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Panorama Henryk M. Broder

„Vom Irrglauben geheilt, dass Juden klüger seien“

Henryk M. Broder über seine Vergangenheit auf St. Pauli und die Hochzeit seiner Tochter mit einem linken Israeli. In Neukölln zeigt sich: Er ist nicht der „Islamfresser“, für den ihn manche halten.

Fast jeder kennt die streitbaren Polemiken des „Welt“-Autors Henryk M. Broder. Ich lese sie seit langem mit Freude und freute mich, dass der Autor sich bereit erklärte, eine kleine Video-Reise mit mir über die Neuköllner Sonnenallee in Berlin zu machen. Wir starten in einer kleinen Kaschemme an der Ecke zur Pannierstraße, wo es 0,4 Liter „Wilder Mann“-Bier für 1,20 Euro gibt, um über Broders Zeit auf Hamburg-St. Pauli zu sprechen. Der Hafenkneipen-Flair passt dazu ja, denke ich.

Henryk M. Broder trägt eine schwarze Sonnenbrille und einen beigen Anzug mit Baseballcap, als ich ihn an der Kaschemme treffe, die ich als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Er kommt gerade aus Ramallah in der Westbank und wundert sich über die vollverschleierten Frauen, die er auf dem Weg nach Neukölln aus dem bürgerlichen Schmargendorf gesehen hat. „Das gibt es nicht mal in Ramallah“, lacht er.

Ein kleiner Pin mit einer israelischen und einer deutschen Flagge steckt in seinem Revers. Er schwärmt von seiner Zeit in Hamburg, wo er Ende der 60er-Jahre mit Stefan Aust, Günter Wallraff und dem Fotografen Günter Zint an den erotisch-reportagigen „St. Pauli Nachrichten“ arbeitete, einem Blatt, das mit der Wochenendausgabe eine Auflage von über einer Million erreichte.

Er erzählt über seine Auffassung des Schreibens als Handwerk. „Das ist wie beim Kochen, vier Fünftel der Arbeit und auch vier Fünftel der Qualität machen die Vorbereitung aus.“

„Die Leute wollen Spaß haben“

Und das Handwerk liegt in der Familie. Broders Vater stellte aus Bakelit, einem der ersten Kunststoffe, die wie Glas zerbrechen konnten, Alltagsgegenstände her, wie er sagt. Broder hat eine Ausgabe des neuen israelischen „Playboy“ mitgebracht, dort entblättert sich die schöne Jana, „das am besten gehütete Geheimnis von Petach Tikvah“, so verspricht das Titelblatt. „Wenn die Palästinenser auch ihren eigenen ‚Playboy’ haben, gibt es Frieden“, sagt Broder. Und das was er in Ramallah gesehen hat, macht ihm Hoffnung. „Dort entsteht eine freie, hedonistische Gesellschaft. Die Leute wollen Spaß haben.“

Wir laufen rüber zum libanesischen Hummus-Restaurant „Azzam“, an den arabischen Wasserpfeifen-Cafés vorbei, welche in unmittelbarer Nachbarschaft zu der deutschen Säuferkneipe die Sonnenallee säumen. Ich habe ein wenig Sorge, dass ein deutscher Konvertit oder ein arabischer Islamist den, was Religionskritik angeht, nicht gerade zimperlichen Broder erkennt und sich verbal oder auch physisch empört, aber die Menschen nicken ihm freundlich zu.

Bei „Azzam“ essen wir für 3,50 Euro den vorzüglichen Kichererbsenbrei, der diesen Laden zum inoffiziellen Treffpunkt der israelischen Community Berlins gemacht hat. Dazu gibt es Brot, Oliven, Tomaten, Minze und gefärbten Rettich.

Das zweitbeste Essen der Welt

„Hummus, wenn er gut gemacht ist, ist das zweitbeste Essen der Welt“, sagt Broder. Für das beste habe er sich noch nicht entschieden. Wir reden über seine Zeit in Israel, wo er 1981 hin auswanderte, eigentlich nur, um ein paar Monate zu bleiben. Daraus wurden dann zehn Jahre, in denen er unter anderem für die englischsprachige „Jerusalem Post“ schrieb.

Er feierte dort etwa mit den letzten jüdischen Siedlern auf dem Sinai Pessach, also sehr passend den „Auszug aus Ägypten“, kurz vor dem israelischen Abzug im Jahr 1982. „Das waren zum Teil schreckliche Nationalisten, aber im Einzelnen oft sehr freundliche Menschen“, sagt er. „Es war eine wunderbare Zeit in Israel, aber als die Mauer fiel, wollte ich für ein paar Monate wieder nach Deutschland.“

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Aus den paar Monaten wurden jetzt wiederum über 20 Jahre. Er sagt, die Zeit im schnellen, lebendigen Israel habe ihn „von dem Irrglauben geheilt, dass die Juden klügere Menschen seien“. Und freut sich gleichzeitig, dass seine Tochter einen jungen, linken Israeli geheiratet habe. „Die haben nicht diese europäisch-jüdische Angst“.

Der vermeintliche Islamfresser

Als wir uns von dem Hummus-Koch verabschieden, fragt Broder diesen, woher er komme. „Aus Palästina, aus Tabaria“. „Tiberias?“, fragt Broder“. „Nein, Tabaria“. Das ist der arabische Name der israelischen am See Genezareth gelegen Stadt Tiberias.

Mit dem Taxi fahren wir dann zurück zum nahen Axel-Springer-Hochhaus in Kreuzberg. Der etwa 40-jährige Fahrer ist ein in Istanbul geborener Mazedonier mit Atatürk-Sticker auf dem Handschuhfach. Er hört traditionelle, von Balkanklängen beeinflusste Volksmusik aus dem Nordwesten der Türkei.

Gerade kommt er von dort, jedes Jahr fährt er mit seiner nagelneuen Mercedes-Taxilimousine nach Anatolien durch serbische Dörfer und griechische Örtchen. In einem Stück, ohne zu schlafen, manchmal bis zu 40 Stunden. Broder liebt die Musik, die aus den Lautsprechern tönt. „Können Sie mir den Namen der Band sagen?“, fragt Broder den Fahrer, der ihm daraufhin kurzerhand die CD schenkt. Broder verspricht, sich mit neapolitanischen Weisen zu revanchieren.

„Sehen Sie, das sind wunderbare Leute, die wollen leben und frei sein“, resümiert Henryk M. Broder, der vermeintliche Islamfresser, als wir aus dem Taxi gestiegen sind.

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