgabengebiet und wurde zum Schrecken der Mafia.
Mehr als 500 Strafverfahren gegen Mafiosi standen zu dieser Zeit in Italien an, die aber praktisch alle von korrupten oder eingeschüchterten Justizmitarbeitern verschleppt wurden. Giovanni Falcone ließ sich weder bestechen noch durch Morddrohungen beeindrucken. Als am 29. Juli 1983 sein Kollege Rocco Chinnici mit einer 50-Kilo-Bombe ermordet wurde, führte Falcone den bis dahin größten Mafia-Prozess fort. Der Prozess endete am 16. Dezember 1987 mit der Verurteilung von 344 Angeklagten zu insgesamt 2665 Jahren Haft.
Giovanni Falcone kannte Hunderte Namen und die Verbindungen von Mafia-Unternehmen aus dem Gedächtnis. Er galt als schüchtern und umging Interviews, soweit er konnte. Zwei Attentate überlebte er, dank des massiven Schutzes seines Büros, seiner Wohnungen und der Fahrtstrecken zwischen Arbeitsplatz und Zuhause. Aber dass die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra, seinen Tod wollte, war ihm bekannt. Am 23. Mai 1992 war es so weit.
Immerhin: Falcones Fahrer konnte, wenngleich mit lebensgefährlichen Verletzungen, geborgen werden. Extrem viel Glück hatten die drei Polizisten, die Falcones Wagen folgten: Sie erlitten nur leichte Wunden. Ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten dagegen zwei italienische Familien und ein österreichisches Ehepaar, die alle mit ihren Autos im Moment der Detonation auf der auf der Gegenspur fuhren: Niemand von ihnen schwebte in Lebensgefahr, obwohl ihre Fahrzeuge durch die Luft geschleudert worden waren.
„Mindestens drei Monate lang ist dieses Attentat geplant worden“, sagte ein Polizeisprecher am Tag danach in Palermo: „Wir wissen noch nicht, wie die Täter den Sprengstoff so exakt zünden konnten.“ Seinen Angaben zufolge befanden sich die Wagen von Falcones Kolonne „nur eine halbe Sekunde in der Gefahrenzone“. Tatsächlich wurde die Bombe mit der Funksteuerung eines Modellflugzeuges ausgelöst.
Am Tag nach dem Massaker auf der Autobahn bei Palermo gedachten die 1014 Parlamentarier und Senatoren, die in Rom seit zwölf Tagen erfolglos um den künftigen Staatspräsidenten Italiens rangen, die Wahl, um Giovanni Falcones zu gedenken. Sie lobten den „heroischen Kampf des Helden“ und sagten wieder einmal den „Paten und ihren Hintermännern, die im Dunkeln agieren“ den Kampf an. Wie viele dieser Abgeordneten selbst auf der Lohnliste des organisierten Verbrechens standen, weiß niemand – es werden einige gewesen sein.
Ähnlich doppelzüngig verhielten sich die Kollegen des Ermordeten im obersten italienischen Richterrat. Sie versprachen, „rücksichtslos gegen den Kraken Mafia zu ermitteln“. Doch es waren zum Teil die gleichen Juristen, die Falcone nach seinem Mafia-Prozess auf einen Verwaltungsposten in das Justizministerium versetzt wurde. Und nur wenige Wochen vor dem Attentat hatte sich der Richterrat gegen Falcone als Direktor einer neu gegründeten Anti-Mafia-Behörde ausgesprochen.
Am Ort des Massakers wurde eine Gedenkstätte errichtet, deren Mittelpunkt ein Obelisk mit den Namen der fünf Toten des 23. Mai 1992 ist. Der Täter, ein Mafia-Killer namens Giovanni Brusca, wurde 1996 festgenommen und trotz zahlreicher nachgewiesener Morde nur zu 25 Jahren Haft mit zahlreichen Erleichterungen verurteilt, denn er kooperierte umfassend mit der italienischen Justiz. Am 31. Mai 2021 wurde er unter Auflagen freigelassen und tauchte mit einer neuen Identität und unter dem Schutz der italienischen Behörden ab.
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