Die Musterlandesmutter
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Die Musterlandesmutter

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München - Sie war die beliebteste "First Lady", die Bayern je hatte. Seit 40 Jahren steht Karin Stoiber an der Seite ihres Mannes. Ob in Ingolstadt oder Indien, bei Talkshows oder Trachtlertreffen: Ihr Auftreten war eine Klasse für sich. Ohne ihre Herzlichkeit und eiserne Disziplin wären "Die Stoibers" nicht zum Markenartikel geworden.

Es soll Frauen geben, die haben sich vor der Heirat mit einem Politiker zusichern lassen, keine Parteitage besuchen zu müssen. Winke-winke und Händeschütteln, Blitzlicht, Smalltalk, Lächeln und wieder Winken - jedes Jahr dasselbe Schauspiel. Wo sich andere durch Flucht entzogen, stand Karin Stoiber stets in vorderster Front. Immer freundlich, ruhig, gelassen, immer aufmerksam, interessiert und hellwach, selbst nach dreistündigen Monologen ihres Mannes über Rentenreform und Steuerrecht.

Ende kommender Woche ist Schluss. Es ist der Abschiedsparteitag, für den Partei- und Regierungschef ebenso wie für seine Frau. Die Journalisten werden sie umlagern, werden fragen, ob sie Wehmut oder Bitternis empfinde. Die Teleobjektive der Kameras werden sich an ihr Gesicht heranzoomen und versuchen, eine Träne einzufangen. Und Karin Stoiber wird vorne in der ersten Reihe sitzen und die Contenance wahren, wie schon so oft.

Sie sind ein eingespieltes Team. Seit fast 40 Jahren miteinander verheiratet und nebenbei noch mit der Politik. Als Bankangestellte hatte Karin Stoiber ihrem Mann durchs Studium geholfen. Weil das erste Kind unterwegs war, gab sie den Job auf, ihr Mann machte Karriere. Mit der Zeit gewöhnte sie sich an den Verlust von Privatheit und die Urlaube mit Franz Josef Strauß, der seinen Generalsekretär stets in der Nähe haben musste. Es konnte passieren, dass Strauß selbst an Heiligabend anrief und Stoiber zu einer dringenden Dienstreise nach Moskau abkommandierte. Für Karin Stoiber bleibt Privates privat, doch hat sie nie verschwiegen, wie sehr sie in den ersten Ehejahren unter der Belastung litt. Als die älteste Tochter die ersten Schritte machte, meldete sich die junge Mutter bei ihrem Mann im Ministerium. "Und deswegen rufst Du mich an?", entgegnete ihr Edmund Stoiber am Telefon.

Zum "Traumpaar der deutschen Politik" (Bunte) wurden sie wegen ihres öffentlichen Zusammenhalts, aber auch wegen offensichtlicher Gegensätze: Er, der Nonstop-Politiker, detailversessen, oft hektisch und kühl. Sie, eine charmante und unterhaltsame Botschafterin Bayerns, ungezwungen, offen, elegant. "Die Musterlandesmutter" hat sie ein Festredner einmal genannt. In Anbetracht ihrer Beliebtheit scheint das noch untertrieben. Würde sich Karin Stoiber heute zur Wahl stellen, wären die Becksteins und Seehubers chancenlos.

Gruppenbild mit dem Heiligen Vater: Papst Benedikt XVI. (Mi.) hat sich bei seinem Besuch im September 2006 in Bayern mit Ministerpräsident Edmund Stoiber (3.v.r.) und dessen Familie in der Münchner Residenz zum Foto aufgestellt. Neben dem Papst stehen Karin Stoiber (4.v.l.), Stoibers Tochter Constanze Hausmann (2.v.r.) mit Töchterchen Theresa Marie auf dem Arm sowie ihren Söhnen Johannes (vorne r.) und Benedict (vorne l.) und ihrem Ehemann Jürgen (r.), Stoiber-Tochter Veronica Sass (5.v.l.) mit Ehemann Oliver Sass (3.v.l.) und Stoiber-Sohn Oliver (2.v.l.) mit seiner Freundin Melanie (l.).

