Filmrezension: Dancer in the Dark
 
Oktober 2000

�ber die bedingungslose Aufopferung einer liebenden Mutter

Dancer in the Dark


Dancer in the Dark "Dancer in the Dark" gewann beim Filmfestival in Cannes 2000 gleich zwei der Hauptpreise. Lars von Triers Leinwand-Musical erhielt die "Goldene Palme" als bester Film, und Hauptdarstellerin Bj�rk wurde als beste Schauspielerin geehrt. Der isl�ndische Musikstar spielt die erblindende tschechische Einwanderin Selma, die in einer amerikanischen Kleinstadt zum Totschlag gezwungen wurde und nun des Mordes angeklagt wird - der Strick wartet auf sie. Davor hat sie keine Angst; aber ihr Sohn droht ebenfalls sein Augenlicht zu verlieren. Ein Film �ber die bedingungslose Aufopferung einer liebenden Mutter.


Lars von Trier beobachtet gerne Menschen. Sein letzter Film "Dogma 2: Idioten" (1998) zeigte eine Gruppe Aussteiger, die den gesellschaftlichen Hass auf Au�enseiter verulken, indem sie sich absichtlich wie Autisten benehmen und dann die Abneigung Anderer beobachten. Zuvor schilderte von Trier in "Breaking the Waves" (1996) das Schicksal einer Autistin, die sich f�r ihren verungl�ckten Gatten bis zur Prostitution aufopfert. "Dancer in the Dark", der dritte Film in Lars von Triers "Golden Heart"-Trilogie und der erste Film von Triers nach der von ihm mitgegr�ndeten Dogmen-Filmreihe, handelt ebenfalls von einer opferbereiten jungen Frau, der etwa 30-j�hrigen Selma (Bj�rk). Ihr traut die Gesellschaft einer Kleinstadt einen kaltbl�tigen Mord aus Geldgier zu. Dabei ist die junge Mutter friedliebend und k�mpfte nur um das Geld f�r die Operation ihres Sohnes.

Am Anfang des Films scheint Selmas Welt in Ordnung zu sein. In fast allen Mitb�rgern der amerikanischen Kleinstadt hat die tschechische Immigrantin Freunde, vor allem in der Arbeitskollegin Kathy (Catherine Deneuve) oder den Nachbarn Bill (David Morse) und Linda Houston, bei denen sie mit ihrem 10-j�hrigen Sohn Gene zur Untermiete wohnt. Au�erdem hat sie im freundlichen, introvertierten Jeff (Peter Stormare) einen Verehrer. Aber sie muss ihm absagen. Sie kann derzeit nicht seine Freundin werden, sie hat Probleme, f�r die sie ihre ganze Energie ben�tigt. Denn sie verliert ihr Augenlicht. Noch gr��ere Sorgen bereitet ihr aber Gene, der ebenfalls an der erblich bedingten Krankheit leidet. F�r seine Augenoperation spart sie jeden Cent. Nur Kathy ahnt, dass in Selmas Aussage eine bittere Wahrheit steckt, sie k�nne ihre Akkord-Arbeit in einer Metall verarbeitenden Fabrik auch blind leisten. Selma braucht das Geld f�r Gene, daf�r riskiert sie am Arbeitsplatz Fehler. Als die 2000 bereits angesparten Dollar gestohlen werden, ist Selma in der Folge zum Totschlag des R�ubers gezwungen. Das Gericht glaubt an Mord, die Todesstrafe wartet auf Selma. Schlimmer f�r sie: Genes Operation ger�t in Gefahr.

"Dancer in the Dark" ist ein Musical. Immer wenn Selmas Arbeitsalltag trist wird oder ihr die Probleme �ber den Kopf wachsen, tr�umt sie sich, ganz �hnlich wie manchmal die Fernsehserien-Figur "Ally McBeal", in eine Welt des Gesangs und der Choreografie hinein; sogar die unfreundlichsten Arbeitskollegen werden dann zu ihren Tanzpartnern. Die arbeitenden Fabrikmaschinen geben dabei die Rhythmen vor. Der Film spielt mit gewisser Absicht in Amerika, um einen Gegensatz zu verdeutlichen: Die Immigrantin suchte in den USA das Land, in dem die fr�hlichen Fred-Astaire-Musicals gedreht wurden - und fand die Flie�bandk�lte von "Moderne Zeiten".

Urspr�nglich war geplant, dass die isl�ndische S�ngerin Bj�rk nur den Soundtrack schreibt. Dann �bernahm sie auch die Hauptrolle. Bj�rks Rollenfigur und sie selbst haben eine bedeutende Gemeinsamkeit: Auch Bj�rk (* 1965) ist, wie ihre Filmrolle, Mutter eines �ber zehn Jahre alten Sohnes (* 1986). Vielleicht ist Bj�rk wegen dieser privaten Umst�nde solch ein Gl�cksfall f�r "Dancer in the Dark", ein zu Recht preisgekr�nter Gl�cksfall: Sie spielt die Emotionen einer k�mpfenden Mutter nicht, sie verk�rpert sie, Bj�rk ist Selma.