Schon früh entdeckte Karin Stoiber, geborene Rudolf, ihr Interesse für Politik. Der Stiefvater nahm das junge Mädchen mit ins Bierzelt zu FJS. Aus den legendären Strauß-Reden kann sie noch heute zitieren. Sich selbst politisch zu äußern - undenkbar für Karin Stoiber. "Wir beide diskutieren oft, aber in der Öffentlichkeit halte ich mich zurück. Ich bin keine Politikerin. Mein Mann steht zur Wahl, nicht ich", lautete ihre Maxime.

Anders als die niedersächsische Fernsehdiva Hillu oder die amerikanische Präsidentengattin Hillary sah Bayerns "First Lady" ihren Platz im Volk. Ob morgens im Supermarkt, nachmittags im Fußballstadion oder abends auf einem Staatsbankett - ihr Radarsystem blieb auf Empfang. "Ich bin eine Art Sensor für meinen Mann, weil ich ja mit vielen Menschen zusammenkomme." Während der Gatte schon wieder an den übernächsten Termin denkt, nimmt Karin Stoiber Stimmungen auf, knüpft Kontakte. Anders als die untergebenen Berater des Regierungschefs äußert sie offen ihre Meinung. "Ich bin ja nicht nur die Frau, sondern auch die größte Kritikerin meines Mannes." Im Landtag erzählt man sich heute noch die Episode, wie Frau Stoiber am Rande eines Termins einmal den übelgelaunten Herrn Ministerpräsidenten aufforderte, er möge sich nun endlich zusammenreißen.

Edmund Stoiber weiß, was er an ihr hat. Seine Regentschaft in Bayern war von Anfang an ein Familienunternehmen. Weder im Wahlkampf, noch auf den Litfaßsäulen stand er allein. 1994 plakatierte die CSU erstmals "Die Stoibers", seitdem ist die Marke bundesweit etabliert. Die CSU-Strategen erkannten schnell Karins Kapital: Neben seiner Frau wirke Edmund Stoiber "wie anders beleuchtet, viel gelöster", schwärmt der frühere Berater Michael Spreng. Während es dem distanzierten Berufspolitiker bei Terminen sichtliche Probleme bereitet, andere Menschen an sich heranzulassen, ihnen gar auf die Schulter zu klopfen, strahlt Karin Stoiber eine Herzlichkeit aus, die selbst Sozialdemokraten erwärmt. "Stoiber, ganz besonders aber seine Frau, das ist Bundesliga. Danach kommt nur noch Kreisklasse", schwärmte Gerhard Schröder, als er letzte Woche der SPD in Wolfratshausen seine Aufwartung machte. Die Köchin Karin Stoiber hatte dem Ex-Kanzler zuvor ein opulentes Mahl serviert.

Nächste Woche Merkel, letzte Woche Schröder, davor Sarkozy, Putin und der Papst: Drei Jahrzehnte auf dem politischen Parkett haben Karin Stoiber trittsicher gemacht. Anders als ihr Mann kann sie mit der Bundesfamilienministerin genauso gut wie mit dem SPD-Fraktionschef. Auch mit Journalistenfragen hat sie umzugehen gelernt. Als ihr einmal eine Reporterin vorhielt, Schröder sei laut Umfragen der größte Frauenschwarm, konterte Karin Stoiber kühn: "Stellen Sie sich vor, alle Frauen fänden meinen Mann sexy. Dann hätte ich keine ruhige Minute mehr!"

Die ruhigen Minuten blieben auch so eine Seltenheit. In den Wahlkämpfen 2002 und 2005 waren ihre Terminkalender fast so dick wie die des Ministerpräsidenten. Karin Stoiber kämpfte für einen Wahlsieg, vor dessen Folgen sie sich fürchtete. Weder die Kanzlerkandidatur behagte ihr, noch der mögliche Wechsel Stoibers als Superminister nach Berlin. Doch ihre Zweifel behielt sie für sich. Was war ihr wichtig, ihr und den drei Kindern? Kein Kommentar. "Ich weiß ja, dass man in der Politik immer flexibel reagieren muss", lautete ihr Standardsatz in Interviews. Ihre Selbstdisziplin erklärte Karin Stoiber einmal unter Hinweis auf ihre Kindheit und Jugend und die Vertreibung aus dem Sudetenland: "Man musste sich fügen. Ich habe früh gelernt, mich anzupassen."

"Es ist mehr als nur Anpassung, es ist Aufopferung", meint ein Wegbegleiter. Karin Stoiber hat für Merkel den Frühstückstisch gedeckt, damit ihr Mann die Kanzlerkandidatur an sich ziehen konnte. Sie hat all ihre Sorgen zurückgestellt und in München Wahlkampf gemacht, mit Enkelkind und Bobbycar, während ihr Mann durch Deutschland tourte. Aus dem Duell Schröder­Stoiber wurde für die Medien bald "Doris gegen Karin" - dynamische Journalistin gegen konservative Hausfrau. Dieses Klischee hat Karin Stoiber getroffen: "Ich habe 13 Jahre lang als Bankangestellte gearbeitet und weiß, wie es im Berufsleben zugeht. Ich kenne auch die andere Seite."

Ihre wahre Berufung, das ist, ganz allgemein, die Familie. Zu den eigenen Kindern und Enkeln sind von Jahr zu Jahr mehr Menschen hinzugekommen, für die sich Karin Stoiber engagiert: SOS-Kinderdörfer, Hospize, russische Straßenkinder, herzkranke Schüler aus dem Gaza-Streifen, Gehörlose in München, Obdachlose in Berlin. Menschen zu helfen, "die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, die keine Lobby haben", so beschreibt sie ihre Mission. Schon als Schülerin war Karin Stoiber sonntags in Kliniken gegangen, um ehrenamtlich zu arbeiten. "Es sind bewegende Momente, wenn man in ein Heim kommt, mit behinderten Menschen spricht und in leuchtende Augen sieht, weil die Menschen erkennen, dass man sich um sie kümmert. Diese Freude zu sehen, das hat mir immer sehr viel gegeben", sagt sie. Weit über fünf Millionen Euro allein an Spendengeldern hat die 64-Jährige bisher gesammelt, dazu kommen Sachspenden wie Computer, Autos oder ein ganzes Schwimmbad. Erst kürzlich sprach sie ein anonymer Gönner an und überreichte ihr einen Blankoscheck für den Bau einer Kapelle in einem Kinderhospiz.

Lange hat sie sich Gedanken gemacht, wie es weitergeht nach dem Rücktritt ihres Mannes. "Ich kann jetzt nach 14 Jahren nicht einfach die Türe zuschlagen und sagen: So, das war's, die Sache ist erledigt für mich", sagt Karin Stoiber. "Das kann ich mit meinem sozialen Gewissen nicht vereinbaren." Sie hat sich entschieden, weiter für ihre Projekte zu arbeiten, "im Rahmen meiner Möglichkeiten".

Über den bevorstehenden Abschied von der großen Bühne der Politik verliert sie kein Wort des Bedauerns. Im Gegenteil. "Hinter meinem Mann und mir liegen sehr intensive Jahre. Wir freuen uns jetzt auf die Zukunft, auf die Möglichkeit, ein normales Familienleben führen zu können. Wir hatten in den letzten Jahren ja kaum ein Wochenende für uns allein." Karin Stoiber kommt beinahe ins Schwärmen, wenn sie daran denkt, "einfach mal frei zu leben und nicht von Terminen abhängig zu sein".

Natürlich, sagt sie, kenne sie ihren Mann zu gut, um zu wissen, "dass Politik für ihn auch in Zukunft eine Rolle spielen wird". Und natürlich weiß sie selbst am besten, wie sehr ihn die Umstände des erzwungenen Rückzugs verbittern. Karin Stoiber sagt, sie habe sich früher oft über Artikel in der Zeitung geärgert. "Da hat mein Mann mir immer gesagt: Dankbarkeit darfst Du in der Politik nie erwarten."

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