Ihr zur Seite gestellt ist die Filmlegende Catherine Deneuve als m�tterliche Freundin Kathy. Die Schauspieler David Morse und Peter Stormare sind von Lars von Trier gegen ihr �bliches Image besetzt: Kennt man sie beide sonst vornehmlich aus Action-Filmen in Schurkenrollen (Morse z. B. in "The Rock", 1996, Stormare in "Fargo", 1996, "8 mm", 1999), spielen sie in "Dancer ..." freundliche Mitb�rger ihrer Kleinstadt, allerdings nur so lange wie ihr Privatleben nicht gef�hrdet ist.

1995 begr�ndete Lars von Trier die "Dogma 95"-Filmreihe mit drei weiteren d�nischen Regisseuren, deren Filme in der Reihe nur nach bestimmten Regeln gedreht werden durften, darunter die ausschlie�liche Verwendung wackelnder Handkameras und dem Verbot von k�nstlichem Licht, um sich von der K�nstlichkeit von Hollywood-Produktionen abzugrenzen, wie die vier Filmemacher in ihrem Manifest behauptet haben. Mit "Dancer ..." hat sich von Trier von den strikt gefassten Regeln zwar wieder verabschiedet, aber auch hier dienen die Handkamera und der Einsatz des nat�rlichen Raumlichts dazu, in den emotionalsten Szenen die N�he zu den einzelnen Figuren herzustellen, ihre Probleme in drastischer Form nahe zu bringen.

Dem gegen�ber gestellt sind die Musikszenen: Die stehenden Kameras und das k�nstlich die Choreografie-Szenen ausleuchtende Licht fangen die Freude Selmas an Musicals ein. Dieser Kontrast hinterl�sst beim Zuschauer Wirkung: Wei� er doch, dass letztere Szenen nur Selmas Fantasien als Flucht vor der sich als immer grausamer entlarvenden Wirklichkeit sind. Eine liebliche, sympathische Naivit�t als Rettung vor der Verzweiflung, die Bj�rk als Selma dem Zuschauer in beeindruckender Form darstellt. Selmas fortschreitende Krankheit l�sst ihr Mitwirken beim �rtlichen Musical von der Haupt- auf eine Nebenrolle schrumpfen, bis sie wegen des vermeintlichen Mordes ganz aus der Besetzungsliste gestrichen wird. Ein intelligent eingesetztes Motiv: Ihr wird hiermit symbolisch ein Fluchtweg aus der Realit�t genommen.

Die Filmkritiker-Urteile zum gro�en Gewinner von Cannes 2000 sind nicht nur einheitlich positiv. Von "Meisterwerk" ist auf der einen Seite die Rede, auf der anderen Seite hei�t es, dass "Dancer ..." nicht ohne "reaktion�re Opfermythen" auskommt und seine Hauptfigur als "eine behinderte Mutter ... , auch noch Ausl�nderin, ... all jene sentimentalen Affekte vereint, auf die die kunstduseligen Bildungsb�rger in Europas St�dten am liebsten hereinfallen" (Artechock). In der Tat reduziert Lars von Trier die Geschichte um Selma Jezkova auf eine Zuschaueremotionen ansprechende Dramaturgie. Dem Film allerdings Gef�hlskitsch vorzuwerfen, wie es in manchen Kritiken geschieht, ist ungerecht: Daf�r wirkt Bj�rks dargestellte impulsive Leidenschaft zu echt.

 
Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)

Quelle des Fotos: Constantin Film


Filmdaten

Dancer in the Dark
(Dancer in the Dark)

D�nemark / Frankreich / Schweden 2000
Regie & Drehbuch: Lars von Trier;
Produzenten: Peter Aalbaek Jensen, Vibeke Vindelov, Lars J�nsson, Marianne Slot; Musik: Mark Bell, Bj�rk; Kamera: Robby M�ller; Schnitt: Francois G�digier, Molly Marlene Stensgaard; Casting: Avy Kaufman; Choreografie: Vincent Paterson;
Darsteller: Bj�rk (Selma Jezkova), Catherine Deneuve (Kathy), David Morse (Bill Houston), Peter Stormare (Jeff), Joel Grey (Oldrich Novy), Vincent Paterson (Regisseur), Cara Seymour (Jean), Jean-Marc Barr (Norman), Vladica Kostic (Gene), Stellan Skarsgard (Arzt), Udo Kier (Arzt), Siobhan Fallon Hogan (Brenda), Paprika Steen, Zeljko Ivanek u.a.;

L�nge: 139 Minuten; deutscher Kinostart: 28. September 2000.




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von Constanze Frowein
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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die wei�e Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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